DGB-Chef Hoffmann greift streikende Eisenbahner an

Die heftigen Angriffe von DGB-Chef Reiner Hoffmann auf die streikenden Lokführer und Zugbegleiter der Bahn waren am Samstag die Topmeldung in den meisten Nachrichtensendungen. Auch die Printmedien griffen die Attacken des Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbunds auf den Streik begierig auf.

Reiner Hoffmann (Bild: Olaf Kosinsky / CC BY-SA 3.0)

Hoffmann hatte den streikenden Lokführern in einem Interview mit der Rheinischen Post vorgeworfen, hier setze eine Berufsgruppe „ihre partikularen Interessen gegen das Gesamtinteresse aller anderen Bahn-Beschäftigten“ durch und spiele die „Beschäftigtengruppen in einem Unternehmen“ gegeneinander aus.

Den Chef der Lokführergewerkschaft GDL, Claus Weselsky, forderte Hoffmann ultimativ auf, wieder Verhandlungen aufzunehmen: „Obwohl die Differenzen zwischen der Gewerkschaft und der Bahn nicht sehr groß sind, weigert sich Herr Weselsky an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Das halte ich für falsch.“

Im Kern gehe es Weselsky darum, „seine Gewerkschaft zu erhalten und ihren Einflussbereich zu vergrößern“, behauptete Hoffmann. Bei Löhnen und Arbeitsbedingungen lägen GDL und Bahn „gar nicht so weit auseinander“. Auch das neue Angebot der Bahn, so der DGB-Chef, unterscheide „sich kaum noch von den Forderungen der GDL“.

Hoffmanns Attacken auf den Streik unterstreichen, dass die Gewerkschaften keine Arbeiterorganisationen mehr sind, sondern sich in Hilfstruppen der Unternehmen und Konzerne verwandelt haben. Seine Behauptung, der GDL-Streik spalte die Bahn-Belegschaft, stellt die Wirklichkeit auf den Kopf.

Das Zugpersonal kämpft dagegen, dass es den Preis für die Coronakrise zahlen soll, während sich das Management die Taschen vollstopft und die Börsen boomen. Es lehnt eine Nullrunde im laufenden Jahr ab, wie sie die DGB-Gewerkschaft EVG mit der Bahn vereinbart hat, verlangt eine einmalige Corona-Prämie für die aufopfernde und gefährliche Arbeit während der Pandemie und verteidigt die Betriebsrente, die die Bahn streichen will.

Mit ihrem Streik gegen dieses Spardiktat verteidigen Lokführer und Zugbegleiter nicht nur die Interessen der gesamten Bahnbelegschaft, sondern auch der Arbeiterklasse insgesamt. Wirtschaft und Politik nutzen die Corona-Pandemie überall für einen Frontalangriff auf ihre sozialen Errungenschaften. Deshalb lehnen der Bahn-Vorstand und die hinter ihm stehende Bundesregierung die Forderungen der GDL kategorisch ab, obwohl auch diese noch nicht einmal den Inflationsausgleich decken.

Mit seinem Angriff auf die Streikenden macht sich Hoffmann zum Sprachrohr dieser Ablehnungsfront. Sein Vorwurf, der Streik spalte die Bahnbelegschaft, erinnert dabei an den „Neusprech“ in Orwells Roman '1984'.

Früher bedeutete „Solidarität“ die Unterstützung von Arbeitern, die – stellvertretend für alle anderen – für soziale Rechte kämpften oder bestehende verteidigten. Wichtige Errungenschaften – wie der Acht-Stunden-Tag, die Fünf-Tage-Woche oder die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall – kamen so zustande. Wer diese Kämpfe ablehnte oder angriff, war ein Spalter und Streikbrecher. Bei Hoffmann ist es umgekehrt: Wer das Lohndiktat der Bahn und ihrer Hausgewerkschaft EVG unterstützt, ist „solidarisch“, wer dagegen kämpft, ein Spalter.

Der DGB-Chef verkörpert jene abgehobene Schicht von Gewerkschaftsbürokraten, die von ihren Diensten für die herrschende Klasse leben und jeder Bewegung von unten mit abgrundtiefer Feindschaft begegnen. Wenn er bereits auf den Streik der GDL – einer konservativen Standesgewerkschaft, die dem Deutschen Beamtenbund angehört und deren Forderungen weit unter der Inflationsrate liegen – derart aggressiv reagiert, kann man sich vorstellen, wie er wüten wird, wenn sich eine wirklich unabhängige Offensive von Arbeitern entwickelt.

1955 in Wuppertal geboren, verbrachte Hoffmann sein ganzes berufliches Leben im Dunstkreis von Gewerkschaftsbürokratie, SPD und Europäischer Union. Außer einem kurzen Zwischenspiel als kaufmännischer Angestellter bei der Hoechst AG war er nie in einem anderen Beruf tätig.

Hoffmann hat einen Hochschulabschluss als diplomierter Ökonom. Von 1984 bis 1994 arbeitete er bei der Hans-Böckler-Stiftung, von 1994 bis 2003 beim Europäischen Gewerkschaftsbund, wo er zuletzt stellvertretender Generalsekretär war. Ab 2009 leitete er den Bezirk NRW der Bergbau- und Chemiegewerkschaft IG BCE. 2013 wechselte er in den Bundesvorstand des DGB und trat dort 2014 die Nachfolge von Michael Sommer als Vorsitzender an.

Bereits in seinem ersten Amtsjahr hetzte er gegen Warnstreiks von Eisenbahnern und Piloten, die sich damals außerhalb der Kontrolle des DGB entwickelten. In einem Brief an den Beamtenbund-Vorsitzenden Klaus Dauderstädt forderte er diesen auf, die GDL „an die Leine zu nehmen“. Im selben Jahr veröffentlichte Hoffmann auf der Website „Review 2014“ des Außenministeriums einen Beitrag, der für eine aggressivere deutsche Militärpolitik warb.

Als 2018 unter wachsendem öffentlichem Druck selbst Teile der SPD die Hartz-Gesetze zaghaft in Frage stellten, verteidigte Hoffmann sie vehement. Er könne die „Schnappatmung“, die viele bei dem Begriff Hartz IV bekämen, nicht nachvollziehen, sagte er. Es sei „keine gute Idee“, wenn man Arbeitslose nicht mehr zur Aufnahme von Arbeit zwinge, denn Arbeit sei „Teilhabe und wichtig für den sozialen Zusammenhalt“. Hartz IV – also die massenhafte Einführung von Niedriglohnarbeit – habe wesentlich dazu beigetragen, die Arbeitslosigkeit zu senken und die Zahl der Beschäftigten zu erhöhen.

Auf dem SPD-Parteitag im Mai 2018 trug Hoffmann mit einer vehementen Rede maßgeblich dazu bei, dass die zerstrittene Partei in die Große Koalition zurückkehrte, deren rechte Politik fortsetzte und der AfD zur Rolle der größten Oppositionspartei verhalf. Er sei stolz darauf, zur Regierungsbildung beigetragen zu haben, zitierte ihn anschließend der Tagesspiegel.

Seine jüngste Attacke auf den Bahnstreik mitten im Bundestagswahlkampf dient auch dazu, der nächsten Bundesregierung – egal wie sie zusammengesetzt ist – die Unterstützung und Verlässlichkeit des DGB zu beweisen. Im selben Interview, in dem er den Streik angriff, sagte Hoffmann: „Anders als früher sehen wir Gewerkschaften dieses Mal in den Wahlprogrammen Übereinstimmungen und Schnittmengen mit allen demokratischen Parteien, selbst mit der FDP. Das ist schon erstaunlich.“

FDP-Chef Christian Lindner reagierte prompt. Er forderte, nach der Eskalation des Streiks „zu Lasten eines ganzen Landes“ müsse der nächste Bundestag die rechtlichen Regelungen des Arbeitskampfes reformieren – d.h. die Grundlage für das Verbot von Streiks schaffen.

Das Problem der Arbeiter sind aber nicht nur Hoffmann und andere rechte Gewerkschaftsbürokraten, sondern die Perspektive, auf die sich die Gewerkschaften insgesamt stützen. Diese sehen ihre Aufgabe darin, den Preis der Ware Arbeitskraft – also Löhne, Arbeitsbedingungen, u.ä. – zu regeln, und sind deshalb an der Aufrechterhaltung des Kapitalismus interessiert. Ihr Ziel ist nicht die Abschaffung der kapitalistischen Ausbeutung, sondern deren effektivere Gestaltung.

Solange die Wirtschaft wuchs und sich vorwiegend auf den nationalen Rahmen konzentrierte, konnten sie auf dieser Grundlage einige Verbesserungen erzielen. Mit der Vorherrschaft transnationaler Konzerne war dies vorbei. Seit vielen Jahren bemühen sich die Gewerkschaften, den nationalen Standort zu stärken, indem sie die Löhne senken und die Arbeitshetze steigern. Sie stützen sich nicht auf den Klassenkampf, der international ist, sondern verbünden sich im Kampf um Märkte, Rohstoffe und Weltmacht mit Kapital und Regierung des eigenen Landes.

Schon im Ersten Weltkrieg hatten die Gewerkschaften vehement für den Krieg geworben und maßgeblich dazu beigetragen, dass die SPD ihr Anti-Kriegsprogramm verriet und die Schlächterei unterstützte. Nach Hitlers Machtübernahme bot ihm der ADGB seine Zusammenarbeit an und marschierte am 1. Mai unter der Hakenkreuzfahne – was Hitler nicht davon abhielt, sie zu zerschlagen.

Der DGB und seine Einzelgewerkschaften, deren Zahl nach mehreren Fusionen auf acht geschrumpft ist, verliert seit Jahren kontinuierlich Mitglieder. Waren es 1991 nach der Fusion mit den DDR-Gewerkschaften noch knapp 12 Millionen, sind es heute weniger als die Hälfte. Über zwei Drittel sind Mitglied der IG Metall und der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Bei der überwiegenden Mehrheit handelt es sich um passive Beitragszahler und Rentner.

Im Wesentlichen sind die Gewerschaften aufgeblähte bürokratische Apparate. Der DGB, der als Dachverband über keine Einzelmitglieder verfügt, erhält von den Einzelgewerkschaften 170 Millionen Euro im Jahr. Ein Großteil dieses Geldes fließt in die Finanzierung von 800 Vollamtlichen in den neun Bezirken und der Berliner Zentrale. Hoffmann selbst verdient knapp 15.000 Euro im Monat, Aufsichtsratsvergütungen und andere Zusatzverdienste nicht eingerechnet. Unter anderem sitzt er im Aufsichtsrat des Chemieriesen Bayer AG.

Um ihre Rechte und Errungenschaften zu verteidigen, brauchen die Arbeiter, eigene unabhängige Kampforganisationen – Aktionskomitees –, eine internationale, sozialistische Perspektive und ihre eigene politische Partei – die Sozialistische Gleichheitspartei.

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