Italienische Regionalwahlen: Politische Eliten rücken weiter nach rechts

In Italien wurden am Sonntag und Montag in sechs von 18 Regionen die Präsidenten und Parlamente neu gewählt. Die erste Wahl seit Ausbruch der Corona-Krise galt als Test für die Regierung in Rom, eine Koalition aus Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), Demokraten (PD) und einigen kleineren Parteien unter dem parteilosen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte.

Das Augenmerk der Medien lag auf der Toskana, die seit 50 Jahren von der PD und ihren Vorgängerorganisationen regiert wird. Die Lega von Matteo Salvini hatte hier die 33-jährige Susanna Ceccardi aufgestellt, die als Jungstar der Rechtsextremen gilt, und es war viel darüber spekuliert worden, dass sie die Wahl gewinnen könnte. Das traf nicht ein. Der PD-Kandidat Eugenio Giani lag mit 48,6 Prozent deutlich vor Ceccardi, die auf 40,5 Prozent kam.

Conte und die PD feierten die Wahl deshalb als Bestätigung ihrer Regierung und versprachen, die Politik der „Reformen“ konsequent voranzutreiben. Auch in Brüssel wurde das Ergebnis mit Erleichterung aufgenommen. Die Regierung Conte steht fest zur Europäischen Union und hat sich verpflichtet, mithilfe der EU-Corona-Hilfsgelder, von denen ein großer Teil auf Italien entfällt, die Wirtschaft des Landes gründlich umzubauen. „Reform“ ist dabei ein Codewort für Sozialabbau, Entlassungen im öffentlichen Dienst, Steuersenkungen für die Reichen und weitere Angriffe auf die Arbeiterklasse.

Ein genauerer Blick auf das Wahlergebnis ergibt allerdings ein völlig anderes Bild, als es Brüssel und Rom zeichnen. Wachsende Wut und Empörung in der Bevölkerung, die in den bestehenden politischen Kanälen keinen Ausdruck findet, kommen mit einem scharfen Rechtsruck der herrschenden Eliten zusammen.

Von den sechs Regionen, in denen der Regionalpräsident neu gewählt wurde, haben die Rechten vier gewonnen, drei davon hatten sie bereits vorher regiert. Damit sind sie in 13 von 18 Regionen an der Macht, vor sechs Jahren waren es nur drei gewesen.

Bezeichnend ist, dass der Erdrutschsieg eines rechtsextremen Kandidaten in den Marken, einer Region zwischen Toskana und Adria, in den europäischen Medien kaum bemerkt wurde, geschweige denn Alarm auslöste.

Francesco Acquaroli gewann dort als Kandidat eines Rechtsbündnisses, an dem sich die Lega, Berlusconis Forza Italia und die Fratelli d’Italia (FdI) beteiligten, die Wahl zum Regionalpräsidenten mit einer deutlichen Mehrheit von 49 Prozent. Bisher war die Region von den Mitte-Links-Parteien regiert worden. Mit 60 Prozent lag die Wahlbeteiligung um zehn Prozent höher als vor fünf Jahren.

Acquaroli selbst ist Mitglied der Fratelli d’Italia, einer rechtsextremen Partei, in der sich Faschisten, Neonazis und Identitäre tummeln. Er bewundert Benito Mussolini, der Italien 21 Jahre lang als faschistischer Diktator beherrschte. Vor einem Jahr nahm er an einem offiziellen Dinner zur Feier des „Marschs auf Rom“ teil, das der Provinzsekretär der FdI organisiert hatte. Mussolinis „Marsch auf Rom“ im Oktober 1922 kennzeichnet den Beginn der faschistischen Diktatur.

Giorgia Meloni, die 43-jährige Vorsitzende der FdI, entwickelt sich im rechten Lager zusehends zur Konkurrentin von Lega-Chef Salvini. Dieser ist politisch angeschlagen, seit er im vergangenen Sommer die Regierungskoalition mit den Fünf Sternen beendete, weil er hoffte, gestärkt aus Neuwahlen hervorzugehen. Doch statt Neuwahlen zuzustimmen, bildeten die Fünf Sterne eine Regierung mit den Demokraten.

Giorgia Meloni (Mitte) bei der Gründung der Fratelli d'Italia 2012 (Foto: GennaroCri / CC-BY-SA 3.0)

Meloni ist stramm rechts, wettert gegen Einwanderer und Finanzspekulanten (vorwiegend jüdischen Glaubens, wie George Soros), bekennt sich zu „Gott, Vaterland und Familie“, lehnt Abtreibung und LGBT ab und beschwört die nationale Identität. Ihr erklärtes Ziel ist ein starker, autoritärer Staat, in dem Sicherheit Vorrang vor Freiheit hat, eine „illiberale Demokratie“ nach ungarischem Vorbild.

Meloni begann ihre politische Karriere mit 15 Jahren in einer rechten Jugendorganisation und war 2008 Jugendministerin unter Silvio Berlusconi. Sie ist fest ins politische Establishment integriert, das an ihren faschistischen Überzeugungen keinen Anstoß nimmt. Die Lega und Berlusconis Forza Italia, die auf europäischer Ebene mit den deutschen Regierungsparteien CDU und CSU kooperiert, haben auch bei den diesjährigen Regionalwahlen wieder auf gemeinsamen Listen mit den Fratelli d’Italia kandidiert.

Berlusconi, der zwischen 1994 und 2011 vier Mal italienischer Ministerpräsident war, spielt nur noch eine untergeordnete Rolle. Der 84-Jährige liegt mit Covid-19 im Krankenhaus und Forza Italia dümpelt in den Umfragen bei 6 Prozent vor sich hin. Seine wichtigste Leistung besteht darin, den Faschisten zu Ansehen und Aufstieg verholfen zu haben, seit er 1994 erstmals eine Regierungskoalition mit der Mussolini-Nachfolgepartei MSI bildete.

Die Fratelli d’Italia stehen in dieser faschistischen Tradition. Im Gegensatz zur Lega, die aus der separatistischen Regionalpartei Lega Nord hervorgegangen ist und in der es immer noch starke regionalistische Tendenzen gibt, befürworten sie einen starken nationalen Staat.

Die Lega ist vor allem im Norden weiterhin stark. In Venetien verteidigte Regionalpräsident Luca Zaia sein Amt mit einem Rekordergebnis von 76,8 Prozent. Er gilt als innerparteilicher Rivale Salvinis und wird von starken Wirtschaftsinteressen, wie dem Benetton-Konzern, unterstützt. Seinen Wahlsieg verdankt er unter anderem dem Umstand, dass er die Corona-Pandemie durch die Einführung roter Zonen, umfangreicher Tests und der Verfolgung von Infektionsketten relativ schnell eindämmte und eine Katastrophe wie in der benachbarten Lombardei vermied.

Großer Verlierer der Regionalwahl sind die Fünf Sterne. Im März 2018 waren sie mit knapp einem Drittel der Stimmen als stärkste Partei aus der Parlamentswahl hervorgegangen. Nun erzielten sie nur noch in zwei der sechs Regionen ein zweistelliges Ergebnis, und auch hier verloren sie massiv. So holten sie in Apulien 11 Prozent; bei der Parlamentswahl waren es noch 45 Prozent gewesen.

Der Aufstieg der Fünf Sterne war eng mit der Wut auf die etablierten Parteien verbunden, die sich an der Regierung ablösten und – egal ob nominell rechts oder links – immer neue soziale Angriffe gegen die Arbeiterklasse durchführten. Der Komiker Beppe Grillo, der Gründer der Partei, stellte sich auf die Marktplätze und fluchte und schimpfte gegen das politische Establishment. Das Programm der Fünf Sterne war eklektisch, im Kern aber rechts. Sie stellten den Kapitalismus nicht in Frage und forderten eine drastische Verschlankung des Staates, was im Endeffekt auf einen massiven Sozialabbau hinausläuft.

Kaum hatten sie die Wahl gewonnen, wurde der rechte Charakter der Fünf Sterne offen sichtbar. Sie bildeten eine Koalition mit der Lega Salvinis, der das Innenministerium übernahm und in der Regierung bald den Ton angab. Die Brutalität, mit der diese gegen Flüchtlinge vorging, überfüllte Schiffe an der Landung hinderte und tausende im Mittelmeer ertrinken ließ, hat die Fünf Sterne für immer diskreditiert.

Nun feiern sie es als großen Erfolg, dass ein Referendum über die Verkleinerung des Parlaments, das parallel zur Regionalwahl stattfand, von 70 Prozent der Wähler angenommen wurde. In den beiden Kammern des italienischen Parlaments werden zukünftig nur noch 600 Abgeordnete sitzen, statt wie bisher 945, und auch die Abgeordnetengehälter werden gekürzt.

Die Fünf Sterne hatten in der Parlamentswahl 2018 versprochen, „die Verschwendung und die Kosten der Politik“ einzuschränken, und sich für das Referendum stark gemacht. Dass nun über zwei Drittel dafür stimmten, ist ein Ausdruck des tiefen Misstrauens in die offizielle Politik. „Die Abstimmung für die Verkleinerung des Parlaments ist ein Misstrauensvotum gegen die Politiker des Landes, denen die Italiener schon seit Jahren überdrüssig sind,“ kommentiert die deutsche Tageszeitung Die Welt.

Mit den Fünf Sternen wird dieses Misstrauen allerdings nicht mehr identifiziert, wie ihr schlechtes Wahlergebnis zeigt. Zudem wird eine Verkleinerung des Parlaments an der reaktionären Politik der Regierung nichts ändern. Sie wird eher dazu beitragen, die Macht der Exekutive und damit den Aufbau eines autoritären Staats zu stärken.

Italien gleicht einem sozialen Pulverfass. Über 300.000 Menschen haben sich dort aufgrund der verantwortungslosen Politik der Regierung an Covid-19 infiziert, 36.000 sind daran gestorben. Die Arbeitslosenquote liegt bei 10 Prozent, die dritthöchste in Europa. Vor allem Jugendliche finden keine Arbeit. Die Wirtschaft ist im freien Fall. Heftige Klassenkämpfe sind unvermeidlich. Aber sie brauchen eine politische Orientierung und Perspektive, sonst führt die Fäulnis der Gesellschaft zum Wachstum des Faschismus.

Noch repräsentieren die Fratelli d’Italia oder die Lega keine faschistische Massenbewegung. Sie verdanken ihren Einfluss der rechten Politik der anderen Parteien. Aber sie stellen eine ernste Gefahr dar. Nur eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse, die für den Sturz des Kapitalismus und ein sozialistisches Programm kämpft, kann diese Gefahr stoppen.

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