Die World Socialist Web Site, der Corbynismus und der Kampf gegen den Opportunismus

Wir veröffentlichen sukzessive die Reden, die führende Mitglieder des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) und Autoren der WSWS auf unserer Online-Kundgebungam 25. Oktober gehalten haben. Anlass war der Relaunch der WSWS am 2.Oktober 2020. Chris Marsden ist nationaler Sekretär der Socialist Equality Party (UK).

Ich spreche heute Abend zu Euch während des Parteitags der Socialist Equality Party im Vereinigten Königreich. Dem Parteitag liegt ein Resolutionsentwurf vor, der die politische Richtung für die Arbeit der Sektion in den bevorstehenden explosiven Klassenkämpfen vorgibt.

Alle unsere Delegierten sind zugeschaltet. Und alle wissen, dass der Relaunch der World Socialist Web Site das wichtigste Werkzeug ist, um unser Ziel zu erreichen: den Aufbau einer neuen revolutionären Führung in der Arbeiterklasse.

In unserer Resolution heißt es:

Die zentrale politische Verantwortung der SEP besteht darin, sich voll und ganz an der Entwicklung der World Socialist Web Site zu beteiligen. Sie ist die authentische Stimme des Marxismus und das Instrument, die Weltarbeiterklasse im Kampf für den Sozialismus zu vereinen. Die WSWS erscheint seit dem 2. Oktober in völlig neuer Gestalt; sie ist ästhetisch ansprechend und bietet eine erhöhte Funktionalität. Aber vor allem ist der Relaunch durch die Einsicht bestimmt, dass die historische Krise des kapitalistischen Weltsystems, die durch die Corona-Pandemie beschleunigt wurde, zu einem immensen Wiederaufleben des Interesses der Arbeiterklasse an sozialistischer Politik, Geschichte und Theorie führt.

Ich möchte erklären, was die Arbeit der WSWS für die politische Bildung und Aufklärung der Arbeiterklasse bedeutet. Unsere Resolution widmet den bitteren Erfahrungen der fünf Jahre, in denen Jeremy Corbyn Vorsitzender der Labour Party war, sehr große Aufmerksamkeit.

Jeremy Corbyn (Quelle: commons.wikimedia.org)

Corbyn wurde 2015 gewählt, um den rechten Blair-Flügel zu vertreiben und den Kampf gegen eine verachtete konservative Regierung aufzunehmen, die mit grausamen Sparmaßnahmen Millionen Menschen in Armut und Existenznot stürzte.

Doch heute diskutieren wir unter verändertem Vorzeichen über diese strategische Erfahrung. Corbyns Verrat an seinen Wählern – sein Widerstand gegen alle Bemühungen, die Blair-Fraktion zu vertreiben, seine Akzeptanz einer „freien Abstimmung“ [der Labour-Abgeordneten] über die Bombardierung Syriens, die Zustimmung zur Erneuerung des Trident-Atomwaffenprogramms, die Unterstützung der NATO, seine Weigerung, sich der Hexenjagd gegen seine eigenen Anhänger als Antisemiten zu widersetzen, und seine hartnäckige Weigerung, einenKampf gegen die Tories zu führen – dieser ganze Verrat endet im Desaster.

Die vernichtende Niederlage der Labour-Party bei den Parlamentswahlen im Dezember 2019 brachte Boris Johnson an die Macht. Johnson steht einer kriminellen Regierung vor, deren Politik der „Herdenimmunität“ während der Pandemie zu Zehntausenden von Toten geführt hat. Corbyn, wie wir jetzt wissen, wurde von Johnson über diese Politik informiert und hat darüber geschwiegen. Dann übergab er die Macht in der Labour Party an Sir Keir Starmer, der sich, ganz Corbyn, zu einer, wie er es ausdrückte, „konstruktiven Opposition“ gegenüber den Tories verpflichtet hat. Das heißt: Aktive Zusammenarbeit, um die Rückkehr an die Arbeit und die Wiederöffnung der Schulen durchzusetzen, die Zehntausende weiterer Todesfälle garantieren.

Dies ist das politische Vermächtnis des Mannes, den alle pseudolinken Gruppen in Großbritannien und international als Führer einer sozialistischen Wiedergeburt der Labour Party feiern – das britische Pendant zu Bernie Sanders in den USA und der insgesamt aktuelle Trend.

Ihr könnt Euch bestimmt die politische Verwirrung vorstellen, wenn niemand dieser grotesken Lüge widersprochen hätte. Doch es gab Widerspruch.

Unsere Resolution zitiert eine SEP-Erklärung aus dem Jahr 2015, d.h. vor Corbyns Wahl zum Labour-Führer, die den historischen Charakter und die Erfahrungen der Arbeiterklasse mit der Sozialdemokratie, insbesondere ihrer „linken“ Variante, thematisiert. Wir beharrten darauf, dass kein Wechsel an der Spitze von Labour, nicht einmal ein Zustrom von linksgerichteten Mitgliedern, den historisch und programmatisch bestimmten Charakter von Labour als „rechtsgerichtete bürgerliche Partei ... mitschuldig an allen Verbrechen des britischen Imperialismus“ ändern könne – eine Partei, die „seit mehr als einem Jahrhundert als politischer Hauptgegner des Sozialismus fungiert“.

So sind wir historisch an die Frage herangegangen.

Dann zitiert die Resolution eine Erklärung der WSWS-Redaktion vom Dezember 2019, als das Wahldebakel von Labour endgültig feststand. Sie brachte Corbyns verräterische Bilanz nicht nur mit den Erfahrungen in Großbritannien in Verbindung, sondern auch mit dem Verrat von Syriza in Griechenland, Podemos in Spanien und ähnlichen pseudolinken Formationen auf der ganzen Welt, die alle eine privilegierte Schicht der oberen Mittelschicht mit einem ausgeprägten Interesse an der Verteidigung des Kapitalismus repräsentieren:

Im Debakel von Labour entlarvt sich jene Form von Politik, die den revolutionären Charakter der Arbeiterklasse leugnet. Unter Corbyn hat die Labour-Partei jede Orientierung auf Klassenfragen zugunsten von Identitätspolitik rund um Hautfarbe, Nationalität, Ethnizität, Gender oder sexueller Orientierung aufgegeben.

Die Ideologin der bürgerlichen Linken, Chantal Mouffe, bezeichnete Corbyn als das potenziell erfolgreichste Beispiel für eine neue Welle des "Linkspopulismus", weil er "an der Spitze einer großen Partei steht und die Unterstützung der Gewerkschaften genießt". Das Ergebnis würde davon abhängen, dass Corbin die 'traditionelle linke politische Grenzziehung, ... das Kriterium der Klasse', ablehnt.

Daraus schlossen wir:

Corbyns Debakel entlarvt nicht nur die Labour Party, sondern die gesamte Perspektive des „parlamentarischen Wegs zum Sozialismus“. Die großen Fragen wie Krieg, Armut und soziale Ungleichheit werden nicht durch clevere Wahlkampagnen gelöst.

Die Lösung der großen sozialen Probleme, mit denen die Menschheit konfrontiert ist, setzt die breite Mobilisierung der Arbeiterklasse und die Verschärfung des Klassenkampfs auf globaler Ebene voraus. Nur eine Bewegung, die sich mit diesem Kampf identifiziert, die üble nationalistische Debatte über den Brexit durchbricht und für ein Programm der internationalen Einheit des Proletariats kämpft, kann das Vertrauen der Arbeiterklasse gewinnen und sie im Kampf für den Sozialismus anführen.

Das macht den Kampf gegen den Opportunismus aus. Es ist ein Kampf für Prinzipien, für eine historisch basierte Analyse und die Perspektive des sozialistischen Internationalismus gegen jede Anpassung an den Nationalismus – gegen die Suche nach Abkürzungen, die auf der Anpassung an die Dominanz der Labour- und Gewerkschaftsbürokratie über die Arbeiterklasse beruht. Solche Aussagen und Erklärungen bieten eine strategische Orientierung für die Arbeiterklasse. Sie betonen die Notwendigkeit, mit dem nationalen Reformismus zu brechen, den Würgegriff der Labour Party abzuschütteln und sich für die Perspektive des sozialistischen Internationalismus zu entscheiden.

Der Kampf für diese Perspektive findet in unversöhnlicher Opposition zu allen pseudolinken opportunistischen Tendenzen statt. Und wir wissen, dass jeder Arbeiter oder junge Mensch, der sich mit ihr befasst, über unsere Website Zugang zu einer großen Schatzkammer politischer Analysen findet, die diese Perspektive bestätigen. Weit über 100 Artikel befassen sich mit dem Corbynismus, wie auch mit anderen pseudolinken Formationen. Hier finden sich Polemiken gegen pseudolinke Gruppen, über den Verrat der Gewerkschaften an den Kämpfen der Arbeiter, Links zu historischen Artikeln über Trotzki, zur Labour Party, zum Stalinismus, zum Brexit, den zunehmenden interimperialistischen Gegensätzen, die zu Handelskrieg und Krieg führen, über die Notwendigkeit, die Kämpfe der Arbeiterklasse auf den Internationalismus zu gründen, und über den Kampf für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.

Wenn junge Menschen und Arbeiter anfangen, sich mit Corbyn auseinanderzusetzen, und die entsprechenden Analysen der Socialist Equality Party und des Internationalen Komitees kennen lernen – um nur ein Beispiel von vielen zu nennen –, dann beginnen sie damit ihre politische Ausbildung zum Trotzkismus.

Der Relaunch der World Socialist Web Site macht das jetzt möglich. Er wird die Grundlage für die Ausbildung von Millionen von Arbeitern bilden, die jetzt in den Kampf eintreten. Sie werden sich im Programm und in den Prinzipien des Sozialismus ausbilden, wie sie das Internationale Komitee verkörpert. Die World Socialist Web Site ist ein Anziehungspunkt für die besten Elemente in der Arbeiterklasse, und sie ist das Forum, durch das das Internationale Komitee als Weltpartei der sozialistischen Revolution aufgebaut wird. Dafür steht der Kampf gegen den Opportunismus. Das ist es, was wir als politische Tendenz vertreten.

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