EU entzieht katalanischem Ex-Regionalpräsidenten Puigdemont die parlamentarische Immunität

Das Europäische Parlament hat die Immunität von drei katalanischen Abgeordneten aufgehoben, darunter der ehemalige Regionalpräsident Carles Puigdemont. Diese Entscheidung ist der erste Schritt zu ihrer Auslieferung an Madrid, wo ihnen wegen des Aufrufs zu friedlichen Protesten und des Referendums von 2017 über die Unabhängigkeit Kataloniens mehr als zehn Jahre Haft drohen.

Carles Puigdemont (Quelle: govern.cat)

Am Dienstag stimmten 404 Europaabgeordnete des liberalen, konservativen und sozialdemokratischen Blocks für eine Resolution, durch die die Immunität von Puigdemont und der ehemaligen Europaabgeordneten Antoni Comín (ehemaliger katalanischer Gesundheitsminister) und Clara Ponsati (ehemalige katalanische Bildungsministerin) aufgehoben wurde. Die Resolution wurde von der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) eingebracht, der u.a. die faschistische Partei Vox angehört. Gegen die Resolution stimmten 247 Abgeordnete, weitere 42 enthielten sich. Die spanische Regierungspartei Partido Socialista Obrero Español (PSOE) und die rechten Parteien Partido Popular und Vox stimmten ebenfalls dafür.

Diese beispiellose Entscheidung ist eine Warnung an die europäische Arbeiterklasse. Die wichtigsten europäischen Regierungsparteien haben zusammen eine Resolution verabschiedet, die von Spaniens führender faschistischer Partei eingebracht wurde und zur strafrechtlichen Verfolgung von katalanischen Abgeordneten führen wird. Die PSOE hat sich für diese Resolution stark gemacht und wurde dabei aktiv von der pseudolinken Partei Podemos unterstützt. Damit hat die EU der faschistischen, anti-katalanischen Kampagne Madrids ihren politischen Segen erteilt. Diese Kampagne ist das wichtigste Instrument, mit dem die spanische herrschende Klasse einen extremen politischen Rechtsruck durchsetzt.

Die Politik der „Herdenimmunität“ in Bezug auf Covid-19 – d. h. eine Politik, die der Devise folgt, dass die Profite Vorrang vor Menschenleben haben – hatte 800.000 Tote in ganz Europa zur Folge. Vor dem Hintergrund dieses Massensterbens unterstützt die europäische herrschende Klasse jetzt die anti-katalanische Kampagne, weil sie sich letzten Endes mit der Regierung in Madrid einig ist, dass in ganz Europa ein Polizeistaatsregime errichtet werden muss. Das zentrale Ziel dieser Bestrebungen ist nicht die bürgerliche und sezessionistische Perspektive der katalanischen Nationalisten, sondern die wachsende Militanz und die Streiks der Arbeiter und Jugendlichen.

Das Gutachten wurde letzten Monat vom Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments befürwortet. Eingebracht hatte es der bulgarische Europaabgeordnete Angel Dschambaski, der in Bulgarien für seine homophobe und Roma-feindliche Hetze berüchtigt ist. Fünfzehn Abgeordnete des Ausschusses stimmten dafür, acht dagegen, zwei enthielten sich.

Nachdem das Gutachten von Vox verabschiedet war, griff die PSOE-Regierung es auf. Iratxe García, der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament, der sogenannten Progressiven Allianz der Sozialdemokraten, erklärte kurz nach der Abstimmung: „Ich möchte der spanischen sozialistischen Delegation für ihre Arbeit in den letzten Monaten danken. Sie hat den Erfolg bei der heutigen Abstimmung möglich gemacht.“

Nur Stunden nach der Abstimmung forderte Richter Pablo Llarena vom spanischen Obersten Gerichtshof den Gerichtshof der Europäischen Union zu einer vorläufigen Entscheidung zu einem Auslieferungsantrag für die Europaabgeordneten nach EU-Recht auf. Llarena war im Jahr 2017 auch für die Anklage gegen die katalanischen Nationalisten zuständig.

Durch dieses Vorgehen will er verhindern, dass die belgische Justiz die europäischen Haftbefehle gegen die drei katalanischen Europaabgeordneten zurückweist. Im Januar hatten sich die belgischen Gerichte geweigert, Lluís Puig, ein weiteres ehemaliges Mitglied von Puigdemonts katalanischer Regionalregierung, auszuliefern. Der belgische Richter hatte den Antrag des Obersten Gerichtshofs in Madrid zurückgewiesen und erklärt, er sei nicht dazu befugt, Puigs Auslieferung zu fordern und ihn anzuklagen. Zudem erklärte das Gericht, es gebe keine Garantie dafür, dass der spanische Oberste Gerichtshof Puigs Grundrechte wie die Unschuldsvermutung respektieren würde.

Die spanische Justiz, die vom gesamten Staatsapparat unterstützt wird, hofft, dass der EU-Gerichtshof ihre anti-katalanische Kampagne unterstützen und das Urteil des belgischen Gerichts kippen wird. Mit Unterstützung des EU-Gerichtshofs könnte Llarena einen neuen europäischen Haftbefehl beantragen. Nur wenige Minuten nach der Entscheidung des Europaparlaments entzog ein spanisches Gericht den sieben politischen Gefangenen aus Katalonien, die wegen ihrer Mitverantwortung für das Referendum und die friedlichen Proteste 2017 unrechtmäßig inhaftiert wurden, den Anspruch auf offenen Strafvollzug.

Dass die EU die antikatalanische Kampagne unterstützt, entlarvt jedoch auch die katalanischen Nationalisten. Puigdemont erklärte nach der Abstimmung im EU-Parlament: „Die europäische Demokratie hat verloren. Wir haben unsere Immunität verloren, aber das Europäische Parlament hat noch viel mehr verloren. Das ist eindeutig politische Verfolgung.“

Tatsächlich hat die EU Madrids Polizeistaatspolitik seit der massiven Unterdrückung des katalanischen Referendums von 2017, bei der mehr als 1.000 friedliche Wähler verletzt wurden, unablässig unterstützt. Das hat die katalanischen Nationalisten jedoch nicht daran gehindert, Illusionen zu verbreiten, die „demokratische“ EU würde einschreiten und die Polizeistaatsmaßnahmen der spanischen Bourgeoisie in Katalonien unterbinden. Tatsächlich verstärkt die EU sogar ihre Unterstützung für Madrids Polizeistaatskampagne.

In Spanien ist die wichtigste katalanisch-separatistische Partei, die Esquerra Republicana de Catalunya (ERC), weiterhin eine wichtige Stütze der PSOE/Podemos-Minderheitsregierung. Sie stimmt für den spanischen Staatshaushalt, obwohl die Regierung gleichzeitig mehrere ihrer führenden Mitglieder einsperrt, darunter ERC-Parteichef Oriol Junqueras.

Die katalanischen Nationalisten unterstützen den Austeritätskurs und die Nato und fürchten die Arbeiterklasse mehr als die Verfolgung durch Madrid.

Sie haben sich den hysterischen Angriffen auf die Proteste von Jugendlichen gegen die PSOE/Podemos-Regierung wegen der Inhaftierung des Rappers Pablo Hasél angeschlossen. Die Law-and-Order-Kampagne unter Führung der Vox wurde von den katalanischen Nationalisten vollauf unterstützt. Miquel Sàmper, der Innenminister der katalanischen Regionalregierung von Puigdemonts Junts per Catalunya (JxCat), erklärte hysterisch, die Proteste würden von „gewaltbereiten Kommunisten“ und „zahlreichen gewöhnlichen Kriminellen“ angeführt.

Obwohl im Jahr 2019 in Barcelona Hunderttausende gegen die Inhaftierung der katalanischen Nationalisten demonstriert hatten, rufen die katalanisch-nationalistischen Parteien und Organisationen zu keinen nennenswerten Demonstrationen gegen die Entscheidung der EU auf. Sie fürchten eindeutig, dass sich die Jugendproteste mit dem weit verbreiteten Widerstand gegen die Polizeistaatsmaßnahmen der spanischen Bourgeoisie überschneiden und sich radikalisieren werden.

Vor allem enthüllt die Aufhebung der Immunität für die ehemaligen katalanischen Regierungsmitglieder den Bankrott von Podemos. Die pseudolinke Partei hat zwar versucht, sich zu verstecken, indem ihre Mitglieder im Europaparlament gegen die Resolution stimmten. Doch sie sind Koalitionspartner der PSOE, die in der EU die Resolution von Vox unterstützt hat. Podemos selbst ist Teil des sich rasant entwickelnden Polizeistaatsregimes in Spanien.

Im Juli 2019 versprach Iglesias der PSOE in allen Fragen seine „vollste Loyalität“, einschließlich der Außenpolitik und der staatlichen Unterdrückung in Katalonien. Als wenige Monate später ein Dutzend führender katalanischer Politiker fälschlicherweise wegen Aufwiegelung schuldig gesprochen wurden, erklärte Iglesias: „Jeder muss sich an das Gesetz halten und das Urteil akzeptieren.“ Zu diesem Zeitpunkt demonstrierten Zehn- oder Hunderttausende in ganz Katalonien gegen die Urteile.

Auch im Rest Europas forcieren ähnliche pseudolinke Parteien den Kurs auf Polizeistaatsherrschaft. Podemos' französische Verbündete, Jean-Luc Mélenchons La France insoumise, hat im Parlament für mehrere Teile des reaktionären anti-muslimischen Separatismusgesetzes gestimmt. Die deutsche Linkspartei hat sich der Kampagne des deutschen Staats und Polizeiapparats gegen Zuwanderer angeschlossen.

Die Pandemie hat zwar die anti-katalanische Kampagne anfänglich zum Erliegen gebracht, doch in den letzten Monaten wurde sie angesichts des wachsenden Widerstands gegen die „Herdenimmunitäts“-Politik der PSOE/-Podemos-Regierung, die in Spanien zu mehr als 100.000 Toten und 3,2 Millionen Infizierten geführt hat, wieder verschärft.

Im Oktober behauptete die spanische Polizei groteskerweise, Russland habe im Jahr 2017 einen Einmarsch in Katalonien geplant, um die Sezessionisten zu unterstützen. Sie verbreitete wilde und haltlose Unterstellungen, der Kreml habe Puigdemont die Stationierung von 10.000 Soldaten angeboten. Im gleichen Monat verhängte der spanische Oberste Gerichtshof wegen ungerechtfertigter Vorwürfe des Ungehorsams einen 18-monatigen Ausschluss des katalanischen Regionalpräsidenten Quim Torra von öffentlichen Ämtern und setzte ihn ab.

Während der letzten Monate ist Podemos zum wichtigsten Instrument zur Durchsetzung der zunehmend faschistischen Politik des herrschenden Establishments geworden. Podemos übernimmt in der Regierung zunehmend das Programm von Vox, verfolgt unablässig Immigranten, sperrt katalanische Politiker und Rapper ein und verurteilt die Proteste der Jugendlichen. Gleichzeitig verteilt sie, mit Unterstützung der Vox im Parlament, 140 Milliarden Euro an die Konzerne und Banken und verharmlost die Putschdrohungen von Teilen des Militärs, die offen über die Ermordung von „26 Millionen“ Linken diskutieren.

Die Rolle von Podemos in der anti-katalanischen Kampagne bestätigt die Warnungen der WSWS: Podemos' Behauptung, sie repräsentiere eine „progressive“ Fraktion des politischen Establishments in Spanien, ist eine politische Lüge. Die Arbeiterklasse kann die „Linkspopulisten“ von Podemos nicht dazu „zwingen“, soziale Zugeständnisse, eine weniger brutale und repressive Politik oder eine Bekämpfung des Coronavirus auf wissenschaftlicher Grundlage durchzusetzen. Sie sind selbst ein Teil der Bestrebungen der Bourgeoisie, mit Polizeistaatsmethoden zu regieren.

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