Lage in den Kliniken spitzt sich zu

Trotz der eindringlichen Warnungen von Medizinern und Wissenschaftlern halten die Regierungen von Bund und Ländern an ihrer Öffnungspolitik fest und lehnen dringend notwendige Maßnahmen, wie die sofortige Schließung von Schulen und Betrieben, ab. Die Folge ist eine dramatische Lage in den Kliniken, wo binnen kürzester Zeit die Versorgung schwerkranker Patienten nicht mehr gewährleistet sein wird.

Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt aktuell bei 134,2 Infektionen pro Tag – Tendenz steigend. Am 1. April kamen fast 22.700 Neuinfektionen hinzu. Mit 232 Todesfällen starben fast 50 Menschen mehr als eine Woche zuvor. Ein Grund für die stetige Zunahme der Infektionen ist die Ausbreitung der deutlich ansteckenderen und aggressiveren Mutante B.1.1.7. Diese verursacht mittlerweile fast 90 Prozent der Infektionen in Deutschland und trägt damit zum Anstieg der schweren Infektionsverläufe bei.

Intensivbett (Ad Meskens / Wikimedia Commons)

Die Patienten, die eine intensivmedizinische Behandlung benötigen, werden immer jünger. Die Covid-Patienten auf der Intensivstation der Uni-Klinik Rostock sind im Schnitt zehn Jahre jünger als während der letzten Welle, wie ein Sprecher des Krankenhauses erklärte. Der Anteil der Patienten, die anstatt auf einer Normalstation auf der Intensivstation behandelt werden, hat sich erhöht. „Daraus lässt sich ableiten, dass ein hohes Risiko der Überlastung der intensivmedizinischen Kapazitäten besteht“, so die Klinik gegenüber dem NDR.

Auch der Anteil der Kinder, die an dem Virus ernsthaft erkranken, steigt rapide. „Der stärkste Anstieg ist bei Kindern zwischen 0 und 14 Jahren zu beobachten, wo sich die Sieben-Tage-Inzidenzen in den letzten vier Wochen mehr als verdoppelt haben“, merkt der Wochenbericht des Robert Koch-Instituts (RKI) an. Kürzlich verstarb ein vier Jahre altes Kind in Schleswig-Holstein an den Folgen einer Corona-Infektion.

Eine Datenauswertung des wissenschaftlichen Instituts der Krankenkasse AOK (Wido), zeigte die Auswirkungen des bisherigen Verlaufs der Pandemie.

Von den knapp 52.000 für die Analyse erfassten Patienten, die bis Ende November 2020 mit Covid-19 ins Krankenhaus kamen, verstarben 18 Prozent. In der Altersgruppe zwischen 60 und 69 Jahren lag die Sterblichkeit bei 14 Prozent, in der Altersgruppe zwischen 70 und 79 Jahren bei 23 Prozent. Im Durchschnitt waren die Patienten 67 Jahre alt.

Ein weiteres Absinken des Altersdurchschnitts bedeutet auch, dass die meisten Menschen in diesem Alter noch nicht geimpft sind, was zur Überlastung der Intensivstationen beitragen wird. Aus diesem Grund warnte der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, bei der Vorstellung der Auswertung vor den Folgen der dritten Welle: „Wir müssen ganz schnell und konsequent gegensteuern. Ich befürchte fast, dafür ist es zu spät.“

Hinzu kommt, dass immer mehr Menschen unter Langzeitfolgen leiden und häufiger erneut in einer Klinik behandelt werden müssen. Laut einer britischen Studie muss rund ein Drittel der Krankenhaus-Patienten innerhalb von vier Monaten nach der Erkrankung wieder behandelt werden. Einer von acht stirbt sogar, da Folgeschäden in lebenswichtigen Organen wie Herz, Leber oder Niere auftreten.

Während das Virus dafür bekannt ist, schwere Atemwegsprobleme zu verursachen, kann es auch andere Organe wie das Herz, die Leber und die Nieren infizieren und schädigen. Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) geht davon aus, dass etwa 10 Prozent der Infizierten an dem sogenannten Long-Covid-Syndrom erkranken.

Am 2. April waren in Deutschland 3849 Patienten in intensivmedizinischer Behandlung, 120 mehr als am Vortag. Alleine zwischen dem 10. und dem 28. März ist die Zahl der Intensivpatienten von 2727 auf 3448 gestiegen. Aktuell stehen für Corona-Patienten nur noch knapp 1500 Intensivbetten zur Verfügung. Mehrere Mediziner warnen seit Wochen, dass diese bald nicht mehr ausreichen und binnen kürzester Zeit überfüllt sein werden. Bereits jetzt sind einige Regionen, wie beispielsweise Thüringen, an ihre Kapazitätsgrenzen angelangt.

Schon vor der Belegung aller zur Verfügung stehenden Betten wird es nicht mehr ausreichend qualifiziertes Personal geben, das die komplexe Versorgung übernehmen kann. Seit mehr als einem Jahr arbeiten Ärzte und Pflegekräfte, vor allem im intensivmedizinischen Bereich, an ihren Grenzen.

„Das ist keine fachliche Überforderung, sie ist physisch und psychisch“, erklären Mediziner. „Wenn wir jetzt nichts tun und die Pflegekräfte gehen, dann bekommen wir ein existenzielles Problem in der Intensivmedizin!“, so Intensivmediziner Felix Walcher. Auch der Direktor der Intensivmedizin am Münchner Klinikum Rechts der Isar, Gerhard Schneider, erklärte gegenüber dem Spiegel, man komme jetzt „an eine kritische Grenze“. Mit Blick auf die Beschäftigten warnte er: „Die Leute können nicht mehr.“

Dies drückt sich auch in der Tatsache aus, dass seit Beginn der Pandemie Tausende Pflegekräfte den Beruf verlassen haben. Bereits vorher waren schlechte Arbeitsbedingungen und noch schlechtere Bezahlung an der Tagesordnung. Unter dem Druck der Pandemie und der ständigen Angst, sich selbst zu infizieren, sehen viele nun nur den Ausweg auszusteigen. Vor kurzem warnte daher der internationale Verband von Krankenschwestern und Krankenpflegern ICN vor einem internationalen „Massenexodus“ aus den Pflegeberufen.

Das ärztliche Personal arbeitet unter ähnlichen Bedingungen. Die Badische Zeitung zitiert den Klinikarzt Maximilian H.: „Die Zahl der Corona-Patienten ist in dieser Zeit massiv gestiegen. Patienten erkrankten, viele starben, und auf den Stationen wurde bis zum Rande der Erschöpfung gearbeitet. Auch Kollegen infizierten sich.“ Der Chefarzt für Innere Medizin am Klinikum Oberlausitzer Bergland in Zittau ist nach einer Corona-Infektion im März verstorben. Er leitete die Covid-Station der Klinik und versorgte selbst schwerstkranke Patienten.

Erneut warnen Wissenschaftler vor den dramatischen Folgen der derzeitigen Politik. Der renommierte Virologe Christian Drosten hält einen erneuten Lockdown für unausweichlich. „Wir werden um einen ernsthaften Lockdown nicht herumkommen,“ so Drosten. Er verwies auf die Erfahrungen in anderen Ländern, wo „die Zahl der schweren und oft auch tödlichen Krankheitsverläufe“ unter einer Politik wie hierzulande massiv gestiegen ist.

Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin, Christian Karagiannidis, fordert seit Wochen einen sofortigen Lockdown. Auch er verwies auf die Erfahrungen in Frankreich. Dort gebe es inzwischen so viele Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen, dass man Personal einsetzen müsse, das gar nicht dafür ausgebildet sei und die Ärzte bereiteten sich bereits auf die Triage vor.

Die Virologin Melanie Brinkmann machte deutlich, wer die Verantwortung für diese Entwicklung trägt. „Wir könnten jetzt schon bei Zehner-Inzidenzen sein, wenn die Politiker bei der Bund-Länder-Konferenz im Januar ernst genommen hätten, was wir ihnen gesagt haben“, erklärte sie.

Es verwundert kaum, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Forderung nach einem härteren Lockdown zur Bekämpfung der Pandemie unterstützt. 67 Prozent stimmen laut einer Umfrage von infratest dimap dem Appell von Intensivmedizinern zu. Die derzeitigen Maßnahmen gehen etwa der Hälfte der Befragten nicht weit genug. In den sozialen Medien fordern Tausende unter Hashtags wie #Generalstreik oder #harterLockdownjetzt ein Ende der tödlichen Öffnungspolitik, wie sie sämtliche Regierungen verfolgen.

Doch sowohl die Politik der großen Koalition auf Bundesebene als auch die der Landesregierungen folgen einzig und allein den Interessen der Wirtschaft, auch wenn die Situation weiter dramatisch eskaliert. Alle Parteien – von der AfD bis zur Linken – sind sich darin vollkommen einig.

Im Saarland werden die Corona-Beschränkungen unter Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) ab Dienstag weitgehend aufgehoben. Unter anderem werden Theater, Kinos, Fitnessstudios und die Außengastronomie geöffnet. Im Freien dürfen bis zu zehn Personen zusammenkommen.

In Thüringen, wo es Kreise mit einer Inzidenz von 500 und kaum noch freie Intensivbetten gibt, werden die Kontaktregeln über Ostern massiv gelockert. Die „kleine Frühlingsöffnung“ der Linkspartei-Regierung sieht unter anderem weitreichende Lockerungen für den Einzelhandel vor. Dies ist eine bewusste Entscheidung für die Profitinteressen der Wirtschaft und gegen den Schutz der Bevölkerung. Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke) erklärte am Mittwoch, dass die dritte Welle „uns diesmal durch die rasante Ausbreitung von Virusmutationen besonders schlimm treffen“ werde.

Die skrupellose Politik der Linkspartei beschränkt sich nicht auf Thüringen. Neben anderen gilt auch der Linkspartei-Bürgermeister von Frankfurt/Oder, Rene Wilke, als Verfechter einer radikalen Öffnungspolitik. Obwohl Frankfurt/Oder an der polnischen Grenze liegt, wo die Ausbreitung des Virus ebenfalls seit Wochen dramatisch eskaliert, erklärte er sich erst nach massivem Druck und nachdem das örtliche Klinikum an die Grenzen geriet, bereit, einige Lockerungen für kurze Zeit zurückzunehmen. Er verschärfte die Kontaktbeschränkungen im privaten Bereich erst bei einer Inzidenz von 180 minimal bis zum 5. April.

Dagegen bleibt der Einzelhandel weiterhin geöffnet. Kaltschnäuzig gab Wilke letzten Montag auf einer Pressekonferenz zu, dass bei einem Inzidenzwert von 180 eigentlich die Notbremse hätte gezogen werden müssen. Ihm sei bisher aber kein Fall bekannt, bei dem es durch einen Besuch des Einzelhandels zu Infektionen gekommen sei. Vor einer Woche hatte er erklärt, er werde zwei Massenausbrüche in einer Kita und einer Einrichtung für Behinderte nicht in den Inzidenzwert einbeziehen, da diese Ereignisse lokal begrenzt seien.

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