Verantwortungslosigkeit während der Flutkatastrophe: Grüne Ministerin Anne Spiegel tritt zurück

Vier Monate nach der Amtsübernahme der Ampelkoalition verliert sie ihr erstes Mitglied. Am Montagnachmittag teilte die grüne Familienministerin Anne Spiegel über E-Mail mit, sie habe sich „aufgrund des politischen Drucks“ entschieden, ihr Amt zur Verfügung zu stellen.

Anne Spiegel nimmt als Familienministerin an einer Ausschussitzung teil (Bild: DBT/Janine Schmitz/photothek)

Zuvor waren immer mehr Einzelheiten über das Ausmaß an Verantwortungslosigkeit ans Licht gekommen, mit der sie auf die Flutkatastrophe im Ahrtal reagiert hatte, die im Sommer 2021 134 Todesopfer forderte. Als Umweltministerin von Rheinland-Pfalz war Spiegel dafür verantwortlich, dass die Bewohner des Tals nicht rechtzeitig vor der herannahenden Flutwelle gewarnt wurden, was die meisten Todesfälle hätte verhindern können.

Der „politische Druck“, den Spiegel in ihrem Rücktrittsschreiben erwähnt, ging von ihren eigenen Parteifreunden aus. Die Ministerin war für die Grünen zur Belastung geworden, weil ihr Bemühen, sich durch immer neue Ausflüchte und Lügen zu retten, den wirklichen Charakter der Partei ins Scheinwerferlicht rückte. Sie war, wie es Der Spiegel formulierte, zur „Symbolfigur für Versäumnisse und Fehlleistungen von Behörden und Politik vor und während der tödlichen Flutwelle im Ahrtal geworden“.

Spiegel verkörpert das Milieu der Grünen – ein gesellschaftliches Milieu, dessen Welt sich um die eigene Befindlichkeit dreht, das bereit ist, für die eigene Karriere über Leichen zu gehen, und das gegenüber ärmeren Schichten nur Verachtung übrig hat.

Obwohl Meteorologen seit Tagen vor einem Extremhochwasser gewarnt hatten, unternahm Spiegels Umweltministerium nichts, um die Bevölkerung zu warnen und zu evakuieren. Noch am Nachmittag des 14. Juli, als die zuständige Stelle längst den höchsten Pegelstand seit Menschengedenken gemeldet hatte, versandte das Ministerium eine E-Mail, in der es hieß, es drohe „kein Extremhochwasser“. Die einzige Korrektur, die Spiegel an der Mail vornahm, lautete: „Bitte noch gendern!“

Als sich am folgenden Morgen das volle Ausmaß der Katastrophe abzeichnete, sorgten sich die Ministerin und ihre engsten Mitarbeiter mehr um ihr persönliches Image als um die Opfer und Schäden der Flut. Während die Zahl der Todesopfer stündlich in die Höhe stieg, kümmerte sich Spiegel um ein korrektes „Wording“, das ihre Verantwortung vertuschen sollte.

Obwohl Spiegels Fehlverhalten während der Flutkatastrophe bekannt war, holten sie Robert Habeck und Annalena Baerbock, die damaligen Vorsitzenden der Grünen, Ende letzten Jahres als Familienministerin ins neue Bundeskabinett. Sie erfüllte die nötige Geschlechter- und parteiinterne Flügelquote. Doch die Enthüllungen über ihr verantwortungsloses Verhalten während der Flutkatastrophe brachen nicht ab.

Im März bestritten Spiegel und ihr Staatssekretär Erwin Manz vor dem Untersuchungsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtags jegliche Verantwortung. Das Umweltressort habe lediglich die Aufgabe, Niederschlagsmeldungen in Pegelstände umzurechnen und diese Werte an die betroffenen Kommunen und Landräte zu melden, behaupteten sie. Alles andere müsse „vor Ort passieren“. Es sei nicht die Zuständigkeit des Ministeriums, Warnungen an die Bevölkerung zu geben.

Schließlich wurde bekannt, dass Spiegel zehn Tage nach der Flutkatastrophe mit ihrer Familie in einen vierwöchigen Frankreich-Urlaub gefahren war, den sie nur einmal für einen Vor-Ort-Termin im Ahrtal unterbrach. Sie sprach dort mit Helfern und ließ Fotos machen, die den Eindruck vermittelten, dass sie sich um die Flutopfer kümmere.

Zu diesem Zeitpunkt trauerten die Menschen im Ahrtal um ihre toten Angehörigen. Zehntausende standen vor den Trümmern ihrer Existenz und warteten auf dringend benötigte Hilfe und den zügigen Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur. Spiegel behauptete zwar, sie habe während ihres Urlaubs online an Kabinettssitzungen teilgenommen, doch das entpuppte sich als Lüge.

Als die Rücktrittsforderungen immer lauter wurden, versuchte Spiegel am vergangenen Sonntag, ihren Job durch einen tränenreichen Medienauftritt zu retten. Auf einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz begründete sie ihren Urlaub mit den gesundheitlichen Problemen ihres Mannes, der sich um die Kinder kümmere und sich nach einem Schlaganfall 2019 keinem Stress mehr aussetzen dürfe, und mit der Belastung ihrer vier Kinder (drei im Grundschulalter, eines im Kitaalter) durch die Pandemie. Dafür möchte sie sich entschuldigen.

Während jeder Busfahrer, der durch persönliche Nachlässigkeit einen schweren Schaden verursacht, zur Verantwortung gezogen wird, auch wenn er unter familiärem Stress steht, sollte dies für eine Ministerin mit einem Jahresgehalt von über 100.000 Euro offenbar nicht gelten.

Kaum eine Familie in Deutschland kann es sich außerdem leisten, einen Elternteil ganz zur Betreuung der Kinder abzustellen und vier Wochen nach Frankreich in den Urlaub zu fahren. Selbst die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung bemerkte: „Spiegels Entschuldigung und die darauffolgende Debatte zeigen damit nur, wie weit sich Grünen-Politiker mit ihren politisch-moralischen Maßstäben vom materiellen Alltag vieler Familien entfernt haben.“

Der Corona-Stress hat zudem politische Ursachen. Auch zwei Jahre nach Beginn der Pandemie haben es die Bundes- und Landesregierungen versäumt, die Schulen ausreichend auszustatten, um einen vernünftigen Online-Unterreicht durchzuführen und die Schüler zu betreuen. Während sie hunderte Milliarden an Corona-Hilfen in Konzerne und Banken gepumpt, den Rüstungshaushalt um 100 Milliarden erhöht und selbst Elektroautos mit bis zu 10.000 Euro subventioniert haben, fehlt es in den Schulen an Internetanschlüssen, Computern und ausreichendem Lehrpersonal.

Die rücksichtslose „Profite vor Leben“-Politik der Landes- und Bundesregierungen, denen Spiegel selbst sechs Jahre lang angehörte, hat zudem die Zahl der Infektionen explodieren lassen. Fast drei Viertel der 23 Millionen Infektionen, die in Deutschland seit Beginn der Pandemie registriert wurden, fallen in die viermonatige Amtszeit der Ampelkoalition. Die politische Verantwortungslosigkeit, die Spiegel schließlich zum Rücktritt zwang, findet sich hier in großem Maßstab wieder.

Spiegel ist kein Einzelfall. Auch Ursula Heinen-Esser, die Umweltministerin von Nordrhein-Westfalen, wo 49 Menschen an den Folgen der Flutkatastrophe starben, trat am Donnerstag letzter Woche zurück. Die CDU-Politikerin hatte sich ähnlich verantwortungslos verhalten, wie ihre grüne Kollegin in Rheinland-Pfalz.

Heinen-Esser befand sich zum Zeitpunkt der Flut im Urlaub auf Mallorca. Sie reiste zwar zu einer Krisensitzung des Landeskabinetts zurück, flog aber am gleichen Tag wieder auf die spanische Urlaubsinsel. Auch sie versuchte, ihr Verhalten durch Lügen und Ausflüchte zu vertuschen.

Erst behauptet sie, sie sei nur für vier Tage nach Mallorca zurückgekehrt, um die Rückreise ihrer minderjährigen Tochter und ihrer Freundinnen zu organisieren. Später stellte sich heraus, dass sie neun weitere Tage auf der Insel geblieben war und dort mit befreundeten Kabinettskollegen den 76. Geburtstag ihres Ehemanns gefeiert hatte.

Bei diesen Kabinettskollegen handelte es sich um Stephan Holthoff-Pförtner, Minister für Europa-Angelegenheiten, Serap Güler, Staatssekretärin für Integration, und Heimatministerin Ina Scharrenbach, die für den Wiederaufbau der Flutgebiete zuständig war. Heinen-Esser hatte Scharrenbach zu ihrer Stellvertreterin für „Kabinettsangelegenheiten“ benannt. Nun stellte sich heraus, dass eineinhalb Wochen nach der schlimmsten Flutkatastrophe seit Jahrzehnten beide gleichzeitig drei Tage lang aus privaten Gründen auf Mallorca weilten.

Die Gleichgültigkeit gegenüber den Bedürfnissen der Bevölkerung, die im Verhalten von Spiegel und Heinen-Esser zum Ausdruck kommt, zeigt die wirklichen Prioritäten aller kapitalistischen Parteien. Daran wird sich auch nach ihrem Rücktritt nichts ändern.

Dieselbe Verachtung für Menschenleben äußert sich auch in der Außenpolitik. Grüne, SPD, CDU und alle anderen Parteien überbieten sich gegenseitig mit der Forderung nach schweren Waffen für die Ukraine und riskieren damit einen nuklearen dritten Weltkrieg. Dabei wird von Tag zu Tag deutlicher, dass die Nato einen Stellvertreterkrieg gegen Russland führt, in dem die ukrainische Bevölkerung lediglich als Kanonenfutter dient.

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