Politische Krise nach Parlamentswahl in Tschechien

Tschechien steckt nach der Abgeordnetenhauswahl vom 8. und 9. Oktober in einer handfesten politischen Krise.

Nachdem das Wahlergebnis die politische Landschaft des EU-Staats durcheinandergewirbelt hatte, erkrankte Staatspräsident Milos Zeman, ohne den keine neue Regierung ernannt werden kann, offenbar schwer. Nun werden seine Entmachtung und die Übertragung seiner Befugnisse vorbereitet. Gleichzeitig überschattet ein massiver Anstieg der Coronazahlen die politischen Machtkämpfe.

Noch-Regierungschef Andrej Babiš mit seinem österreichischen Amtskollegen Sebastian Kurz, der bereits zurückgetreten ist (Bild: Regierung Österreich / CC BY-SA 2.0)

Aus der Parlamentswahl ging das rechts-konservative Bündnis Spolu (Gemeinsam) sehr knapp als Sieger hervor. Mit 27,8 Prozent der Stimmen lag das Dreierbündnis vor der Partei ANO von Premierminister Andrej Babiš (27,1 Prozent). Das Bündnis der Piratenpartei und der Bürgermeisterpartei STAN erzielte 15,6 Prozent, gefolgt von der rechtsradikalen Partei Freiheit und direkte Demokratie (SPD) mit 9,6 Prozent.

Sowohl die Sozialdemokraten (CSSD) als auch die Kommunistische Partei (KSCM), die beide aus der ehemaligen stalinistischen Staatspartei hervorgegangen sind, scheiterten an der Vierprozenthürde und sind erstmals seit der politischen Wende vor 30 Jahren nicht mehr im Parlament vertreten. Die Parteichefs – Jan Hamáček und Vojtěch Filip – kündigten noch am Wahlabend ihren Rücktritt an. Beide koalierten bzw. unterstützten bisher die Regierung von Premier Babiš. Da beide Parteien seit Jahren von internen Grabenkämpfen aufgerieben werden, könnte die empfindliche Niederlage ihr politisches Ende bedeuten.

Die Regierungskoalition war in der Bevölkerung zutiefst verhasst. Mehrmals kam es zu Massenprotesten gegen die Regierung. Der Unternehmer und Multimilliardär Babiš verfolgte ein Programm, das sich gegen die große Mehrheit der Bevölkerung richtete. Am deutlichsten zeigte sich das in der Corona-Politik. Von den 10,7 Millionen Einwohner des Landes haben sich über 1,7 Millionen infiziert, 30.600 sind an Covid-19 gestorben. Nach den jüngsten Lockerungen der Schutzmaßnahmen schnellen die Zahlen wieder rasant nach oben.

Aktuell befinden sich 771 Covid-Patienten in den Kliniken des Landes, 60 Prozent mehr als vor einer Woche. Die Reproduktionszahl, die monatelang unter eins lag, ist auf 1,8 hochgeschnellt. Innerhalb einer Woche ist die Sieben-Tage-Inzidenz von 90 auf über 150 gestiegen. Die Zahl der täglichen Neuinfektionen lag zuletzt bei rund 3600 und damit um 2100 höher als vor einer Woche.

Der dramatische Anstieg liegt zum einen an der niedrigen Impfquote von 56 Prozent, vor allem aber am nahezu völligen Aufheben jeglicher Schutzmaßnahmen. Obwohl die dritte Welle das Land brutal erfasst und die Kliniken in den Kollaps getrieben hat, beschlossen die Regierungsparteien im Sommer, alle Maßnahmen, selbst das Tragen von Mund-Nasen-Schutz am Arbeitsplatz und in öffentlichen Räumen, aufzuheben.

Vor allem die KSCM betätigte sich hier als rechter Einpeitscher. Sie forderte auf dem Höhepunkt der letzten Welle, alle Maßnahmen aufzuheben, und drohte damit, Babiš andernfalls nicht weiter zu unterstützen.

Schließlich deckten die Pandora Papers auf, dass Babiš 2009 mit Hilfe einer undurchsichtigen Offshore-Konstruktion und drei Briefkastenfirmen ein Herrenhaus und drei Hektar Land an der französischen Côte d'Azur erworben hatte. Dabei handelt es sich nicht um die ersten Vorwürfe dieser Art gegen den Unternehmer, der durch die Privatisierungen Anfang der 90er Jahre zu einem der reichsten Männer des Landes geworden war.

Ungeachtet dessen erklärte Staatspräsident Zeman, dass er Babiš trotz der Wahlniederlage erneut mit der Regierungsbildung beauftragen werde. Am 10. Oktober wurde Zeman dann in die Universitätsklinik in Prag eingeliefert. Er ist möglicherweise auf unabsehbare Zeit nicht amtsfähig.

Die Übertragung der Vollmachten des vom Volk direkt gewählten Präsidenten auf eine andere Person ist nur mit Zustimmung beider Kammern des Parlaments möglich. Im Senat haben die Mitte-Rechts-Parteien, die eine neue Regierung bilden könnten, bereits die Mehrheit. Im Abgeordnetenhaus ist dies erst nach der konstituierenden Sitzung vom 8. November der Fall. Bis dahin arbeitet es noch mit der alten Mehrheit von ANO, Sozialdemokraten und Kommunisten.

Es ist allerdings auch möglich, dass Zeman bis dahin wieder amtsfähig ist und einen Regierungschef vorschlägt. Wegen mangelnder Unterstützung hat Babiš mittlerweile selbst angekündigt, in die Opposition zu gehen. Damit hat der Kopf des rechst-konservativen Wahlbündnisses Spolu, Petr Fiala, die besten Chancen, neuer Regierungschef zu werden.

Spolu besteht aus den drei Parteien ODS, TOP 09 und KDU-CSL. Alle drei waren in unterschiedlichen Konstellationen an früheren Regierungen beteiligt.

Die ODS (Demokratische Bürgerpartei) war unter ihrem Gründer Václav Klaus seit den 1990er Jahren neben der sozialdemokratischen CSSD die bestimmende Kraft in der Tschechischen Republik. Doch die marktradikale Politik, die zu Armut und Arbeitslosigkeit führte, bescherte der Partei immer höhere Verluste. Fiala selbst war 2013 Bildungsminister und führt die Partei seit Anfang 2014. Auch TOP 09 und die erzkonservativen Christdemokraten sind in den letzten Jahren immer weiter nach rechts gegangen und haben keine breite Basis.

Fiala kann nur gemeinsam mit dem Wahlbündnis aus Piraten und STAN (Bürgermeister und Unabhängige) eine Mehrheit erreichen. Auch diese beiden Parteien stehen weit rechts. Die Piratenpartei ist in Tschechien bereits seit Jahren etabliert. Mit Zdeněk Hřib stellt sie in der Hauptstadt Prag den Bürgermeister. Hřib setzt dort ein Programm um, dass völlig auf die gehobene Mittelschicht und die Superreichen zugeschnitten ist.

Seit Beginn seiner Amtszeit sind die Mieten weiter massiv angestiegen. Mittlerweile gehört Prag zu den europäischen Städten mit den höchsten Mieten. Einfache Arbeiterfamilien müssen immer häufiger außerhalb der Stadt oder in die Randgebiete ziehen, weil sie sich die Mieten nicht mehr leisten können. Zynischerweise warb das Zwei-Parteien-Bündnis im Wahlkampf mit einem Slogan für „bezahlbaren Wohnraum für ein menschenwürdiges Leben“.

Piraten-Chef Ivan Bartoš personifiziert den zutiefst zynischen und abstoßenden Charakter dieser reaktionären Partei. Während sich die Piraten im Wahlkampf als liberale, offene Partei gaben und gegen die „Oligarchen“ und ihre rechte Politik wetterten, steht Bartoš selbst für eine solche Politik.

Im Abgeordnetenhaus arbeitete er mit der ultrarechten SPD von Tomio Okamura zusammen. „Wir machen keinen Unterschied, wenn wir etwas im Parlament durchsetzen müssen,“ rechtfertigt Bartoš das Bündnis mit Faschisten. Man müsse auch mit Leuten sprechen, die „rassistisch oder populistisch“ seien oder „Hassreden halten und die Gesellschaft spalten“, so Bartoš. „Aber im Parlament muss man pragmatisch sein, am Ende zählen die Stimmen.“

Auch die Bürgermeisterpartei STAN steht rechts und rekrutiert ihre Mitglieder im Wesentlichen aus unzufriedenen ehemaligen Mitgliedern anderer konservativen Parteien. Sie tritt für einen rückständigen Regionalismus ein und ist offen für jegliche Bündnisse, wenn dabei die Aussicht auf Posten und Ämter winkt.

Ungeachtet wer die künftige Regierung stellen wird, zeigt die gegenwärtige Situation eines sehr deutlich. Die Arbeiterklasse ist in Tschechien und ganz Osteuropa mit grundsätzlichen Fragen konfrontiert. 30 Jahre kapitalistische Herrschaft haben nicht zu Demokratie und einem besseren Lebensstandard der Arbeiterklasse geführt, wie es damals von allen Verteidigern der Restauration versprochen wurde. Stattdessen sind die Parlamente zum Sammelpunkt rechter und reaktionärer Elemente geworden, die keinerlei Basis in der breiten Bevölkerung haben.

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