Dritter Bahnstreik für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen

Seit Donnerstagfrüh zwei Uhr sind die Lokführer und andere Bahnbeschäftigte erneut im Streik für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen; im Güterverkehr hat der Streik schon am Mittwochnachmittag begonnen. Immer deutlicher zeigt sich, dass es um politische Fragen geht, deren Lösung nicht der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) überlassen werden darf.

Streikende Bahnbeschäftigte in Frankfurt

Das Angebot, das der Bahnvorstand am Dienstag pressewirksam verkündet hat, ist eine reine Scheinofferte: Nach wie vor will die Bahn den Eisenbahnerinnern und Eisenbahnern die Betriebsrente streichen und für das Jahr 2021 eine glatte Nullrunde diktieren.

Zugleich warf GDL-Chef Claus Weselsky dem Bahnvorstand vor, die Existenzvernichtung seiner Gewerkschaft zu betreiben. Obwohl die GDL zuletzt etwa 4000 neue Mitglieder gewonnen habe, wolle sie einen Tarifvertrag, der mit der GDL vereinbart werde, nicht auf diese anwenden.

Bei der Bahn kommt seit diesem Jahr das Tarifeinheitsgesetz (TEG) zur Anwendung, das besagt, dass in jedem Betrieb nur der Tarifvertrag der jeweils größten Gewerkschaft gilt. In den meisten Bahnbetrieben war die größere Gewerkschaft bisher die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), die bereits eine Nullrunde vereinbart hat und ihre Mitglieder während des Streiks zur Arbeit, also faktisch zum Streikbruch, anhält.

Am gestrigen Donnerstag ging der DB-Vorstand auch juristisch gegen den Lokführerstreik vor. Personalvorstand Martin Seiler beantragte beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main eine einstweilige Verfügung, um den Arbeitskampf im Eilverfahren zu verbieten. Der Streik bewege sich „nicht im Rahmen des geltenden Rechts“, so Seiler.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag noch am selben Abend zurückgewiesen. Zur Begründung führte es an, im Eilverfahren könne nicht hinreichend festgestellt werden, ob unzulässige Streikziele verfolgt würden. Die Bahn hat angekündigt, gegen die Entscheidung des Gerichts in Berufung zu gehen. Darüber wird das Landesarbeitsgericht Frankfurt voraussichtlich am heutigen Freitag verhandeln.

Über das Vorgehen des Bahnvorstands sind die Lokführer und Zugbegleiter zutiefst erbittert, zumal sie auch in der Corona-Pandemie Tag und Nacht durchgearbeitet hatten. „Wir haben praktisch kein Wochenende frei, haben jeden Tag andere Arbeitszeiten, sind die ganze Pandemie hindurch auf der Strecke gewesen. Wer ist hier eigentlich systemrelevant?“ sagte ein streikender Lokführer am Frankfurter Hauptbahnhof. „Der Bahnvorstand genehmigt sich selbst Boni in Millionenhöhe, aber um uns kümmert sich kein Mensch.“

Tatsächlich ist das Angebot, das der Bahnvorstand den Beschäftigten jetzt macht, nach wie vor eine reine Provokation. Zwar hat sich die Bahn zuletzt bereit erklärt, eine Corona-Prämie von „600 oder 400 Euro“ zu zahlen. Die Laufzeit des Tarifvertrags will sie jetzt von 40 auf 36 Monate „verkürzen“. In diesen drei Jahren sollen die Löhne aber insgesamt nur um 3,2 Prozent steigen, während die Inflation immer schneller wächst und jetzt schon fast vier Prozent beträgt. Nach wie vor weigert sich die Bahn, 2021 auch nur einen Cent mehr Lohn zu zahlen.

Gleichzeitig kassiert der Vorstand Millionensummen. Im Jahresabschluss der Bahn für 2019 sind die Gesamtbezüge der sechs Vorstandsmitgliedern mit über 7,4 Millionen Euro aufgeführt; hinzu kommen mehr als 1,3 Milliarden Euro an Rückstellungen für Ruhegelder der pensionierten Vorstände.

Bahnchef Richard Lutz hat 2019 mehr als 1,7 Millionen Euro kassiert, Ronald Pofalla (Infrastruktur) knapp 1,25 Millionen, und auch Martin Seiler kassierte über 800.000 Euro. Seiler führt als Personalvorstand die Tarifverhandlungen und versucht den Beschäftigten die Nullrunde aufzuoktroyieren.

Gesamtbezüge des Bahnvorstands 2019

„Die Ungleichheit ist unvorstellbar krass“, sagte eine streikende Zugbegleiterin in Frankfurt dazu. „Ich habe die größte Mühe, hier in Frankfurt eine bezahlbare Wohnung zu finden. Du findest in der Stadt nichts unter 800 Euro, und doch muss ich oft mitten in der Nacht hier am Bahnhof zur Arbeit antanzen.“

Wie andere, auch ganz junge Streikende empörte sich diese Zugbegleiterin besonders über die Angriffe des Vorstands auf die Betriebsrente. „Wir möchten schon die Hoffnung haben, dass wir im Rentenalter von alledem einigermaßen sicher leben können. Altersarmut ist durchaus ein Thema. Zum Beispiel meine Oma: Die ist heute in einer Situation, wo sie von einer Rente von 650 Euro leben muss.“

Die Lokführer und Zugbegleiter kämpfen um soziale Fragen, die alle Arbeiter betreffen. Sie stehen dabei nicht nur im Konflikt mit dem Vorstand und der Bundesregierung, der die Bahn zu 100 Prozent gehört, sondern auch mit den Gewerkschaften und sämtlichen etablierten Parteien.

DGB-Chef Reiner Hoffmann und EVG-Chef Klaus-Dieter Hommel wüten offen gegen den Streik und sind ihm mit üblen Tiraden in den Rücken gefallen. Der Spitzenkandidat der Linken, Dietmar Bartsch, nannte den Streik ein „Theater“ und „komplett unzumutbar“ und forderte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zum Eingreifen auf.

Aber auch die GDL ist weder willens noch in der Lage, einen prinzipiellen Kampf um eine tatsächliche Verbesserung von Löhnen und Arbeitsbedingungen zu führen. Sie ruft nur zu begrenzten Streikaktionen auf: zweimal zwei Tage, jetzt fünf Tage, aber niemals zum unbefristeten Erzwingungsstreik.

Dabei bedeuten die Forderungen, die die GDL aufgestellt hat, ebenfalls eine Reallohnsenkung, selbst wenn sie eins zu eins umgesetzt würden. Die GDL verlangt 1,4 Prozent mehr Lohn in diesem und 1,8 Prozent im kommenden Jahr bei 28 Monaten Laufzeit, dazu eine Corona-Prämie von 600 Euro. Schon im Jahr 2014 hatte die GDL einen Streik überraschend abgebrochen, obwohl dieser vor dem Arbeitsgericht in zwei Instanzen als rechtmäßig bestätigt worden war.

Wie eng die Beziehungen zwischen Gewerkschaftsbürokratie und Management sind, zeigt der Werdegang von Martin Seiler, des Personalvorstands der Bahn. 15 Jahre lang war er Betriebsrat und gewerkschaftlicher Fachgruppenleiter, erst der Deutschen Postgewerkschaft, später der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Im Jahr 2003 wechselte er ins Management der Deutschen Post AG, und zwölf Jahre später war er als Arbeitsdirektor der Deutschen Telekom für die 70.000 Beschäftigten zuständig. Anfang 2018 wurde er Personalvorstand der Deutschen Bahn und ist seither für 320.000 Bahnbeschäftigte zuständig.

Die Medien betätigen sich im Bahnstreik als Sprachrohr des Managements. Das ist ein weiteres Thema, das die Streikenden zutiefst erbittert. Sie behandeln den Streik als reines „Machtspiel“ der GDL. Alle Nachrichten über den Streik enthielten am Mittwoch den Satz: „Ungeachtet eines neuen Angebots der Bahn haben die Lokführer heute Morgen ihren angekündigten Streik begonnen“, ohne mit einem Wort darauf einzugehen, was dieses „Angebot“ wirklich beinhaltet.

Ein ZDF-Team filmte und interviewte am Mittwochmorgen mehrere Lokführer vor dem Frankfurter Hauptbahnhof, aber im Ergebnis brachte die Sendung „Drehscheibe“ dann genau einen einzigen Satz der Streikenden neben zahlreichen, gehässigen Kommentaren.

„Wir haben den Medien schon so oft alles detailliert erklärt“, sagte ein streikender Lokführer der World Socialist Web Site dazu. „Aber sie bringen das nicht.“ Die Berliner Zeitung berichtete vom „Machthunger der GDL“, das Hamburger Abendblatt nannte den Streik gar eine „Amokfahrt“.

Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) tritt dafür ein, die Unterstützung breiter Schichten der Arbeiterklasse für den Streik zu mobilisieren und den Streik nicht der GDL-Führung zu überlassen, sondern unabhängige Aktionskomitees aufzubauen. Ihre Erklärung zum Streik, die Mitglieder und Unterstützer an den Bahnhöfen mit den Streikenden diskutierten, trägt den Titel: „Unterstützt den Kampf der Lokführer und Zugbegleiter! Baut unabhängige Aktionskomitees auf!“

Darin formuliert die SGP die politischen Aufgaben, die vor den Bahnbeschäftigten stehen: „Heute sind die Lokführer und Zugbegleiter auf Schritt und Tritt mit politischen Aufgaben konfrontiert. Alle im Bundestag vertretenen Parteien, einschließlich der SPD und der Linken, lehnen ihren Streik vehement ab.“ Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) trete zur Bundestagswahl an, um eine neue Massenpartei in der Arbeiterklasse aufzubauen, die für ein sozialistisches und internationales Programm kämpft.

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