EU verhängt Sanktionen gegen Russland, Nato weitet Truppenstationierungen aus

Nachdem russische Truppen am Donnerstag Ziele in der Ukraine, ukrainische Soldaten und rechtsextreme Milizen im Osten des Landes angegriffen haben, stimmte die Europäische Union der Einführung von „sehr massiven, sehr starken“ Sanktionen gegen Russland zu, wie der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian am Donnerstagabend erklärte. Am Freitag verhängte die EU dann auch Sanktionen gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und Außenminister Sergej Lawrow.

Gleichzeitig hat Washington weitere 7.000 US-Soldaten nach Deutschland geschickt und die Nato ihre Truppen an den Westgrenzen der Ukraine und Russlands verstärkt.

Führende Politiker der Europäischen Union bei einem EU-Sondergipfel zur Ukraine im Gebäude des Europäischen Rats in Brüssel am 24. Februar 2022 (Olivier Hoslet, Archivbild via AP)

Die Nato-Mächte reagieren auf die russischen Angriffe in der Ukraine offenbar nicht mit dem Versuch, einen umfassenderen Krieg zu verhindern, sondern verschärfen den wirtschaftlichen und militärischen Druck auf Russland. Damit riskieren sie die Eskalation des Konflikts in einen Weltkrieg zwischen den großen Atommächten.

Die Sanktionen der EU werden sich gegen russische Energie- und Logistikkonzerne, Finanzunternehmen und den Handel mit „Dual-Use“-Gütern richten. Bei letzterem handelt es sich um zivile Güter mit direktem militärischen Nutzen. Daneben stellt die EU auch die Ausstellung von Visa für russische Staatsbürger ein und bereitet neue Sanktionen gegen die Vermögen von russischen Unternehmen und Personen vor. Russische Vermögen und Eigentum in der EU sollen beschlagnahmt und der Zugang russischer Banken und des russischen Staats zu Finanzmitteln in Europa ausgesetzt werden.

Mehrere EU-Staaten, darunter Deutschland, Italien und Zypern, lehnten die Forderung nach dem Ausschluss Russlands aus dem internationalen Interbanken-Zahlungssystem SWIFT ab. Durch diesen Schritt würde Russland keine Zahlungen in US-Dollar mehr leisten können und aus den meisten internationalen Finanzmärkten ausgeschlossen werden. Bundeskanzler Olaf Scholz machte auf eine Frage zu dieser Drohung jedoch deutlich, dass sie weiterhin eine Option bleibt und erklärte, man müsse sich weitere Optionen für später vorbehalten.

Russland den Zugang zu SWIFT zu verwehren, was von der Finanzpresse als „nukleare Option“ bezeichnet wird, könnte zu einer vollständigen europäischen Blockade der Energielieferungen und des Handels von Russland führen, das der EU mehr als ein Drittel ihres Erdgases liefert. Dieser Schritt wäre ein verheerender Schlag für die Weltwirtschaft, da er zu einem extremen Anstieg der Energiepreise in Europa und der Welt führen würde. Zudem würde er die Inflation, die bereits jetzt den Lebensstandard der Arbeiter zerstört, noch weiter anheizen und einen Zusammenbruch des Welthandels auslösen.

Daraus wird deutlich, dass der russische Überfall auf die Ukraine nicht nur das Ergebnis der Intrigen des russischen Präsidenten Wladimir Putin ist, wie es große Teile der europäischen Medien darstellen. Vielmehr handelt es sich dabei um die bankrotte und reaktionäre nationalistische Reaktion des Kremls auf eine unlösbare politische und wirtschaftliche Krise des gesamten Systems des Weltkapitalismus. Allerdings spielen die imperialistischen Nato-Mächte, die im Weltmaßstab die militärisch und finanziell stärkeren Positionen innehaben, die aggressivste Rolle.

Die Nato aktiviert noch nicht näher erläuterte Notfallpläne, um die Stationierung von zehntausenden Soldaten an den Grenzen der Ukraine und Russlands zu beschleunigen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte am Donnerstag: „Heute hat der Nordatlantikrat beschlossen, auf Antrag unseres Oberbefehlshabers, General Tod Wolters, unsere Verteidigungspläne zu aktivieren. ... Das wird es uns ermöglichen, Kapazitäten und Kräfte, darunter die Nato-Eingreiftruppe, dort zu mobilisieren, wo sie benötigt werden.“

Die Nato-Eingreiftruppe besteht aus 40.000 Soldaten mehrerer Nato-Staaten und ist für den Einsatz im Rahmen des Krisenreaktions-Maßnahmenplans vorgesehen. Eine 5.000-köpfige französisch-deutsche Brigade dieser Einheit ist bereits in höchster Alarmbereitschaft. Washington kündigte am Donnerstag zudem die Entsendung von weiteren 7.000 US-Soldaten in erhöhter Alarmbereitschaft nach Deutschland an. Weitere 300 Soldaten sollen nach Lettland verlegt werden, dazu Kampfflugzeuge des Typs F-35 nach Estland und Litauen.

Offensichtlich wurde darüber hinaus eine umfassende Militarisierung der Nato-Staaten selbst eingeleitet, da die Nato von den europäischen Regierungen noch nicht näher beschriebene Notfallmaßnahmen fordert.

Das deutsche Verteidigungsministerium erklärte am Donnerstag: „Die Nato hat aufgrund der aktuellen Ereignisse die Mitgliedstaaten aufgefordert, weitere Krisenreaktionsmaßnahmen auszulösen... Das Bundesministerium der Verteidigung hat nunmehr, basierend auf der Nato-Entscheidung zur Auslösung der Krisenreaktionsmaßnahmen, sogenannte nationale Alarmmaßnahmen ausgelöst. ...Das bedeutet auch, dass die Bevölkerung gegebenenfalls in den nächsten Tagen mehr militärische Bewegungen im öffentlichen Raum wahrnehmen kann. Es kann auch zu Einschränkungen im Verkehrsbereich kommen, da Transportkapazitäten zu Lande, zu Wasser und in der Luft für militärische Zwecke vorgehalten werden müssen.“

Die Behörden Polens, der Slowakei, Ungarns und Rumäniens ergreifen Notfallmaßnahmen, um Truppen zu mobilisieren, die Tausende von verzweifelten ukrainischen Flüchtlingen empfangen sollen, die vor dem russischen Einmarsch in EU-Länder an der westlichen Grenze der Ukraine fliehen.

Es wird immer klarer, dass die Nato-Großmächte eine militärische Eskalation gegen Russland vorbereiten, die das Risiko eines globalen atomaren Konflikts birgt, und eine Verschärfung der Notfallmaßnahmen im Inland planen. Sie haben bereits „Kampfgruppen“ in Polen und den baltischen Staaten stationiert, die jetzt auch in Rumänien, Bulgarien, der Slowakei und in Ungarn aufgestellt werden sollen. Le Drian selbst warnte Russland: „Die Nato ist auch ein Bündnis von Atommächten.“

Die imperialistischen Nato-Mächte sind in diesem Konflikt zweifellos der hauptsächliche Aggressor. Sie haben Russland seit der Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie vor 30 Jahren systematisch eingekreist. Nachdem sich Moskau zu einem Hindernis für die Stellvertreterkriege der Nato in Syrien und dem Nahen Osten entwickelte, organisierten Washington und Berlin in Kiew einen Putsch unter der Führung von faschistischen Kräften wie der Partei Swoboda und dem Rechten Sektor, um ein antirussisches Regime an die Macht zu bringen. Seither hat die Nato die Schlinge um Russland immer enger zusammengezogen.

Die World Socialist Web Site verurteilt und lehnt den russischen Überfall auf die Ukraine ab, da er die Offensive der Nato gegen Russland nicht aufhalten, sondern die Gefahr eines Dritten Weltkriegs verschärfen wird. Ihr Widerstand gegen den reaktionären Nationalismus des Putin-Regimes bedeutet jedoch kein Abrücken von ihrem unversöhnlichen Widerstand gegen die Lügen und die Heuchelei, mit der die imperialistischen Mächte ihre Kampagne gegen Russland rechtfertigen.

Die europäischen Mächte drängen darauf, ihre seit langem gehegten Wiederaufrüstungspläne umzusetzen, während sie gleichzeitig alle Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie aufheben, obwohl sie weiterhin allein in Europa mehr als 20.000 Todesopfer pro Woche fordert. Vor allem die deutsche herrschende Klasse, die im Zweiten Weltkrieg einen barbarischen Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetunion geführt hat, geht in die Offensive, obwohl jeden Tag mehr als 200.000 Menschen in Deutschland an Covid-19 erkranken.

Der ranghöchste Offizier der Bundeswehr, Generalleutnant Alfons Mais, forderte am Donnerstag in einer außergewöhnlichen Stellungnahme eine massive Aufrüstung gegen Russland und schrieb in dem Netzwerk LinkedIn: „Ich hätte in meinem 41. Dienstjahr im Frieden nicht geglaubt, noch einen Krieg erleben zu müssen. Und die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da. Die Optionen, die wir der Politik zur Unterstützung des Bündnisses anbieten können sind extrem limitiert.“

Mais schäumte vor Wut: „Das fühlt sich nicht gut an! Ich bin angefressen! ... Wann, wenn nicht jetzt, ist der Zeitpunkt, [die Armee] strukturell und materiell ... neu aufzustellen.“

Die Medien befinden sich im Propagandamodus und betonen, die neue Ära der Kriege erfordere ein Bekenntnis zur Gewalt. DerSpiegel schreibt: „Die europäische Ordnung, die dem Kontinent nach dem Ende des Kalten Kriegs drei Dekaden relativer Sicherheit und Stabilität beschert hat, zerbricht. Eine neue, gefährliche Zeit beginnt … Nun gilt es, sich von einigen lieb gewonnenen Lebenslügen zu verabschieden. Da ist die Annahme, dass sämtliche Konflikte durch Zureden zu lösen sind.“

Die Botschaft ist eindeutig: Nicht reden, kämpfen! Der Spiegel fordert, die Europäer müssten sich „mit dem Gedanken anfreunden, dass Militär auch in der Politik des 21. Jahrhunderts ein Faktor ist. Viele dachten, das Schicksal von Nationen würde einzig durch Wirtschaftsdaten bestimmt, durch Technologie, durch künstliche Intelligenz.“ Nun demonstriere Putin, „dass sich auch mit sehr viel archaischeren Mitteln Politik machen lässt, mit Panzern, Kampfjets, Artillerie.“

Um die herrschende Klasse daran zu hindern, die Welt in den Abgrund zu stürzen, muss der wachsende Widerstand der Bevölkerung gegen Krieg, soziale Ungleichheit und die Durchseuchungspolitik in der Pandemie mit einer klaren politischen Perspektive ausgestattet werden. Wie das Internationale Komitee der Vierten Internationale in seiner Erklärung „Sozialismus und der Kampf gegen Krieg“ erklärte, ist die wichtigste Aufgabe der Aufbau einer Antikriegsbewegung in der internationalen Arbeiterklasse, die unabhängig von allen kapitalistischen Regimes und Parteien gegen Kapitalismus und für den Sozialismus kämpft.

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