Das ist der Dank: Stellenabbau in Kliniken und Pflegeheimen

Seit einem Jahr arbeitet das Pflegepersonal vielerorts am Limit. Jetzt, mitten in der dritten Pandemiewelle, kommt für Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger eine neue Bedrohung hinzu: Aus Profit-Gründen wollen zahlreiche Einrichtungen Personal entlassen. Das ist ein Schlag ins Gesicht für die Betroffenen und für alle Pflegekräfte, für die das noch mehr Stress und Hetze bedeuten wird.

Streikende Pflegekräfte an der Berliner Charité

Seit Tagen gibt es immer neue Nachrichten über geplante Entlassungen und Klinikschließungen.

In Bremen ist der kommunale Klinikverbund „Gesundheit Nord“ (Geno) gerade dabei, 440 Vollzeitstellen abzubauen. Um „schwarze Zahlen“ zu erreichen, will der rot-rot-grüne Bremer Senat bis 2024 mehr als jede fünfte Stelle im Klinikverbund streichen, und die Linke hat zugestimmt.

Bremens Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Die Linke) ist auch Aufsichtsratsvorsitzende der Geno. Sie hat den Beschluss verteidigt und die Stellenstreichungen mit der Behauptung beschönigt, Pflegekräfte seien von Kündigungen nicht betroffen. Aber in Wirklichkeit sind unter den Entlassenen auch zahlreiche Krankenschwestern in Leih- und Zeitarbeit, Pflegekräfte in der Probezeit und Pflegehelfer und -helferinnen.

In Köln sollen die städtischen Kliniken mit der Uniklinik zu einer „Charité des Westens“ zusammengelegt werden, um 40 Millionen Euro zu sparen. Durch „Synergieeffekte“ werden mehrere hundert Arbeitsplätze wegfallen. Auch hier ist davon auszugehen, dass die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die sich „gegen betriebsbedingte Kündigungen“ ausspricht, ähnlich wie Die Linke in Bremen den Abbau der nicht festangestellten Beschäftigten in der Praxis mittragen wird.

In Bernkastel-Kues an der Mosel ist der Median-Konzern gerade dabei, eine von vier Reha-Kliniken für zunächst zwei Monate zu schließen. In allen vier Kliniken zusammen betreuen dort 630 Mitarbeiter über 800 Patienten. In den letzten acht Jahren hat Median auf dem Kueser Plateau schon jede zehnte Stelle abgebaut und eine von ursprünglich fünf Kliniken geschlossen.

In Bernkastel-Kues wehren sich Pflegekräfte seit Wochen gegen Lohndrückerei und Ausbeutung. Jeden Donnerstag ziehen sie mit Transparenten und Plakaten durch die Kurparkanlagen, um darauf hinzuweisen, dass sie seit sieben Jahren keine Lohnerhöhung bekommen haben. Nicht einmal die einmalige Corona-Sonderzahlung von 1500 Euro hat der Median-Konzern ausbezahlt. Viele Pflegekräfte gehen jetzt davon aus, dass die Schließung einer Reha-Klinik ein bewusster Akt der Aussperrung und Einschüchterung sein könnte, um einem Streik im Mai zuvorzukommen.

In Ingelheim am Rhein wurde schon im Dezember eine Corona-Spezialklinik geschlossen, obwohl sie in der Pandemie bitter nötig wäre. Doch wirtschaftliche Ratgeber wie z.B. die Bertelsmann-Stiftung haben Ingelheim als teuer und ineffizient bezeichnet. Durch die Schließung wurden 190 Stellen liquidiert.

In Göppingen (Baden-Württemberg) demonstrieren Pflegekräfte gerade gegen eine geplante Schließung der Helfenstein-Klinik. 135 Arbeitsplätze sind dort allein im ärztlichen und pflegerischen Bereich bedroht.

Letztes Jahr gab es trotz Corona-Pandemie schon zahlreiche Krankenhaus-Schließungen. Betroffen waren im Saarland die Marienhausklinik Ottweiler, in Bayern sowohl die Schön-Klinik in Fürth als auch zwei Krankenhäuser der Kliniken Nordoberpfalz AG (Waldsassen und Vohenstrauß). In NRW wurden unter anderen zwei Kliniken in Essen geschlossen, das Marienhospital Altenessen und das St. Vinzenz in Essen-Stoppenberg.

In Rheinland-Pfalz wurden außer dem Klinikum Ingelheim auch die beiden Loreley-Kliniken in St. Goar und Oberwesel geschlossen, und in Brandenburg das Diakonissen-Krankenhaus Lehnin. Auch in diesem Jahr sollen zahlreiche weitere Schließungen folgen. Ein Beispiel ist das Krankenhaus im Dresdener Stadtteil Neustadt/Trachau, das zu 97 Prozent geschlossen wird.

Fast überall protestieren wütende Anwohner gegen die Schließung, die immer „aus wirtschaftlichen Gründen“ erfolgt. Jedes Mal werden weitere Dutzende, wenn nicht hunderte Pflegekräfte auf die Straße geworfen. Über das Kliniksterben hieß es in der ARD-Sendung „plusminus“: „Im Schatten von Corona wird der Abbau vorangetrieben.“ Weiter wurde erklärt: „Der zweite Krankenhaus-Rettungsschirm vom November ist nur noch für Kliniken mit Notfallstufen 2 und 3 gedacht – das sind fast nur die rund 400 großen Maximalversorger. Die kleineren gehen leer aus.“

Das Kliniksterben überleben zuletzt nur die großen, privaten Gesundheitskonzerne, wie zum Beispiel Fresenius-Helios. Dieser Konzern, der zu den weltweit größten gehört, ist ein schreiendes Beispiel dafür, wie sich die privaten Klinikketten in der Pandemie auf Kosten von Pflegepersonal und Patienten bereichern.

Im Pandemiejahr 2020 hat der Fresenius-Helios Konzern in Deutschland einen Gewinn von 602 Millionen Euro gemacht. Man habe die Corona-Pandemie „gut überstanden“, erklärte der Vorstandsvorsitzende Stephan Sturm auf der Bilanzpressekonferenz im Februar 2021. Darüber berichtete das ARD-Magazin FAKT am 13. April in einem Beitrag über das Herzzentrum Leipzig, das dem Fresenius-Helios-Konzern gehört.

Das Herzzentrum Leipzig erwirtschaftete im Pandemie-Jahr 2020 einen Reingewinn von 23 Millionen, das ist gegenüber dem Vorjahr ein Plus von 7 Millionen oder 43 Prozent. Und der Konzern will im Interesse seiner Aktionäre noch stärker Druck auf die Pflegekräfte ausüben: Bis 2023 sollen die Gewinne jedes Jahr um weitere 5 bis 9 Prozent wachsen. Zu diesem Zweck sollen zusätzliche zehn Prozent der Arztstellen eingespart werden und die befristeten Verträge auslaufen.

FAKT zitiert anonyme Ärzte, die schon bisher 140 Prozent der normalen Leistung erbrächten, mit den Worten: „Viele von uns können jetzt schon nicht mehr.“ Und: „Wir werden als Teil einer Maschine gesehen, und die Patienten als ein Produkt. Dagegen wehren wir uns.“

Laut dem Handelsblatt gehört Fresenius als eines der wenigen deutschen Unternehmen zum „erlauchten Kreis der Dividenden-Aristokraten“. Die Dividende klettert seit 28 Jahren ständig weiter in die Höhe. Das Handelsblatt schreibt: „Der Gesundheitskonzern Fresenius erhöhte die Dividende in den vergangenen zehn Jahren im Schnitt um knapp 25 Prozent. Die Rendite fällt zwar mit ein Prozent auf den ersten Blick bescheiden aus. Doch die Ursache dafür ist eine erfreuliche: Der Aktienkurs stieg im selben Zeitraum rasant – von 10 Euro [auf] über 90 Euro.“

Diese „erfreuliche Rendite“ wird buchstäblich aus den Knochen des Pflegepersonals erwirtschaftet.

Der Stellenabbau betrifft nicht allein die Krankenhäuser, Auch in den Senioren- und Pflegeheimen wird zunehmend der Rotstift angesetzt. Dafür gibt es mehrere aktuelle Beispiele aus der Schweiz. Über die Kündigungswelle in den Altenheimen berichtet das Schweizer Blatt 20 Minuten lapidar: „Die Belastung der Pflegeeinrichtungen während der ersten Welle war groß. Darunter litt das Pflegepersonal. Nun geht es ins andere Extrem. Es herrscht eine Unterbelegung in den Heimen.“ Als Beispiel wird auf Entlassungen im Seniorenzentrum Uzwil (St.Gallen) hingewiesen.

Ein weiteres Beispiel ist ein Altersheim der Stiftung Amalie-Widmer in Horgen (ZH), das gerade 45 Pflegekräfte, fast jeden sechsten Mitarbeiter, entlässt. In der Schweiz klagen sechzig Prozent der Pflegeeinrichtungen über eine Unterbelegung als Folge der Corona-Pandemie. Nicht wenige werden mit Stellenabbau reagieren, und das Beispiel wird auch in Deutschland vermehrt Schule machen. Tatsächlich ist es der Gipfel des Zynismus, dass als Folge der Corona-Sterbewelle im letzten Herbst und Winter jetzt Pflegestellen in Heimen und Krankenhäusern abgebaut werden.

Schon vor der Pandemie haben die Pflegekräfte immer wieder gegen Personalmangel protestiert, blieben aber ungehört. Dann haben zwei Pandemiewellen den Arbeitsdruck unsagbar erhöht. Viele Pflegekräfte haben sich bei der Arbeit selbst infiziert.

Einer AOK-Studie zufolge, sind die Beschäftigten der Altenpflege und der Gesundheits- und Krankenpflege die zwei am allerstärksten von Corona betroffenen Berufsgruppen. Der aktuellen Zwölf-Monats-Bilanz ist zu entnehmen, dass pro 100.000 bei der AOK versicherten Pflegekräften 5409 in der Altenpflege und 5338 in der Krankenpflege wegen einer Corona-Infektion krankgemeldet waren. Das heißt, dass mehr als jede zwanzigste Pflegekraft eine mittlere bis schwere Corona-Erkrankung durchgemacht hat.

Das RKI meldet, dass fast 82.000 Beschäftigte des Gesundheitsdienstes und fast 62.000 der Pflegeheime erkrankt sind. Rund drei Prozent davon mussten hospitalisiert werden. Die wirklichen Zahlen liegen weit höher. Wie das RKI selbst einräumt, sei „zu berücksichtigen, dass diese Informationen nur für eine Teilmenge der Covid-19-Fälle vorliegen“.

Viele Pflegekräfte haben ihren Einsatz mit dem Leben bezahlt. Das RKI listet 81 Fälle von Beschäftigten auf, die nach einer Tätigkeit in Krankenhäusern, Reha-Einrichtungen, Arztpraxen, Dialyseeinrichtungen oder Rettungsdiensten verstorben sind. Bei Beschäftigten in Pflegeeinrichtungen sind es sogar 168 Todesfälle. Das bedeutet, dass nach den offiziell bekannten Zahlen fast 250 Pflegekräfte in den Krankenhäusern oder Pflegeheimen nach einer Corona-Infektion verstorben sind. Weltweit ist durchschnittlich alle 30 Minuten eine im Gesundheitswesen arbeitende Person an Covid-19 gestorben, wie Amnesty berichtet.

Gleichzeitig sind auch zehntausende Heimbewohner und Patienten einen traurigen Corona-Tod gestorben, worüber viele Rentenkassen, wie man annehmen muss, nicht allzu traurig waren. Und nun wird als Quintessenz den Pflegekräften die Rechnung in Form von Entlassungen und noch mehr Arbeitsstress präsentiert.

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