Srilankischer Präsident ruft Notstand aus, um Massenproteste gegen Austeritätskurs zu unterdrücken

In Sri Lanka breiten sich im ganzen Land Demonstrationen gegen die Regierung unter Präsident Gotabhaya Rajapakse aus. Die Proteste sind eine Reaktion auf die Engpässe bei Treibstoff und Kochgas, die stetig steigenden Preise für Grundnahrungsmittel und die täglichen langen Stromausfälle. Als Reaktion auf die anwachsenden Demonstrationen hat Rajapakse am Freitag den Ausnahmezustand verhängt.

Ein Demonstrant während einer Protestversammlung am 31. März vor der Privatresidenz von Präsident Rajapakse in einem Außenbezirk von Colombo (AP Photo/Eranga Jayawardena)

In einer Erklärung hieß es, der Ausnahmezustand sei notwendig für „die öffentliche Sicherheit, den Schutz der öffentlichen Ordnung und die Aufrechterhaltung der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die für das Leben der Gemeinschaft wichtig sind“. Der Bezug auf die „Aufrechterhaltung der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen“ macht deutlich, dass es Rajapakse in Wirklichkeit nicht allein um die Unterdrückung der aktuellen Proteste geht, sondern um die Unterdrückung der zunehmenden Welle von Streiks und Protesten der Arbeiterklasse gegen die Austeritätsmaßnahmen der Regierung.

Die Regierung Rajapakse ist mit einer schweren Wirtschaftskrise konfrontiert, die durch den drastischen Rückgang der Exporteinnahmen, des Tourismus, der Auslandsüberweisungen und der steigenden Zinsen für Staatsschulden ausgelöst wurde. Die Corona-Pandemie und zuletzt der Krieg in der Ukraine haben diese Lage noch weiter verschlimmert.

Im Februar reichten die Devisenbestände Sri Lankas nur noch, um eineinhalb Monate lang Importe zu bezahlen, was sich drastisch auf die Versorgung mit Treibstoff, Kochgas und sogar Medikamenten auswirkte. Da auch Treibstoff für Kraftwerke fehlt, kam es zu Stromknappheit. In Colombo und den umliegenden Gebieten sind Menschenschlangen, die für Treibstoff und Kochgas anstehen, allgegenwärtig.

Letzten Monat hat die Regierung beschlossen, sich den harten Diktaten des Internationalen Währungsfonds zu beugen und Maßnahmen wie die weitere Entwertung der Rupie, Subventionskürzungen und Umstrukturierungen des öffentlichen Dienstes umzusetzen. Die Folge werden weitere Angriffe auf die Arbeitsplätze, Lebensbedingungen und Löhne der Arbeiterklasse sein.

Die gegenwärtigen Proteste gegen die Rajapakse-Regierung werden zunehmend spontaner und umfangreicher. Am 31. März blockierten etwa 100 Demonstranten die Straße zu Rajapakses Privatresidenz in Mirihana, Nugegoda, einem Vorort von Colombo. Sie versuchten außerdem, die Residenz des Präsidenten zu stürmen, skandierten „Gota, geh nach Hause“ und forderten seinen Rücktritt.

Fünfzig Personen, darunter der freiberufliche Videojournalist Sanjeewa Gallage, wurden verhaftet. Gallage wurde von der Polizei angegriffen und verletzt. Er erklärte später, die Polizei habe ihn daran gehindert, sich im Krankenhaus behandeln zu lassen.

Die Journalisten Nisal Baduge und Waruna Wanniarachchi vom englischsprachigen Daily Mirror, die über die Proteste berichteten, wurden durch Steine und andere stumpfe Gegenstände mehrfach an Kopf und Armen verletzt. Drei Polizeibeamte, darunter ein stellvertretender Polizeipräsident, wurden bei Zusammenstößen mit den Demonstranten verletzt.

Von den Verhafteten wurden 28 vor Gericht gestellt. 22 wurden auf Kaution freigelassen, sechs weitere werden noch bis zum 4. April festgehalten. Die Übrigen mussten wegen der Verletzungen durch den Polizeieinsatz in Krankenhäusern behandelt werden.

Auf Videos von den Protesten in Mirihana sind Provokateure der Polizei zu sehen, die mehrere Fahrzeuge anzünden, darunter einen Polizeibus und einen Jeep. Das Video, das in den sozialen Netzwerken veröffentlicht wurde, zeigt eindeutig, dass der Bus auf der gleichen Seite stand, auf der sich auch die Polizei befand. Es ist zu sehen, wie eine nicht identifizierte Person den Bus anzündet. Dass die Polizei nichts unternahm, um den Täter zu hindern, deutet klar darauf hin, dass der Vorfall benutzt wurde, um das darauf folgende Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten zu rechtfertigen, bei dem u.a. Tränengas eingesetzt wurde.

Ajith Perera (26), der an der Protestveranstaltung in Mirihana teilnahm, erklärte gegenüber Al Jazeera: „Wir sind gekommen, um gegen die unerträglich hohen Lebenshaltungskosten, die Spritknappheit und die Stromausfälle zu protestieren... Die Entscheidung, zum Haus des Präsidenten zu ziehen, war spontan. Wir wollen, dass der Präsident, der so viel Zerstörung angerichtet hat, nach Hause geht.“ Mohamed Asri (21), ein weiterer Demonstrant, erklärte: „Der Wirtschaft geht es so schlecht, dass wir kaum zweimal [am Tag] essen können. Seit ich lebe, war es noch nie so schlimm. Gota muss weg.“

Auch in anderen Teilen von Colombo, u.a. in Kelaniya und Mount Lavinia, kam es zu Protesten gegen die Regierung. In Kelaniya blockierten die Demonstranten mit brennenden Holzbarrikaden die Hauptverkehrsstraße von Colombo nach Kandy, der Hauptstadt der Zentralprovinz. Ein Demonstrant namens Saman Wanasinghe erklärte in den Medien: „Ich bin wütend, alle sind wütend... Wer weiß, was jetzt passieren wird? Es wird überall Demonstrationen geben.“

Um die Ausbreitung der Proteste zu verhindern, verhängte die Polizei eine sofortige Ausgangssperre in den Nord-, Süd- und Zentralvierteln von Colombo sowie in Nugegoda, Kelaniya und Mount Lavinia. Diese wurde zwar am Freitag um 5 Uhr morgens aufgehoben, doch verhängte der srilankische Polizeipräsident eine Ausgangssperre für die gesamte Westprovinz von Mitternacht bis Samstagmorgen um 6 Uhr.

Beispielhaft für die Versuche der Rajapakse-Regierung, sämtliche Proteste zu kriminalisieren, war die Erklärung der Presidential Media Division (PMD) vom Freitag. Darin hieß es, hinter den Protesten nahe Rajapakses Amtssitz stecke eine „extremistische Gruppe“. Sie nannte keinen Beweis für diese Anschuldigung und behauptete außerdem, viele der Verhafteten seien „organisierte Extremisten“.

Der Vorwurf des „Extremismus“ wurde bisher zwar nicht mit Kommunalismus in Verbindung gebracht, doch es wird nicht mehr lange dauern, bis die Medien wie so oft ein Narrativ ethnisch-religiöser Spannungen verbreiten werden, um die Massenproteste zu sabotieren und staatliche Unterdrückung zu rechtfertigen. Rajapakse hat den Terroranschlag islamischer Extremisten am Ostersonntag 2019 benutzt, um Chauvinismus gegen Muslime zu schüren. Zudem hat betreibt seit seinem Wahlsieg Hetze gegen Tamilen.

Für den 3. April wurden in den sozialen Netzwerken landesweite Proteste in Colombo und anderen Städten organisiert. Die Veranstalter riefen dazu auf, „für uns selbst, unser Land und unsere Zukunft“ auf die Straße zu gehen und selbst hergestellte Plakate ohne die Namen irgendeiner politischen Partei mitzubringen.

Die Oppositionsparteien im Parlament, darunter die rechte United National Party (UNP), die Janatha Vimukthi Peramuna (JVP) und die National Freedom Front (NFF), die mit der Regierung verbündet ist, haben sich allesamt von den geplanten Protesten distanziert. Ihre Reaktion verdeutlicht die Angst des politischen Establishments, dass es die Massenunruhen gegen die Regierung nicht kontrollieren kann.

Die JVP, die sich auf eine Mischung aus Maoismus und Castroismus gründete, erklärte nervös: „Die Bevölkerung hat ein Recht darauf, gegen diese Krise zu protestieren.“ Allerdings äußerte sie Bedenken, weil die Proteste nicht „auf einen erkennbaren und verantwortlichen Organisator oder eine Gruppe zurückgeführt werden können“.

Die UNP veröffentlichte am Donnerstagnachmittag eine Erklärung, laut der sie sich „an keinerlei Protesten beteiligen“ werde, die „von anonymen Gruppen organisiert wurden“. Die NFF beschrieb die Demonstrationen als „Sri Lankas Version des arabischen Frühlings“ und nannte elf Parteien aus der Regierungskoalition, darunter die NFF, die die Proteste am 3. April nicht unterstützen würden.

Die Samagi Jana Balavegaya (SJB), die wichtigste Oppositionspartei im Parlament, will selbst politischen Nutzen aus dem wachsenden Widerstand gegen die Regierung ziehen. Sie erklärte ihre Unterstützung für die Proteste, dementierte aber jede Beteiligung an deren Organisation.

Die UNP, SJP und JVP kritisierten die Rajapakse-Regierung zwar, lehnen ihre Wirtschaftspolitik und die vom IWF diktierten Austeritätsmaßnahmen aber nicht grundsätzlich ab. Die UNP und die SJB hatten die Regierung zuvor aufgerufen, auf den IWF zuzugehen. Die JVP schweigt sich über die Maßnahmen des IWF aus, was darauf hindeutet, dass sie die gleichen Maßnahmen umsetzen würde, wenn sie an die Macht käme.

Die Rajapakse-Regierung weiß sehr genau, dass sie ihre Austeritätsmaßnahmen nicht umsetzen kann, ohne den Widerstand der Arbeiterklasse und der armen Landbevölkerung zu provozieren. Deshalb hat sie den Ausnahmezustand ausgerufen und setzt zunehmend auf Polizeistaatsmethoden.

Die Veranstalter der Proteste am 3. April wollen, dass sie „unpolitisch“ sind und den weit verbreiteten Widerstand der Bevölkerung gegen alle großen Parteien ausdrücken. Die Arbeiter müssen jedoch verstehen, dass ihnen nicht nur ein politischer Kampf gegen die Regierung, sondern gegen das gesamte politische Establishment bevorsteht, das den Kapitalismus verteidigt und die Austeritätsmaßnahmen unterstützt.

Proteste allein werden die Krise, mit der die arbeitende Bevölkerung konfrontiert ist, nicht lösen, egal wie groß und militant sie sind. Die zentrale Aufgabe besteht nicht darin, alle politischen Fragen mit dem Slogan „keine Politik“ herauszuhalten, sondern im Kampf für eine sozialistische und internationalistische Perspektive für ein Ende des kapitalistischen Systems, das Profiten Vorrang vor allem anderen, einschließlich der Gesundheit und des Lebens der Arbeiterklasse, einräumt.

Die Socialist Equality Party (SEP) in Sri Lanka schrieb in einer Erklärung vom 30. März: „Die Arbeiter dürfen nicht zulassen, dass eine andere kapitalistische Regierung an die Macht kommt. Der Angriff auf die Lebensbedingungen wird sich nicht durch Druck oder Verhandlungen abwehren lassen. Die Arbeiter müssen die Entwicklung selbst in die Hand nehmen, die Armen in Stadt und Land hinter sich vereinen und für eine sozialistische Perspektive kämpfen.“

Die Socialist Equality Party betonte darin weiter, „dass das Rajapakse-Regime nicht durch eine andere kapitalistische Regierung ersetzt werden darf. Es muss vielmehr eine Regierung der Arbeiter und Bauern aufgebaut werden, die sozialistische Maßnahmen ergreift.“

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