Vereinigtes Königreich

Die Arbeiterklasse muss die krisengeschüttelte Johnson-Regierung zu Fall bringen

Die britische Tory-Regierung wurde durch neue Enthüllungen über ihre Gleichgültigkeit gegenüber dem menschlichen Leid, das ihre kriminelle Reaktion auf die Pandemie verursacht hat, in eine verzweifelte Krise gestürzt.

Premierminister Boris Johnson bei einer Online-Kabinettssitzung in der Downing Street 10 am 5. Januar 2022 (Simon Dawson/No 10 Downing Street)

Seit durch Leaks bestätigt wurde, dass Boris Johnson gemeinsam mit weiteren 40 führenden Tories und ihren Angestellten an einer Gartenparty in der Downing Street teilgenommen hat, gilt der Premierminister politisch als „lebender Toter“.

Am Mittwoch sah er sich im Parlament zu einer verzweifelten und widerwilligen Entschuldigung gezwungen, behauptete aber weiterhin, die Veranstaltung am 20. Mai 2020 sei ein geschäftliches Treffen gewesen und habe deshalb nicht gegen die Lockdown-Regeln verstoßen. Die Hinterbliebenenorganisation Covid-19 Bereaved Families for Justice erklärte dazu, seine Entschuldigung habe „noch mehr Salz in die Wunden derjenigen gestreut, die in dieser Pandemie bereits so viel verloren haben... Er kann einfach nicht die Wahrheit sagen, und deshalb muss er gehen.“

An dem Tag, an dem Johnson und Konsorten das „schöne Wetter“ ausnutzten, wie es auf einer Einladung von Johnsons Privatsekretär Martin Reynolds hieß, starben offiziell 329 Menschen an Covid-19, die Gesamtzahl der Toten stieg auf fast 35.000.

Millionen Menschen in ganz Großbritannien wollen Johnsons Rücktritt, da er von seinem Kurs auf Herdenimmunität auch nicht abrückte, als er auf Druck der Öffentlichkeit hin Teil-Lockdowns vom 23. März bis zum 23. Juni 2020 und vom 6. Januar bis zum 19. Juli 2021 verhängen musste. Er ist ein verhasster gewohnheitsmäßiger Lügner und Massenmörder, dessen wütender Ausruf „Keine verdammten Lockdowns mehr! Sollen sich die Leichen doch zu tausenden auftürmen!“ für immer in Erinnerung bleiben wird.

Johnson zu besiegen, erfordert einen unabhängigen politischen und sozialen Kampf gegen alle politischen Vertreter des Großkapitals.

Doch niemand wird auch nur für einen Augenblick lang glauben, dass die Angriffe von Johnsons Gangsterkollegen vom rechten Flügel der Tories auf den Premierminister irgendetwas mit der Empörung der Bevölkerung über dessen Verhalten zu tun haben. Vielmehr nutzen die Tories die Leaks, die von Johnsons verbittertem ehemaligen Berater Dominic Cummings ausgehen, um sich auf eine massive Offensive der Arbeiterklasse vorzubereiten. Sie werden ihre mörderischen Pläne verschärfen und das Virus ohne irgendwelche Mitigationsmaßnahmen in der Bevölkerung wüten lassen.

Die zentrale Kritik der Hinterbänkler-Gruppierungen 1922 Committee und Covid Recovery Group lautet, dass Johnson Willensschwäche gezeigt habe, indem er während der Pandemie überhaupt Zugeständnisse gemacht habe. Ein Abgeordneter bezeichnete dies als „Herrschaft der Sage [scientific advisory group]“ der wissenschaftlichen Beratergruppe der Regierung. Diese Parlamentarier wollen ihn zu Gunsten eines Nachfolgers absetzen, der eine Politik des Massensterbens, der brutalen Ausbeutung am Arbeitsplatz und der sozialen Kürzungspolitik gegen den Widerstand der Arbeiterklasse durchsetzen kann.

Die Kolumnistin Allison Pearson erklärte im Daily Telegraph, dem Sprachrohr der Tories: „Wir dürfen nie wieder zulassen, dass eine Regierung so große Kontrolle über unser Leben ausübt. Wir dürfen nie wieder zulassen, dass elende Heuchler nach eigenem Gutdünken völlig unverhältnismäßige Maßnahmen einführen, obwohl sie wussten, wie groß die Risiken wirklich sind.“

Die Redakteure des Telegraph fuhren fort, Johnson befinde sich in Schwierigkeiten, weil „der Lockdown von 2020 so viele unverhältnismäßige Verbote von völlig harmlosen Aktivitäten“ umfasste. „Wir befinden uns jetzt in einer ähnlichen Position, mit Regeln, die nicht mehr gerechtfertigt sind, wenn sie es denn je waren.“

Als Beispiele nannte der Telegraph die Maskenpflicht für Schüler im Klassenzimmer, Homeoffice-Richtlinien und die Tatsache, dass die Quarantänezeit bei Covid-19 noch nicht auf fünf Tage gekürzt wurde. Weiter hieß es: „Das sind überzeugende Argumente für die Abschaffung der verbliebenen Regulierungen vor ihrem offiziellen Auslaufen am 26. Januar... Auch die Maskenpflicht und Massentests sollten abgeschafft werden.“

Sir Bernard Ingham, der wichtigste Berater von Margaret Thatcher, machte im Express deutlich, welches Ausmaß die geplanten Angriffe auf die arbeitende Bevölkerung haben werden. Er wies darauf hin, dass die Regierung mit einem Haushaltsdefizit von 300 Milliarden Pfund und Staatsschulden von zwei Billionen Pfund konfrontiert ist und verglich dies mit dem Haushaltsdefizit, das der Labour-Premierminister Gordon Brown den Tories 2010 hinterlassen hatte: „Die Folge war das, was die Linke – und sogar einige Tories – als 'Austerität' bezeichnet haben, und was bewiesen hat, dass einige Politiker kein Gefühl für Verhältnismäßigkeit haben ... Die Tatsache, dass es unter einer relativ verantwortungsbewussten Tory-Führung zehn Jahre dauerte, bis dieses Defizit fast beseitigt war, zeigt unmissverständlich, was die heutige Situation von Boris Johnson verlangt.“

Es ist müßig, darüber zu spekulieren, wie lange sich Johnson noch an der Macht halten kann. Er muss bereits zu dem Appell Zuflucht nehmen, auf die Ergebnisse der Beamtin Sue Gray zu warten, deren offizielle Untersuchung ganze vier Lockdown-Parties in Augenschein nehmen wird. Weil er im Parlament eine Mehrheit hinter sich hat, müssten die Tories ihn absetzen, doch mehrere Hinterbänkler und der Vorsitzende der schottischen Tories, Douglas Ross, haben ihn bereits zum Rückzug aufgefordert. Finanzminister Rishi Sunak befand sich am Mittwoch demonstrativ in Ilfracombe in Abwesenheit.

Der grundlegende Aspekt besteht darin, dass die Tory-Rechten in Wirklichkeit einen Klassenkrieg betreiben, der die Austeritätsmaßnahmen nach dem Wirtschaftscrash von 2008 weit in den Schatten stellen wird.

Die Rücktrittsforderungen von Labour-Chef Sir Keir Starmer, dem Vorsitzenden der Liberal Democrats Ed Davey und dem Fraktionsführer der Scottish National Party (SNP) Ian Blackford sind politisch verlogen. Sie haben keine Einwände gegen die Herdenimmunitätsagenda der Regierung Johnson und werden gerne mit Johnsons Tory-Nachfolger zusammenarbeiten.

Starmer wurde am 4. April 2020 zum Labour-Vorsitzenden gewählt und versprach kaum sieben Wochen vor Johnsons Gartenparty, seine Partei werde nur „konstruktive Kritik“ an der Regierung üben. Seither hat er die Tories in jeder Frage unterstützt und u.a. behauptet, Johnson hätte die „moralische Pflicht“ gehabt, im September 2020 die Schulen wieder zu öffnen. Als er Johnson bei der Fragestunde am Mittwoch erstmals aufforderte, „das Richtige zu tun“ und zurückzutreten, hatten ihm seine Berater vorher versichert, dass der Premierminister bereits erledigt sei.

Das Gleiche gilt für die Liberal Democrats, deren Angriffe am Mittwoch sich nicht etwa auf die Zahl der Toten konzentrierten, für die Johnson verantwortlich ist, sondern auf die „Doppelzüngigkeit“ seiner Regierung, andere für Verstöße gegen den Lockdown zu Geldstrafen zu verurteilen. Die SNP ist als Regierungspartei der Regionalregierung in Schottland und damit für die Umsetzung einer Politik verantwortlich, die sich kaum von der Johnsons unterscheidet.

Selbst wenn Johnson zurücktritt, bleiben die Tories an der Macht und können ihre Angriffe fortsetzen – unterstützt von Labour und den Gewerkschaften, die seit Beginn der Pandemie vor mehr als zwei Jahren aktiv jeden Versuch der Arbeiter unterdrückt haben, Widerstand zu leisten.

In der Arbeiterklasse herrscht massive Wut und Ablehnung gegenüber dieser verhassten Regierung, die für eine soziale Katastrophe von unvorstellbarem Ausmaß verantwortlich ist. Familien müssen mehr als 176.000 schreckliche Verluste betrauern, weitere Millionen leben nach einer Infektion mit Long Covid. Allein am Mittwoch lagen mehr als 20.000 Menschen im Krankenhaus, fast 400 starben.

Wenn Johnson und seine Regierung nicht abgesetzt werden, dann werden weitere Millionen Erwachsene und Kinder erkranken und Zehntausende sterben. Arbeiter dürfen kein Vertrauen in die parlamentarischen Manöver setzen, die jetzt in den Medien zirkulieren. Stattdessen müssen sie einen unabhängigen Kampf führen, u.a. durch Streiks und Massenproteste auf der Grundlage eines sozialistischen Programms. Dieses muss notwendigerweise den Charakter einer Rebellion der Basis gegen die Labour Party und die Gewerkschaften, und auch gegen Jeremy Corbyns „linken“ Flügel der Partei annehmen. Sie alle versuchen, Arbeiter für den Aufbau von kleinen „progressiven Bündnissen“ im Parlament einzuspannen und gleichzeitig jeden echten Kampf zu sabotieren.

Eine Gegenbewegung ist bereits im Entstehen begriffen. In den USA und Frankreich mehren sich die Streiks von Lehrern, und auch in Großbritannien werden sie unweigerlich ausbrechen. Als Führung dieses Widerstandskampfes muss die Socialist Equality Party aufgebaut werden.

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