Griechische Schulbesetzungen: Antwort auf einen Brief der Partei OKDE-Spartakos

Die World Socialist Web Site erhielt folgenden Brief von einem Mitglied von OKDE-Spartakos, der griechischen Verbündeten der kleinbürgerlichen Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) in Frankreich. Der Brief kritisiert den WSWS-Artikel „Révolution Permanente (NPA) schweigt über griechische Schülerproteste gegen Corona-Politik“, in dem aufgedeckt wird, dass sich die Website Révolution Permanente an dem internationalen Schweigen der Medien über die griechischen Massenproteste gegen die mörderischen Schulöffnungen beteiligt. Es folgt eine Antwort von Alex Lantier.

*** ***

Brief von OKDE-Spartakos

Mein Name ist Manos und ich bin Mitglied des politischen Büros von OKDE-Spartakos in Griechenland. Ich habe einen Artikel von Euch über das Schweigen von Révolution Permanente zur anhaltenden Jugendbewegung in Griechenland gelesen. Der Artikel enthält eine Reihe falscher oder irreführender Informationen über unsere Organisation.

a. Unsere Organisation soll direkte Verbindungen zur französischen NPA haben. Dies ist nicht ganz zutreffend. Wir sind Teil des USFI [Vereinigtes Sekretariat der Vierten Internationale], im Besonderen der öffentlichen permanenten Strömung „Tendenz für eine revolutionäre Internationale“, die die Orientierung der Internationale ablehnt. Der NPA gehören Mitglieder verschiedener Internationalen und Tendenzen an, sie hat daher keine offizielle direkte Verbindung zu uns.

b. Wenn ihr schreibt, dass OKDE-Spartakos direkte Verbindungen zur NPA unterhält, die wiederum Syriza unterstützt hat, wollt ihr offensichtlich andeuten, dass auch wir Syriza unterstützt haben. Das ist völlig unzutreffend, wir haben diese sozialdemokratische Partei nie in irgendeiner Art von Wahlen unterstützt. Wir haben uns öffentlich gegen die VI gewandt, weil sie dies getan hat. Das wisst ihr vermutlich bereits oder solltet ihr wissen, wenn ihr Euch auf unsere Organisation bezieht. Siehe hier:

https://www.okde.org/index.php/en/announcements/87-announcements/128-letter-of-the-cc-of-okde-spartakos-to-the-bureau-of-the-fi-on-the-greek-situation

Es gibt andere Dinge in dem Artikel, die nicht korrekt sind: Antarsya ist zum Beispiel definitiv keine kleinbürgerliche Koalition. Aber das könnte eine Frage der politischen Interpretation sein, über die wir unterschiedlicher Meinung sind. Meine oben erwähnten Bemerkungen hingegen beziehen sich auf unzweifelhafte Tatsachen. Es ist eine Frage der Aufrichtigkeit, die Wahrheit über OKDE-Spartakos zu sagen.

Ich erwarte von Euch, dass ihr diese Nachricht im Namen der revolutionären Aufrichtigkeit nicht ignoriert.

Kameradschaftlich

Manos

*** ***

Antwort von Alex Lantier

Mehr als eine Million Menschen sind an Covid-19 gestorben. Weltweit haben Regierungen und Gewerkschaften Schüler und Arbeiter unter unsicheren und tödlichen Bedingungen in die Schulen und Betriebe zurückgeschickt. Es ist wichtiger denn je, dass Arbeiter und Jugendliche, die in den Kampf gegen diese Politik der „Herdenimmunität“ gehen, die ungeschminkte Wahrheit erfahren: Die Punkte von OKDE-Spartakos sind allesamt unbegründet. Die Kritik der WSWS an der NPA, Syriza und OKDE-Spartakos ist korrekt.

Bezeichnenderweise versucht OKDE-Spartakos nicht einmal, die Analyse der WSWS anzufechten. Wir erklären darin, dass die NPA die griechische Regierung unter Syriza („Koalition der radikalen Linken“) und ihre Sparmaßnahmen unterstützt hat und jetzt die griechischen Schülerproteste gegen die Politik der „Herdenimmunität“ verschweigt, um eine Ausdehnung der Bewegung nach Frankreich zu verhindern. OKDE-Spartakos akzeptiert diese vernichtenden Vorwürfe kommentarlos. Sie versucht nur, sich von der NPA zu distanzieren, indem sie behauptet, dass es nicht „ganz“ zutreffend sei, zu sagen, dass sie mit der NPA oder mit Syriza verbunden ist.

Das ist ein ungeschickter Trick: OKDE-Spartakos erklärt weiter, sie sei „Teil des USFI“, dem Vereinigten Sekretariat, das ein Netzwerk von Parteien der Mittelschichten ist, von denen die NPA die französische Sektion bildet. Das stellt eine „direkte Verbindung“ zur NPA dar. Tatsächlich finden sich auf der Website von OKDE-Spartakos mehrere Erklärungen der NPA zu diversen Themen – von Griechenland bis zur Klimakonferenz COP-21.

Was ist die schmutzige Bilanz der NPA? Sie hat u.a. die Gelbwesten-Proteste gegen soziale Ungleichheit als neofaschistisch attackiert, Syriza unterstützt und an den französischen Imperialismus appelliert, von der CIA unterstützte libysche und syrische „Rebellen“ zu bewaffnen. Deshalb ziehen es Kräfte wie OKDE-Spartakos jetzt vor, nicht als Verbündete der NPA aufzutreten, sondern als „linke“ Fraktion des Vereinigten Sekretariats, die sich um die Facebook-Seite „Tendenz für eine revolutionäre Internationale“ gruppiert. Ihre „Gemeinsame Erklärung für ein revolutionäres internationalistisches Projekt in Europa“ stellt aber die Politik der NPA weiterhin als „antikapitalistische Alternative“ in Frankreich dar.

Diese schäbige Wortklauberei und die Versuche von OKDE-Spartakos, die WSWS über „revolutionäre Aufrichtigkeit“ zu belehren, zielen darauf ab, ihre korrupte Politik zu verschleiern.

Wie das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) betont hat, stehen Arbeiter und Jugendliche in dieser globalen Pandemie vor großen politischen Aufgaben. Sie brauchen von den Gewerkschaften unabhängige Sicherheitskomitees und eine revolutionäre Führung, um die politische Grundlage für den Widerstand und systematische Massenstreiks zu schaffen, weltweit die Macht zu übernehmen und die Ressourcen zu beschlagnahmen, die für einen wissenschaftlichen, humanen und sozialistischen Kampf gegen Covid-19 notwendig sind. Das bedeutet auch, dass Jugendliche und Arbeiter in nicht systemrelevanten Berufen bei voller finanzieller Unterstützung zuhause bleiben müssen. Der Preis für die Untätigkeit der Regierungen wird ein schrecklicher Anstieg der Todesopfer sein.

OKDE-Spartakos vertritt den gegenteiligen Standpunkt, dass Arbeiter nicht mit den Gewerkschaften und dem herrschenden Establishment brechen müssen. Sie bestreitet nicht die Analyse des WSWS-Artikels, dass die Gewerkschaften und Parteien der Mittelschichten die Schulöffnungen vorantreiben, weil sie davon ausgehen, dass die Gelder der billionenschweren EU-Coronarettungspakete über den Bailout der Banken und die Betriebsräte in ihre Aktienportfolios und Gewerkschaftskassen fließen werden. Stattdessen deutet OKDE-Spartakos an, dass „revolutionäre“ Fraktionen in diesen korrupten Organisationen entstehen und irgendwie linke Politik betreiben werden.

Mit ihren vergeblichen Bemühungen, diese Organisationen für eine „linke“ Linie zu gewinnen, versucht OKDE-Spartakos die soziale Wut der Jugend zu kanalisieren.

In den 1930er Jahren unterzog Trotzki Zentristen wie Marceau Pivert in Frankreich einer gnadenlosen Kritik, weil sie den Aufbau einer revolutionären Partei blockierten, indem sie die Grenzen zwischen Revolution und Reaktion verwischten. Pivert begreife nicht, so Trotzki, „dass ein rücksichtsloses Stellen der Grundfragen und eine heftige Polemik gegen Schwankungen nur die notwendige ideologische und pädagogische Widerspiegelung des unversöhnlichen und grausamen Charakters des Klassenkampfes unserer Zeit ist. Ihm erscheint das als ‚Sektierertum‘, mangelnder Respekt für die Persönlichkeit von anderen usw., d.h. er verbleibt völlig auf dem Niveau kleinbürgerlichen Moralisierens.“

Es bleibt nur hinzuzufügen, dass Politiker wie Pivert Titanen des Klassenkampfs waren, wenn man sie mit den heutigen Vertretern der proimperialistischen, kleinbürgerlichen Parteien wie der NPA vergleicht.

OKDE-Spartakos greift die WSWS dafür an, dass wir sie mit der NPA und Syriza in Verbindung bringen, und behauptet, das zeuge von Mangel an Respekt für ihre Politik. Sie wirft der WSWS vor, sie wolle „andeuten, dass auch wir Syriza unterstützt haben. Das ist völlig unzutreffend, wir haben diese sozialdemokratische Partei nie in irgendeiner Art von Wahlen unterstützt.“ OKDE-Spartakos verweist dann auf einen ihrer Artikel, in dem sie die Führung des Vereinigten Sekretariats dafür rügt, dass sie bei den Wahlen 2012 Syriza unterstützt hat.

Die WSWS muss gar nichts „andeuten“: Die Unterstützung von OKDE-Spartakos für Syriza ist gut dokumentiert. Die WSWS hat über die Auseinandersetzung von 2012 berichtet. Es stimmt, dass OKDE-Spartakos sich nicht direkt „in irgendeiner Art von Wahlen“ für Syriza ausgesprochen hat, wie sie in einem juristischen Winkelzug erklärt. Sie unterstützte Syriza aber, indem sie sich mit Kräften wie der Antarsya-Koalition zusammenschloss, die vorgaben, links von Syriza zu stehen, und die Syriza unterstützten, obwohl sie angeblich ihrer prokapitalistischen Politik misstrauten.

In der Tat heißt es in der Erklärung, die OKDE-Spartakos in der Nachricht an die WSWS verlinkt hat, dass die Partei „die politische Entscheidung getroffen hat, sich an dem vereinten antikapitalistischen linken Projekt von Antarsya zu beteiligen“, und dass „sich Antarsya mit Syriza getroffen hat und sich bereit erklärte, zusammenzuarbeiten und in den Kämpfen gemeinsam zu marschieren“. Sie erwähnte nicht, dass sich Syriza im Kampf gegen die Arbeiterklasse befand.

OKDE-Spartakos rief zu einer „Einheitsfront“ mit Syriza auf. In ihrem Dokument von 2012 schrieb sie: „Wir halten es für entscheidend, dass die griechische antikapitalistische Linke und insbesondere Antarsya weiter eine Einheitsfronttaktik verfolgt, aber gleichzeitig sollte sie ihre politische Unabhängigkeit und das antikapitalistische Übergangsprogramm bewahren, mit dem sie schwierige Kämpfe in Gewerkschaften, Betrieben und in der Jugend geführt hat.“

OKDE-Spartakos berichtete, dass Syriza 2012 ihr Programm zusammen mit rechten Parteien wie der Nea Dimokratia und den rechtsextremen Unabhängigen Griechen entworfen habe. Sie spekulierte, dass „eine mögliche Syriza-Regierung nach einigen Monaten zusammenbrechen und einer rechten Regierung das offene Feld überlassen wird“. Dennoch bestand sie darauf, dass die „einzige Hoffnung“ im Aufbau einer anderen Organisation bestehe, die sich als linke Kritikerin von Syriza ausgeben, aber mit ihr verbünden würde. Während sie behauptete, für „ihre politische Unabhängigkeit“ zu kämpfen, verbündete sie sich in Wirklichkeit mit einer bürgerlichen Partei.

Die erschütternde Erfahrung der Syriza-Regierung, die für Millionen Menschen weltweit zum Synonym für Verrat und Betrug geworden ist, hat diese reaktionäre Strategie entlarvt. Syriza wurde 2015 gewählt, weil sie versprochen hatte, die Sparpolitik der EU zu beenden. In einem Referendum über die Kürzungsprogramme votierte eine überwältigende Mehrheit von 61 Prozent mit „Nein“. Doch direkt nach ihrer Wahl setzte Syriza die drakonische Sparpolitik der EU um und baute ein Netz von EU-Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln auf.

Diese Erfahrung zeigte, dass die WSWS mit ihren Warnungen recht behalten hatte und OKDE-Spartakos in praktisch allen Punkten falsch lag. Nur in einem Punkt hatte sie Recht, nämlich dass Syriza mit der extremen Rechten im Bündnis war. Syriza bildete eine Regierungskoalition mit den Unabhängigen Griechen. Sie blieb aber nicht nur wenige Monate, sondern vier Jahre an der Macht und setzte die EU-Politik der Sparmaßnahmen und Unterdrückung erbarmungslos durch. Was OKDE-Spartakos und Antarsya anbelangt, so waren sie weit davon entfernt, Syriza daran zu hindern, ihre rechte Politik umzusetzen. Vielmehr passten sie sich an.

Gemäß ihrer Übereinkunft mit Syriza begrüßte OKDE-Spartakos in einer Erklärung vom 26. Januar 2015 zynisch den Wahlsieg Syrizas als „große Niederlage“ für den griechischen Kapitalismus. Sie warb auch für Syrizas Juli-Referendum über die Sparpolitik, das „unter geeigneten Bedingungen eine neue Runde der politischen Krise des Systems eröffnen könnte, das uns ausbeutet und unterdrückt“. Direkt nach dem Referendum setzte Syriza ihre Kürzungen durch. Dieser Verrat stieß Arbeiter und Jugendliche nicht nur von Syriza, sondern auch von Antarsya und OKDE-Spartakos ab, die Syriza immer wieder unterstützt hatten.

Wenn sich OKDE-Spartakos wirklich ernsthaft mit politischen Fragen auseinandersetzen wollen würde, müsste sie diskutieren, was ihre Schlussfolgerungen aus den vielen Niederlagen und Verrätereien sind, an denen sie beteiligt war. Warum wiederholt sich diese Entwicklung immer wieder? Doch OKDE-Spartakos reagiert nur mit der unehrlichen und pauschalen Leugnung, dass sie etwas mit dem politischen Verrat seiner engsten Verbündeten zu tun haben würde. Dem liegt die liquidatorische Perspektive und Ausrichtung des Vereinigten Sekretariats zugrunde.

Das USFI entstand aus einer Tendenz unter der Führung von Michel Pablo und Ernest Mandel, die 1953 mit dem IKVI brach und dazu aufrief, die trotzkistische Bewegung weltweit in die stalinistischen und bürgerlich-nationalistischen Parteien zu liquidieren. Sie erklärten, dass die trotzkistische Bewegung der internationalen Arbeiterklasse keine politische Führung geben könne und sie deshalb Bündnisse mit prokapitalistischen Kräften suchen müsse.

Sie entwickelten eine bürgerliche Orientierung, die den Stalinismus mit Identitätspolitik verschmolz. Das war die Grundlage für die Ausrichtung der NPA auf Syriza – einem Bündnis von Teilen der stalinistischen Kommunistischen Partei Griechenlands und der Studentenbewegungen nach 1968 – und für OKDE-Spartakos’ Orientierung auf Antarsya, einer ähnlichen Koalition grüner und pablistischer Gruppen, die mit maoistischen Anhängern des französischen stalinistischen Philosophen Louis Althusser verbündet waren.

Ein internationaler Kampf gegen die Politik der „Herdenimmunität“ erfordert einen rücksichtslosen Bruch mit dieser politischen Orientierung und eine Hinwendung zu der internationalen revolutionären Perspektive und dem Kampf für die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse, die das IKVI gegen den Pablismus verteidigt hat.

Loading