Am Donnerstag Morgen beendete die Gewerkschaft Verdi den fast einmonatigen Streik der Pflegekräfte an der Berliner Charité. Auf Grundlage eines vage formulierten Eckpunktpapiers soll demnach binnen fünf Wochen ein Tarifvertrag verhandelt werden, der lediglich kosmetische Verbesserungen für die Beschäftigten in Aussicht stellt. Mit der Beendigung des Streiks sabotiert Verdi darüber hinaus bewusst den Streik der Beschäftigten des Vivantes-Klinikkonzerns, der noch weiter andauert.
Die Einigung wurde von Gewerkschaft und Charité-Management gleichermaßen überschwänglich begrüßt. Die Eckpunkte bezeichnete Verdi-Verhandlungsführerin Melanie Guba als „großen Schritt“. Der zu verhandelnde Tarifvertrag „Gesundheitsfachberufe Charité“ werde ein „Meilenstein der Entlastung“. Verdi habe die Festlegung von Mindestbesetzungsregelungen, einen Belastungsausgleichs und verbesserte Ausbildungsbedingungen gefordert und dies werde „nun mit diesem Ergebnis adressiert“, so die Gewerkschafterin.
„Das ist der Tarifvertrag, der nun alles gut regelt“, tönte Verdi-Vertreterin Dana Lützkendorf bei einem Auftritt mit der Charité-Leitung. Auch Carla Eysel, Charité-Vorstand für Personal und Pflege, war „sehr zufrieden“ mit dem Ergebnis und auch sie nannte den kommenden Tarifvertrag einen „Meilenstein“.
Auch die Parteien des Berliner Senats zeigten sich erfreut, dass der Arbeitskampf der Beschäftigten abgewürgt werden soll. Franziska Giffey (SPD), deren Partei die katastrophalen Zustände in den landeseigenen Kliniken maßgeblich verschuldet, nannte das Ergebnis ein „sehr positives Signal“. Selbst die Berliner FDP hatte nur Lob für die Einigung übrig.
Tatsächlich machen die bisher bekannten Eckpunkte des Tarifvertrages bereits deutlich, dass sich damit weder die permanente Überlastung der Pflegekräfte verbessert, noch die Qualität der Patientenversorgung gesteigert wird.
Demnach ist vorgesehen, über einen Zeitraum von drei Jahren 700 zusätzliche Mitarbeiter in der Pflege einzustellen. Bereits die ursprünglich von Verdi geforderten 1200 Kräfte hätten kaum ausgereicht, um eine adäquate Versorgung zu gewährleisten. Nun wurde diese Forderung um fast die Hälfte reduziert und über einen Zeitraum von drei Jahren gestreckt. In diesem Zeitraum wird der Bedarf an Pflegekräften aber noch viel weiter steigen.
Darüber hinaus ist in der gemeinsamen Erklärung von Verdi und Charité nicht die Rede von Vollzeitstellen, sondern nur von Mitarbeitern, die zur Zeit oft auch nur halbe Stellen besetzen. Selbst wenn diese Forderung über diesen langen Zeitraum erfüllt werden würde, wäre es somit buchstäblich nur der Tropfen auf dem heißen Stein.
Ein weiterer Eckpunkt sind die so genannten Belastungspunkte. So soll es für fünf Schichten in Unterbesetzung einen Punkt geben, der als Belastungsausgleich in acht Stunden Freizeit umgewandelt werden kann. Dabei soll es aber maximal fünf freie Tage pro Jahr geben. Das schreibt die permanente Überlastung der Pflegekräfte eher fest, als sie zu beenden. Wenn eine Pflegekraft acht Stunden lang für zwei gearbeitet hat, soll sie nicht einmal zwei Stunden davon als Freizeit ausgeglichen bekommen. Damit ist die Unterbesetzung für die Klinik noch immer deutlich rentabler als der Einsatz der vorgeschriebenen Anzahl an Pflegekräften.
Angesichts der realen Situation einer ständigen Überlastung bedeutet die Begrenzung der Regelung auf fünf Tage, dass sie nicht nennenswert zum Einsatz kommt. Schon jetzt schieben die meisten Pflegekräfte einen Berg an Überstunden vor sich her, der wegen fehlendem Personal kaum abgebaut werden kann.
Ein weiterer Punkt, der Eingang in den Tarifvertrag finden soll, ist der Personalschlüssel. Hier sind bislang Personalschlüssel von 1:1 auf Intensivstationen und 1:10 im Tagdienst bzw. 1:17 im Nachtdienst auf anderen Stationen genannt worden. Ob diese sich so im Tarifvertrag wieder finden werden, ist zum einen fraglich. Zum anderen ist es schon bisher üblich, die geltende Personalschlüssel sehr häufig zu unterschreiten, teilweise wird über Wochen unter dem Schlüssel gearbeitet.
Weitere Vereinbarungen soll es zum Einsatz von Auszubildenden, der Möglichkeit von Sabbatjahren und der Verlässlichkeit der Dienstplanung geben. Hierzu gibt es noch keine konkreten Informationen und die Verhandlungen zum Tarifvertrag finden wie üblich hinter verschlossenen Türen statt.
Die Beschäftigten dürfen sich von diesen vagen und völlig unzureichenden Versprechen auf Verbesserungen nicht täuschen lassen. 2016 hatte Verdi die Beschäftigten der Charité in ähnlicher Manier hinters Licht geführt. Damals wurde der von Verdi als historische betitelte Tarifvertrag zu Gesundheitsschutz und Mindestbesetzung verabschiedet und damit eine Reihe von Streiks und Protesten beendet.
Damals hatte Verdi-Verhandlungsführerin Meike Jäger, die auch stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende von Vivantes und Mitglied des Aufsichtsrats der privaten Rhön-Klinken ist, vollmundig erklärt: „Endlich ist es gelungen, dem Abbau von Stellen, insbesondere in der Pflege, Einhalt zu bieten, in dem Personalmindeststandards und verbindliche Orientierungswerte ein Abweichen nach unten begrenzen.“
Tatsächlich war der Vertrag das Papier nicht wert, auf dem er stand. Seither wurde die Situation immer dramatischer und die Überlastung der Pflegekräfte wuchs immer weiter. Verdi konnte schon damals mit diesem üblen Manöver die Belegschaft in Europas größter Universitätsklinik nur kurzzeitig zum Stillhalten zwingen. Deshalb soll der nun zur Verhandlung stehende Tarifvertrag für drei Jahre gelten, um für diese Zeit weitere Streiks illegal zu machen.
Seit Beginn des Streiks an der Charité und den Vivantes-Kliniken arbeitete Verdi auf eine rasche Einigung mit dem Management hin, ist dabei jedoch mit enormer Wut und Kampfbereitschaft der Beschäftigten konfrontiert. Nun will die Gewerkschaft die Beendigung des Streiks an der Charité nutzen, um den Arbeitskampf der Beschäftigten von Vivantes zu schwächen und auch dort den Streik rasch abzuwürgen.
An den Standorten streiken seit dem 9. September Pflegekräfte für bessere Arbeitsbedingungen und die Beschäftigten der Tochtergesellschaften für bessere Löhne. Gerade der gemeinsame Streik an den beiden großen Klinikkonzernen der Hauptstadt, demonstrierte die Macht der Beschäftigten und zeigte auf, dass alle Arbeiter vor den gleichen Problemen stehen. Auch bei den Asklepios-Kliniken in Brandenburg stimmten am vergangenen Dienstag die Beschäftigten für einen unbefristeten Streik für bessere Löhne.
Während der Streik bei Vivantes andauert, protestierten am Samstag in Berlin mehr als 2000 Menschen, darunter viele Pflegekräfte für mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen. Der Protestzug zog von der Neuköllner Urban-Klinik zum Willy-Brandt-Haus der SPD.
Verdi-Vertreterin Susanne Feldkötter rechtfertigte voller Zynismus die Beendigung des Streiks an der Charité gegenüber dem Neuen Deutschland mit den Worten: „Ein Streik weniger bedeutet für uns, dass wir mehr Kraft für die anderen Arbeitskämpfe haben.“ In Wirklichkeit arbeitet Verdi nun mit Hochdruck daran, den Streik auszuverkaufen und die miserablen Arbeitsbedingungen und schlechten Löhne auch dort zu zementieren.
Bei Vivantes scheiterte eine Einigung bisher vor allem an dem skrupellosen Management, das selbst in dieser Situation nicht davor zurückschreckte, in den Verhandlungen „Angebote“ zu unterbreiten, die sogar Verschlechterungen für die Beschäftigten bedeutet hätten.
Für kommenden Donnerstag kündigte Verdi an, den Streik bei den Tochtergesellschaften von Vivantes für einen Tag auszusetzen. Als Grund wurde genannt, dass man an diesem Tag wieder in Tarifverhandlungen gehen werde. Diese Einigung kam unter der Moderation des ehemaligen SPD-Ministerpräsidenten Matthias Platzeck zustande. Verdi und die Berliner SPD hatten Platzeck als Moderator ausgewählt, nachdem dieser bereits Anfang des Jahres als Schlichter bei Charité-Facility-Management (CFM) eingesetzt wurde und dort gegen die Beschäftigten eine miserable Vereinbarung durchsetzte.
Der drohende Ausverkauf an den Kliniken von Charité und Vivantes macht einmal mehr deutlich, welche Rolle die Gewerkschaften spielen. Die Belegschaften müssen unabhängige Aktionskomitees aufzubauen, in denen sie selbst und nicht hochbezahlte Verdi-Funktionäre das Sagen haben. Nur so kann der Kampf für angemessene Löhne und gute Arbeitsbedingungen ausgeweitet werden und erfolgreich sein. Registriert Euch jetzt, um Euch an solchen Komitees zu beteiligen.