Australischer Laborparty-Vorsitzender äußert leise Kritik an Julian Assanges Inhaftierung

Bei einer Klausurtagung der Parlamentsfraktion seiner Partei am 2. März wurde der Bundesvorsitzende der Labor-Partei, Anthony Albanese, Berichten zufolge von einem Kollegen gebeten, seine Meinung über die anhaltende Inhaftierung des WikiLeaks-Herausgebers Julian Assange im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh zu äußern.

"Genug ist genug", soll Albanese geantwortet haben. "Ich habe keine Sympathie für viele seiner Aktivitäten, aber im Grunde kann ich nicht sehen, wem damit gedient ist, ihn in Haft zu halten."

Die Bemerkungen wurden sofort an die Presse durchgestochen und waren am nächsten Tag in mehreren Medien zu lesen. "Anthony Albanese fordert die Freilassung von Assange", lautete eine Schlagzeile. Ein weiterer, weit verbreiteter Artikel der australischen Associated Press, den der offizielle WikiLeaks-Twitter-Account teilte, verkündete: "Labor-Führer will Julian Assange freilassen."

WikiLeaks-Gründer Julian Assange in einem Gefangenentransporter auf dem Weg zum Westminster Magistrates Court, London, 20. Dezember 2019 (Credit: AP Photo/Frank Augstein)

In den sozialen Medien begrüßten dies zahlreiche langjährige Unterstützer von Assange mit Kommentaren wie: „Danke für den Schritt Anthony“, „Willkommen im Kampf“, und „Endlich ist Labor an Bord“. Der Tenor der Reaktion wurde in einem Twitter-Post zusammengefasst, in dem es heißt: „Die Farce der 'britischen Justiz' ist endlich vorbei. Nach einem langen Jahrzehnt hat sich der australische Oppositionsführer für einen [australischen Staats-]Bürger und Journalisten eingesetzt, der wegen seiner Veröffentlichungen verfolgt wird.“

Um es ganz offen zu sagen: Solche Äußerungen haben mehr mit Wunschdenken und selbstverliebter Fantasie zu tun, als mit einer objektiven, politischen Einschätzung dessen, was tatsächlich passiert ist.

Was hat wirklich stattgefunden?

Eine Handvoll wenig bekannter Hinterbänkler der Labor Party hat sich im vergangenen Jahr einer parteiübergreifenden parlamentarischen Gruppierung unter der Überschrift „Bring Assange Home“ angeschlossen. Die meisten von ihnen haben Assanges Namen nie in der Öffentlichkeit in den Mund genommen. Keiner hat sich gegen die zentrale Rolle von Labor bei der jahrzehntelangen amerikanischen Verfolgung des WikiLeaks-Gründers durch die USA ausgesprochen.

Ihre „Besorgnis“ hat bei keinem dieser Abgeordneten dazu geführt, die derzeitige Position von Labor in Frage zu stellen, die nach wie vor besagt, dass der Versuch, Assange wegen der Aufdeckung von Kriegsverbrechen zu vernichten, eine Angelegenheit des britischen Rechtssystems sei. Nach außen hin ist die parlamentarische Gruppe völlig inaktiv.

Vermutlich war es einer dieser Labor-Hinterbänkler, der Albanese nach Assange fragte. Die Frage, wie in der Presse berichtet, enthielt weder ein Wort der Kritik, noch wurde Albanese aufgefordert, die offizielle Position von Labor zu erklären oder zu ändern, sondern lediglich seine persönliche Meinung kundzutun. Wie in den Medien berichtet, stellte der Fragesteller das Thema Assange so dar, als wäre es erst kürzlich aufgetaucht. Mit keinem Wort kam offenbar zur Sprache, dass die Verfolgung des WikiLeaks-Gründers seit zehn Jahren mit Unterstützung von Labor stattfindet.

Die Antwort von Albanese war äußerst schwach und verpflichtet ihn und Labor zu nichts. Sie wurde prompt an die Medien weitergegeben, die pflichtschuldigst die Bedeutung der Kommentare stark übertrieben. Mit anderen Worten, es war eine zynische PR-Aktion, die darauf abzielte, die Illusion zu nähren, dass Labor und Albanese etwas für Assange tun würden, obwohl sie es nicht tun und auch keine derartige Absicht haben.

Dies zeigt sich an dem, was in der Woche seit dem Fraktionstreffen geschehen ist: nämlich nichts. Albanese hat nicht einmal die kleinlauten Kommentare, die er Berichten zufolge privat geäußert hat, öffentlich wiederholt.

In der Tat ist es äußerst schwierig, irgendwelche Hinweise darauf zu finden, dass Albanese in den vergangenen zwei Jahren, seitdem er an der Spitze der Labour Party steht, Assanges Notlage auch nur erwähnt hätte. Wenn doch, dann wiederholte er lediglich die Aussagen von Premierminister Scott Morrison, dass die australischen Behörden machtlos seien. Das einzige, was sie für den WikiLeaks-Gründer tun könnten, beschränke sich auf nicht näher definierte „konsularische Unterstützung“. Laut Assanges Familie besteht diese aus wenig mehr als dem Angebot, ihm alte Zeitungen zu bringen und sich nach seinem „Wohlbefinden“ zu erkundigen.

Die Medienhektik rund um das Fraktionstreffen findet in einer Situation statt, in der der gesetzlose Charakter der Verfolgung von Assange gründlich entlarvt ist. Im Januar entschied eine britische Amtsrichterin gegen Assanges Auslieferung an die USA. Dort drohen ihm 17 Anklagen nach dem Espionage Act und bis zu 175 Jahre Haft, weil er US-Kriegsverbrechen, diplomatische Verschwörungen und Menschenrechtsverletzungen aufgedeckt hat.

Das Urteil beschränkte sich auf den Umstand, dass sich Assanges psychische Gesundheit in den letzten zehn Jahren seiner Verfolgung dramatisch verschlechtert hat, was ihn in dem drakonischen US-Gefängnissystem einem hohen Suizidrisiko aussetzen würde. Dies ist an sich schon eine Anklage gegen das australische Establishment, das den WikiLeaks-Gründer im Stich gelassen hat. Es zeigt, dass die Regierung und die Labor Opposition zugeschaut haben, wie ein Bürger und Journalist an den Rand des Todes getrieben wurde.

Das britische Gerichtsurteil hat alle antidemokratischen Argumente der US-Staatsanwälte unterstützt und damit effektiv grünes Licht für die zukünftige Verfolgung von Journalisten gegeben. Ein Kautionsantrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass bei Assange „Fluchtgefahr“ bestehe. Die Folge ist, dass der WikiLeaks-Gründer auf unbestimmte Zeit in einem Hochsicherheitsgefängnis weiter in Untersuchungshaft sitzt, allein aufgrund eines Auslieferungsantrags, der im ersten Verfahren bereits abgelehnt worden ist.

Labor und die australische herrschende Elite insgesamt befürchten seit langem, dass sich die latente öffentliche Unterstützung für Assange zu einer politischen Bewegung entwickeln könnte, die sich gegen imperialistischen Krieg und einen breiteren Angriff auf demokratische Rechte richten würde. Albaneses Kommentare und ihr Durchsickern zielen darauf ab, dies zu verhindern und die Illusion zu nähren, dass Assanges Freiheit durch Appelle an einen Teil des parlamentarischen Establishments erreicht werden könnte.

Die Labor Party und Albanese haben sich nicht als schwankende Freunde und Verbündete von Assange erwiesen. Weit davon entfernt! Auf die Bilanz von Labor wurde in den Kommentaren sehr wenig Bezug genommen. Labor hat im australischen Establishment Assanges Verfolgung von Anfang an entschieden befürwortet.

Im Jahr 2009 veröffentlichte WikiLeaks die geheime schwarze Zensurliste der damaligen Labor-Regierung mit den verbotenen Webseiten. Damit wurde die Behauptung wiederlegt, dass nur kriminelle Seiten gesperrt würden, und eine erhebliche Internetzensur wurde entlarvt. Labor-Kommunikationsminister Stephen Conroy drohte, die Veröffentlichung an die australische Bundespolizei (AFP) weiterzuleiten. Assange erklärte später, er habe befürchtet, dass Labor Polizeirazzien gegen ihn durchführen werde.

Im Jahr 2010 veröffentlichte WikiLeaks Kriegsprotokolle der US-Armee aus dem Irak und Afghanistan, die historische Kriegsverbrechen der USA dokumentierten und den neokolonialen Charakter der Besatzungen offenlegten. Gegen Ende jenes Jahres veröffentlichte es 250.000 diplomatische Kabel der USA, die die täglichen Intrigen des amerikanischen Imperialismus dokumentierten, von Putschplänen über Einmischungen bis hin zur illegalen Bespitzelung von Staatsoberhäuptern und Beamten der Vereinten Nationen.

Als hochrangige US-Politiker daraufhin forderten, Assange ins Gefängnis zu stecken oder sogar zu ermorden, schloss sich ihnen die damalige Labor-Premierministerin Julia Gillard an. Sie erklärte verleumderisch: „Grundstein der WikiLeaks-Organisation ist ein illegaler Akt.“ Diese Behauptung, die später von der AFP widerlegt wurde, nahm die Versuche der USA vorweg, Assange wegen der Veröffentlichungen von 2010 strafrechtlich zu verfolgen.

Gillard erwog, Assange den australischen Pass zu entziehen, was gegen innerstaatliches Recht verstoßen hätte, und versprach den US-Geheimdiensten Schützenhilfe bei der Zerstörung von WikiLeaks. Diese Haltung der australischen Regierung, die Assange seine Rechte als australischer Staatsbürger und Journalist vorenthält, dient seither als Vorbild für jede Regierung der Welt.

Gillards Rolle war keine Abweichung von der Norm. Sie entsprach dem Wesen von Labor, einer führenden Partei des australischen Imperialismus, die sich voll und ganz der Teilnahme an allen US-geführten Kriegen und militärischen Interventionen verschrieben hat. Gleichzeitig hat Labor in den letzten zwanzig Jahren ein antidemokratisches Gesetz nach dem anderen direkt umgesetzt oder unterstützt, zuerst unter dem Vorwand des betrügerischen „Kriegs gegen den Terror“, und in jüngerer Zeit als Teil einer McCarthy'schen Kampagne gegen angebliche „ausländische Einmischung“.

Albaneses Weigerung, Assange zu verteidigen, geht Hand in Hand mit seiner parteiübergreifenden Unterstützung für die rechtsgerichtete Politik der liberal-nationalen Regierung. Labor unterstützt sowohl ihre wirtschaftsfreundliche Reaktion auf die Corona-Pandemie, die massiven Steuersenkungen für Unternehmen und Wohlhabende im letzten Bundeshaushalt als auch Australiens eskalierende Rolle in der aggressiven US-Konfrontation mit China.

Wenn überhaupt, dann bemüht sich Albanese eher, Labor als noch zuverlässigeren Partner für die US-Regierung von Präsident Joseph Biden zu präsentieren, während diese die Kriegsvorbereitungen gegen China und Russland verstärkt.

Die Erfahrungen des letzten Jahrzehnts und insbesondere der letzten zwei Jahre, seit Assanges Ausweisung aus Ecuadors Londoner Botschaft, zeigen eins sehr klar: Assanges Freiheit kann nicht durch Kriecherei vor den Kriegstreiber-Parteien und durch Appelle an das politische Establishment erreicht werden! Eine solche Selbsttäuschung dient nur dazu, die latente Unterstützung für den WikiLeaks-Gründer politisch zu schwächen und diejenigen zu stärken, die Julian Assange seine elementarsten demokratischen Rechte vorenthalten.

Der Kampf für Assanges Freiheit muss mit einem breiteren Kampf gegen imperialistischen Krieg und die Aufrüstung eines Polizeistaats verbunden werden. Dieser Kampf muss sich an der Arbeiterklasse und denjenigen orientieren, die bereit sind, demokratische Rechte zu verteidigen. Diese Teile der Gesellschaft geraten unweigerlich in Konflikt mit den Regierungen, die an der versuchten Zerstörung Assanges beteiligt sind.

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