Berliner Verkehrsbetriebe schränken Buslinien zum Schulbeginn ein

Vor wenigen Tagen gab die Unternehmensleitung der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) bekannt, dass sie ihren Linienbusverkehr ab 22. August wegen Personalmangels um drei Prozent einschränkt. Davon betroffen sind 32 der 160 Buslinien.

Ausgerechnet zu Beginn des neuen Schuljahrs, wenn hunderttausende Kinder, Jugendliche und Erwachsene aus dem Sommerurlaub zurück in die Schulen und an den Arbeitsplatz gehen, sollen die Linienbusse des Öffentlichen Personennahverkehrs „in etwas niedriger Taktung“ verkehren, so die BVG.

Mit anderen Worten: Inmitten der Corona-Pandemie mit tausenden von Infizierten, einer extrem hohen Dunkelziffer und der Ausbreitung der Affenpocken – Berlin ist bundesweiter Hotspot – werden Millionen von Fahrgästen tagein tagaus in überfüllten Bussen unterwegs sein.

Begründet wird der Personalmangel mit einem sehr hohen Krankenstand unter dem Fahrpersonal. „Die aktuelle Pandemieentwicklung macht auch vor den Verkehrsbetrieben nicht halt“, erklärte die BVG-Pressestelle schon vor zwei Wochen und ergänzte, dass man „in Kombination mit einer angespannten Arbeitsmarktlage“ den Busfahrbetrieb „nach den Ferien leicht anpassen“ müsse.

Davon ist die BVG nicht allein betroffen. Die Deutsche Bahn (DB) Regio Nordost etwa fährt bereits mit eingeschränktem Fahrplan von rund 97 Prozent, „um einen stabilen Zugverkehr in der Region zu gewährleisten“, so der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB), der sich zu hundert Prozent in öffentlicher Hand befindet. Auch hier gilt als Grund ein erhöhter coronabedingter Krankenstand. „Das derzeit akute Thema – der coronabedingte Krankenstand – ist leider nicht ohne Weiteres trivial lösbar“, heißt es vom VBB.

Zwar wisse man nicht, wie viele Krankmeldungen konkret auf Infektionen mit Corona zurückzuführen seien, weil „es aktuell keine Meldepflicht einer Corona-Erkrankung gegenüber dem Arbeitgeber gibt“, so BVG-Pressesprecher Jannes Schwentu auf eine Anfrage der WSWS. Aber „aufgrund freiwilliger Meldungen und der allgemeinen Pandemielage sind wir … sehr sicher, dass Corona einen entscheidenden Anteil an den Krankenständen hat.“

Ausgedünnter Busfahrplan der BVG ab 22.08.22

Auch in weiteren Großstädten Deutschlands und Europas müssen Verkehrsunternehmen sowie Produktions- und Vertriebsbereiche und Einrichtungen aus Gesundheit und Bildung massive Einbrüche hinnehmen. Unter anderem ist dies in Köln, Bottrop, Wien, Salzburg, München, Leverkusen, Wuppertal, Hamburg und Kassel der Fall.

Zuletzt stiegen die offiziellen Infektionszahlen zusammen mit klassischen Erkältungserkrankungen wie der Sommergrippe so stark, dass seit Anfang August wieder telefonische Sprechstunden zur Erlangung eines Arbeitsunfähigkeitsattests genügen. Dies allein schon offenbart die kritische Entwicklung im Pandemiegeschehen.

Während Corona-Infektionen und Re-Infektionen, aber auch die noch völlig unbekannte Dunkelziffer von Long-Covid-Fällen einen erheblichen Anteil unter den Krankmeldungen bei den Berliner Verkehrsbetrieben ausmachen, wird über einen ebenso wichtigen Grund für die schlechte Personallage nicht öffentlich gesprochen: Es sind die krankmachenden, katastrophalen Arbeitsbedingungen der rund 7500 Fahrerinnen und Fahrer.

Miese Arbeitszeiten in Wechselschichten mit bis zu 9 Stunden und 20 Minuten, und das bei einer Sechs-Tage-Woche, zu kurze Wendezeiten und massive Arbeitshetze, besonders ab 19 Uhr, zehren die Kolleginnen und Kollegen aus. Die Busse selbst sind schlecht gewartet und schlecht gereinigt und wurden selbst zu den schlimmsten Zeiten der Pandemie nicht sachgerecht desinfiziert.

Hinzu kommen die oft nicht funktionierenden Klimaanlagen – und das in der vergangenen Hitzewelle mit Rekordwerten von fast 40 Grad Celsius. Die Temperaturen am Fahrerarbeitsplatz übersteigen teilweise noch diese Außentemperatur, weil trotz geöffneter Fenster und an den Haltestellen geöffneter Türen keine ausreichende Kühlung möglich ist.

Dutzende junge und frisch ausgebildete Busfahrer und -fahrerinnen kündigen wieder. Das ist kein neues Phänomen bei der BVG. Aufgrund der hohen Fluktuation sahen sich Management und Gewerkschaft vor drei Jahren gezwungen, die Löhne um bis zu 17 Prozent zu erhöhen, um auf dem Arbeitsmarkt als Arbeitgeber attraktiver zu werden und vorhandene Kräfte zu binden. Tatsächlich hat diese Lohnerhöhung die Lohneinbußen der vergangenen Jahre nicht im Geringsten wettgemacht.

Die schlechten Arbeitsbedingungen und die miserable Vergütung sind in erster Linie Verdi, der Hausgewerkschaft der BVG, zu verdanken.

2005 unterstützte Verdi die damalige Berliner Landesregierung aus SPD und Linkspartei maßgeblich dabei, die Löhne um 16 Prozent zu senken. Viele Zusatzleistungen wurden gestrichen und die Arbeitshetze drastisch verschärft. Fuhr ein Busfahrer zum Beispiel zuvor in einer Schicht durchschnittlich bis zu 50 Kilometer, so erhöhte sich die Arbeitsleistung nun auf bis zu 150 Fahrkilometer pro Schicht. Außerdem erhielt nun eine ganze Generation neu eingestellter Busfahrer 30 Prozent weniger Lohn als die altbeschäftigten Kollegen.

Wirtschaftspolitischer Hintergrund für diese radikale Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und Löhne waren die Privatisierung des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Nur das Verkehrsunternehmen mit den geringsten Personalkosten erhält für ein paar Jahre einen Marktanteil.

Anstatt die Verkehrsarbeiter EU-weit zum gemeinsamen Kampf gegen die Zerstückelung und Zerstörung des öffentlichen Nah- (ÖPNV) und Fernverkehrs aufzurufen, drängten Gewerkschaften und Unternehmen darauf, dass neben der Ausschreibung auch eine Direktvergabe möglich ist, die allerdings ebenfalls „marktorientiert“ sein muss. Damit erhielten inländische Unternehmen bei der Vergabe ein Vorrecht gegenüber ausländischen Konkurrenten.

Doch dieses Vorrecht wurde erkauft durch den Abbau zehntausender Arbeitsplätze, die Zerschlagung ehemals bestehender Lohnsysteme und die Einführung von Billiglöhnen sowie eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Die Personenbeförderung auf „nicht rentablen Strecken“ wurde ausgedünnt oder ganz eingestellt.

Um die Spirale sinkender Löhne und härterer Arbeitsbedingungen gegen die Belegschaft durchzusetzen, setzen Verdi und ihr Apparat aus Vertrauensleuten und Personalräten bis heute auf die bewährte Strategie der Spaltung der Kollegen mittels unterschiedlicher Lohntarife, Arbeitszeiten und Schichtsysteme.

Verdi-Tarifvertrag für Alt -und Neubeschäftigte

Verdis Feindschaft gegen die Busfahrerinnen und -fahrer wurde besonders mit Ausbruch der Corona-Pandemie 2020 deutlich. Die „Infektion, auch mit Covid-19, gehört zum Alltag“ und „allgemeinen Lebensrisiko“, so die Gewerkschaft im Einklang mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund. Hauptsache der Bus rollt, egal was es kostet, war die Devise! Erst der massive Widerstand der Fahrer zwang die Gewerkschaft und die Geschäftsleitung, vorübergehend den Vordereinstieg zu schließen und geringfügige Schutzmaßnahmen zu ergreifen.

Wie groß die Gefahr der Ansteckung im ÖPNV ist, wo täglich hunderttausende Menschen auf engstem Raum zusammenkommen, weisen mittlerweile viele Studien nach. Doch jeglicher Schutz, außer der Maskenpflicht im ÖPNV, wurde von der Berliner Landesregierung aufgehoben. Die Einhaltung der Maskenpflicht wird faktisch nicht kontrolliert. Von der BVG-Leitung erhalten die Fahrer keine Unterstützung, wenn sie sich mit maskenfeindlichen Coronaleugnern auseinandersetzen müssen.

Es ist dem Verantwortungsbewusstsein der arbeitenden Bevölkerung, die die große Mehrheit der Fahrgäste stellt, zu verdanken, dass die Maskenpflicht bisher im Wesentlichen eingehalten wird.

Vollbesetzter BVG-Linienbus in Berlin

Die Durchseuchungspolitik der Regierenden, die angesichts des hochansteckenden BA5-Virus mit der nächsten Herbstwelle ihren verheerenden Tribut fordern wird, muss genauso bekämpft werden wie die schlechten Arbeitsbedingungen und Löhne. Die gegenwärtige Inflation und die kommenden Preisexplosionen als Folge der Kriegstreiberei und der Sanktionspolitik der Bundesregierung werden den Wert des Arbeitslohns zusätzlich massiv senken.

Doch ein solcher Kampf ist nur gegen die Gewerkschaft möglich. Verkehrsunternehmen arbeiten in wachsendem Maße global, also müssen sich auch Verkehrsarbeiter global organisieren. Die Gewerkschaften hingegen vertreten eine nationalistische Perspektive. Sie versuchen, die Kämpfe in den einzelnen Ländern und Regionen bewusst voneinander zu isolieren. Sie stehen nicht auf der Seite der Arbeiter, sondern auf der Seite der Unternehmen und des Staats.

Die BVG-Mitarbeiter stehen nicht allein: Millionen Verbündete – Busfahrer in allen Städten, Lokführer der DB und privater Bahnen, das Boden- und Bordpersonal an den Flughäfen, Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes, der Lieferdienste, von Amazon und Industriebetrieben sowie Pflegekräfte und Erzieher – stehen den gleichen Problemen und Feinden gegenüber.

Sie müssen unabhängige Aktionskomitees gründen und sich mit den Kollegen in Großbritannien, Polen, Frankreich, Holland, Österreich, ganz Europa und weltweit verzahnen.

Aus diesem Grund sollten Verkehrsarbeiter die Kampagne des amerikanischen Autoarbeiters Will Lehman im Kampf um die Präsidentschaft der Autogewerkschaft UAW unterstützen. Er tritt dort an, nicht um den Gewerkschaftsapparat zu reformieren, sondern um ihn zu zerschlagen und durch ein Netz von Aktionskomitees die Autobauer politisch zu mobilisieren – und das nicht nur in den USA, sondern weltweit.

Diese Arbeit verfolgt auch das Aktionskomitee der Verkehrsarbeiter hier in Berlin, das Mitglied ist in der internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC).

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