Mindestens 22 Obdachlose in diesem Winter erfroren

Aufgrund der Coronakrise und der eisigen Temperaturen erweist sich dieser Winter für Menschen besonders tödlich, die keine Wohnung haben und gezwungen sind, als Obdachlose auf der Straße zu leben.

Mindestens 22 Obdachlose sind bei eiskalten Temperaturen bis Mitte Februar erfroren, wie die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. (BAGW) dokumentiert. Da sich die Erfassung nur auf Meldungen in der Presse stützt, ist zu befürchten, dass die Dunkelziffer noch sehr viel höher liegt und weiter steigen wird.

Obdachlose unter einer Brücke im Zentrum Berlins

„So viele Kältetote hatten wir in den letzten Wintern nie,” sagte BAGW-Geschäftsführerin Werena Rosenke am 12. Februar. Am gleichen Tag wurde in Hamburg erneut ein Mann in der Nähe der Landungsbrücken tot aufgefunden. Allein in Hamburg sind in der ersten Woche des Jahres fünf Obdachlose durch die Kälte gestorben.

In Leipzig wurde am 27. Januar ein obdachloser Mann, der noch nicht identifiziert werden konnte, in einem alten Holzschuppen an der Kohlenstraße tot aufgefunden. Im Münchener Hofgarten fanden am 4. Februar andere Obdachlosen die Leiche eines 59-jährigen Mannes aus Bulgarien. Am gleichen Tag wurde in Dresden ein über 60-jähriger Mann im Keller eines Abbruchhauses von Jugendlichen tot entdeckt. Auch hier wurde die Kälte als Todesursache bestätigt.

Am 7. Februar fanden Passanten einen 63-jährigen Mann tot auf dem Gehweg der Thaliastraße in Alberstadt in Baden-Württemberg. Da es keinerlei Hinweise auf Fremdeinwirkung gibt, muss der Mann auch Opfer der Kälte geworden sein. Am 11. Februar wurde ein Mann in Krefeld in Nordrhein-Westfalen im Bereich Dreikönigenstraße tot aufgefunden, ebenfalls erfroren.

Die Aufstellung der BAGW enthält auch drei Kältetote, die am 20. November, 2. Dezember und 11. Dezember 2020 in Berlin verstorben sind, Männer im Alter zwischen 55 und 57 Jahren.

Für Hamburg nennt die Aufstellung sechs Kältetote seit Anfang Dezember letzten Jahres. Das Hamburger Straßenmagazin Hinz&Kunzt berichtet sogar, dass bis zum 12. Februar in diesem Winter bereits 13 Obdachlose gestorben sind.

Die Zahl der erfrorenen Obdachlosen in Deutschland ist erschreckend. Jeder Todesfall ist eine Anklage gegen das kapitalistische System und die Politiker aller Parteien, die auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene Verantwortung tragen.

Offiziell gelten in Deutschland 678.000 Menschen als wohnungslos, von denen 50.000 obdachlos sind und auf der Straße leben. Seit Beginn der Corona-Pandemie hat sich ihre Situation weiter verschlechtert. Viele bundesweite Einrichtungen, Notübernachtungen, Suppenküchen sowie der Zugang zu medizinischer Grundversorgung sind coronabedingt geschlossen oder befinden sich im Notbetrieb. An den wenigen noch geöffneten Essensausgaben bilden sich lange Schlangen, oftmals können nicht alle Hilfesuchenden versorgt werden.

Diese Situation hat sich seit dem zweiten Lockdown nochmals verschärft. Oftmals hängt die Unterstützung der Obdachlosen von privaten Initiativen ab, die aber nicht alle Betroffenen erreichen können.

Die von den Kommunen angebotenen Notunterkünfte werden von vielen Obdachlosen gemieden, da sie sich dort nicht sicher fühlen. In Zimmern mit mehreren Betten ist weder ein Schutz vor Covid-19 noch ein Schutz der Privatsphäre möglich. Die Obdachlosen sind oft krank und gehören zur Risikogruppe. Eine Ansteckung mit Covid-19 wäre für sie lebensgefährlich.

Eine von mehreren Stadtmagazinen gestartete Petition auf change.org, die an die Bundesländer und Kommunen appelliert, Obdachlose in Hotels unterzubringen, um sie vor Kälte und Infektionen zu schützen, erhielt in wenigen Tagen über 100.000 Unterschriften.

Die Verantwortlichen verweigern dies größtenteils mit dem Hinweis auf ihre Notunterkünfte. Damit nehmen sie den Kältetod von weiteren obdachlosen Menschen in diesem Winter in Kauf. So erklärte die Sozialsenatorin für Hamburg, Melanie Leonhard (SPD), man sei als Stadt nicht in der Lage, die hohe Zahl von Menschen (in Hamburg gibt es etwa 2000 Obdachlose) dezentral zu versorgen. Dies sei nur in Gemeinschaftsunterkünften möglich.

Unter den Obdachlosen und Kälteopfern finden sich immer wieder Arbeiterinnen und Arbeiter aus Osteuropa, die auf der Suche nach Arbeit und besseren Lebensbedingungen in Deutschland gestrandet sind. Abgeschnitten von jeglicher sozialen Unterstützung finden sie sich auf der Straße wieder.

Ein Menschenleben ist den Herrschenden immer weniger wert. Ihre Feindschaft gegen die Arbeiterklasse zeigt sich in der Abwehr von Flüchtlingen, die zu Tausenden im Mittelmeer ertrinken, in der „Profite vor Leben”-Politik in der Corona-Pandemie und findet in der gleichgültigen Haltung gegenüber dem Leben von Obdachlosen einen besonders scharfen Ausdruck.

Während die Regierung Großbetriebe und Banken mit hunderten Milliarden Euro unterstützt, gibt es keine Hilfen, um die Ärmsten der Armen vor der Pandemie und Kälte zu schützen und ihr Überleben zu sichern.

Dagegen gibt es in der Bevölkerung viel Anteilnahme am Schicksal dieser Menschen. Das zeigte auch die Resonanz und das Interesse an einem besonders berührenden Fall in Nürnberg. Hier hat vor wenigen Tagen eine junge obdachlose Frau bei minus 15 Grad Celsius im Nürnberger Stadtgraben ein Mädchen geboren. Die 20-Jährige brachte das Kind in Gegenwart eines Begleiters am frühen Morgen des 12. Februar auf dem Lüftungsgitter einer U-Bahnstation zur Welt.

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