Erneute Massenverhaftungen gegen kurdisch-nationalistische HDP in der Türkei

Im Zuge der anhaltenden Unterdrückung der Kurdisch-Nationalistischen Demokratischen Volkspartei (HDP) hat die Polizei am Freitag vorletzter Woche 20 Personen wegen der von Ankaras Oberstaatsanwalt eingeleiteten Ermittlungen im Fall der "Kobani-Proteste" von 2014 verhaftet. Das Büro des Staatsanwalts erklärte, dass 61 weitere Personen von der Polizei gesucht werden. Darüber hinaus wird er die Aufhebung der parlamentarischen Immunität von sieben HDP-Abgeordneten wegen derselben Untersuchung fordern.

Diese antidemokratische politische Operation fand nur wenige Tage nach dem Treffen von Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit dem Staatsanwalt statt.

Zu den HDP-Gefangenen gehören Kars Co-Bürgermeister Ayhan Bilgen, die ehemaligen Abgeordneten Sırrı Süreyya Önder, Ayla Akat Aka, Emine Ayna, Beyza Üstün und Altan Tan sowie das Mitglied der HDP-Auslandskommission Nazmi Gür. Önder war Mitglied der „İmralı Delegation“ während des so genannten „Friedensprozesses“ der Türkei mit der PKK – einer Strategie, um mit Hilfe der PKK den Einfluss der Türkei im Irak und in Syrien zu stärken. Der „Friedensprozess“ holperte von 2009 bis 2015, bevor er zusammenbrach, als Washington die kurdischen Nationalisten zu seiner wichtigsten Stellvertretertruppe in Syrien machte.

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft werden die Verhafteten beschuldigt, Führer der PKK zu sein: „Es wurde eine Untersuchung eingeleitet [...] gegen die so genannten Führungskräfte der terroristischen Organisationen der Arbeiterpartei Kurdistans/Union der Gemeinschaften Kurdistans (PKK/KCK) und einige Führungskräfte und Mitglieder der Partei“.

Die inhaftierten ehemaligen HDP-Ko-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ sind ebenfalls Teil der Untersuchung. Sie befanden sich seit 2016 im Gefängnis, als die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) von Erdoğan mit Unterstützung der Republikanischen Volkspartei (CHP) eine Verfassungsänderung verabschiedete, mit der die parlamentarische Immunität von HDP-Abgeordneten aufgehoben wurde.

Die Staatsanwaltschaft fuhr fort: „Am 6. bis 8. Oktober 2014, als es zu unter der Bezeichung ‚Kobani-Vorfälle‘ bekannten Terrorakten kam, riefen die so genannten Exekutivorgane, die Jugendorganisation, die Frauenorganisation und die bewaffnete Stadtorganisation der Terrororganisation PKK/KCK sowie die Mitglieder und Ko-Vorsitzenden des HDP-Zentralvorstands, die allgemein als ‚Kobani‘-Vorfälle in unserem Land bekannt sind, die Bevölkerung über Social-Media-Konten und einige Medien mehrfach auf, auf die Straße zu gehen und Gewalttaten zu begehen.“

Die „Kobani-Proteste“ brachen im ganzen Land wegen der Weigerung der Regierung von Erdoğan aus, den kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG), der syrischen Sektion der KCK, während einer Offensive des Islamischen Staates in Irak und Syrien (ISIS) in Kobani zu helfen. Während der Proteste, die sich auf überwiegend kurdische Städte konzentrierten, wurden mehr als 40 Menschen von der Polizei getötet oder kamen bei bewaffneten Zusammenstößen mit islamistischen Milizen ums Leben. Ende des Monats erlaubte die Regierung jedoch irakisch-kurdischen Peshmerga-Kämpfern, ihr Territorium zu durchqueren, um die YPG-Milizen – die Verbündeten der PKK – in Kobani gegen ISIS zu unterstützen.

Gleichzeitig verhaftete die Polizei im Rahmen einer separaten Untersuchung der „Bewegung der Namenlosen“, einer regierungsfeindlichen Protestbewegung in den sozialen Medien, 24 Personen in mehreren Städten. Nach Angaben der staatlichen Agentur Anadolu wurden sie wegen „provokativer Social-Media-Postings“ verhaftet, die angeblich „die Menschen zu Feindschaft und Hass anstifteten, Staatsbeamte erniedrigten und versuchten, die gewählte Regierung zu untergraben“.

Während der Gazete-RED-Schriftsteller Hakan Gülseven später freigelassen wurde, bleiben andere in Haft: Dazu gehören der Schriftsteller Temel Demirer, der Journalist Zeynep Kuray, der Rechtsanwalt Tamer Doğan und die Sprecherin der Partei für Soziale Freiheit (TÖP), Perihan Koca.

Diese beiden gleichzeitigen Einsätze stehen zwar nominell im Zusammenhang mit getrennten Ermittlungen, ereignen sich aber inmitten der wachsenden sozialen Wut der Arbeiter gegen die Reaktion der Regierung auf die Covid-19-Pandemie. Im benachbarten Griechenland sind Massenproteste gegen die mörderische Herdenimmunitätspolitik Athens gegenüber der Krankheit ausgebrochen.

Die andere Sorge der Regierung Erdoğan ist ein potenzielles Bündnis, das sich zwischen den bürgerlichen Oppositionsparteien, einschließlich der HDP, entwickelt und darauf abzielt, Erdoğan zu stürzen und durch ein Regime zu ersetzen, das offener an Washington und den imperialistischen Mächten der Europäischen Union ausgerichtet ist.

Während die EU die Unterdrückung des katalanischen Unabhängigkeitsreferendums 2017 durch den spanischen Staat und die anschließende Inhaftierung katalanisch-nationalistischer Politiker duldet, prangerte die Sprecherin der Europäischen Kommission, Ana Pisonero, die Unterdrückung der HDP durch Erdoğan scheinheilig an. Sie sagte: „Wir warten auf eine formellere, hochrangige Reaktion.“

Der Vorsitzende der CHP, Kemal Kılıçdaroğlu, hat wiederholt erklärt: „Wir werden bei den ersten Wahlen gemeinsam mit unseren Freunden an die Macht kommen“. Zu diesen „Freunden“ gehören nicht nur ihr rechtsextremer Wahlverbündeter, die Gute Partei, sondern möglicherweise auch die HDP sowie zwei kürzlich von der AKP abgespaltene Parteien, die Zukunftspartei des ehemaligen AKP-Premierministers Ahmet Davutoğlu und die Partei für Demokratie und Fortschritt (DEVA).

Während der inhaftierte ehemalige HDP-Vorsitzende Demirtaş kürzlich „breitere und offenere Bündnisse für Demokratie, Freiheit, Frieden und wirtschaftlichen Wohlstand“ forderte, gab die Partei letzte Woche bekannt, dass sie „einen Kampf zur Schaffung eines antifaschistischen Blocks begonnen hat“.

Mithat Sancar, derzeitiger Ko-Vorsitzender der HDP, erklärte gestern: „Diese Operationen sind die Antwort der Regierung auf unsere Erklärung des Aufrufs zum Frieden und auf unsere antifaschistische Blockarbeit“.

Kılıçdaroğlu, einer der potenziellen angeblich „antifaschistischen“ Verbündeten der HDP gegen Erdoğan, rief ihn an, um die „Solidarität“ der CHP zu erklären: „Solche Angriffe und Operationen gegen die Opposition hängen damit zusammen, dass diese Regierung in der Falle sitzt, in welche Richtung sie sich auch wendet.“

Obwohl Davutoğlu 2014 Premierminister war, prangerte der Sprecher seiner neu gegründeten Zukunftspartei das harte Durchgreifen gegen die HDP heuchlerisch an und erklärte: „Unabhängig von unseren politischen Ansichten müssen wir angesichts von Ungerechtigkeit und Grausamkeit standhaft bleiben.“ Was die DEVA anbelangt, so sagte sie, dass ein solches gesetzloses Verhalten nur „Terrororganisationen“ zugute käme.

Das immer härtere Vorgehen der AKP-Regierung gegen die Opposition steht jedoch auch mit umfassenderen Konflikten zwischen Ankara und seinen imperialistischen NATO-Verbündeten im Zusammenhang, insbesondere wegen des Krieges in Syrien.

Letzten Sonntag besuchte Washingtons Sondergesandter für Syrien, James Jeffrey, einen US-Militärstützpunkt im Nordosten Syriens, um bei Einheitsgesprächen zwischen zwei rivalisierenden syrischen kurdischen Fraktionen zu vermitteln, damit eine kurdische „Autonomie“ geschaffen werden könne. Dies würde als politische Fassade für eine dauerhafte militärische Besetzung der ölproduzierenden Region Syriens durch die USA dienen.

An den Verhandlungen waren der Kurdische Nationalrat in Syrien (ENKS) und die Parteien der Kurdischen Nationalen Einheit unter der Führung der Partei der Demokratischen Union (PYD), dem politischen Arm der YPG, beteiligt. Zuvor hatte Ankara Washington und Paris, die beiden Hauptunterstützer der Initiative, beschuldigt, darauf abzielen zu wollen, „die YPG-PKK zu legitimieren“ und einen „Terrorstaat“ in Syrien aufzubauen. Ankara ist in den letzten Jahren wiederholt in Syrien eingefallen, um die von den USA unterstützten kurdischen Streitkräfte von den türkisch-syrischen Grenzen zu vertreiben.

Es gibt wachsende Spekulationen darüber, dass die türkische Regierung eine neue Militäroperation gegen die kurdisch-nationalistischen Kräfte vorbereitet.

Der Sprecher der PYD, Sama Bakdash, sagte gegenüber Rudaw, Jeffrey habe gesagt: „Die Türkei sollte weder den östlichen Euphrat noch irgendeinen anderen Teil angreifen, der gegenwärtig nicht unter ihrer Kontrolle steht. Wenn sie es doch tut, werden die USA es verhindern und sanktionieren, wie sie es in der Vergangenheit nicht getan haben“. Laut BBC Türkçe warnte der PYD-Führer Salih Müslim: „Mit der letzten Operation gegen die HDP ist die Tür zum Bürgerkrieg geöffnet worden.“

Die direkte Verbindung zwischen dem Krieg im Ausland und der Politik des Polizeistaats im Inland zeigt, dass die demokratischen Rechte, einschließlich der Rechte der Kurden, nicht verteidigt werden können, ohne sich dem imperialistischen Krieg entgegenzustellen. Die bürgerlichen Oppositionsparteien wie die CHP und die kurdisch-nationalistischen Parteien sind jedoch tief mit dem Imperialismus verbunden und ebenso unfähig, einen solchen Kampf zu führen, wie die Regierung Erdoğan selbst. Die einzige Kraft, die in der Lage ist, diesen Kampf zu führen, ist die internationale Arbeiterklasse, mobilisiert und vereint auf der Grundlage eines sozialistischen und internationalistischen Programms.

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