Niederlande: Neofaschisten stiften zu Ausschreitungen gegen Ausgangssperre an

Nachdem in den Niederlanden am 23. Januar auf Anordnung der rechten Regierung von Ministerpräsident Mark Rutte eine nächtliche Ausgangssperre in Kraft getreten war, kam es im ganzen Land zu Ausschreitungen. Berichten zufolge sollen sich einige marokkanische Immigranten beteiligt haben, angezettelt und organisiert wurden die Ausschreitungen jedoch vor allem von niederländischen Neofaschisten.

Die niederländische Regierung entschied sich für die Ausgangssperre, nachdem es zu Auseinandersetzungen um die Frage gekommen war, was gegen die gefährliche Mutation von Covid-19 unternommen werden kann. Rutte, der noch im vergangenen Jahr Einschränkungen jeder Art abgelehnt hatte, bezeichnete die Ausgangssperre als „Reaktion auf die britische Mutation und die große Sorge, die uns deswegen umtreibt“. Außer Ruttes Kabinett stimmten auch die maoistische Socialistische Partij (SP), die Partij van de Arbeid (PvdA), die GroenLinks und die Rentnerpartei 50Plus für die Ausgangssperre. Die rechtsextreme Partij voor de Vrijheid (PVV) und das Forum voor Democratie (FVD) stimmten dagegen.

Ein rechter Demonstrant bei den Anti-Lockdown-Unruhen in den Niederlanden (Quelle: Twitter)

Am 18. Januar, vor der Abstimmung über die Ausgangssperre, organisierten rechtsextreme Gruppen in Amsterdam eine Protestveranstaltung gegen Abstandsvorschriften. Unter den Teilnehmern befanden sich auch Mitglieder der deutschen Pegida-Bewegung („Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“) bzw. deren niederländische Sympathisanten.

Als die Ausgangssperre in Kraft trat, organisierten die Neofaschisten Krawalle. Als die Ausschreitungen andauerten, behaupteten sie, dass sich Marokkaner daran beteiligt hätten. Sie schlossen sich daraufhin den Forderungen der Rutte-Regierung nach umfassenden Polizei- und Militäreinsätzen an, deren vorgebliches Ziel es war, die Ordnung wiederherzustellen. Daneben riefen sie wiederholt dazu auf, bei der Wahl am 17. März für rechtsextreme Parteien zu stimmen.

Am Samstagmorgen brannten Demonstranten in dem Küstenort Urk ein Covid-19-Testzentrum nieder und schossen mit Feuerwerksköpern. Berichten zufolge wurden die Ausschreitungen von der PVV in Urk angeführt, die in einer Stellungnahme im Internet erklärte, sie werde „alles in ihrer Macht Stehende tun, damit [die Ausgangssperre] in Urk nicht durchgesetzt wird“. In Amsterdam, Den Haag, Eindhoven, Enschede, Venlo und anderen Städten randalierten mehrere hundert Menschen. In Eindhoven wurde zudem der Hauptbahnhof geplündert, und in Enschede versuchten Randalierer, in das Krankenhaus Medisch Spectrum Twente einzudringen.

Laut Polizei befanden sich unter den Randalierern Fußball-Hooligans, Drogensüchtige und Menschen, die „ernsthaft wütend auf die Regierung“ sind. Mit Letzterem waren offensichtlich Rechtsextreme gemeint. Ein Sprecher der Polizei erklärte: „Man sieht, dass einige Teilnehmer gut vorbereitet waren: Sie trugen spezielle Kleidung und Waffen wie Totschläger, Messer oder Molotowcocktails. Andere stießen unvorbereitet dazu.“

Die Neofaschisten feiern die Randalierer als Verteidiger der Freiheit gegen gesundheitspolitische Einschränkungen. Das FvD erklärte auf Twitter seine Unterstützung für die Randalierer: „Es ist bereits die zweite Nacht, in der Rutte die Niederländer einsperrt. Das #FvD leistet weiterhin Widerstand. Wir werden jede Nacht gegen diese unzumutbare Einschränkung unserer Freiheit kämpfen. ... Immer mehr Menschen leisten Widerstand gegen die #Ausgangssperre. Wir bekommen unsere Freiheit nur zurück, wenn wir zusammenarbeiten. Stimmt am 17. März für das FvD.“

Die PVV von Geert Wilders erklärte: „Menschen, die friedlich gegen Ausgangssperren demonstrieren, haben völlig recht.“ Gleichzeitig veröffentlichten die Partei Videos, die angeblich randalierende Immigranten zeigen, und erklärten, diese seien „Abschaum“ und müssten „mit Härte behandelt werden“.

Der Vorsitzende der GroenLinks, Jesse Klaver, erklärte, die niederländischen Neofaschisten würden dem Beispiel des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump folgen: „Zuerst versucht man, die Medien und die Wissenschaft zu diskreditieren, dann ruft wird dazu aufgerufen, die Regeln zu missachten, und zum Schluss gibt man anderen die Schuld. Die PVV und das FvD folgen dem Drehbuch Donald Trumps. Die Randale und dieser Vandalismus sind genau das Ergebnis eines solchen Verhaltens.“

Ohne Wirkung appellierte Klaver an Wilders, zu intervenieren und dieselbe Randale zu kritisieren, die er gerade anstachelte: „Vergessen Sie nicht, dass die PVV Urk zu dieser Gewalt aufgerufen hat. Untragbar, undemokratisch und einfach gefährlich. Geert Wilders, greifen Sie ein!“

Natürlich hat dieser Appell Wilders nur ermutigt. Er verurteilte Klavers Äußerungen als „linksextreme Aufwiegelei“ und rief die Anhänger der PVV auf, „ihn [bei der Wahl] am 17. März politisch zu erledigen“.

Die niederländischen Neofaschisten ahmen in der Tat Trumps Corona-Politik und die Ereignisse rund um die Präsidentschaftswahlen nach. Trump verfolgte eine mörderische „Politik der Herdenimmunität“ und organisierte am 6. Januar einen faschistischen Putschversuch. Durch die Besetzung des Kapitols sollte verhindert werden, dass Biden zum Sieger der Wahl erklärt wird, und von den Demokraten Zugeständnisse erzwungen werden. Die erbärmliche Reaktion der Demokraten – Bidens Appelle an die „Einigkeit“ mit den republikanischen Unterstützern des Putschversuchs und die Verharmlosung des Coups – ermutigt jetzt auch die Neofaschisten in Europa.

Die niederländischen Neofaschisten stiften zu Ausschreitungen an, um die EU-Politik der Herdenimmunität in ihrer härtesten Form durchzusetzen und am 17. März Stimmen zu erhalten. Sie kalkulieren offensichtlich damit, dass ihre Appelle an eine Law-and-Order-Politik und der Hass auf Immigranten – alles vor dem Hintergrund schwerer Unruhen und Polizeieinsätze – für eine größere Unterstützung sorgen wird. Vor allem aber setzen sie auf die politische Komplizenschaft der Rutte-Regierung und den Bankrott der kleinbürgerlichen Parteien wie der SP und der GroenLinks.

In der europäischen Arbeiterklasse wächst die Wut über die politisch kriminelle Reaktion der EU auf die Pandemie. Laut Umfragen haben 58 Prozent der niederländischen Bevölkerung kein Vertrauen in Rutte und seine Ausgangssperre. Rutte hat die Arbeiter auch in nicht systemrelevanten Bereichen weiterarbeiten lassen und die Schulen trotz der Pandemie nicht geschlossen. Im Ergebnis konnte sich das Virus ausbreiten, da Rutte nur begrenzte Distanzierungsmaßnahmen wie die derzeitige Ausgangssperre eingeführt hat.

Im Internet kursieren Vergleiche zwischen der EU und den Niederlanden auf der einen und China und Taiwan auf der anderen Seite, die die Politik der Herdenimmunität der EU vollständig entlarven. In der Volksrepublik China und Taiwan haben massive Eindämmungs- und Distanzierungsmaßnahmen sowie effektive Kontaktverfolgungssysteme die Ausbreitung des Virus eingedämmt und den wirtschaftlichen Zusammenbruch verhindert, den die Politik der EU verursacht hat.

Während die Volksrepublik China 89.326 bestätigte Infektionen und 4.636 Todesfälle meldete, gibt es in Europa – das weniger als die Hälfte der Bevölkerung Chinas zählt – 30 Millionen bestätigte Fälle, und die Zahl der Toten wird am Wochenende die Marke von 700.000 übersteigen. Alle drei Wochen sterben mehr als 100.000 Europäer an Covid-19. In Taiwan (Bevölkerung 23,5 Millionen) gab es 895 Fälle und sieben Tote. In den Niederlanden (Bevölkerung 17,3 Millionen) gab es im Vergleich dazu knapp unter einer Million Fälle und 13.816 Tote. Jeden Tag sterben in den Niederlanden zehnmal so viele Menschen an Covid-19 wie in Taiwan während der gesamten Pandemie.

Das ganze politische Establishment der Niederlande hat sich auf die Politik der EU festgelegt, die nicht systemrelevante Produktion und die Schulen offen zu halten, damit der Profitfluss an die Banken nicht unterbrochen wird. Von der Rutte-Regierung bis hin zur SP, die Forderungen nach Lockdowns abgelehnt und stattdessen vorgeschlagen hat, die Ausgangssperre erst eine Stunde später beginnen zu lassen, fassen sie alle die extreme Rechte mit Samthandschuhen an. Sie versuchen sich an hilflosen Belehrungen, während Wilders Ausschreitungen provoziert. Sie fürchten vor allem die wachsende Wut der Arbeiterklasse.

Obwohl sich an den Ausschreitungen nur wenige hundert Menschen in jeder Stadt beteiligt haben, fordern Regierungsvertreter eine massive Aufrüstung der Polizei und einen Einsatz der deutschen und belgischen Bereitschaftspolizei in den Niederlanden. Wilders reagierte darauf, indem er auf Twitter den Einsatz des Militärs gegen die Bevölkerung forderte: „Stoppt die Randale und schreitet ein, bevor ein Bürgerkrieg entsteht. Setzt das Militär ein. Jetzt.“

In der internationalen Arbeiterklasse gibt es eine tiefgehende und mächtige Opposition gegen die Katastrophe, die die imperialistischen Regierungen während der Pandemie geschaffen haben. Die einzige progressive Antwort auf die Corona-Pandemie ist die Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse – unabhängig vom gesamten kapitalistischen Staatsapparat – im Kampf für eine wissenschaftlich gesteuerte Politik. Dies erfordert notwendigerweise auch, gegen die zunehmend autoritären und faschistischen Herrschaftsformen zu kämpfen und diese zu entlarven. Die Arbeiterklasse muss die Macht auf Grundlage einer sozialistischen Perspektive übernehmen.

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