Nach Urteil zum Mietendeckel: Horrende Nachforderungen an Berliner Mieter

Mitte April hat das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietendeckel als verfassungswidrig eingestuft und kassiert. Nun können Immobilienkonzerne Mietnachzahlungen für den Zeitraum einfordern, in dem die Mieten gesetzlich gedeckelt waren. Mieter in der Hauptstadt, die ohnehin seit Langem exorbitante Mieten bezahlen müssen, sind mit rücksichtslosen Nachforderungen konfrontiert.

Mit dem sogenannten Mietendeckel wurden im Februar 2020 die Mieten für 1,5 Millionen Wohnungen für fünf Jahre eingefroren, und zwar auf dem Stand vom Juni 2019. Das Verfassungsgericht erklärte das Gesetz einstimmig für nichtig. Das erlaubt den Immobilienkonzernen nun, die entgangenen Mieten nachzufordern und darüber hinaus die Mieten wieder ungehindert zu erhöhen. Fast alle großen Immobilienunternehmen, darunter die Deutsche Wohnen, erklärten nach dem Urteil umgehend, nicht auf die entgangene Miete verzichten zu wollen.

Protestdemonstrantin in Berlin-Neukölln nach Aufhebung des Mietendeckels (Bild: @Montecruzfoto (Twitter), CC-SA)

Tausende Haushalte haben seit der Verkündung des Urteils am 15. April Aufforderungen von Immobilienverwaltungen erhalten, die Differenzbeträge zwischen der ursprünglich vereinbarten Miete und der nach dem Mietendeckel zulässigen Miete nachzuzahlen. Da dies teilweise einen Zeitraum von mehr als einem Jahr betrifft, handelt es sich nicht selten um Beträge von mehreren Tausend Euro. Gleichzeitig sind die Schreiben in der Regel mit dem Hinweis versehen, dass bei ausbleibenden Nachzahlungen der Vermieter zur Kündigung berechtigt sei.

Gerade in Berlin, wo die Mieten in den letzten Jahren enorm gestiegen sind, bringt dies viele Mieter in Existenznot. Rbb24 berichtete von einem 23-jährigen Studenten, der durch das Urteil „von einem Tag auf den anderen“ tausend Euro Schulden hatte. Dies für eine kleine Wohnung von 32 Quadratmetern. Unter dem Mietendeckel zahlte der Student 380 Euro, nun sind es 570.

Wie dem Studenten ergeht es nach Berechnungen des Senats 340.000 Haushalten in der Stadt. Insgesamt war der Mietendeckel auf 1,6 Millionen Mietwohnungen anwendbar. Rund 40.000 Berliner könnten möglicherweise finanzielle Unterstützung benötigen, heißt es in einer Schätzung aus dem Senat.

Die Nachzahlungen kommen in einer Zeit, in der zahllose Haushalte infolge der Corona-Pandemie mit Jobverlust, Lohnsenkung, Krankheit oder anderen Problemen konfrontiert sind. Für einige Haushalte war es unter der verschärften Corona-Situation nicht möglich, Geld für die Nachzahlungen zurückzulegen, erklärt Wibke Werner vom Berliner Mieterverein.

Wie Hohn klangen deshalb schon nach Erlass des Mietendeckels die Worte von Bausenatorin Katrin Lompscher und ihrem Nachfolger Sebastian Scheel, beide von der Linkspartei, die Mieter sollten das eingesparte Geld bis zur gerichtlichen Klärung in Karlsruhe auf die hohe Kante legen.

Inzwischen steigen die Mieten für Wohnungen, die ursprünglich unter den Mietendeckel fielen, wieder rasant an. Laut Immoscout24 erhöhten sich die Preise seit Verkündung des Gerichtsurteils am 15. April im Schnitt um 90 Cent pro Quadratmeter. Das entspricht einer Erhöhung um sieben Prozent. Immoscout24 spricht dabei von einem „Trend“, der mit Sicherheit anhalten werde.

Wie extrem der Anstieg ist, zeigt ein Vergleich mit Frankfurt und München. Dort stiegen die Angebotsmieten im gleichen Wohnungssegment seit Mitte April nur um 0,5 beziehungsweise 0,3 Prozent. Für Berlin erwartet Immoscout24 mit 5,6 Prozent in den kommenden zwölf Monaten die stärksten Preiszuwächse bei den Neubaumieten.

Nach dem Entscheid des Bundesverfassungsgerichts hat der Berliner Senat aus SPD, Grünen und Linkspartei beschlossen, Mietern, die von Nachforderungen betroffen sind, ein zinsloses Darlehen zu gewähren. Wer seine Mietrückzahlung nicht leisten könne, werde „nicht im Stich gelassen“, erklärte Bausenator Scheel.

Doch das ist reine Augenwischerei, denn das Darlehen muss in voller Höhe wieder zurückbezahlt werden. Es handelt sich hierbei also nicht um wirkliche finanzielle Unterstützung für die Betroffenen, es soll vielmehr sichergestellt werden, dass die raffgierigen Immobilienhaie schnell an ihr Geld kommen. Das aus Steuergeldern finanzierte Darlehen wandert in die Taschen der Immobilienkonzerne, und der Senat treibt die Gelder wieder ein.

Damit setzt Rot-Rot-Grün nahtlos die Politik fort, die SPD und Linkspartei bereits von 2002 bis 2011 im Interesse der Immobilienspekulanten verfolgt hat. Unter dem Vorwand des „Schuldenabbaus“ verscherbelten Sozialdemokraten und Linke 150.000 von 400.000 Wohnungen im Landesbesitz an Immobilienhaie. Damit verblieben im Jahr 2009 nur noch 250.000 Wohnungen im Landesbesitz. Größtenteils wurden die Wohnungen unter 25 Prozent des damaligen Werts an die Immobilienunternehmen verkauft, damit diese hohe Profite erzielen konnten. Seither hat sich der durchschnittliche Wert von Berliner Wohnungen mehr als verdoppelt.

Vor diesem Hintergrund war der 2019 beschlossene Mietendeckel ein reines Täuschungsmanöver. Er beseitigte weder die akute Wohnungsnot noch die horrenden Profite der Immobilienkonzerne. So rechnete der Immobilienriese Vonovia, der fast eine halbe Million Wohnungen besitzt und verwaltet, davon zehn Prozent in Berlin, mit einem Rückgang der Gesamtmieterträge von weniger als einem Prozent.

Nach dem Urteil plant auch der Berliner Senat, die Mieten der verbliebenen landeseigenen Wohnungen wieder zu erhöhen. Zwar vertagte der Senat die endgültige Entscheidung über die Erhöhung für die 330.000 Wohnungen, doch hatten sich Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) und Stadtentwicklungssenator Scheel bereits auf einen Kompromiss verständigt, wonach unter anderem die während des Mietendeckels abgesenkten Mieten wieder auf ihr ursprüngliches Niveau erhöht werden.

Da Teile der Grünen und der Linkspartei fürchten, eine solche Entscheidung werde sich bei den bevorstehenden Senatswahlen im September negativ auswirken, erwirkten sie eine Vertagung der Entscheidung. Der Spitzenkandidat der Linken, Klaus Lederer, hatte zuvor angekündigt, seine Partei wolle Wahlkampf gegen den „Mietenwahnsinn“ führen.

Tatsächlich ist die Linkspartei eine treibende Kraft des „Mietenwahnsinns“. Sie vertritt nicht die Interessen der Mieter, sondern die von skrupellosen, halbkriminellen Immobilienhaien wie Gijora Padovicz, dem mehr als 3000 Wohnungen in Berlin gehören.

Padovicz fügte nach der Einführung des Berliner Mietendeckels einen Passus in den Standardmietvertrag ein, der den Mietendeckel für ungültig erklärte, lange bevor das Bundesverfassungsgericht darüber urteilte. Wer mit dem Passus, „Der Mieter erklärt ausdrücklich, dass er auf etwaige Rechte aus einem die Wohnraummiethöhe regelnden Berliner Landesgesetz verzichtet“, nicht einverstanden war, bekam auch keine Wohnung.

Padovicz ist dafür berüchtigt, Mieter mit brutalen Methoden aus ihren Wohnungen zu vertreiben, um diese dann luxuriös zu sanieren und zu wesentlich höheren Preisen weiterzuvermieten. Florian Schmidt, Bezirksstadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg, charakterisiert Padoviczs Unternehmertum als „Profitstreben, gepaart mit Skrupellosigkeit“.

Trotzdem arbeitet der Senat eng mit ihm zusammen. 2018 wurde Padovicz vom Berliner Verwaltungsgericht verurteilt, 520.000 Euro Fördergelder zurückzuzahlen, die er vom Senat erhalten hatte. Zurzeit liegt der Fall beim Oberverwaltungsgericht. Vergangenen Oktober hatte der Senat über 2500 Polizisten aus dem ganzen Bundesgebiet eingesetzt, um für Padovicz ein Wohnhaus freizuräumen. Die gewaltsame Räumung des Wohnprojekts „Liebig 34“ hatte mehr als deutlich gemacht, auf wessen Seite SPD, Grüne und Linkspartei stehen.

Wohnen ist ein Grundrecht und keine Ware für skrupellose Immobilienunternehmen. Diese müssen entschädigungslos enteignet werden. Dies erfordert einen politischen Kampf auch gegen Parteien wie die Linkspartei, deren Lippenbekenntnisse gegen „Mietenwahnsinn“ reine Heuchelei sind.

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