Öffentlicher Dienst: Erster Warnstreik in der Tarifrunde der Landesbeschäftigten

Gestern gingen mehrere Hundert Beschäftigte des öffentlichen Diensts in Hamburg zu Kundgebungen und Protesten auf die Straße. Die Beschäftigten der Länder – Landesbetriebe, Hochschulen, Schulen, Uni-Kliniken, Sozialbehörde usw. – sind bereit, nach mehr als 18 Monaten Corona-Pandemie für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Geld zu kämpfen. Doch die Gewerkschaften bereiten einen Ausverkauf vor.

Warnstreik und Kundgebung in Hamburg

Die aktuelle Tarifrunde betrifft bundesweit rund 1,1 Millionen Tarifbeschäftigte. Dazu kommen rund 1,4 Millionen Beamte sowie rund eine Million Versorgungsempfänger, auf die der Abschluss übertragen werden soll.

Die Tarifverhandlungen begannen bereits am 8. Oktober mit einem ersten Treffen der Verhandlungsführer der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) unter dem Vorsitz von Reinhold Hilbers (CDU) und der Gewerkschaften Verdi, GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft), IG BAU und GdP (Gewerkschaft der Polizei). „Sachlich und freundlich im Ton, in der Sache weit auseinander,“ bilanzierte der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke das Treffen.

Die Runde wird am kommenden Montag und Dienstag in Potsdam weitergeführt. Der gestrige ganztägige Warnstreik in der Hansestadt sollte ein wenig Druck ablassen, denn die Vertreter der Landesregierungen hatten bereits in der ersten Runde die Forderungen der Gewerkschaften arrogant zurückgewiesen.

Hilbers, niedersächsischer Finanzminister der von Stefan Weill (SPD) geführten Großen Koalition, erklärte die Forderungen der Gewerkschaften seien „illusorisch“ und verwies unter anderem auf die Kosten der Coronapandemie.

„Wir streben eine schnelle Konsolidierung der Haushalte ohne neue Schulden an“, sagte Hilbers der dpa zum Verhandlungsauftakt. „Bei einem Anteil der Personalkosten von durchschnittlich 45 Prozent des Haushaltsvolumens wird dieser Bereich einen nennenswerten Betrag leisten müssen.“

Laut Verdi drohte Hilbers sogar damit, dass die Landesregierungen einen Abschluss, der aus ihrer Sicht oberhalb ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit liegt, mit Personalabbau beantworten würden.

Das heißt, dass die Lehr- und Pflegekräfte, Sozialarbeiterinnen und -arbeiter und Erzieherinnen, die in der Corona-Pandemie in vorderster Front arbeiten, nun auch noch dafür bezahlen sollen, indem sie Reallohnsenkungen akzeptieren und jede Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen aufgeben.

Hilbers sprach sich gegen einen Ausgleich der Preissteigerungen im laufenden und kommenden Jahr aus, die er mit 2,1 und 1,9 Prozent bezifferte. Tatsächlich liegt die Inflation in Deutschland derzeit bei 4,1 Prozent, Tendenz steigend. Das lässt erahnen, dass die Landesregierungen massive Reallohnsenkungen und Arbeitsplatzabbau planen, anstatt der Einstellung neuer Arbeitskräfte in den Schulen, Universitäten, Kliniken und Behörden.

Selbst im Gesundheitswesen sieht Hilbers keinen Handlungsbedarf. In der Tarifrunde 2019 seien bereits Verbesserungen für diesen Bereich vereinbart worden, soll er laut Verdi erklärt haben. Die Corona-Pandemie sei eine einmalige Sonderbelastung gewesen, die keine dauerhafte Erhöhung der Löhne rechtfertige. Auch ein Mangel an Fachkräften im öffentlichen Dienst sei „nur in wenigen Bereichen spürbar und betreffe alle Arbeitgeber gleichermaßen“, schreibt Verdi. „Mehr Geld helfe da auch nicht.“

Verdi und die GEW beklagen sich bitter über diese Äußerungen Hilbers. Aber grundsätzlich stehen sie auf seiner Seite. Die Gewerkschaften haben in der gesamten Zeit der Corona-Pandemie nichts für die Sicherheit der Beschäftigten in Kliniken, Betrieben, Behörden sowie den Lehrkräften, Kindern und Jugendlichen in den Schulen getan. Den Streik in den Kliniken der Berliner Charité und beim Vivantes-Klinik-Konzern hat Verdi erst kürzlich ausverkauft.

Die GEW hält auch weiterhin ihre Forderung aufrecht, dass die Schulen geöffnet bleiben, obwohl durch die kriminelle Corona-Politik der Länder die Infektionen gerade in den Schulen hochschnellen. In einigen Landkreisen in Thüringen und Bayern betragen die Inzidenz-Zahlen unter Schülerinnen und Schülern über 1000. Das von der Linken regierte Thüringen und das von der CSU regierte Bayern haben alle Gesundheitsschutzmaßnahmen an Schulen in vollen, oft schlecht zu lüftenden Klassenzimmern abgeschafft – einschließlich der Maskenpflicht und in Thüringen auch der regelmäßigen Tests.

Diese Durchseuchung der Schulen ist angesichts der Studien zu Corona-Langzeitfolgen bei Kindern verbrecherisch. Hier werden Gesundheit und Leben der Schwächsten bewusst der Wirtschaft geopfert.

Die GEW ficht das nicht an. Ihre Vorsitzende Maike Finnern plädiert seit Monaten für die Beibehaltung offener Schulen. Letzten Monat hatte sie vor erneuten Schul- und Kita-Schließungen in diesem Herbst und Winter gewarnt. „Schon jetzt sind teilweise ganze Klassen in Quarantäne,“ beklagte sie gegenüber Business Insider.

Nun hält sie die Schulen für den bevorstehenden Corona-Herbst besser gerüstet als im vergangenen Jahr. Die Impfquote unter den Beschäftigten in den Schulen sei außerordentlich hoch, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschlands (RND). Die Gesundheit der Kinder scheint nebensächlich zu sein. „Wird der Präventionsweg weiter konsequent beschritten, können die Schulen geöffnet bleiben,“ sagte sie.

Die Gewerkschaften sorgten bislang dafür, dass die Beschäftigten die Folgen der mörderischen Durchseuchungspolitik zu tragen haben – im Job und persönlich durch Infektion, Krankheit und Tod. Nun versuchen sie auch, dafür zu sorgen, dass die Beschäftigten für diese Politik zahlen.

Die Gewerkschaften fordern 5 Prozent bei einer Laufzeit von 12 Monaten, mindestens aber 150 Euro monatlich, im Gesundheitswesen mindestens 300 Euro. Außerdem soll es 100 Euro monatlich mehr für alle Auszubildenden geben. Für studentische Hilfskräfte steht ein Tarifvertrag auf der Forderungsliste. Die GEW hat zudem einmal mehr die gleiche Bezahlung von angestellten und verbeamteten Lehrerinnen und Lehrern angemahnt. Auch über die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im Straßenbetriebsdienst und Straßenbau soll verhandelt werden.

Die Vertreter der Länder haben erklärt, dass nur über die lineare Erhöhung der Gehälter verhandelt werde.

Hier ist ein Blick auf die letzte Tarifrunde vor knapp drei Jahren hilfreich. Damals hatten die Gewerkschaften 6 Prozent bei einer Laufzeit von 12 Monaten, mindestens aber 200 Euro monatlich gefordert. Abgeschlossen hatten sie dann einen Tarifvertrag mit einer Laufzeit von 33 Monaten und Gehaltssteigerungen von durchschnittlich weniger als 3 Prozent pro Jahr. Angebliche „Strukturverbesserungen“ wurden durch Kürzungen an anderer Stelle, wie beim Weihnachtsgeld, zurückgeholt. Jetzt sind die Forderungen geringer, die Inflation höher und die Belastungsgrenze der Beschäftigten weit überschritten.

Verdi, GEW, IG BAU, GdP und auch die Beamtenorganisationen werden alles tun, um die Kosten der Corona-Pandemie auf die Beschäftigten abzuladen. Diese können daher ihre mehr als berechtigten Forderungen nur umsetzen, wenn sie beginnen, sich von den Gewerkschaften unabhängig zu organisieren.

Ein erster Schritt muss die Gründung von Aktionskomitees sein, die den Arbeitskampf in die eigenen Hände nehmen und geeignete Maßnahmen diskutieren, v. a. wie der Arbeitskampf ausgedehnt werden kann auf andere Teile der Arbeiterklasse – im öffentlichen Dienst und darüber hinaus. Lehrerinnen und Lehrer, Pflegekräfte, Erzieherinnen, Sozialarbeiter und alle Beschäftigten, die sich nicht mehr von Verdi, GEW und Co. vertreten fühlen, sollten uns kontaktieren.

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