Ukrainische Regierung bereitet unter dem Banner der „Entsowjetisierung“ schwere Angriffe auf die Rechte der Arbeiter vor

Im vierten Kriegsmonat will das ukrainische Parlament nun eine umfangreiche Reform des Arbeitsrechts verabschieden, durch welche die Rechte der Arbeiter stark geschwächt werden.

Das ukrainische Parlament plant den bestehenden minimalen Arbeitnehmerschutz aufzuheben und den Unternehmen zu erlauben, Arbeiter jederzeit zu entlassen und ihnen schlechte Arbeitsbedingungen aufzuzwingen. Dies käme einer Rückkehr zu den Verhältnissen der Zarenzeit gleich.

Demonstration in Kiew 2019 gegen arbeiterfeindliche Gesetze (Foto: European Trade Union Committee for Education)

Laut dem „Gesetzentwurf 5371“ soll für Unternehmen mit 250 oder weniger Arbeitern das Arbeitsrecht nicht mehr gelten. Die Beschäftigten sollen Einzelverträge mit dem Management abschließen und können jederzeit entlassen werden. Von dieser Änderung wären etwa 70 Prozent der Beschäftigten betroffen.

Die Befürworter des Gesetzes rechtfertigen es als Teil der „Entsowjetisierung“, d.h. der Abschaffung aller verbliebenen Schutzmaßnahmen aus der Zeit der UdSSR. Das bestehende Arbeitsrecht stammt aus dem Jahr 1971, als die Ukraine noch Teil der Sowjetunion war. Diese stellte trotz ihrer extremen bürokratischen Degeneration unter dem Stalinismus weiterhin einen Arbeiterstaat dar. Die ukrainischen Oligarchen, die genau wie in Russland aus der Privatisierung von Staatseigentum nach der Auflösung der Sowjetunion 1991 hervorgegangen sind, wollen selbst den geringsten Schutz für Arbeiter abschaffen.

Die Bedrohung der Arbeiterrechte in der Ukraine entlarvt einmal mehr die Heucheleien über Demokratie, mit denen die USA und andere Nato-Mächte ihren Stellvertreterkrieg gegen Russland rechtfertigen. Die USA und die europäischen imperialistischen Mächte haben Putin durch die unablässige Osterweiterung der Nato und die massive Bewaffnung der Ukraine zu der reaktionären Invasion provoziert, die Millionen Menschen zu Flüchtlingen gemacht und große Teile eines Landes verwüstet hat, das bereits vor Kriegsbeginn das ärmste Europas war.

Im März, kurz nach Beginn der russischen Invasion, verabschiedete das ukrainische Parlament im Rahmen des Kriegsrechts eine Verordnung zur „Aussetzung der Beschäftigung“. Die Arbeiter werden entsprechend dieser Verordnung zwar nicht direkt entlassen, arbeiten aber nicht und erhalten keinen Lohn. Sie erlaubte Unternehmen außerdem, Tarifverträge auszusetzen. Streiks wurden verboten, und Demonstrationen können ohne Gerichtsurteil untersagt werden.

Gemäß dem Kriegsrechtsdekret kann die wöchentliche Arbeitszeit aber auch von 40 auf 60 Stunden erhöht werden, und für besondere Kategorien von Beschäftigten, für die eine verkürzte Arbeitszeit gilt, kann sie auf 50 Stunden pro Woche erhöht werden. An Wochenenden kann die arbeitsfreie Zeit auf 24 Stunden verkürzt werden.

Zudem wurde die Zahl der Kategorien von Arbeitern verringert, die keine Nachtarbeit verrichten dürfen, und die Liste von Arbeitern, die zu Schwerarbeit, Überstunden etc. verpflichtet werden dürfen, wurde ausgeweitet.

Zu den Arbeitgebern, die Tarifabkommen „ausgesetzt“ haben, gehören der private Postzusteller Nowa Poschta (Neue Post) und der globale Stahlkonzern ArcelorMittal. Bei Nowa Poschta hat das Management 30 Vorschriften aus dem Tarifvertrag gestrichen, von denen etwa 11.500 Arbeiter betroffen sind. Die Änderungen betreffen Arbeitsbedingungen und Sozialleistungen wie die Bereitstellung von Uniformen, Sicherheitsausrüstungen und Arbeitszeiten. Etwa 1.500 Arbeitsverhältnisse wurden „ausgesetzt“, d.h. die Arbeiter wurden entlassen.

Anfang Mai beschwerten sich die Gewerkschaften beim Management von ArcelorMittal in Krywyj Rih über die Aussetzung von Teilen des Tarifabkommens, darunter der Zahlung von Sozialleistungen.

Laut einem Bericht der Medienplattform openDemocracy hat die Soziale Bewegung, die sich als ukrainische Bürgerorganisation bezeichnet, eine „schwarze Liste von Arbeitgebern“ erstellt. Auf der Liste stehen etwa zwei Dutzend Unternehmen, die ihre Tarifverträge entweder ganz oder teilweise ausgesetzt oder die Arbeitsbedingungen unter Verstoß gegen das derzeitige Arbeitsrecht geändert haben. Dazu gehören das Kernkraftwerk Tschernobyl, die staatliche Eisenbahngesellschaft, der Hafen von Odessa und die U-Bahn von Kiew.

Die geplanten Änderungen am ukrainischen Arbeitsrecht wurden erstmals im April 2021 vorgelegt – also zehn Monate vor Kriegsbeginn –, aber im Parlament nicht übernommen. Jetzt haben die ukrainischen Regierungsvertreter den Krieg jedoch genutzt, um den „Gesetzentwurf 5371“ voranzubringen. Am 12. Mai stimmten 246 Abgeordnete für das Gesetz und machten damit den Weg für seine Verabschiedung frei. Präsident Selenskyj könnte theoretisch noch sein Veto dagegen einlegen.

Der Gesetzentwurf wurde ursprünglich von Halyna Tretjakowa, der Vorsitzenden des Parlamentsausschusses für Sozialpolitik, und mehreren Mitgliedern von Selenskyjs Regierungspartei „Diener des Volkes“ eingebracht.

Laut openDemocracy wurde er von „einer ukrainischen NGO, dem Office of Simple Solutions and Results, ausgearbeitet, die von dem ehemaligen georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili, dem ukrainischen Arbeitgeberverband und einem USAID-Programm gegründet wurde“.

Diejenigen, die ein Veto von Selenskyj fordern, argumentieren, dass das Gesetz gegen die europäischen Arbeitsrechtsstandards und die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation verstößt und deshalb die Einbindung der Ukraine in die Europäische Union behindern könnte.

openDemocracy zitierte einen Experten mit den Worten: „Das ist ein Rückschritt ins 19. Jahrhundert. Wenn das Zivilrecht auf Beziehungen zwischen Arbeitern und Unternehmern übertragen wird, dann wird die Büchse der Pandora geöffnet.“

Im November 2021 berichtete openDemocracy, das britische Außenministerium habe das ukrainische Wirtschaftsministerium dabei beraten, wie man arbeiterfeindliche Änderungen am Arbeitsrecht durchsetzt: „Ein Kommunikationsplan aus dem Jahr 2021, der von einer internationalen Entwicklungsberatungsagentur erstellt wurde und das Logo der britischen Botschaft in Kiew trägt, empfiehlt dem ukrainischen Ministerium, es solle ,betonen‘, dass eine Liberalisierung des Arbeitsrechts den ukrainischen Arbeitern ,positive Ergebnisse‘ bringen wird.“

Die europäische Gewerkschaft European Public Service Union schrieb in einer Stellungnahme zum Gesetzentwurf und dem Bestreben, das Arbeitsrecht zu „entsowjetisieren“: „Das Arbeitsrecht durch Vorschläge zu modernisieren, wie die Empfehlungen und Konventionen der ILO aufzuheben, die Artikel der Europäischen Sozialcharta und das Assoziierungsabkommen mit der EU zu verletzen, erwecken den Eindruck, als würden die Verfasser des Gesetzentwurfs die Zarenzeit bevorzugen.“

Laut George Sandul, einem Anwalt von Labor Initiatives, würde die Einführung von Einzelverträgen in kleinen und mittleren Unternehmen bedeuten, „dass diese Regelung faktisch davon ausgeht, dass man ohne Rücksicht auf das ukrainische Arbeitsrecht alles in einen Arbeitsvertrag aufnehmen kann. Zum Beispiel zusätzliche Kündigungsgründe, Haftung oder sogar eine 100-Stunden-Woche.“

Bis Mai hatte der Gesetzentwurf im Parlament nicht genug Unterstützung, doch dann lieferten die Partei „Vertrauen“ sowie ehemalige Mitglieder der pro-russischen Partei „Plattform der Opposition/Für das Leben“ die nötigen Stimmen. Letztere war letzten Monat vom Parlament verboten worden, verbunden mit der Drohung, ihren Abgeordneten das Mandat zu entziehen, was sie vielleicht dazu brachte, für den Gesetzentwurf zu stimmen. Das Parlament bereitet eine zweite Lesung des Gesetzes in einem beschleunigten Verfahren vor.

Die Schriftstellerin Małgorzata Kulbaczewska-Figat weist in einem Beitrag auf dem Blog „Cross Border Talks“ darauf hin, dass in der Ukraine bereits unter dem bestehenden Arbeitsrecht grauenhafte Arbeitsbedingungen herrschen.

„Vor der russischen Invasion waren bereits Millionen von ukrainischen Arbeitern in EU-Länder und andere Staaten ausgewandert. Sie wussten, dass ein durchschnittlicher Arbeiter selbst in den ärmsten Ländern, wie in Bulgarien und Rumänien, deutlich bessere Löhne erhält als in seinem Heimatland.“

Sie fuhr fort: „Niedrige Löhne würgen unsere Wirtschaft ab. Zudem sind zwischen 20 und 30 Prozent der ukrainischen Arbeiter ,inoffiziell‘ beschäftigt.

Selbst eine Stelle in einem staatseigenen Unternehmen oder einem lebenswichtigen Sektor der Wirtschaft garantiert kein stabiles Gehalt und ermöglicht keinen angemessenen Lebensstandard.“

Die Bergarbeiter mussten beispielsweise lange auf ihre Löhne warten. „Die Bergarbeiter haben regelmäßig spontane Protestaktionen organisiert, darunter auch den verzweifeltsten Schritt – eine Protestaktion unter Tage. Eine weitere riesige Protestaktion unter Tage fand 2020 in Krywyj Rih statt, dem Zentrum des Eisenerzbergbaus von transnationaler Bedeutung. Eine Gruppe von Arbeitern von KSRK, einem ehemals staatlichen Konzern mit vier Eisenerzminen und mehreren dazugehörigen Fabriken, hat mehr als einen Monat unter Tage für eine Lohnerhöhung protestiert.“

Sie zitierte einen Experten für Arbeitsrecht, der davor warnte, dass sich große Unternehmen „künstlich in kleinere Unternehmen mit bis zu 250 Arbeitern aufspalten können, damit auch die größten und stärksten Arbeitgeber maximale Flexibilität nutzen können“.

Die Tatsache, dass der Krieg in der Ukraine benutzt wird, um eine brutale Verschärfung der Ausbeutung der ohnehin verarmten Arbeiterklasse durchzusetzen, verdeutlicht einmal mehr den reaktionären Charakter des Konflikts. Die Arbeiter in der Ukraine haben ebenso wie die Arbeiter in Russland und den Nato-Staaten von diesem Krieg, der einen weltweiten Flächenbrand auslösen könnte, nichts zu gewinnen. Die Arbeiter aller Länder müssen sich gegen den Krieg in der Ukraine vereinen, der vom US-Imperialismus und seinen Verbündeten im Rahmen ihres Weltmachtstrebens angezettelt wurde.

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