Landtagswahl in NRW: Arbeiter haben keine Wahl

Bei der bevorstehenden Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am kommenden Sonntag haben Arbeiter keine Wahl. Die Vertreter aller im Landtag vertretenen Parteien – CDU, SPD, Grüne, FDP und AfD – sind sich einig, die Kosten von Pandemie und Ukraine-Krieg auf die Arbeiterklasse abzuwälzen. Ihre Programme unterscheiden sich kaum.

Wahlplakate in NRW: Herausforderer Thomas Kutschaty und Amtsinhaber Hendrik Wüst (Bild WSWS)

NRW ist mit 18 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Bundesland. Mit dem Ruhrgebiet als Kern ist es die stärkste Industrieregion Europas. Jeder fünfte Erwerbstätige ist im Industriesektor beschäftigt. 10 der 40 DAX-Konzerne haben ihren Sitz in NRW.

Seit 1966 bestimmte die SPD die Landespolitik, ab 1995 im Bündnis mit den Grünen. 2005 stellte dann die CDU mit Jürgen Rüttgers für fünf Jahre den Ministerpräsidenten. 2010 kehrten SPD und Grüne unter Ministerpräsidentin Hannelore Kraft zurück. 2017 wurden sie wegen ihrer unsozialen Politik abgestraft. Seither regiert die CDU in einer Koalition mit der FDP – erst unter Armin Laschet, seit einem halben Jahr unter Hendrik Wüst.

All diese Regierungen haben das Land heruntergewirtschaftet. Hohe Arbeitslosigkeit und Armut in den ehemaligen Kohle- und Stahlregionen, eine marode Infrastruktur, die Pendler zwingt, Stunden im Stau zu verbringen, katastrophale Zustände an den Schulen (mit 7.500 Euro pro Schüler gibt NRW weniger als jedes andere Land aus) und explodierende Mieten beherrschen das Alltagsleben. In den Speckgürteln von Köln, Düsseldorf und anderen Großstädten lebt dagegen eine wohlhabende Wirtschaftselite und Mittelschicht.

Die Folgen der Sanktionen gegen Russland und des Energiewandels verschärfen die soziale Krise. Hohe Energiepreise gefährden hunderttausende Arbeitsplätze in der Stahl-, Chemie- und anderen Industrien. Hinzu kommt die rasant steigende Inflation, die das Leben für Millionen Menschen unbezahlbar macht.

Die Parteien sind sich der wachsenden Wut und Opposition bewusst. Sie versuchen sie mit Versprechen zu besänftigen, die sie bereits in früheren Wahlen gemacht und nicht eingehalten haben, sind aber entschlossen, die Auswirkungen der Krise auf die Arbeiterklasse abzuwälzen.

CDU-Spitzenkandidat Wüst, ein ehemaliger Wirtschaftslobbyist und Unternehmensberater, der vier Jahre lang Verkehrsminister unter Laschet war, bevor er ihn als Regierungschef ablöste, verspricht eine stärkere Tarifbindung, zwölf Euro Mindestlohn und die Aufnahme von Vertretern des sogenannten CDU-Sozialflügels in seine Regierung, falls er die Wahl gewinnen sollte.

Der Spitzenkandidat der SPD, Thomas Kutschaty, wirbt mit seiner Herkunft aus einem Arbeiterhaushalt im nördlichen Ruhrgebiet. Der studierte Jurist war unter Hannelore Kraft sieben Jahre lang Justizminister.

In dieser Funktion wurde er vor allem durch seine öffentliche Fehde mit dem Essener Sozialrichter Jan-Robert von Renesse bekannt, der nach Kutschatys Ansicht das Ghettorentengesetz zu großzügig auslegte. Das 2002 (!) vom Bundestag verabschiedet Gesetz gestand Juden, die in von den Nazis errichteten Ghettos gearbeitet hatten, einen Rentenanspruch zu. Kutschaty entließ den Richter und zerrte ihn wegen Rufschädigung vor Gericht, was internationale Proteste – u.a. vom Center of Organizations of Holocaust Survivors und dem Simon Wiesenthal Center – auslöste

Das einzige Versprechen, das die Wahlkämpfer ernst meinen, ist die weitere Aufrüstung der Polizei. Wüst hat versprochen, dass Herbert Reul (CDU) in seinem Kabinett Innenminister bleibt, falls er die Wahl gewinnen sollte.

Reul, ein strammer Law-and-order-Mann, der es mit den Gesetzen nicht so genau nimmt, wenn es um Polizeieinsätze geht, hat fünfmal in Folge den Polizei-Etat erhöht und will künftig jährlich 3.000 Polizisten neu einstellen. Er ist für ein drakonisches Polizeigesetz verantwortlich, gegen das Zehntausende auf die Straße gingen. Es gibt der Polizei geheimdienstliche Überwachungsbefugnisse, erlaubt die vorsorgliche Inhaftierung sogenannter „Gefährder“ und erweitert die Möglichkeit verdachtsunabhängiger Kontrollen.

Der Ausgang der Wahl gilt als offen. CDU und SPD liegen seit Wochen Kopf an Kopf bei jeweils etwa 30 Prozent, wobei die CDU in der Regel etwas stärker ist. Bei der letzten Landtagswahl hatte die CDU 33 und die SPD 31,2 Prozent der Stimmen erhalten.

Gibt es in den letzten Tagen keinen grundlegenden Umschwung, werden die Grünen über die Zusammensetzung der nächsten Koalition entscheiden. Sie liegen in den Umfragen um die 17 Prozent, über 10 Punkte höher als 2017, als sie nur 6,4 Prozent der Stimmen erhalten hatten, und könnten damit sowohl der CDU wie der SPD zur Mehrheit verhelfen.

Die Grünen sind in der Berliner Ampelkoalition die aggressivste Kriegspartei. Sie drängen auf eine Eskalation des Ukrainekriegs, der in Wirklichkeit ein Stellvertreterkrieg der Nato gegen Russland ist, und auf eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland, auch wenn dies hunderttausende Arbeitsplätze kostet. Sie werden vor allem von wohlhabenden Mittelschichten unterstützt.

Die FDP dürfte dagegen kaum mehr in der Lage sein, der CDU oder der SPD zur Mehrheit zu verhelfen. Sie ist von 12,6 Prozent auf 8 Prozent in den Umfragen abgerutscht. Wichtigster Grund dafür ist die verheerende Corona- und Schulpolitik von FDP-Bildungsministerin Yvonne Gebauer.

Gebauer zog sich die Wut von Millionen Eltern, Schülern und Lehrern zu, weil sie die elementarsten Schutzmaßnahmen an Schulen und Kitas sabotierte. Nach dem ersten Lockdown drängte sie auf eine rasche Öffnung der Schulen und unterlief alle weiteren Schutzmaßnahmen. Sie untersagte den Schulen sogar eigene Initiativen, um die Gefährdung einzuschränken, und ging gegen Schulleitungen vor, die nach der gesetzlichen Aufhebung an der Maskenpflicht festhielten. Die Sorgen von Eltern mit vorerkrankten Kindern wischte sie vom Tisch. Gefürchtet waren ihre Mails an die Schulen, die bestehende Regeln über Nacht änderten.

Laut einer Umfrage waren auf dem Höhepunkt der Omikron-Welle 74 Prozent der Befragten unzufrieden mit Gebauer und ihrer Corona-Schulpolitik. Einige Kommentare halten es sogar für möglich, dass die Wut auf Gebauer auch zur Wahlniederlage ihres Koalitionspartners Wüst führen könnte.

Auch die rechtsextreme AfD wird den Umfragen zufolge mit etwa 7 Prozent, etwas weniger als bei der letzten Wahl, wieder in den Landtag einziehen. Der Linken, die 2017 den Einzug in den Landtag mit 4,9 Prozent nur äußerst knapp verfehlt hatte, werden dagegen keine Chancen eingeräumt. Sie liegt in den Umfragen bei 3 Prozent.

Der Umgang der amtierenden Regierung mit der Flutkatastrophe im vergangenen Sommer könnte den Ausgang der Wahl ebenfalls beeinflussen. Neben Rheinland-Pfalz, wo die Flut 134 Opfern das Leben kostete, starben auch in NRW 49 Menschen, weil die Regierung sie nicht rechtzeitig gewarnt und evakuiert hatte. Umweltministern Ursula Heinen-Esser (CDU) musste im April dieses Jahres zurücktreten, nachdem herausgekommen war, dass sie die Unwahrheit über ihr Verhalten unmittelbar nach der Flut gesagt und einen mehrtägigen Urlaub auf Mallorca verbracht hatte.

Doch egal wie die Wahl letztendlich ausgeht, ob Wüst oder Kutschaty neuer Ministerpräsident wird und mit den Grünen, der FDP oder beiden regiert, für die Arbeiterklasse wird sich nichts ändern. Sie kann ihre sozialen und politischen Interessen nur verteidigen, indem sie den Kampf gegen Sozialabbau und Krieg unabhängig aufnimmt, ihre eigene Partei – die Sozialistische Gleichheitspartei – aufbaut und für eine internationale sozialistische Perspektive kämpft.

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