Gas sparen für den Krieg

Die Europäische Union hat ihre Mitgliedsstaaten verpflichtet, ab kommendem Monat bis März nächsten Jahres ihren Erdgasverbrauch jeweils um 15 Prozent zu senken. Die Energieminister der 27 EU-Staaten verabschiedeten am Dienstag einen entsprechenden Vorschlag der Kommission.

Gasbetriebenes Heizkraftwerk in Köln-Niehl [Photo by Raimond Spekking / via Wikimedia Commons / CC BY-NC-SA 4.0]

Wie die Kürzungen umgesetzt werden, bleibt den einzelnen Staaten überlassen. Sie erfolgen auf freiwilliger Basis. Sollte eine akute Notlage eintreten, können allerdings auch verpflichtende Einsparziele beschlossen werden, wenn mindestens 15 Mitgliedsländer, die 65 Prozent der Bevölkerung vertreten, dem zustimmen. Ursprünglich wollte die EU-Kommission sich selbst das Recht vorbehalten, den Energienotstand auszurufen, konnte sich damit aber nicht durchsetzen.

Der Sparbeschluss wird als Akt der „Solidarität“ verkauft, weil alle Länder, unabhängig davon wie stark sie von möglichen Lieferausfällen betroffen sind, gleich viel einsparen müssen. Die Senkung der Nachfrage in der gesamten Union sei Ausdruck des „im EU-Vertrag verankerten Solidaritätsprinzips“, heißt es im Vorschlagstext der Kommission.

Tatsächlich handelt es sich um eine Kriegsmaßnahme, die von der EU-Kommission und der deutschen Regierung mit Brachialgewalt durchgesetzt wurde. Europa soll damit in die Lage versetzt werden, den Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine über Monate und Jahre hinweg bis zur militärischen Niederlage Russlands fortzusetzen.

Brüssel und Berlin befürchten, dass der Widerstand gegen Energieknappheit, Inflation und horrende Rüstungskosten zu Widerstand führen und der soziale Druck auf die Regierungen den Zusammenhalt der EU gefährden könnte. Deshalb wird die geballte Macht des EU-Apparats eingesetzt, um die Einsparmaßnahmen durchzuboxen und alle Mitglieder auf Linie zu bringen.

Wie jeder Krieg erfordert auch der Krieg gegen Russland, der von den USA und den europäischen Mächten mit Waffenlieferungen in Milliardenhöhe vorangetrieben wird, Einheit, Disziplin, materielle Opfer sowie die Unterdrückung jeglicher Opposition im Innern. Die massive Energiekrise, die die Preise für Gas und Benzin hat explodieren lassen und im Winter in einen massiven Energieausfall zu münden droht, ist ein direktes Ergebnis dieses Kriegs.

Bereits vor dem reaktionären russischen Angriff auf die Ukraine war die Inbetriebnahme der fertiggestellten Pipeline Nord Stream 2, die mit einer Jahreskapazität von 55 Milliarden Kubikmetern 15 Prozent des europäischen Gesamtbedarfs decken könnte, für immer abgesagt worden. Andere Pipelines, die seit Jahrzehnten russisches Gas durch die Ukraine oder Weißrussland in die EU liefern, stellten den Betrieb kriegsbedingt ein.

Nord Stream 1, die über dieselbe Kapazität verfügt wie Nord Stream 2, liefert derzeit noch 40 Prozent und ab Donnerstag nur noch 20 Prozent des möglichen Gases. Moskau begründet die Drosselung mit der notwendigen Wartung von Turbinen, die teilweise den westlichen Sanktionen zum Opfer fiel, und bestreitet die Absicht, den Betrieb ganz einstellen zu wollen.

Die EU weist dies als Vorwand zurück und beschuldigt Russland, es versuche bewusst, „Gas als politische Waffe einzusetzen“. Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck warf dem russischen Präsidenten ein „perfides Spiel“ vor: Er versuche, die große Unterstützung für die Ukraine zu schwächen und einen Keil in die deutsche Gesellschaft zu treiben.

Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij, stets ein verlässlicher Verstärker der westlichen Propaganda, warf Moskau vor, es übe mit der Drosselung von Nord Stream „Terror“ gegen den Westen aus und entfache einen „offenen Gas-Krieg gegen das vereinte Europa“.

Diese Vorwürfe sind absurd. Sie erinnern an den Einbrecher, der „Haltet den Dieb!“ ruft, um die Polizei von sich abzulenken. In Wirklichkeit ist es die EU, die das erklärte Ziel verfolgt, Russland durch Wirtschaftssanktionen in den Ruin zu treiben. Spätestens 2027 will sie laut offiziellem Beschluss überhaupt keine fossilen Brennstoffe mehr aus Russland importieren. Der martialische Ton der Vorwürfe bestätigt, dass es der EU nicht um Energiesicherheit geht, sondern um die Instrumentalisierung der Energiepolitik als Kriegswaffe.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen setzte ihre ganze Autorität ein, um alle EU-Mitglieder auf eine Senkung des Gasverbrauchs zu verpflichten. Die CDU-Politikerin hatte bereits als deutsche Verteidigungsministerin eine führende Rolle dabei gespielt, den deutschen Militarismus wieder zu beleben. 2014 unterstützte die Regierung, der sie angehörte, den rechten Putsch in Kiew, der den Keim für den heutigen Krieg legte.

Der Gas-Sparplan von der Leyens stützt sich auf den umstrittenen Artikel 122 des Unionsvertrags, der es der EU in Notfällen erlaubt, tiefer als üblich in die nationale Souveränität der Mitgliedsstaaten einzugreifen.

Bereits während der Eurokrise, als die EU den Banken mit Milliardensummen aus der Krise half und Länder wie Griechenland, Portugal und Spanien zu brutalen Sozialkürzungen zwang, hatte sie sich auf diesen Artikel berufen. Ebenso nach der Corona-Krise, als sie erneut hunderte Milliarden für einen „Wiederaufbaufonds“ zugunsten der Banken und Konzerne locker machte.

Diesmal stieß von der Leyen allerdings auf erheblichen Widerstand. Vor allem südlich Länder, die ihren Gasbedarf inzwischen aus Nordafrika decken, sträubten sich, einem Programm zuzustimmen, von dem vor allem Deutschland profitiert, das besonders stark von russischen Gaslieferungen abhängig ist.

Die spanische Umweltministerin Teresa Ribera lehnte den Plan anfangs rundheraus ab. Ihr Land werde keine „unverhältnismäßigen Opfer“ bringen, keine spanische Familie müsse im Winter Einschnitte in die Gasversorgung befürchten, erklärte sie. Denn Spanien habe seine Hausaufgaben gemacht und nicht über seine Verhältnisse gelebt.

Die spanische Regierung unterstützt wie die deutsche uneingeschränkt den Stellvertreterkrieg gegen Russland. Aber die Arroganz, mit der die deutsche Regierung während der Eurokrise höher verschuldeten Ländern gegenübertrat und sie zu drastischen Sparmaßnahmen zwang, ist nicht vergessen.

Am Montag verhandelten die Diplomaten der 27 Mitgliedstaaten bis tief in die Nacht, bis sie schließlich dank zahlreicher Sonderregelungen eine mehrheitsfähige Einigung fanden. So sind mehrere Länder – Zypern, Malta und Irland –, die nicht mit dem Gasnetz anderer Mitglieder verbunden sind, von den Sparzielen ausgenommen.

Am Schluss stimmte nur Ungarn gegen den Beschluss, den Gasverbrauch zu senken. Die Regierung von Viktor Orbán, der gute Beziehungen zum russischen Präsidenten Putin unterhält, lehnt inzwischen auch die Wirtschaftssanktionen gegen Russland ab.

Doch die zentrifugalen Tendenzen in der EU sind enorm. In Italien ist die Regierung der „nationalen Einheit“ von Mario Draghi auch an der Kriegsfrage auseinandergebrochen. Während Draghi uneingeschränkt den Kriegskurs der Nato unterstützte, lehnten die rechte Lega und die Forza Italia von Silvio Berlusconi Waffenlieferungen an die Ukraine ab. Es ist offen, wie sich die Regierung verhalten wird, die nach den Wahlen Ende September ins Amt kommt.

Was die herrschende Klasse Europas zusammenschweißt, ist die Angst vor Aufständen der Arbeiterklasse. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock erklärte kürzlich, wenn kein Gas mehr aus Russland komme, „dann können wir als Deutschland überhaupt gar keine Unterstützung mehr für die Ukraine leisten, weil wir dann mit Volksaufständen beschäftigt sind“.

Auch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, wie Baerbock Mitglied der Grünen, warnte vor einer Spaltung der Gesellschaft: „Wenn wir in eine Gasnotlage reinlaufen, werden die Fliehkräfte groß sein, größer als bei Corona.“

Die Eskalation des Ukrainekriegs dient nicht zuletzt dazu, diese inneren Spannungen nach außen zu lenken – auch wenn es zu einem dritten, nuklearen Weltkrieg führt.

Loading