Nach Corona-Tod eines Tramfahrers: Berliner Verkehrsarbeiter fordern mehr Sicherheit

Nach dem tragischen Corona-Tod des 49-jährigen Tramfahrers Sven B. am 30. Dezember mehren sich die Stimmen vieler Verkehrsarbeiter, die mehr Sicherheit am Arbeitsplatz fordern.

In Berlin und vielen anderen Städten gerät die Pandemie immer weiter außer Kontrolle. Die Verantwortung dafür trägt die völlig rücksichtslose Politik der Berliner Landesregierung aus SPD, Grünen und Linkspartei, die ihre Entscheidungen von den Interessen der Wirtschaftsverbände abhängig macht und die Profitinteressen höher stellt als die Gesundheit und das Leben der Bevölkerung.

Die 15.000 Mitarbeiter der Berliner Verkehrsbetriebe BVG und zehntausende Fahrgäste werden täglich einer erhöhten Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus ausgesetzt. Das Fahrpersonal der BVG und deren Tochter BT ist ungeschützt Tag und Nacht im Einsatz. Weder die Schichtpläne, noch die Sicherheitsmaßnahmen für die Fahrer, noch die Reinigung der Züge und Busse wurden an die dramatische Verschärfung der Pandemie angepasst.

Dabei sind die Zahlen bekannt und werden täglich beunruhigender. Allein über das vergangene Wochenende stieg die Sieben-Tage-Inzidenz, die Zahl der wöchentlichen Infektionen pro 100.00 Einwohner, von 130 auf fast 200. Die Lage in den Krankenhäusern spitzt sich weiter dramatisch zu, die Intensivbetten werden knapp und es fehlt an qualifizierten Schwestern und Pflegern. Leichen werden vor den Intensivstationen in den Kliniken abgestellt. In den ersten Tagen des neuen Jahres starben in Berlin mehr als 200 Menschen am Coronavirus.

Seit dem Tod des BVG-Kollegen wächst unter den Beschäftigten der Widerstand. Ein ganzes Jahr ist vergangen, ohne dass die Unternehmensleitung auch nur die geringsten Anstrengungen unternommen hätte, die Arbeitssicherheit ernsthaft zu verbessern. Aber die Wut richtet sich nicht nur gegen den Vorstand des kommunalen Unternehmens, der vor allem dafür bekannt ist, dass er überhöhte Gehälter kassiert. Die langjährige BVG-Chefin Sigrid Nikutta kassierte jährlich eine halbe Million, bevor sie vor gut einem Jahr zur Bundesbahn wechselte.

Auch die Gewerkschaft Verdi tut nichts, um die in wachsendem Maße unerträgliche Situation der Beschäftigten zu verbessern. Die Verdi-Funktionäre und Personalräte sind eng mit den Senatsparteien verbunden und unterstützen deren reaktionäre Politik. Verdi sorgt dafür, dass der öffentliche Nahverkehr unter den katastrophalen Bedingungen der Pandemie tagtäglich aufrechterhalten wird.

Die WSWS sprach mit Busfahrern vom Betriebshof Müllerstraße

Andy B. (die Namen wurden geändert, um Repressalien zu verhindern), seit 2006 Busfahrer, ist entsetzt über den Tod des Kollegen:

„Der Tod unseres Kollegen macht mich wirklich betroffen. Das ist tragisch, und die BVG müsste alle Kosten sofort übernehmen, sofortige Auszahlung der ausstehenden Gehälter und die Beerdigungskosten. Denn man kann ja gar nicht sicher feststellen, ob er sich nicht doch auf der Arbeit im Fahrzeug, zuhause oder woanders angesteckt hat.

Bei der BVG gab es jedenfalls keine Nachverfolgung, so wie es bis jetzt noch keinerlei Tests gibt. Es gab schon mehrere Corona-Fälle, die wir selbst entdeckt haben. Anfang Dezember gab es einen positiven Test eines Disponenten auf dem Betriebshof Müllerstraße, doch da wurden nicht alle nachhause geschickt, sondern nur der Betroffene und nicht seine Gruppenkollegen, die mit ihm im gleichen Raum acht Stunden zusammen mehrere Schichten arbeiteten. Und dann noch ohne Maske!“

Ein anderer Vorfall zeigt, wie die BVG die Gefahr der Ansteckung der Fahrgäste und Fahrer ignoriert. Es werden keinerlei Kontrollen in den viel zu wenigen und deshalb überfüllten Bussen organisiert. Die Fahrer sollen die Maskenpflicht überprüfen, haben aber keine Handhabe gegen Maskenverweigerer.

Andy B. berichtet von fünf Kollegen, die die Fahrt verweigerten, weil im Bus zu viele ohne Maske waren. Doch die Betriebsleitstelle wies sie unter Strafandrohungen an, weiter zu fahren. „Du bist doch hier geschützt, fahr oder du gehst sofort nach Hause.“

Nach wie vor werden die Fahrzeuge nicht desinfiziert, nur weniger als 10 Prozent der Fahrzeuge werden geseift, berichten Mitarbeiter der Reinigungsfirma Sasse. „Dann bekommen wir Desinfektionsmittel, das man nicht lange benutzen kann, da es gesundheitsgefährdend wirkt. Zum Schutz kann ich nur sagen, es gibt keine wirkliche Reinigung der Fahrzeuge, seit die Pandemie begann.“

Anfang März plante die BVG den Einbau einer neuen Glasscheibe an der Fahrertüre ihrer 1.500 Busse, doch nicht zum Schutz vor dem Virus. Dazu sagt Andy B.:

„Jetzt machen sie die Folie ab und machen die Flatterleine direkt hinter dem Fahrer fest. Damit gibt es keinen Mindestabstand von 1,5 Meter mehr. Wo ist dann der Schutz der Fahrer? Es ist doch erwiesen, dass die neue Glasscheibe nicht Corona abhält! Also was macht jeder Zweite von uns: Wir nehmen das Flatterband, was wir laut Dienstanweisung nicht dürfen, und schieben es eine Sitzreihe weiter nach hinten, und fühlen uns etwas sicherer.“

Glasscheibe und Flatterband in BVG-Bus

Wenn Kollegen sich und andere schützen wollen, verhindert dies die BVG. Andy B. erzählt von einem Kollegen, dessen Frau Leiterin in einer Kita in Hennigsdorf ist. Es heiße ja immer, „dass Kinder kein Corona haben“. In der Kita seien „eine Erzieherin und zwei Kinder positiv auf Covid-19 getestet worden. Daraufhin wurde sie nach Hause geschickt und die Kita geschlossen. Unser Kollege informierte seine Dienststellenleitung, da es ja meldepflichtig ist, und fragte, ob er lieber in Quarantäne daheimbleiben soll. Das wurde verneint.“

„Wir Mitarbeiter sind immer meldepflichtig“, folgerte Andy B.. „Aber die Firma sagt uns nicht, wenn Kollegen an Corona sterben oder an Corona erkranken! Sie rufen uns auch nicht an und fragen, ob du etwas mit dem oder den kranken Kollegen zu tun gehabt hast.“

Verdi hatte während der Tarifauseinandersetzungen um bessere Arbeitsbedingungen im letzten Jahr einen Schutz vor Ansteckung mitten in der Pandemie nicht einmal thematisiert. Stattdessen sorgte die Gewerkschaft dafür, dass volle Busse überall in Deutschland Schüler und Arbeiter in Schulen und Betriebe brachten.

„Jetzt hat Verdi die Verhandlungen für einen Manteltarifvertrag bis Mitte dieses Jahres vertagt. Die paar hundert Euro Corona-Prämie sehe ich als Blutgeld, mit dem die uns beruhigen wollen. Zudem ist es viel zu wenig, gemessen an dem, was wir schon verloren haben durch gute Masken, die wir nicht vom Betrieb bekommen und selbst kaufen mussten. Wir hätten das gar nicht annehmen sollen. Es müssten FFP2- Masken bereitgestellt werden für alle Mitarbeiter.

Wir müssen uns jetzt unbedingt neu organisieren und mit den Kollegen in den großen Betrieben bei BMW und Siemens gemeinsam die Arbeit niederlegen. Und dann sollten wir Plakate aufhängen, auf denen steht: ‚Erst wenn ihr alles getan habt uns zu schützen, werden wir wieder arbeiten.‘

Das genau fordern die alten Organisationen wie Verdi nicht, die machen nichts. Sie helfen uns mit ihren Personalräten nicht, sondern vertreten ihre eigenen Interessen. Verdi ist gleich Personalrat in einer Person. Alles wird verschleppt. Der Leidtragende ist immer der Arbeiter, der Angestellte, der schlechte Dienste bekommt oder krank wird durch die harte Arbeit. Entweder du machst, was wir verlangen, oder du kannst gehen, heißt es.

Wir müssen Aktionskomitees gründen, um uns neu aufzustellen und den Kampf zu beginnen!“

Zum Berliner Senat sagte Andy B:

„Die gegenwärtigen Parteien vertreten uns Arbeiter nicht. Wir brauchen also eine neue Partei, die uns anhört und unsere Interessen vertritt. Es muss eine richtige Arbeiterpartei sein. Von Arbeitern für Arbeiter. Ich bin für einen harten Lockdown, denn was sie bis jetzt gemacht haben, ist der größte Humbug. Alle müssten zuhause bleiben.“

Alex W. ist seit zwei Jahren Busfahrer bei der BVG und sprach ebenfalls mit der WSWS.

„Ich fühle mich betrogen von der Regierungspolitik und bin für einen harten Lockdown, bei dem alles dicht ist. Sie haben keine Planung. Das merke ich auch bei der BVG. Dort sitzen in den Aufsichtsräten auch Vertreter von Verdi, und die sitzen in einem Boot. So haben sie bestimmt die Corona- Prämie beschlossen, um uns zu beruhigen. Wie eine Beruhigungspille.“

Auch Alex W. spricht sich gegen die neuen Glasscheiben als Schutz vor dem Virus aus:

„Die neue Glasscheibe bei den Bussen ist ein Witz! Jeder Raucher weiß, dass die Aerosole den Raum durchdringen. Das ist kein Schutz, und dann verbieten sie uns auch noch die Maske. Wir brauchen dringend nach jeder Fahrt Reinigungsteams, die jedes Fahrzeug desinfizieren. Ich war nachts letztens in der Halle, und da wurden die Fahrzeuge nur außen gewaschen, nicht innen. Aber Corona macht keine Pause!

Ich bin traurig über den Tod des Kollegen, die Betriebsrente sollte seine Frau bekommen und in einem beschleunigten Verfahren auch die Witwenrente. Das wäre angebracht. Es werden sich bestimmt noch mehr anstecken. Deswegen müssen wir uns neu organisieren. Die SPD ist schon lange keine Arbeiterpartei mehr. Wir brauchen wieder jemanden, der uns, die Arbeiterklasse, vertritt. Nur so können die sozialen Dinge des Lebens wieder ins Zentrum kommen.

Wir sollten aus Protest alles um 12.00 Uhr dicht machen mit allen Kollegen aus der Arbeiterklasse. Nur so kann Corona 2021 gestoppt werden.“

Loading