Türkei ruft zur Vermittlung zwischen Russland und der Ukraine auf und signalisiert Einigung mit Syrien

Während die Nato ihren Krieg gegen Russland in der Ukraine verschärft, ergreift die Türkei neue Initiativen. Am 18. August hat sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan im westukrainischen Lwiw mit Wolodymyr Selenskyj und UN-Generalsekretär Antonio Guterres getroffen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (Mitte), der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan (links) und UN-Generalsekretär Antonio Guterres beim Handschlag nach dem Treffen in Lwiw am 18. August 2022 [AP Photo/Evgeniy Maloletka]

Fast zwei Wochen zuvor, am 5. August, hatte in Sotschi schon ein Treffen mit Wladimir Putin stattgefunden. An dem jüngsten Treffen nun erörterte Erdoğan, Berichten zufolge, diplomatische Initiativen zur Beendigung des Kriegs. Auch soll es um den Austausch von Kriegsgefangenen, die Fortsetzung der Getreidelieferungen aus der Ukraine und einen Besuch der Internationalen Atomenergiebehörde im Atomkraftwerk Saporoschija gegangen sein.

Erdoğan erklärte: „Das zentrale Thema unseres Treffens war natürlich der Krieg, der seit fast sechs Monaten andauert.“ Er bekräftigte zudem die Unterstützung seiner Regierung für die „territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine“.

In Bezug auf Saporoschija, das größte europäische Atomkraftwerk, das derzeit von Russland besetzt ist, erklärte Erdoğan: „Wir haben auch unsere Sorgen hinsichtlich des Konflikts um das Atomkraftwerk Saporoschija geäußert. Wir wollen kein weiteres Tschernobyl erleben.“

Guterres erklärte bei einer Pressekonferenz: „Das Gebiet muss entmilitarisiert werden, und wir müssen es so sagen, wie es ist: Jeder potenzielle Schaden in Saporoschija ist Selbstmord.“ Am Freitag kamen Putin und der französische Präsident Emmanuel Macron überein, dass eine Mission von Vertretern der Internationalen Atomenergiebehörde die Anlage besuchen solle.

Selenskyj erklärte in einem Post auf Telegram: „Wir haben vereinbart, die Umsetzung der Getreideinitiative fortzusetzen.“ Im Rahmen des Istanbuler Abkommens über Getreideexport vom 22. Juli, auf das sich Russland und die Ukraine unter Vermittlung der Türkei und der Vereinten Nationen geeinigt hatten, verließen laut Angaben des türkischen Verteidigungsministeriums am Sonntag vier weitere Schiffe ukrainische Häfen.

Erdoğan wiederholte seine Forderung nach einem Treffen zwischen den ukrainischen und russischen Regierungschefs in der Türkei und erklärte, der Schwerpunkt des trilateralen Treffens in Lwiw sei die Beendigung des Kriegs gewesen. Er lobte das Istanbuler Abkommen vom Juli als „beispielhafte Arbeit von historischer Bedeutung“.

Obwohl Erdoğan eine „diplomatische Lösung“ forderte, betonte er Ankaras Unterstützung für die Ukraine in dem Konflikt: „Als Türkei sind wir bestrebt, den Konflikt mit diplomatischen Mitteln zu beenden, während wir gleichzeitig unseren ukrainischen Freunden beistehen.“

Ankara hat die Invasion Russlands verurteilt und der Ukraine Bayraktar-Drohnen geliefert. Die Türkei beteiligt sich jedoch nicht an den strengen Sanktionen der USA und der EU gegen Moskau und hat ihren Handel mit Russland seit Beginn des Kriegs deutlich ausgeweitet. Das hat in den westlichen Hauptstädten die Besorgnis geweckt, Russland könnte die Türkei benutzen, um ihre Sanktionen zu umgehen.

Die Financial Times schrieb in einem Artikel mit dem Titel „Anstieg der türkischen Exporte nach Russland löst im Westen Ängste vor engeren Beziehungen aus“: „Die Exporte der Türkei nach Russland sind in den letzten drei Monaten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 46 Prozent angestiegen, da Ankara seinen Unternehmen erlaubt, die Lücke zu füllen, die durch die Abwanderung westlicher Unternehmen entstanden ist.“

Unter Berufung auf zwei Vertreter der Europäischen Union hieß es: „Die Mitgliedsstaaten der EU sind über den boomenden Handel zwischen der Türkei und Russland zunehmend beunruhigt, wie auch über die Möglichkeit, dass er Moskau als Ersatz für andere europäische Importe und Exporte dienen könnte.“ Einer der beiden erklärte gegenüber der FT: „Wir haben es auf dem Radar (...) Es ist nicht schön, und es wird von der EU nicht gut aufgenommen. Es ist ein Ärgernis.“

Ankara fürchtet die potenziell verheerenden Folgen einer Eskalation des Nato-Kriegs gegen Russland, mit dem es u.a. im Bereich Energie enge wirtschaftliche und militärische Beziehungen unterhält. Zudem verschärft sich in der Türkei die Wirtschaftskrise, und der Widerstand der Arbeiterklasse nimmt zu. Nächstes Jahr stehen Wahlen an, und die Umfragewerte von Erdoğans Regierung sind stark rückläufig. Sie glaubt, dass ein verstärkter Handel mit Russland und mögliche Finanzhilfen aus Moskau dazu beitragen werden, diese innenpolitische Krise einzudämmen.

Erdoğan erklärte in Lwiw: „Persönlich bin ich weiterhin davon überzeugt, dass der Krieg früher oder später am Verhandlungstisch beendet wird. Herr Selenskyj und Herr Guterres sind eigentlich der gleichen Meinung (...) Ich glaube, es ist möglich, die Verhandlungen auf der Grundlage der Parameter, die im März in Istanbul aufgestellt wurden, wiederzubeleben. Wir sind bereit, in dieser Hinsicht jede Unterstützung zu leisten und erneut eine unterstützende oder vermittelnde Rolle zu spielen.“

Washington und seine europäischen Nato-Verbündeten wollen jedoch nicht, dass der Krieg beendet wird, bevor Russland in die Knie gezwungen ist. Im April wies der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu auf die zunehmende Kluft zwischen Ankara und seinen Nato-Verbündeten hin und erklärte: „Bis zum Nato-Treffen dachten wir, der Krieg würde nicht lange dauern. Nach dem Nato-Treffen hat sich jedoch eine andere Meinung herausgebildet. Es gibt Staaten, die wollen, dass dieser Krieg weitergeht. Sie wollen, dass Russland geschwächt wird, zurückfällt und vielleicht auch Putin zu Fall gebracht wird.“

Hinter den Kulissen mehren sich die Konflikte. Ankara hat seine Einwände gegen den Nato-Beitritt von Finnland und Schweden, um gegen Russland zu kämpfen, schließlich aufgegeben und die Unterstützung Finnlands und Schwedens für kurdisch-nationalistische Gruppen verurteilt. Am Samstag erklärte der türkische Justizminister Bekir Bozdağ jedoch, Schweden und Finnland könnten erst der Nato beitreten, wenn sie „Mitglieder von terroristischen Organisationen“ an die Türkei ausliefern.

Ankaras Annäherungsversuche an den von Russland unterstützten syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, den es seit 2011 zu stürzen versucht, droht neue Konflikte mit den Nato-Partnern der Türkei auszulösen. Nach Erdoğans Treffen mit Putin in Sotschi erklärte Çavuşoğlu, er habe sich im letzten Oktober in Brüssel „spontan“ mit dem syrischen Außenminister Faisal Mekdad getroffen. Er bezeichnete die „politische Versöhnung“ zwischen Damaskus und der so genannten syrischen Opposition als einzigen Ausweg. Er erklärte, auch der Kreml wolle ein Treffen zwischen Assad und Erdoğan arrangieren.

„Wir haben keine Ansprüche auf syrisches Staatsgebiet“, erklärte Erdoğan bei seiner Rückkehr aus Lwiw. „Wir haben weder ein Interesse daran, Assad zu besiegen, noch ihn nicht zu besiegen.“

In Wirklichkeit hat die Türkei seit 2016 mehrere Militäroperationen gegen die von den USA unterstützten kurdisch-nationalistischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) im Norden Syriens durchgeführt und einen Großteil der Region besetzt, um zu verhindern, dass die YPG einen separaten kurdischen Staat errichtet. Die Türkei und ihre syrischen islamistischen Stellvertreter haben in den Teilen Syriens, die sie kontrollieren, Verwaltungseinheiten geschaffen und Universitäten unter Ankaras Kontrolle errichtet.

Erdoğan hat seit Mai mit neuen Offensiven gegen die YPG gedroht, um eine 30 Kilometer breite Zone entlang der syrischen Grenze zu schaffen, in der Ankara eine Million syrische Flüchtlinge ansiedeln kann. Erdoğan erklärte: „Die USA und die Koalitionskräfte sind die größten Förderer des Terrorismus in Syrien“, womit er die YPG-Milizen meint, die Ankara als terroristische Organisationen betrachtet. Vor kurzem forderte er den Abzug der US-Truppen aus Syrien, eine Forderung, die von Russland angesichts des Nato-Kriegs in der Ukraine unterstützt wird.

Erdoğan erklärte die „Solidarität“ der Türkei mit Russland in Syrien und erklärte: „Wir befinden uns jetzt bei jedem Schritt, den wir in Syrien unternehmen, über unsere Sicherheitskräfte, unseren Geheimdienst und unser Verteidigungsministerium im Kontakt mit Russland.“

Die Partei Heimatland, ein pro-chinesischer nationalistischer Verbündeter Erdoğans, kündigte den Besuch einer Parteidelegation in Damaskus „in 10 bis 15 Tagen“ an, um „Gespräche auf höchster Ebene“ zu führen. In einer Stellungnahme der Partei heißt es: „Unter diesen Umständen ist die Kooperation der Türkei mit Syrien von historischer Bedeutung. [Çavuşoğlus] Aussagen sind sehr korrekt. Wir gratulieren ihm.“

Berichten zufolge verlangt Ankara, dass Damaskus das Ende der de facto von der YPG kontrollierten Verwaltung im Nordosten Syriens und die Rückkehr der Flüchtlinge nach Syrien unterstützt. Damaskus wiederum fordert Teile des Staatsgebiets zurück, die heute von der Türkei und ihren islamistischen Stellvertretern kontrolliert werden.

Erdoğans Selbstdarstellung als „Pazifist“, der sich für den „Weltfrieden“ einsetzt, ist eine scheinheilige Lüge. Die Türkei, die den Krieg der USA und der Nato für einen Regimewechsel in Syrien seit 2011 maßgeblich unterstützt hat, hätte im November 2015 beinahe einen Krieg mit Russland provoziert, als sie ein russisches Kampfflugzeug an ihrer Südgrenze abschoss.

Ankaras fieberhafte diplomatische Aktivität unterstreicht in Wirklichkeit die wachsende Gefahr eines Atomkriegs, ausgelöst durch die Drohungen der Nato und der USA gegen Russland und China. Nur eine Massenmobilisierung der internationalen Arbeiterklasse gegen imperialistischen Krieg auf der Grundlage eines sozialistischen Programms kann dieses katastrophale Abgleiten in einen dritten Weltkrieg verhindern.

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