Biden droht Russland mit unbestimmten Vergeltungsmaßnahmen

US-Präsident Biden kündigte am Mittwoch in einem Interview mit ABC News an, Russlands Präsident Wladimir Putin werde für seine angebliche Einflussnahme auf die US-Präsidentschaftswahl „einen Preis bezahlen“, ging aber nicht näher auf Details ein.

Es handelte sich um das erste längere Interview, das Biden seit seiner Amtsübernahme gegeben hat. Zuvor hatte die New York Times berichtet, das Pentagon bereite in den kommenden Monaten einen Cyberangriff auf Russland vor.

Biden im Gespräch mit George Stephanopoulos in der ABC News-Sendung „Good Morning America“

Biden und sein Interviewpartner George Stephanopoulos diskutierten zwar nicht über die Folgen eines solchen Schritts, doch eine Eskalation des Konflikts zwischen Moskau und Washington hätte bedrohliche Folgen. Es könnte zu einer Vergeltungsspirale zwischen den beiden größten Atommächten der Welt kommen.

Stephanopoulos versuchte, Putin so brutal wie möglich darzustellen, u.a. fragte er Biden: „Sie kennen ja Wladimir Putin. Halten Sie ihn für einen Mörder?“ Biden antwortete darauf: „Mmm hmm, das tue ich.“

Man kann sich die Reaktion wohl vorstellen, wenn Putin in den europäischen oder russischen Massenmedien einen US-Präsidenten als „Mörder“ bezeichnet hätte. Dabei wäre diese Bezeichnung durchaus gerechtfertigt, wenn man bedenkt, wie viele Menschen auf Befehl des Weißen Hauses über die Jahre durch amerikanische Drohnen- und Luftangriffe oder Militär- und Geheimdienstoperationen getötet wurden. Die US-Medien würden vor Wut toben.

Abgesehen von dieser Doppelmoral fiel auf, dass Stephanopoulos Biden auch nicht fragte, ob der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman oder der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu oder die Führer eines Dutzend anderer Verbündeter und Klientelstaaten der USA im Rest der Welt „Mörder“ seien.

Diese Bezeichnung ist dem Präsidenten Russlands vorbehalten; für China ist der ungerechtfertigte Vorwurf des „Völkermordes“ reserviert. Schließlich sind diese Bezeichnungen nützlich, um die öffentliche Meinung in den USA gegen die beiden wichtigsten Ziele des US-Imperialismus aufzuhetzen.

Im Vorfeld von Bidens Interview hatte die Direktorin der nationalen Geheimdienste (DNI) Avril Haines am Dienstag einen Bericht veröffentlicht, der darauf abzielte, die diskreditierte anti-russische Kampagne der US-Geheimdienste wieder aufzuwärmen. In dem Bericht hieß es, Putin habe Bestrebungen genehmigt, Bidens Wahlkampf zu untergraben und somit die Siegesaussichten des damaligen Präsidenten Trump zu verbessern.

Zudem bekräftigte der Bericht die Behauptungen, Putin habe die Präsidentschaftswahl im Jahr 2016 beeinflusst. Die weiteren russischen „Beeinflussungsoperationen“ im Jahr 2020 seien allerdings von so geringem Ausmaß gewesen, dass sie nur wenige Menschen erreicht hätten und ihre Auswirkungen auf das Ergebnis – einen Erdrutschsieg Bidens – zu vernachlässigen gewesen wären.

Die Geheimdienstdirektorin gab zu, dass weder Russland noch irgendein anderes Land tatsächlich versucht haben, die Abgabe und Auszählung der Stimmen zu beeinflussen. Damit bestätigte sie die Einschätzung des obersten Cybersicherheitsbeauftragten des Heimatschutzministeriums Christopher Krebs, dass die Wahl im Jahr 2020 die „sicherste in der amerikanischen Geschichte“ war. Für diese Einschätzung war er von Präsident Trump nur wenige Tage später entlassen worden.

Der Bericht der DNI vom Dienstag ist die freigegebene Version eines als geheim eingestuften Dokuments, das am 7. Januar an Trump, hohe Vertreter seiner Regierung und die führenden Politiker beider Parteien im Kongress geschickt wurde. Nur einen Tag zuvor hatten Trump-Anhänger den Kongress gestürmt und versucht, die Bestätigung von Bidens Sieg über Trump im Wahlmännerkollegium zu verhindern.

In dem Dokument heißt es: „Es gibt keine Anzeichen dafür, dass irgendein ausländischer Akteur versucht hat, durch Änderungen der technischen Aspekte des Wahlverfahrens die Präsidentschaftswahl 2020 zu beeinflussen ... Wir haben keine hartnäckigen russischen Versuche erkannt, durch Cyberangriffe Zugang zur Wahlinfrastruktur zu erlangen.“

Der Bericht versuchte damit eine Quadratur des Kreises: Er bestätigte die Gültigkeit und Sicherheit des US-Wahlsystems gegen die Behauptungen von Trump und seinen faschistischen Anhängern, es sei zu Wahlbetrug gekommen. Gleichzeitig verbreitete er weiter die Unterstellung, Moskau habe mit großem Aufwand – aber erfolglos – versucht, die US-Wahl zu untergraben und zu diskreditieren und das Ergebnis zu Gunsten von Trump zu beeinflussen.

Im Wesentlichen geht es bei den Behauptungen gegen Russland um Versuche, Vorwürfe gegen Bidens Sohn Hunter zu verbreiten. Dieser hatte eine gut bezahlte Pfründe bei dem ukrainischen Energiekonzern Burisma, als Biden als Vizepräsident unter Obama für die US-Politik gegenüber der Ukraine zuständig war.

Natürlich hatte Burisma Hunter Biden in den Vorstand aufgenommen und ihm mehrere Jahre lang fast 60.000 Dollar pro Monat gezahlt, um die Gunst der US-Regierung zu erlangen. Diese Art von Beeinflussung ist in der amerikanischen Politik durchaus üblich.

Es gibt keine Beweise dafür, dass sich Burisma dadurch irgendwelche besonderen Entscheidungen des Vizepräsidenten erkauft hat, oder dass er auch nur in der Lage dazu gewesen wäre. Trumps Beauftragter bei der Hetzkampagne gegen die Ukraine Rudy Giuliani konnte trotz großer Anstrengungen kein verwertbares Material vorlegen, und die größtenteils Biden-nahen US-Medien spielten das Thema weitgehend herunter.

Die Aktivitäten von Giuliani und seinen Mittelsmännern, darunter dem ukrainischen Parlamentsabgeordneten und vermeintlichen Moskauer Agenten Andrij Derkatsch, erregten kaum Aufmerksamkeit, obwohl die New York Times und andere US-Medien versuchten, den Eindruck einer immensen russischen Intervention in die US-Wahl zu erwecken.

Der Bericht behauptete außerdem, dass von Russland unterstützte „Trollfarmen“ in Mexiko, Nigeria und Ghana Behauptungen über Wahlbetrug bei der Briefwahl verbreitet hätten. Doch diese Bestrebungen waren unbedeutend im Vergleich zu denen von Trump selbst und nahezu der gesamten Republikanischen Partei sowie der mit ihnen verbündeten Medien wie Fox und Newsmax.

Führende Demokraten im Kongress machten aus dieser Mücke sofort einen Elefanten. Der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des Repräsentantenhauses Adam Schiff erklärte:

„Russland hat die Wahl beeinflusst, um den ehemaligen Präsidenten Trump zu unterstützen, Präsident Biden zu schaden und das Vertrauen in unser Wahlsystem zu schwächen.

Durch Stellvertreter hat Russland eine erfolgreiche Geheimdienstoperation durchgeführt und konnte in den inneren Kreis des ehemaligen Präsidenten eindringen.“ Damit war Giuliani gemeint.

Noch bedeutender war jedoch die Warnung von DNI Avril Haines: „Die Gegner der USA versuchen, Spaltungen zu verschärfen und das Vertrauen in unsere demokratischen Institutionen zu untergraben.“

Das Gerede über die angeblichen Versuche, „Spaltungen zu verschärfen“, deutet auf einen der wichtigsten Zwecke der anti-russischen Kampagne: Es geht darum, jeden Versuch zu kriminalisieren, der die realen sozialen Spaltungen in Amerika, vor allem die immense Kluft zwischen der Finanzaristokratie und der Arbeiterklasse, zum Thema macht. Genau wie die Verteidiger der Rassentrennung Bürgerrechtsaktivisten als „Agitatoren von außen“ bezeichnet haben, soll auch dies jetzt als Produkt ausländischer Subversion hingestellt werden.

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