#allesdichtmachen: AfD- und Regierungspropaganda in „künstlerischem“ Gewand

Die Aktion „#allesdichtmachen“ und die Reaktionen darauf haben eines unterstrichen: Während Vertreter aller Parteien die Statements der Schauspieler nutzen, um die mörderische Öffnungspolitik im Interesse der Banken und Konzerne voranzutreiben, wächst unter Arbeitern und Jugendlichen der Widerstand gegen diese Politik, die allein in Deutschland bereits mehr als 82.000 Menschen des Leben gekostet hat.

Was war passiert?

Am vergangenen Freitag veröffentlichten 52 mehr oder weniger bekannte deutsche Schauspieler auf der Website allesdichtmachen.de und unter den Hashtags „#allesdichtmachen“, „#niewiederaufmachen“ und „#lockdownfürimmer“ kurze Videostatements, die auf zynische Art und Weise die völlig unzureichenden Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung des Virus angreifen.

Hier einige Beispiele: Felix Klare behauptet, Homeschooling führe zu mehr häuslicher Gewalt gegen Kinder. Volker Bruch suggeriert, die Warnungen vor Corona seien reine Panikmache. Und Ulrich Tukur ruft sarkastisch dazu auf, „ausnahmslos jede menschliche Wirkungsstätte und jeden Handelsplatz zu schließen“ und damit „alle mausetot“ zu machen, um „dem Virus samt seiner hinterhältigen Mutantenbagage die Lebensgrundlage“ zu entziehen.

Andere machen sich über Inzidenzen lustig (Miriam Stein), verhöhnen soziale Distanzierungsmaßnahmen (Heike Makatsch) und schwadronieren im Stile der extremen Rechten von den gleichgeschalteten Medien, die keinen „kritischen Disput“ zuließen (Jan-Joseph Liefers).

Jan-Joseph Liefers (Martin Kraft, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Bereits kurz nachdem die ersten Videos veröffentlicht waren, erhob sich in den sozialen Medien ein Sturm der Entrüstung. Unter dem Hashtag „#allenichtganzdicht“ kritisierten Zehntausende die abstoßende Aktion, die inmitten des weltweiten Massensterbens das Ende der Lockdownmaßnahmen propagierte und dafür die rechtesten Kräfte mobilisierte.

Auf Twitter beglückwünschte die Co-Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Alice Weidel, die Schauspieler für ihre „tolle Aktion“. Ein weiterer Gratulant war Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen, der sich 2018 öffentlich hinter die rechtsextremen Hetzjagden auf Migranten in Chemnitz gestellt hatte.

Im Verlauf des Wochenendes nahm die Opposition weiter zu. Viele Künstler verurteilten die Aktion, darunter auch viele Schauspieler. Der Präsident der Deutschen Filmakademie, Ulrich Matthes, kritisierte gegenüber der Nachrichtenagentur dpa, die Kollegen würden mit ihrer „vermeintlichen Satire ... indirekt Schützenhilfe für die Querdenkerszene und die AfD“ leisten. Andere bemerkten, dass in der Pandemie gerade auch viele Kulturschaffende vor dem Nichts stünden. Die überwiegend wohlhabenden Schauspieler von „#allesdichtmachen“ kritisierten jedoch nicht die Regierung dafür, „Nothilfen“ vor allem an die Großkonzerne auszuschütten, sondern verhöhnten stattdessen die Opfer der Pandemie.

Ärzte und Krankenhauspersonal verliehen ihrer Wut unter „#allemalneschichtmachen“ Ausdruck. Unter dem Hashtag veröffentlichten sie auf Twitter ihre dramatischen Erfahrungen auf den Notfallstationen der Krankenhäuser. Initiiert wurde die Aktion von der bekannten Notärztin und Bloggerin Carola Holzner („Doc Caro“). Sie forderte die an „#allesdichtmachen“ beteiligten Künstler auf, für eine Schicht im Rettungsdienst oder auf einer Intensivstation mitzuarbeiten. „Ihr habt eine Grenze überschritten,“ erklärt die Leitende Oberärztin am Universitätsklinikum Essen in einem Instagram-Video, das schnell mehrere hunderttausend Hits erhielt. „Und zwar eine Schmerzgrenze all jener, die seit über einem Jahr alles tun.“

19 der ursprünglich an der Aktion beteiligten Schauspieler haben ihre Videos mittlerweile zurückgezogen und sich entschuldigt. Die meisten haben sich explizit von der AfD und den rechtsextremen Demonstrationen der Corona-Leugner distanziert. Ihre Aktion wird dadurch nicht besser. Die Videos sind allesamt dumm, abstoßend und zynisch, und die beteiligten Künstler haben entweder bewusst eine rechte Kampagne unterstützt oder sich zumindest dafür einspannen lassen.

Als einer der Strippenzieher hinter der Aktion gilt der Regisseur und Drehbuchautor Dietrich Brüggemann, der bereits in der Vergangenheit Positionen und Songtexte („Steckt euch eure Maskenpflicht in den A…“) der rechtsextremen Corona-Demonstranten verbreitet hat.

Von einigen der Schauspieler hätte man zumindest etwas mehr Intelligenz erwartet und gehofft, dass sie ihre besseren Rollen nicht nur spielen, sondern auch darüber nachdenken. So wurde etwa der 1957 geborene Tukur einer breiteren Öffentlichkeit durch den Film „Die Weiße Rose“ (1982) bekannt, in dem er den Studenten und Angehörigen des Widerstandskreises gegen die NS-Diktatur Willi Graf spielte. Volker Bruch spielt aktuell in der Serie „Babylon Berlin“ (seit 2017) die Hauptrolle des nazikritischen Kommissars Gereon Rath. Nun finden sich beide – vielleicht tatsächlich ungewollt – in der Gesellschaft der AfD und der extremen Rechten wieder.

Die abstoßendste Rolle in diesem Spektakel spielen jedoch die führenden Politiker des Landes. Sie sind die wirklich Verantwortlichen für das Massensterben und die sozialen und gesellschaftlichen Konsequenzen der Pandemie, u.a. auch im Kulturbereich. Letztlich haben die Schauspieler in ihren vermeintlich „kritischen“ Videos nur das verarbeitet, was Politik und Medien seit Ausbruch der Pandemie propagieren. In ihren Videos findet sich keine einzige Lüge oder Provokation, die nicht zuvor bereits in ähnlicher Art und Weise von einem Vertreter der etablierten Parteien geäußert worden wäre.

Zu Beginn der Pandemie war es Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) selbst, der Covid-19 als gewöhnliche Grippe verharmloste und sich gegen eine Maskenpflicht in Deutschland aussprach. Als es darum ging, den ersten Lockdown im Interesse der Wirtschaft zu beenden, erklärte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) – unter dem Applaus des AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland –, das Recht auf Leben sei nicht „absolut“ vom Grundgesetz geschützt.

Anschließend unterstützten Vertreter aller Bundestagsparteien die rechtsextremen Corona-Demonstrationen, die im Gegensatz zur großen Mehrheit der Bevölkerung das sofortige Ende aller Einschränkungen und sozialen Distanzierungsmaßnahmen verlangten. Und nun nutzen die gleichen Politiker und Parteien die Aktion der Schauspieler, um die „Profite vor Leben“-Politik weiter voranzutreiben.

Finanzminister Scholz (SPD) forderte am Wochenende in der Bild am Sonntag das endgültige Ende aller Pandemiemaßnahmen bis zum Sommer. „Ich habe auch keine Lust mehr auf diese Pandemie und ihre Einschränkungen“, gab er zu Protokoll. Er wolle, „dass wir als Regierung dann klare und mutige Öffnungsschritte für den Sommer festlegen“. Man brauche „den Fahrplan zurück ins normale Leben, aber einen, der nicht nach ein paar Tagen widerrufen wird“.

Neben der Spitze der AfD stellten sich auch führende Vertreter der anderen Bundestagsparteien explizit hinter die Aktion der Schauspieler. „Dass es Kritik an den Maßnahmen gibt, das finde ich völlig normal“, erklärte Gesundheitsminister Spahn auf einer Pressekonferenz am Freitag. Er könne sich „gut vorstellen, da auch mit den Initiatoren das Gespräch zu führen“.

Der Co-Vorsitzende der Grünen, Robert Habeck, entschuldigte die Aktion gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland mit der lapidaren Feststellung: „Nach mehr als einem Jahr Pandemie sind viele Menschen erschöpft.“ Die Beiträge seien zwar „unangemessen“, aber es brauche „Raum für eine kritische und streitbare Debatte über etwas, das so tief in unser aller Leben und unser aller Freiheit eingreift“.

Die Spitzenkandidatin der Linkspartei für die Bundestagswahlen in NRW und frühere Fraktionsvorsitzende ihrer Partei, Sahra Wagenknecht, bezeichnete die Videos als „eine klasse Playlist, in der bekannte Schauspieler/innen ihre Empörung über die aktuelle Corona-Politik wunderbar ironisch zum Ausdruck bringen“.

Der CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet übte in der WDR-Sendung „3nach9“ den direkten Schulterschluss mit Jan-Joseph Liefers, einem der wenigen Schauspieler, die ihre Aktion nach wie vor öffentlich verteidigen.

„Man darf das sagen in einem freien Land“, betonte Laschet. „In Krisensituationen ist auch die Minderheitsmeinung gerade von Künstlern und Intellektuellen wichtig.“ Auch wenn es Laschet auf Grund der enormen Opposition in der Bevölkerung nicht offen aussprechen konnte – die „Minderheitsmeinung“, mit der sich er und die gesamte herrschende Klasse in der Pandemie gemein machen, ist die der faschistischen AfD.

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