Perspektive

Faktencheck zur Coronavirus-Pandemie

Auf der ganzen Welt, von Nordamerika bis Asien, heben die Regierungen alle Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus auf und geben Schulen, Betriebe und Massenveranstaltungen wieder frei. Zur Rechtfertigung verbreiten die Medien die falsche Behauptung, dass die Pandemie so gut wie vorüber sei.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. In den vergangenen sieben Tagen wurden in den USA mehr als 620.000 Neuinfektionen und mindestens 10.000 Todesfälle infolge der Pandemie registriert. Weltweit stieg die Zahl der Neuinfektionen um mehr als 2,8 Millionen und die Zahl der Toten um fast 48.000. Das Virus stellt nach wie vor eine tödliche Gefahr für alle Menschen auf der Welt dar.

Ein Totengräber im Schutzanzug auf einem Friedhof am Rande von Omsk, Russland, 7. Oktober 2021 (AP Photo)

Diese Zahlen hielten die New York Times nicht davon ab, am Donnerstag einen Gastkommentar von Paul Krugman mit dem Titel „What if Things Are About to Get Better?“ zu veröffentlichen („Was, wenn es jetzt besser wird?“) Krugman möchte die anhaltenden riesigen Verluste an Menschenleben als das Ende des „Sommers unserer Unzufriedenheit“ verstanden wissen. Dass zwischen dem 21. Juni und dem 22. September in den USA fast 86.000 Menschen starben, darunter mehr als 160 Kinder, ficht ihn nicht an.

Stattdessen argumentiert Krugman, dass sich die Bevölkerung aufgrund des relativen Rückgangs der Fälle in den USA und der begrenzten Impfpflicht, die von der Bundesregierung und verschiedenen Unternehmen verhängt wurde, „ziemlich sicher fühlen kann, wenn sie wieder ins Büro und Restaurants geht und – was am wichtigsten ist – ihre Kinder zur Schule schickt“. Außerdem müssten die Arbeiter ihre „Abneigung“ gegen „riskante Tätigkeiten“ überwinden und die Wiederöffnung der Betriebe – mitsamt Zehntausenden unvermeidlichen Todesfällen – ergeben hinnehmen.

Des Weiteren wird in dem Times-Beitrag die unbequeme Tatsache ignoriert, dass es nach wie vor keinen Impfstoff für Kinder unter 12 Jahren gibt, sodass Millionen von Klein- und Schulkindern gefährdet sind. Aus Daten des Verbands der Kinderärzte in den USA (American Academy of Pediatrics) geht hervor, dass Woche für Woche Hunderttausende von Kindern infiziert werden und die Zahl der Krankenhauseinweisungen steigt. Die überwiegende Mehrheit dieser Infektionen wird durch das verursacht, was laut Krugman „am wichtigsten“ ist, nämlich dass die Kinder wieder in die Schulen gehen.

Ebenfalls unberücksichtigt bleibt die Ausbreitung der Pandemie in anderen Ländern als den USA. Zu den am stärksten betroffenen Regionen gehört Osteuropa. In Polen gab es vergangene Woche mehr als 11.000 Neuinfektionen und 175 Todesfälle, beides um 50 Prozent mehr als in der Vorwoche. Die Ukraine verzeichnete einen ähnlichen Anstieg: In den letzten sieben Tagen wurden mehr als 82.000 neue Fälle und fast 1.700 Tote gemeldet. In Rumänien ist die 7-Tage-Inzidenz auf 89.000 bzw. um 28 % gestiegen, und die Zahl der Todesfälle stieg im gleichen Zeitraum auf 1.762 bzw. um 49 Prozent.

Auch in Deutschland, das oft als Vorbild für die Pandemiebekämpfung in Europa gepriesen wird, sind sowohl die Neuinfektionen als auch die Todesfälle in den letzten sieben Tagen im Vergleich zu den vorangegangenen sieben Tagen um mehr als 25 Prozent gestiegen. Die offiziellen Zahlen der Infektionen und Todesfälle stiegen in der vergangenen Woche auf 68.000 bzw. 400.

Eines der am stärksten betroffenen Länder ist Russland. Hier war in den letzten Wochen ein sprunghafter Anstieg zu verzeichnen. Die täglichen Neuinfektionen nehmen seit Mitte September zu und nähern sich wieder dem Höchststand vom vergangenen Dezember. In der vergangenen Woche wurde eine Rekordzahl von über 6.400 Todesfällen gemeldet.

Auch in anderen Ländern sind die Infektions- und Todeszahlen gestiegen, z. B. im Sudan und in Somalia. In diesen beiden afrikanischen Ländern, die über viele Jahre stark unter indirekten oder direkten US-Militärinterventionen gelitten haben, hat sich die Zahl der registrierten Neuinfektionen mehr als verdreifacht. Im gleichen Zeitraum hat sich die Zahl der Todesfälle im Sudan um mehr als das Doppelte und in Somalia um mehr als das Fünffache erhöht.

Die Hunderttausenden von Neuinfektionen pro Tag werden neue Varianten des Coronavirus hervorbringen, die ansteckender oder möglicherweise sogar resistent gegen Impfstoffe sind. Solche Varianten würden selbst unter Krugmans rosaroter Annahme, dass die Pandemie in den USA zu Ende geht, die Infektions- und Todeswellen, von denen Arbeiter aktuell noch betroffen sind, erneut in die Höhe treiben.

Die amerikanische Finanzoligarchie blendet diese Gefahren aus und konzentriert sich darauf, die Wirtschaft wieder vollständig in Gang zu setzen. Die jüngste Etappe ist die Wiederaufnahme von kulturellen Massenveranstaltungen. Das Detroit Symphony Orchestra, dessen Musiker im vergangenen Jahr nach der Absage von Aufführungen eine 20-prozentige Gehaltskürzung hinnehmen mussten, spielt wieder vor ausverkauften Sälen. Auch das Boston Symphony Orchestra hat Ende September wieder mit regulären Aufführungen begonnen.

Ähnlich sieht es auf der ganzen Welt aus. Das Vereinigte Königreich streicht am 11. Oktober 47 Länder von seiner „roten Liste“ der unsicheren Reiseländer, darunter die Pandemieherde Indien und Brasilien. Die indonesische Ferieninsel Bali, Indien und Vietnam werden ihre Reisebeschränkungen lockern. Vietnam, das den größten Teil seiner 800.000 Coronavirus-Infektionen und 20.000 Todesfälle im Zeitraum seit Juli 2021 zu beklagen hat, nimmt Inlandsflüge wieder auf und plant die vollständige Wiedereröffnung für die Tourismussaison im Sommer 2022.

In Pakistan sollen alle Bildungseinrichtungen wieder geöffnet werden, obwohl es immer noch mehr als 1.200 Neuinfektionen und mehr als 30 neue Todesfälle pro Tag gibt.

Das Argument, die Öffnungen seien jetzt angebracht, weil die Fallzahlen zurückgingen, ist abwegig und falsch. Zwar ist die Infektionsrate in den USA leicht gesunken, sie liegt aber immer noch höher als in jeder früheren Phase der Pandemie mit Ausnahme der Höhepunkte im vergangenen Winter (November bis Januar). Darüber hinaus wird systematisch versucht, die tatsächlichen Zahlen zu vertuschen. Dies begann unter dem früheren Präsidenten Donald Trump und wird unter Joe Biden fortgesetzt. Dabei wird nur eingeschränkt getestet, Kontakte werden nicht hinreichend nachverfolgt oder Daten werden direkt gefälscht.

Die Arbeiter sollten auch nicht vergessen, dass das Argument, aufgrund sinkender Infektionszahlen könne die Wirtschaft unbedenklich geöffnet werden, auch früher schon verwendet wurde. Eben darin bestand die Politik der Trump-Administration nach den ersten Lockdowns im März 2020. Ende April/Anfang Mai 2020 verwies sie auf den leichten Rückgang und darauf, dass es nun genügend persönliche Schutzausrüstungen und Beatmungsgeräte gebe. Daher könnten die Autofabriken und andere Schlüsselbereiche der US-Wirtschaft wieder geöffnet werden.

Wie absehbar, waren die Folgen katastrophal. Es setzte eine zweite Welle ein, die im Sommer erneut zu Zehntausenden von Todesopfern führte. Anschließend folgten wieder begrenzte Lockdown-Maßnahmen. Diese wurden dann mit der Begründung aufgehoben, dass vermehrte Tests und neu entwickelte Therapeutika zur Verfügung stünden. Was folgte, war der bisher schwerste Anstieg von Infektionen und Todesfällen in den USA und weltweit.

Arbeiter müssen für die Ausrottung von Covid-19 kämpfen. Diese Perspektive wurde bereits von der britischen Mutter Lisa Diaz aufgegriffen, die am 1. Oktober den ersten weltweiten Schulstreik gegen unsichere Wiedereröffnungen organisierte und zu einem zweiten aufgerufen hat. „Angesichts der Tatsache, dass unsere Politiker nichts tun, um uns zu schützen, schlage ich einen weiteren Schulstreik vor“, erklärte sie. „Lasst uns ein deutliches Zeichen setzen, eine weltweite Botschaft, dass wir nicht zulassen werden, dass unsere Kinder zu Kollateralschäden werden. Sie dürfen nicht zu einer leichten Beute werden.“

Diese Initiative drückt eine breite Stimmung in der Arbeiterklasse aus, die unter anderem darin zum Ausdruck kommt, dass Diaz' jüngster Aktionsaufruf innerhalb von 24 Stunden mehr als 42.000 Mal aufgerufen wurde. Millionen von Menschen wollen nicht nur das Schlimmste verhindern. Sie wollen auch eine wissenschaftlich fundierte Strategie gegen die Pandemie, um dem seit fast zwei Jahren andauernden unnötigen Leiden und Sterben ein Ende zu setzen.

Die objektive Grundlage für eine solche Strategie wird auf einer Online-Veranstaltung vorgestellt, zu der die World Socialist Web Site und die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees am 24. Oktober einladen. Sie trägt den Titel „How to end the pandemic: the case for eradication“ („Wie die Pandemie beendet werden kann: Ein Plädoyer für die Ausrottung des Virus“). Wissenschaftler und Arbeiter werden über den Stand der Pandemie berichten und erklären, weshalb Covid-19 weltweit ausgerottet werden muss. Alle, die nach einem Weg suchen, Leben zu retten, sollten die Veranstaltung möglichst breit bekannt machen und sich noch heute anmelden.

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