700 Verhaftungen nach türkischem Überfall auf PKK-Truppen im Irak

Wie das türkische Innenministerium am Montag bekannt gab, wurden bei landesweiten „Antiterror-Operationen“ 718 Menschen in 40 Städten verhaftet, darunter Funktionäre und Mitglieder der zugelassenen kurdisch-nationalistischen Halkların Demokratik Partisi (HDP, Demokratische Partei der Völker).

Diese massive Hexenjagd der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan und seiner Partei Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP, Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) soll jede Art von Opposition unterdrücken. Sie ist Teil der bereits weit fortgeschrittenen Vorbereitungen zur Errichtung einer Diktatur, mit der die demokratischen Grundrechte und in der Verfassung garantierten Freiheiten abgeschafft werden. Es handelt sich um die größte derartige Aktion seit dem gescheiterten Putsch gegen Erdoğan im Jahr 2016, der damals von der NATO unterstützt wurde.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan (Paul Morigi Photography/Flickr)

Unmittelbar vor diesen Polizeiaktionen hatte Verteidigungsminister Hulusi Akar am Sonntag die Ermordung von 13 türkischen Staatsbürgern durch die Partiya Karkerên Kurdistanê (PKK, Arbeiterpartei Kurdistans) bekanntgegeben, darunter Soldaten und Polizeibeamte. Sie wurden in der Gebirgsregion Gara/Gare in der Autonomen Region Kurdistan (KRG) im Irak getötet, in der vor Kurzem das türkische Militär einmarschiert war. Berichten zufolge waren sie bereits seit 2015 Gefangene der PKK.

Nach dieser Ankündigung begann eine fieberhafte Kampagne gegen die HDP, die von der Regierung und den Medien für die Toten verantwortlich gemacht wurde. Wie die HDP am Samstag verkündete, wurden in den zwei Tagen zuvor mindestens 143 ihrer Mitglieder verhaftet.

Verteidigungsminister Akar erklärte: „Es ist erwiesen, dass einer unserer unschuldigen und unbewaffneten Bürger in die Schulter geschossen wurde, die anderen 12 wurden mit Kopfschüssen getötet. Die Morde ereigneten sich in einer Höhle, die später von den türkischen Streitkräften durchsucht wurde.“

Er erklärte außerdem, die Operation in einem 75 Kilometer langen und 25 Kilometer breiten Bereich des Irak sei erfolgreich abgeschlossen: „Durch die Operation wurden alle Elemente, die sich in diesem Gebiet festgesetzt hatten und Angriffe auf unsere Grenzen, Sicherheitskräfte und Bevölkerung vorbereitet haben, fast vollständig eliminiert.“ Weiter erklärte er, während der Zusammenstöße seien drei türkische Soldaten und 48 PKK-Milizionäre getötet worden.

Letzten Mittwoch hatte das Verteidigungsministerium den Beginn einer neuen militärischen Invasion namens Operation Adlerklaue 2 in den Nordirak bekanntgegeben, die sich gegen die dortigen PKK-Kräfte richtete. Es behauptete, von einer PKK-Präsenz in dem Gebiet gehe eine wachsende Gefahr für die Türkei aus. Dutzende von Kampfflugzeugen und Drohnen sowie Bodentruppen, die mit Hubschraubern in das Gebiet gebracht wurden, waren an der Militäroperation beteiligt.

Am Freitag erklärte das Ministerium, die Operation werde „in Zusammenarbeit mit Freunden und Verbündeten“ durchgeführt, womit vermutlich die KRG und die irakische Zentralregierung gemeint waren. Hohe türkische Militärs, darunter Akar und Generalstabschef Yaşar Güler, haben vor Kurzem mehrere Diskussionen mit ihren Amtskollegen in Erbil und Bagdad geführt. Letzten Juli hatte Ankara bereits zwei weitere Militäraktionen in der Region durchgeführt, um PKK-Kräfte zu vertreiben. Daran waren türkische Boden- und Luftstreitkräfte beteiligt.

Die PKK hingegen behauptete in einer Erklärung, die von ANF News verbreitet wurde, die 13 türkischen Staatsbürger seien durch türkische Luftangriffe auf ein Gefangenenlager in Gara getötet worden: „Durch die Bombenangriffe, die drei Tage lang andauerten, und die erbitterten Kämpfe innerhalb und außerhalb des Lagers wurden einige Soldaten, Polizisten und Mitglieder des [türkischen Geheimdienstes] MIT getötet, die wir gefangengenommen hatten.“

Die Abgeordneten der HDP und der wichtigsten Oppositionspartei Cumhuriyet Halk Partisi (CHP, Republikanische Volkspartei) haben ihren langjährigen Einsatz für die Freilassung dieser Gefangenen betont und der Erdoğan-Regierung vorgeworfen, diese Initiativen abgelehnt zu haben.

Der HDP-Abgeordnete Ömer Faruk Gergerlioğlu twitterte am Sonntag: „Die Angehörigen der Soldaten, die von der PKK als Geiseln gehalten wurden, haben sich vor zweieinhalb Jahren bei mir gemeldet... Ich hätte alles für Frieden und Leben tun können, aber die Regierungsvertreter haben nie an so etwas gedacht, sie haben nichts unternommen.“

Eine andere HDP-Abgeordnete namens Hüda Kaya erklärte: „Die Republik Türkei hat das Gefangenenlager bombardiert, und sie haben erst aufgehört, als klar war, dass die Geiseln tot waren. Diejenigen, die die Militäroperationen bewilligt haben, beklagen sich jetzt.“ Damit meinte sie die CHP, die mit der HDP ein Wahlbündnis eingegangen ist und im Parlament alle Anträge auf grenzüberschreitende Militäroperationen unterstützt hat. Nachdem diese Äußerungen in den sozialen Netzwerken erschienen waren, begann die Staatsanwaltschaft in Ankara mit einer Ermittlung gegen diese Abgeordnete wegen „Propagandaarbeit für eine Terrororganisation“.

Der CHP-Abgeordnete Murat Bakan hat ebenfalls enthüllt, dass er seit Jahren sechs Anfragen an das Parlament gerichtet hat, von denen jedoch nur eine beantwortet wurde. Er fragte die Regierung: „Warum haben Sie jahrelang nichts unternommen, erklären Sie es ... Ich habe jahrelang darum gekämpft, dass sie in ihre Heimat und zu ihren Familien zurückkehren können.“

Hohe türkische Regierungsvertreter haben jedoch den Tod der 13 türkischen Staatsbürger als Gelegenheit benutzt, einen weiteren Angriff auf demokratische Rechte zu starten und die wachsende Wut der Bevölkerung über die mörderische Reaktion der Regierung auf die Corona-Pandemie nach außen abzulenken.

Innenminister Süleyman Soylu unterstellte der HDP und allen, die nach der Verantwortung für die Todesfälle fragen, sie versuchten, die PKK „freizusprechen“. Er schreibt: „Wenn wir [den PKK-Führer] Murat Karayılan nicht fangen und in tausend Stücke schneiden können, sollten diese Nation und unsere Märtyrer uns ins Gesicht spucken.“

Eine solche Äußerung kann eigentlich nur von einer faschistischen Regierung stammen. Ein Minister hat offen das Recht eines potenziellen Angeklagten auf einen rechtsstaatlichen Prozess zurückgewiesen und fordert stattdessen seine brutale außergerichtliche Ermordung.

Auch Erdoğans politischer Verbündeter Devlet Bahçeli, der Führer der rechtsextremen Partei Milliyetçi Hareket Partisi (MHP, Nationalistische Bewegung), erklärt: „Hiernach wird nichts mehr so sein wie zuvor. Jeder sollte sich für eine Seite entscheiden: entweder Verrat oder Führung. Entweder für die Verdammnis oder für das Volk.“

Diese Äußerungen und die darauf folgenden Polizeioperationen müssen für die Arbeiterklasse und diejenigen, die demokratische Rechte verteidigen, eine deutliche Warnung sein. Die türkische Regierung hat genau wie die herrschenden Klassen im Rest der Welt Kurs auf autoritäre Regierungsformen genommen. Für die bevorstehenden Kämpfe der Arbeiter angesichts der zunehmenden wirtschaftlichen und sozialen Krisen, die durch die Pandemie verschärft wurden, hat sie klare Vorstellungen. Erst vor ein paar Wochen kam es zu Massenprotesten von Studenten gegen das undemokratische Vorgehen der Regierung, die große Unterstützung in der Bevölkerung erhielten.

Allerdings sind die Erdoğan-Regierung und ihr rechtsextremer Verbündeter auch besorgt wegen der Herausforderung durch ein potenzielles Wahlbündnis, dem nicht nur die CHP und die HDP angehören, sondern auch die rechtsextreme İyi Parti (Gute Partei) und zwei AKP-Abspaltungen – die Zukunftspartei des ehemaligen AKP-Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu und die Fortschrittspartei des ehemaligen AKP-Wirtschaftsminister Ali Babacan. Mehrere aktuelle Umfragen deuten darauf hin, dass ein derartiges Bündnis mehr Stimmen erhalten würde als das Bündnis aus AKP und MHP, wenn heute gewählt würde.

Dieser Versuch, ein pro-imperialistisches Oppositionsbündnis zusammenzustellen, entlarvt sowohl die HDP als auch die CHP als rechte bürgerliche Parteien, die demokratische Rechte weder verteidigen können noch wollen. Ihr potenzielles Bündnis basiert nur auf den Interessen der türkischen und kurdischen Bourgeoisie und orientiert sich an den imperialistischen Nato-Mächten.

Die grenzüberschreitenden Militäroperationen und Polizeiaktionen der türkischen Regierung gegen kurdisch-nationalistische Parteien im Land stehen auch in Zusammenhang mit Konflikten zwischen Ankara und seinen imperialistischen Nato-Verbündeten, vor allem Washington, um den Nahen Osten und das östliche Mittelmeer. Ankara verurteilt die von den USA unterstützten kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien regelmäßig als Terrororganisation, die sich nicht von der PKK unterscheiden. Sie betrachtet jede von der YPG kontrollierte Enklave in Syrien als Bedrohung für die territoriale Integrität der Türkei. Um diese Politik voranzubringen, hat sie in den letzten fünf Jahren zahlreiche Militäroperationen gegen die YPG in Syrien durchgeführt.

Eine Erklärung des US-Außenministeriums, in der es Zweifel wegen des Tods der 13 türkischen Staatsbürger angedeutet hatte, löste einen Konflikt zwischen Ankara und Washington aus. In der Erklärung hieß es: „Wenn sich die Berichte über den Tod türkischer Zivilisten durch die PKK, eine ausgewiesene Terrororganisation, bestätigen, verurteilen wir dies aufs Entschiedenste.“

Präsident Erdoğan reagierte darauf mit einem wütenden Angriff auf die USA, obwohl Ankara nach dem Wahlsieg von Joe Biden in letzter Zeit versucht hat, die belasteten Beziehungen zu Washington zu verbessern. Am Montag erklärte er: „Es gibt jetzt eine Stellungnahme der USA. Sie ist ein Witz. Wollten Sie nicht etwas gegen die PKK und die YPG unternehmen? Sie unterstützen sie offensichtlich und stellen sich hinter sie.“

Und weiter: „Wenn wir mit Ihnen zusammen in der Nato sind, wenn wir weiterhin vereint sein wollen, dann müssen Sie aufrichtig mit uns umgehen. Dann werden Sie sich auf unsere Seite stellen, nicht auf die Seite der Terroristen.“

Das türkische Außenministerium bestellte den US-Botschafter David M. Satterfield ein, um Ankaras Kritik an der Erklärung der USA „in den heftigsten Worten“ zu übermitteln.

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu telefonierte zum ersten Mal seit Bidens Amtseinführung mit seinem US-Amtskollegen Antony Blinken. Dieser twitterte hinterher, er habe mit Çavuşoğlu über die „langjährige Bedeutung der bilateralen Beziehung zwischen den USA und der Türkei gesprochen. Ich freue mich auf eine Fortsetzung der Zusammenarbeit in Syrien, im Kampf gegen den Terror und bei den Bestrebungen zur Deeskalation im östlichen Mittelmeer.“

Der türkische Präsidentensprecher İbrahim Kalın betonte vor Kurzem Ankaras Bereitschaft, die Beziehungen zu Washington zu verbessern, nannte jedoch drei wichtige Konfliktquellen: „Erstens das Thema S-400 [das Luftabwehrsystem, das die Türkei von Russland gekauft hat] und, im Zusammenhang damit, die Verhängung der CAATSA-Sanktionen sowie der Ausschluss der Türkei vom F-35-Programm. Zweitens die Unterstützung der USA für die PYD/YPG seit der Obama-Zeit. Drittens setzt die FETO-Organisation [des Predigers Fethullah Gülen, den Ankara für den Putsch von 2016 verantwortlich macht] weiterhin von den USA aus ungehindert ihre Aktivitäten gegen die Türkei fort.“

Doch zusätzlich zu diesen anhaltenden Konflikten scheinen die USA auch unter Biden ihre Position zu den kurdischen Streitkräften und zur Besetzung der Ölgebiete in Syrien, die unter Präsident Trump begann, nicht im Sinne der Forderungen Ankaras geändert zu haben. Die syrische Nachrichtenagentur SANA berichtete am Sonntag, die US-Besatzungstruppen hätten „einen Konvoi von Fahrzeugen mit logistischen Hilfsmitteln und Waffen zu ihrer Basis im Ölfeld al-Omar bei Deir Ezzor im Osten des Landes“ gebracht. Dies wird als Schritt aufgefasst, ihre Besetzung des Gebiets zu stärken, das vom US-Militär und den YPG-Kräften kontrolliert wird.

Kalın machte im gleichen Interview Ankaras Absicht deutlich, den Krieg zum Regimewechsel in Syrien wieder aufzunehmen, der vor fast zehn Jahren begann: „Wir können uns nicht über die PYD in Syrien einigen, aber ich möchte betonen, dass wir [mit den USA] über die Zukunft des Assad-Regimes weitgehend übereinstimmen.“

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