Referendum in Dänemark schafft Mehrheit für Teilnahme an EU-Verteidigungspolitik

Bei einem Referendum in Dänemark am 1. Juni sprachen sich laut Umfragen etwa zwei Drittel der Teilnehmer für die Beteiligung des Landes an der Verteidigungspolitik der Europäischen Union (EU) aus. Die Regierung und die wichtigsten Oppositionsparteien hatten dafür geworben, die seit 30 Jahren bestehende Politik des Landes, an der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU nicht teilzunehmen, aufzuheben.

Das Ergebnis wird dazu führen, dass dänische Soldaten in die Militäroperationen der EU eingebunden werden und dass sich Kopenhagen an den EU-Entscheidungsprozessen für Militäreinsätze beteiligen wird. Es wird der EU darüber hinaus die Möglichkeit eröffnen, Streitkräfte in der Arktis zu stationieren – einer geopolitisch zunehmend brisanten Region.

Das Referendum geht auf die uneingeschränkte Unterstützung der sozialdemokratischen Regierung für den Nato-Krieg gegen Russland zurück. Am 6. März, weniger als zwei Wochen nachdem Washington und seine europäischen Verbündeten den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu einem reaktionären Überfall auf die Ukraine provoziert hatten, kündigte die dänische Regierung ein umfassendes Abkommen mit den oppositionellen Parteien Venstre (liberal) und den Konservativen über die Verteidigungspolitik des Landes an. Das Abkommen, das auch von den ex-stalinistischen Rot-Grünen unterstützt wurde, sah eine Erhöhung der dänischen Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des BIP bis 2033, ein Ende der Abhängigkeit von russischem Gas und das Referendum am 1. Juni vor.

Dass die sozialdemokratische Regierung in der letzten Woche die Lieferung von Seezielflugkörpern des Typs Harpoon an die Ukraine bestätigt hat, ist ein weiteres Anzeichen für die Unterstützung Kopenhagens für eine militärische Eskalation gegen Russland. Mit den Harpoon-Raketen kann die Ukraine russische Schiffe im Schwarzen Meer angreifen.

Dänemark hatte 1992 die Ausnahmeregelung über die Nicht-Teilnahme an der EU-Verteidigungspolitik ausgehandelt, nachdem der Vertrag von Maastricht abgelehnt worden war. Diese Ausnahmeregelung war eine von vier, die im Abkommen von Edinburgh festgelegt wurden. Die anderen waren Ausnahmen bei der Justiz- und Einwanderungspolitik sowie bei der Wirtschafts- und Währungspolitik (der Euro-Währung).

Die Verteidigungspolitik Dänemarks konzentrierte sich traditionell auf die vollständige Beteiligung an der Nato, der Dänemark seit ihrer Gründung 1949 angehört, und der Zusammenarbeit mit dem US-Militär bei Operationen von seinen Stützpunkten in Grönland aus. Dänemark hatte außerdem im Zweiten Weltkrieg der Errichtung einer US-Militärpräsenz auf Grönland zugestimmt, nachdem Washington die Befürchtung geäußert hatte, Hitler-Deutschland könnte die Insel als Basis für Angriffe auf Nordamerika benutzen. Der Hauptstützpunkt der USA ist die Thule Air Base, die 1951 errichtet wurde und sich zu einem wichtigen Standort für die Raketenabwehr und für Spionagetätigkeiten entwickelte.

Obwohl die Militäroperationen der EU weniger umfangreich waren als diejenigen der Nato, fanden seit dem ersten Einsatz in Mazedonien im Jahr 2003 mehr als 30 Operationen unter Führung der EU statt. Schauplätze der Operationen waren u.a. die Demokratische Republik Kongo, Bosnien, Mali, Somalia, der Irak, Georgien und Afghanistan. Daneben führte die EU eine Marineoperation im zentralen Mittelmeerraum durch, um Flüchtlingen aus den imperialistischen Kriegen den Zugang zu Europa zu versperren.

Teile der europäischen herrschenden Elite, vor allem in Deutschland und Frankreich, drängen auf eine Stärkung der militärischen Kapazitäten der EU. Die imperialistischen europäischen Mächte wollen auf diese Weise in außenpolitischen Fragen unabhängiger von den USA werden und ihre Ziele notfalls gegen die USA durchsetzen. Dazu gehört die Entwicklung gemeinsamer europäischer Waffensysteme und Kommandostrukturen.

Die Teilnahme Dänemarks an der GSVP könnte der EU die Möglichkeit zu neuen Militäroperationen in Regionen eröffnen, in denen sie noch nicht Fuß gefasst hat. Obwohl Dänemark mit einer Bevölkerung von nur 5,8 Millionen Einwohnern ein relativ kleines Militär mit 7.000 bis 9.000 Berufssoldaten unterhält, hat es durch die Kontrolle über die Färöer und Grönland Zugang zu geostrategisch wichtigen Gebieten im Nordatlantik und der Arktis.

Dänemark ist neben Kanada, Russland und den USA einer der wenigen Staaten, die Gebietsansprüche auf große Teile der Arktis erheben. Aufgrund des Klimawandels betrachten die Großmächte und kleinere Staaten wie Dänemark die Kontrolle über die Arktis zunehmend als wichtiges Ziel. Das Schmelzen der Polarkappen ermöglicht den Zugang zu beträchtlichen Öl- und Gasvorkommen, kritischen Mineralien und anderen Rohstoffen. Auch die bisher vereisten Schifffahrtsrouten sind von Bedeutung, weil sie die bestehenden Handelsrouten deutlich verkürzen würden.

Eine der am stärksten umstrittenen Routen ist der Nördliche Seeweg (NSW), der an der russischen Arktisküste entlangführt und von Moskau als Binnengewässer beansprucht wird. Russland hat eine Zusammenarbeit mit China aufgenommen, sodass chinesische Schiffe den Nördlichen Seeweg nutzen können. Washington lehnt den Anspruch Russlands jedoch ab und erklärt, der NSW sollte als internationales Gewässer gelten, in dem alle Schiffe ungehindert fahren können.

Die dänischen Militär- und Überwachungs-Aktivitäten in Grönland, auf den Färöern und in ihren Hoheitsgewässern werden vom Joint Arctic Command kontrolliert. Im Oktober 2020 ging die Nato eine formelle Partnerschaft mit dem Joint Arctic Command ein, in deren Rahmen sie Geheimdienstinformationen teilt, gemeinsame Militärübungen durchführt und jeden Monat Koordinationstreffen abhält.

Die Nato-Mächte haben den Überfall Russlands auf die Ukraine benutzt, um die Spannungen in der Arktis zu verschärfen. Sieben der acht Mitglieder des Arktischen Rates, der 1996 gegründet wurde, um die zwischenstaatliche Kooperation in Wirtschafts-, Umwelt- und Forschungsfragen in der Region zu kontrollieren, haben ihre Teilnahme an den Sitzungen ausgesetzt, da Russland derzeit den Vorsitz über den Rat führt.

Dieser provokative Schritt der USA, Kanadas, Dänemarks, Finnlands, Islands, Norwegens und Schwedens hat die Aktivitäten des Arktischen Rats praktisch zum Erliegen gebracht. Auch die gemeinsame Entscheidung Finnlands und Schwedens, die Mitgliedschaft in der Nato zu beantragen, wird Auswirkungen auf die Geopolitik in der Arktis haben, da beide Länder an die strategisch wichtige Ostsee grenzen und sie den Nato-Streitkräften Militärübungen unter arktischen Bedingungen ermöglichen.

Die EU und ihre größten Staaten, vor allem Deutschland, haben seit langem auf eine bedeutendere Rolle in der Arktis gedrängt. Im Jahr 2021 veröffentlichte die EU ihre neue Arktisstrategie. Eine ihrer zentralen Beschwerden war, dass der Arktische Rat ihr noch keinen offiziellen Beobachterstatus eingeräumt hat. Daneben wurde in dem Dokument die Einrichtung einer Außenstelle der EU in Grönland angekündigt. In der Pressemitteilung zur Präsentation der neuen Strategie hieß es, die Arktis sei „angesichts des Klimawandels, der dortigen Rohstoffe und des geostrategischen Einflusses von entscheidender strategischer Bedeutung für die Europäische Union“.

In seinem ersten offiziellen Strategiedokument zu dieser Region mit dem Titel „Leitlinien deutscher Arktispolitik“ schrieb das deutsche Außenministerium im Jahr 2019, Berlin betrachte die Arktis als „Region mit erhöhtem Krisenpotenzial“. Weiter hieß es: „Mehrere Staaten sichern ihre Interessen in der Arktis zunehmend auch militärisch ab. Dies könnte zu einer Rüstungsspirale führen. Der Aufbau arktischer Dual-use-Fähigkeiten sowie deren fortgesetzte Modernisierung, ebenso der Technologiefortschritt und Strategien externer Einflussnahme verwischen dabei die Grenze zwischen offensiven und defensiven Handlungsoptionen... Damit wächst das Potential für nicht-kooperatives Verhalten in der Arktis, das die ökonomische, ökologische und sicherheitspolitische Stabilität in der Region gefährdet und damit auch deutsche Sicherheitsinteressen berührt.“

Die regierungsnahe Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) äußerte sich im Februar in einer Studie noch deutlicher über die wachsende Bedeutung der Arktis für die deutsche Außenpolitik, die auf einer Wiederbelebung der imperialistischen Ambitionen Deutschlands basiert, wie man sie seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht mehr gesehen hat. In dem Dokument mit dem Titel „Russland in der Arktis“ hieß es: „[Die Arktis ist] auch für Deutschland von kritischer Bedeutung: Zum einen würde eine militärische Konfrontation die Bundeswehr im Rahmen der Nato fordern. Zum anderen liegt Deutschland an den geo­ökonomisch und geostrategisch wichtigen Seeverbindungslinien in Nordeuropa. Jede mögliche Störung dieser Verbindungen hätte Konsequenzen für die Sicherheit und Stabilität der gesamten Region.“

Die Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre schlug vor kurzem in einer Studie vor, die EU könne das Modell Arktischer Rat 7+ ins Gespräch bringen, d.h. ein Gremium aus der EU und den sieben Mitgliedsstaaten des Arktischen Rats, die den Arktischen Rat boykottieren.

Bundeskanzler Olaf Scholz und die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen äußerten am 18. Mai bei einer Konferenz in Esbjerg, bei der es angeblich um Diskussionen zu Fragen der Windkrafterzeugung zwischen Dänemark, Deutschland, Belgien und den Niederlanden ging, ihre Unterstützung für die Teilnahme Dänemarks an der EU-Verteidigungspolitik. Zwei Tage später gab der dänische Verteidigungsminister Morten Bødskov bekannt, dass Esbjerg bis Ende 2023 zu einem Knotenpunkt für den Transport von Nato-Kriegsgerät und Militärpersonal in die Ostseeregion ausgebaut werden soll.

Die überwältigende Unterstützung von Dänemarks politischem Establishment und der Medien für die Abschaffung der Ausnahmeregelung sowie das Fehlen jedes echten Widerstands dagegen haben das einseitige Ergebnis vom Mittwoch begünstigt.

Die „Nein“-Kampagne wurde von der rechtsextremen Dänischen Volkspartei auf einer nationalistischen Grundlage geführt. Sie behauptete, Dänemark müsse die vollständige Souveränität über seine Streitkräfte behalten und warnte, dänische Soldaten könnten in einer europäischen Armee eingesetzt werden.

Das pseudolinke Einheitsliste, die Rot-Grünen (RGA), versuchte, ihr ramponiertes Image als Antimilitaristen zu retten, indem sie für ein „Nein“ warb. Ihre Kampagne war jedoch völlig unglaubwürdig.

Die RGA hat seit Jahren linken Widerstand gegen Krieg unterdrückt und abgewürgt. Seit 2019 hat sie durch ihr Abstimmungsverhalten eine wichtige Rolle für die Minderheitsregierung der Sozialdemokratin Mette Frederiksen gespielt, der sie eine Mehrheit für die Lieferung von Militärgerät und Waffen wie den Harpoon-Raketen an die Ukraine verschafft hat. Die RGA hat außerdem für imperialistische Kriege wie den Krieg der USA in Syrien und im Irak im Jahr 2014 gestimmt.