Anstieg der BA.5-Variante in Europa, Nord- und Südamerika und Japan

Der Notfallausschuss der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGR/IHR) zu Covid-19 kam bei seinem Treffen am 1. Juli 2022 zu dem Schluss, dass das Coronavirus weiterhin eine gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite darstellt. Doch außer in China werden in allen Regionen der Welt die Warnungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von offizieller Seite ignoriert und die unmittelbaren und langfristigen Folgen von Covid-19 auf die Weltbevölkerung mit Gleichgültigkeit hingenommen. 

In dieser Hinsicht waren die Aussagen des obersten medizinischen Beraters der US-Regierung, Dr. Anthony Fauci, gegenüber Politico bemerkenswert offen. Fauci, der zum Ende von Präsident Joe Bidens Amtszeit pensioniert wird, sagte: „Wir befinden uns jetzt in einem Muster. Wenn jemand sagt: ,Sie können gehen, wenn es kein Covid mehr gibt‘, dann werde ich 105 Jahre alt sein. Ich denke, wir werden damit leben.“ Fauci ist 81 Jahre alt, was bedeutet, dass der Welt seiner Meinung nach ein weiteres Vierteljahrhundert Pandemie bevorsteht – wahrlich ein Ratschlag der Verzweiflung.

Die Zahl der Infektionen, Hospitalisierungen und Todesfälle ist in den Sommermonaten weiter angestiegen, und Europa steht im Epizentrum der jüngsten Ausbrüche. Diese werden durch die neueste Untervariante von Omikron BA.5 verursacht, die noch infektiöser ist und die bislang stärkste Immunflucht aufweist. 

Tägliche Covid-Neuinfektionen pro eine Million Menschen (7-Tage-Durchschnitt)

Gleichzeitig liegt die tägliche Impfquote weltweit auf dem niedrigsten Stand seit Beginn der Booster-Impfungen, was darauf hindeutet, dass sich diese Strategie zur Eindämmung von Infektionen und schweren Krankheitsverläufen erschöpft hat. Obwohl in vielen Ländern eine fast 100-prozentige „Immunität“ durch Impfungen und frühere Infektionen herrscht, sind wiederholte, schnell aufeinander folgende Infektionswellen nun die neue Realität.

Die Zahl der weltweiten wöchentlichen Fälle hat sich seit Ende Mai fast verdoppelt und lag in der Woche bis zum 4. Juli bei 6,3 Millionen Fällen. Auch die offizielle Zahl der Todesfälle stieg im gleichen Zeitraum weltweit um fast 25 Prozent auf fast 11.000 pro Woche. Die Schätzungen der Übersterblichkeit deuten jedoch darauf hin, dass diese Zahlen viel zu niedrig angesetzt sind, größtenteils weil ein Land nach dem anderen die Nachverfolgung von Covid-Fällen eingestellt hat. Während die offizielle Zahl der Todesfälle mit etwa 1.900 pro Tag auf dem niedrigsten Stand seit zwei Jahren liegt, ist die Übersterblichkeit mit 13.000 fast siebenmal höher. Bemerkenswerterweise beläuft sich die „mittlere“ Schätzung der Übersterblichkeit laut dem Tracker des Economist auf 22 Millionen.

Vor allem Deutschland hatte kaum eine Ruhepause zwischen den Omikron-Wellen. Die Zahl der Neuinfektionen ist nach einem rapiden Rückgang im Mai in diesem Monat wieder auf fast 100.000 pro Tag gestiegen, und auch die Zahl der Todesfälle geht wieder schnell nach oben. Laut Angaben des Robert-Koch-Instituts ist die Zahl der akuten Atemwegserkrankungen für die Jahreszeit ungewöhnlich hoch. Es wird geschätzt, dass zwischen 800.000 und 1,3 Millionen Menschen mit Sars-CoV-2 infiziert sind und dass BA.5 für 83 Prozent aller Fälle verantwortlich ist. Während sich die Krankenbetten schnell mit Patienten füllen, erkranken auch Pflegekräfte und Gesundheitspersonal an Covid-19, was die überbeanspruchten Gesundheitssysteme noch weiter belastet.

Ein intubierter Covid-Patient in der Intensivstation des nordwestdeutschen Bundeswehrkrankenhauses Westerstede, das auch Zivilisten aufnimmt (AP Photo/Martin Meissner) [AP Photo/Martin Meissner]

Der Krankenpfleger Georg Goutrie erklärte gegenüber der Deutschen Welle: „In Deutschland haben wir im Schnitt etwa 13 Patient:innen pro Pflegekraft, in Holland sind es zum Beispiel nur fünf... wie soll ich denn bitte die Verantwortung für 13 Patient:innen gleichzeitig übernehmen und trotzdem noch eine qualitativ hochwertige Versorgung gewährleisten?“ Das Deutsche Institut für Wirtschaft rechnet damit, dass bis 2035 mehr als 300.000 Pflegekräfte fehlen werden. Die jahrelange Pandemie, die niedrigen Löhne und der Mangel an Pflegekräften werden katastrophale Folgen für Deutschland und jedes andere Land haben, das mit einer ähnlichen Krise konfrontiert ist.

In Frankreich und Italien hat die Durchseuchungspolitik ohne Rücksicht auf das Wohlergehen der Bevölkerung ähnliche Auswirkungen.

In Griechenland hat die Regierung letzte Woche angesichts einer sich ausweitenden Welle von BA.5 plötzlich angekündigt, die Infektionen, Todesfälle und andere Daten nur noch einmal die Woche bekanntzugeben, wodurch der Sieben-Tage-Durchschnitt von Infektionen und Todesfällen am Sonntag abrupt auf Null fiel. Am Dienstag erschien dann der neue Wochenbericht, wonach die Coronazahlen bei Our World in Data plötzlich wieder in die Höhe schnellten.

Die Gesundheitsbehörden blenden die Pandemie faktisch aus. Der National Herald erklärte dazu kurz und bündig: „Die griechische Nea-Dimokratia-Regierung hat eine noch immer anhaltende Pandemie faktisch für beendet erklärt, die Gesundheitsmaßnahmen gegen Covid-19 aufgehoben, und gesagt, dass infizierte Touristen nicht mehr in Quarantäne müssen, sondern frei herumlaufen dürfen.“  

Der einzige Konstante in der Rhetorik der herrschenden Elite in Bezug auf die Pandemie ist die wiederholte Verharmlosung der Gefahren für Kinder. 

Im Vereinigten Königreich erreicht die Zahl der Hospitalisierungen durch Covid-19 wieder den Spitzenwert während der Omikron-BA.1-Welle im letzten Winter von fast 20 Einweisungen auf 100.000 Einwohner pro Woche. Die Zahl der Einweisungen von Kindern unter fünf Jahren steigt sprunghaft und stellt die Mehrheit der pädiatrischen Hospitalisierungen dar. Nur in der Altersgruppe ab 65 werden mehr Menschen hospitalisiert. Selbst wenn weniger Kinder als Ältere sterben, hat die Krankheit bei Kindern unmittelbare und chronische Folgen.  

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[Tweet von Dr. Jeff Gilchrist: „Lasst uns hoffen, dass die Lage hier nicht so schlimm wird wie in England, wo die Zahl der wegen Corona hospitalisierten Kinder in der BA.5-Welle jetzt ihren Höhepunkt der Pandemie erreicht.“]

In den USA wird die Zahl der Krankenhauseinweisungen bei Personen unter 18 Jahren bald den Höchstwert während der Delta-Welle im letzten Herbst überschreiten.

Dr. Ziyad Al-Aly, Nephrologe und Epidemiologe am Washington University Medical Center in St. Louis, der Long-Covid-Fälle verfolgt, stellte vor kurzem fest, das Kinder unter Gehirnnebel, Müdigkeit und Unwohlsein sowie gefährlichen Folgen wie akutem Leberversagen, multisystemischem Entzündungssyndrom (MIS-C) und Diabetes leiden können. Die Auswirkungen auf wichtige Organe können noch Jahrzehnte später langfristige Folgen haben, da sie mit der Gefahr wiederholter Reinfektionen rechnen müssen.

Osteuropa und die USA lagen, was die Auswirkungen der Pandemie angeht, immer einige Wochen hinter Westeuropa zurück. Während Polen, Rumänien, Tschechien und Ungarn neue Infektionswellen verzeichnen, steigt die Zahl der Fälle im Sieben-Tage-Durchschnitt in den USA stetig an, bei den Todesfällen liegt er bei über 400 pro Tag. Die Zahl der Hospitalisierungen liegt bei über 40.000, die Rate der positiven Tests hat 17 Prozent erreicht. Dies steht in Einklang mit dem Anstieg der Abwasserdaten, die um das Zehnfache über den Tiefstständen von Ende März liegen. Laut dem ehemaligen Beauftragten der FDA, Dr. Scott Gottlieb, könnte die tatsächliche Zahl der Infektionen bei über einer Million pro Tag liegen.

In Japan hat die derzeitige BA.5-Welle zu den höchsten Fallzahlen pro Tag in der Pandemie geführt. Am letzten Samstag stieg die Zahl der Neuinfektionen auf über 110.000, der Sieben-Tages-Durchschnitt auf knapp unter 90.000, was nahe am Rekord von 94.000 am 8. Februar 2022 liegt. Auch bei den Todesfällen zeigt die Kurve nach oben. In der Präfektur Okinawa sind 60 Prozent der Betten belegt, was die Kapazität der lokalen Gesundheitssysteme beeinträchtigt, auf andere gesundheitliche Probleme zu reagieren. Auch in Tokio, der Hauptstadt und bevölkerungsreichsten Stadt des Landes, steigt die Zahl der Krankenhauseinweisungen wieder an. Die japanischen Behörden stehen vor der Aufgabe, mit der Belastung ihres Gesundheitssystems fertig zu werden und gleichzeitig jegliche Einschränkung der Aktivitäten zu vermeiden.

Auch Südkorea befindet sich in der Anfangsphase einer weiteren Infektionswelle, nachdem bereits die Subvariante BA.2 im März eine massive Infektionswelle ausgelöst hatte. Der Sieben-Tage-Durchschnitt der Fälle ist seit letztem Monat um das Fünffache gestiegen. Genau wie in vielen anderen Ländern hat auch Südkorea nach der ersten Omikron-Welle fast alle Eindämmungsmaßnahmen abgeschafft. Es gibt laut Minister Han Duck-soo keine unmittelbaren Pläne, sie wieder einzuführen, solange es keine „kritischen Veränderungen“ gibt.

In Lateinamerika sind Peru, Bolivien, Guatemala, Argentinien und Mexiko mit ähnlichen Konsequenzen konfrontiert. 

In Peru, das während der Pandemie die höchste Pro-Kopf-Todesrate weltweit verzeichnete, kam es zu einem plötzlichen Anstieg der Corona-Fälle. Gesundheitsminister Jorge Lopez schätzt, dass die bereits verheerende Zahl von 213.685 Toten bei einem moderaten Szenario um weitere Tausende ansteigen könnte. 

In Guatemala hat die Zahl der Infektionen den höchsten Wert seit Beginn der Pandemie erreicht, und der Sieben-Tage-Durchschnitt liegt weit über den Höchstwerten des letzten Sommers. Aufgrund der zögerlichen Haltung gegenüber dem Impfstoff sind nur 38 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft. Nancy Notz, die als Pflegerin in einem vom staatlichen Institut für Soziale Sicherheit finanzierten Impfzentrum arbeitet, erklärte gegenüber Nature: „Viele lassen sich immer noch nicht impfen, weil sie glauben, es würde ihrer Gesundheit schaden, sie töten, oder weil es ihnen die Kirche verboten hat.“ Berichten zufolge haben sich fast eine Million Guatemalteken infiziert, 18.500 sind gestorben. Doch aufgrund der fehlenden Tests sind die Zahlen in Wirklichkeit noch deutlich höher. 

Mexiko befindet sich in einer ähnlich prekären Lage, da die jüngste Infektionswelle bald die erste Omikron-Welle übertreffen wird. Mit fast 440.000 gemeldeten Toten, die Berichten zufolge an einer Infektion starben, war Covid-19 die häufigste Todesursache der Jahre 2020 und 2021. Allerdings wurde die Gesamtmortalität auf über 600.000 geschätzt. Laut einem kürzlich in The Lancet Regional Health America veröffentlichten Artikel gab es einen deutlichen Anstieg der Todesfälle durch Diabetes, Atemwegsinfektionen, ischämische Herzkrankheiten und Bluthochdruck. 

Diese tödlichen Trends werden sich als chronische Leiden für die mexikanische und die Weltbevölkerung fortsetzen, die bisher gezwungen waren, sich mit wiederholten Infektionen und Erkrankungen abzufinden. Das Virus hat sich an die Politik der herrschenden Kapitalistenklasse angepasst, was deutlich macht, dass nur eine Bewegung der Arbeiterklasse einen Kurswechsel zur Eliminierung von Covid-19 erzwingen kann.

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