Trotz Warnungen vor tödlicher Omikron-Welle: Ministerpräsidentenkonferenz verweigert Lockdown

Die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) am Dienstag unterstrich erneut, dass die herrschende Klasse bereit ist, für die Profite der großen Unternehmen und Superreichen über Leichen zu gehen. Obwohl mit der Omikron-Variante ein noch nie dagewesenes Ausmaß an Infektionen und Todesfällen, die völlige Überlastung der Gesundheitssysteme und der Zusammenbruch wichtiger Lebensmittel- und Energieinfrastrukturen droht, verständigten sich Bund und Länder darauf, keine ernsthaften Maßnahmen zu ergreifen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Mitte, flankiert von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wuest, links, und Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey auf der Pressekonferenz nach der Ministerpräsidentenkonferenz (Bernd von Jutrczenka/Pool Photo via AP)

Das Beschlusspapier der MPK sieht lediglich einige wenige Kontaktbeschränkungen ab dem 28. Dezember vor. Ab dann sollen „private Zusammenkünfte von Geimpften und Genesenen nur noch mit maximal 10 Personen erlaubt“ sein. „Clubs und Diskotheken (‚Tanzlustbarkeiten‘) in Innenräumen [werden] geschlossen“ und „überregionale Großveranstaltungen“ sollen „ohne Zuschauer“ stattfinden. Zudem wird bei „Treffen mit mehreren Personen außerhalb des eigenen Haushaltes... die vorsorgliche Testung – auch für geimpfte Personen – empfohlen“.

Einen umfassenden Lockdown, der notwendig wäre, um die Omikron-Gefahr abzuwenden und die Pandemie einzudämmen und letztlich sogar zu eliminieren, erwähnt das Papier mit keinem Wort. Bereits vor der MPK hatten sich Regierungsvertreter – darunter der sozialdemokratische Gesundheitsminister Karl Lauterbach – immer wieder vehement gegen die notwendige Schließung der Schulen und nicht lebensnotwendigen Produktion ausgesprochen.

Dabei wissen sie genau, welche Katastrophe droht. So prognostiziert das Beschlusspapier gestützt auf die Einschätzung des Expertenrats der Bundesregierung „eine explosionsartige Verbreitung“ des Virus. Die neue Variante verbreite sich „sehr viel schneller und einfacher von einem Menschen auf den anderen“ und unterlaufe außerdem „einen bestehenden Infektionsschutz“. Sie infiziere „damit in kürzester Zeit deutlich mehr Menschen und bezieht auch Genesene und Geimpfte stärker in das Infektionsgeschehen ein.“

Es sei mit „einer sehr hohen Krankheitslast durch Omikron zu rechnen“. Die „stark steigenden Infektionszahlen und deren Folgen“ könnten dabei „ein Ausmaß erreichen, dass die kritische Infrastruktur (KRITIS, unter anderem Krankenhäuser, Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste, Telekommunikation, Strom- und Wasserversorgung sowie die entsprechende Logistik) in ihrer Funktionsweise eingeschränkt wird.“

Trotzdem ist die Regierung entschlossen, nichts gegen die drohende Katastrophe zu unternehmen. Bei der Pressekonferenz im Anschluss an die MPK erkläre Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lapidar: „So schnell wie erhofft, ist es nicht vorbei“. Die Omikron-Variante werde die Zahl der Infektionen massiv steigen lassen. „Darauf müssen wir uns jetzt einstellen.“

Die wirtschaftlichen und politischen Interessen hinter der kriminellen Untätigkeit der Regierung, die das Leben von Hunderttausenden bedroht, sind offensichtlich. Während der gesamten Pandemie lag der Fokus der herrschenden Klasse nicht auf der Gesundheit und dem Leben der Bevölkerung, sondern den Profitinteressen der großen Unternehmen und Finanzmärkte. Diese sind während der Pandemie regelrecht explodiert. Bezeichnenderweise legte der DAX auch am Dienstag um mehr als 200 Punkte zu und schloss mit einem Plus von 1,36 Prozent.

Um die „Profite vor Leben“-Politik unvermindert aufrechtzuerhalten, greift die Regierung selbst seine eigene Forschungseinrichtung an. Kurz vor Beginn der MPK forderte das Robert Koch-Institut (RKI) in einem Strategiepapier „maximale Kontaktbeschränkungen“, die „sofort beginnen“ sollten. Medienberichten zufolge sollen sich Scholz und Lauterbach während der MPK verärgert über die RKI-Forderungen gezeigt haben. Sie seien nicht abgestimmt gewesen, habe sich Lauterbach beschwert.

Bereits bevor die Omikron-Variante auftrat, wischte die Regierung die offiziellen Warnungen der WHO beiseite, dass in diesem Winter 400.000 bis 700.000 Menschen in Europa an Covid-19 sterben könnten - zusätzlich zu den fast 1,5 Millionen, die bereits gestorben sind. Jetzt warnen Wissenschaftler in ganz Europa, dass mit der hochgradig übertragbaren, impfstoffresistenteren Omikron-Variante ein weitaus größeres Ausmaß an Todesfällen und sozialen Verwerfungen droht.

Professor Mahmoud Zureik von der Universität Versailles warnte, dass der am Freitag von Gesundheitsminister Olivier Véran angekündigte Vorschlag der französischen Regierung, die Impfpflicht einzuführen, unzureichend ist. „Die am Freitag angekündigten Maßnahmen sind sehr zaghaft, sie sind nicht dazu geeignet, die Infektionskurve zu senken“, sagte er dem Journal du Dimanche (JDD).

Auf die Frage, ob die derzeitige Politik zu einer „gelähmten Gesellschaft führen würde, in der ein großer Teil der Bevölkerung, der entweder infiziert ist oder unter dem Verdacht steht, infiziert zu sein, zu Hause bleibt“, antwortete Zureik: „Das ist derzeit die Hauptsorge. In Großbritannien verdoppelt sich die Zahl der auf Omikron zurückzuführenden Fälle derzeit in weniger als zwei Tagen. Es besteht die Gefahr, dass das Gesundheitssystem unter extremen Stress gerät, und über die Krankenhäuser hinaus wird die Nachfrage nach Tests und Arztbesuchen sehr hoch sein.“

Zureik warnte, dass eine solche Masseninfektionen nicht nur zu einer hohen Zahl von Todesfällen, sondern auch zum Zusammenbruch kritischer Infrastrukturen führen würde. Er sagte: „Die Auswirkungen werden zuerst bei den Angehörigen der Gesundheitsberufe zu spüren sein, die sich in einem Dilemma befinden: Wenn sie infiziert sind und sich isolieren, haben wir nicht genügend Gesundheitspersonal, aber wenn sie bleiben, können sie ihre Kollegen und Nicht-Covid-Patienten anstecken. Dann könnte das Land gelähmt sein, wenn zentrale Arbeitsplätze, wie Supermarktkassierer, nicht besetzt sind.“

Zureik weiter: „Gegenwärtig sind die Schulen der Hauptmotor der Virusübertragung in den westeuropäischen Ländern.“ Er verwies auf eine noch nie dagewesene Zahl von Kinderhospitalisierungen in Frankreich – 210 allein in der letzten Woche für Kinder unter 9 Jahren. Er forderte die französische Regierung auf, „eine klare, proaktive operative Strategie zu verfolgen, die auf Homeoffice, Belüftung, Kontrolle der Luftqualität und massiver Kommunikation mit der Öffentlichkeit über diese Herausforderungen beruht“.

Die bittere Erfahrung hat gezeigt, dass die europäischen Regierungen ihre mörderische Politik der Masseninfektionen fortsetzen, unabhängig von den Auswirkungen auf die Krankenhäuser und den Verlust von Menschenleben.

Noch bevor die Omikron-Welle ganz Kontinentaleuropa erreicht, stehen die Gesundheitssysteme nach zwei Jahren der Überlastung am Rande des Zusammenbruchs. Dr. Arnaud Chiche erklärte gegenüber France Télévisions: „Die Situation ist so dramatisch, dass wir nicht genügend Betten in der Kardiologie oder Neurologie haben. Wir haben Schwierigkeiten, Menschen zu behandeln, die einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt erleiden.“

Schon jetzt seien „80 Prozent der Krankenhausbetten mit Covid-19-Patienten belegt, viele Notdienste und mobile Notfallteams sind wegen Personalmangels geschlossen, es fehlen überall Betten, und die Ärzte haben Schwierigkeiten, Patienten in die Krankenhäuser zu bringen. ... Es liegt ein Gefühl in der Luft, als ob es Februar 2020 wäre, wir sind alle besorgt. Wir haben den Eindruck, dass etwas sehr Ernstes passieren wird.“

„Wir alle haben Angst, von etwas sehr Großem überholt zu werden, was den Zustrom von Patienten betrifft. Das Gesundheitspersonal wird wie immer sein Bestes geben, das ist unsere Aufgabe... Aber die Regierung ist im Unrecht“, so Chiche, der einen „großen Marshallplan“ zur Unterstützung der Krankenhäuser fordert.

Die einzige Möglichkeit, eine schreckliche Katastrophe abzuwenden, besteht darin, die Schulen und nicht lebensnotwendigen Betriebe zu schließen, um die Infektionsrate zu senken. Sobald die Übertragung des Virus weit zurückgedrängt ist, wie es bei den ersten Lockdowns in China und Europa im Frühjahr 2020 der Fall war, können die Rückverfolgung von Kontakten und die Isolierung infizierter Personen zusammen mit Massenimpfungen und anderen wissenschaftlich empfohlenen Maßnahmen die Übertragung des Virus verhindern.

Eine solche Politik kann jedoch nur durch eine bewusste, internationale Massenmobilisierung der Arbeiterklasse durchgesetzt werden. Sie erfordert eine massive finanzielle Unterstützung von Beschäftigten, Selbstständigen und kleinen Unternehmen, damit sie einen Lockdown finanziell unbeschadet überstehen können. Darüber hinaus bedarf es eines politischen Kampfes, um eine herrschende Elite zu entmachten, die immer wieder ihre Verachtung für das menschliche Leben und ihre Entschlossenheit gezeigt hat, dem Virus ohne Rücksicht auf die Konsequenzen freien Lauf zu lassen.

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