Unterstützung für Lufthansa-Piloten – aber Vereinigung Cockpit sagt Streik ab

Im Tarifkonflikt der Piloten mit Lufthansa hat die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) am Dienstagnachmittag eine Einigung mit dem Management bekanntgegeben. „Es gibt einen Deal“, sagte ein Sprecher von Cockpit den Medien.

Rund 5000 Lufthansa-Pilotinnen und Piloten hatten sich am letzten Freitag, den 2. September, an einem 24-Stunden-Streik beteiligt. Noch diesen Montag hatte VC für Mittwoch und Donnerstag zwei weitere Streiktage angekündigt; bei Lufthansa Cargo sollte der Streik sogar drei Tage, bis Freitagnacht, dauern. Nun sind die „angekündigten Arbeitskampfmaßnahmen für diese Woche abgesagt“, wie VC in einer Presseerklärung erklärt.

Nähere Einzelheiten der Einigung werden in der VC-Pressemeldung nicht bekanntgegeben. Dazu heißt es nur: „Ein umfängliches Paket monetärer und struktureller Themen wurde im Kern vereinbart und harrt der Ausgestaltung in den kommenden Tagen.“ Allerdings lag schon die Forderung der VC nach einer fünf-prozentigen Gehaltserhöhung weit hinter der aktuellen Inflation, die im August bei 7,9 Prozent lag.

Die Piloten haben in der Corona-Pandemie auf große Einkommensbestandteile verzichtet, und VC ist eine der Gewerkschaften, die ihnen zusammen mit Verdi und Ufo diese massiven Zugeständnisse abverlangten. Bei Lufthansa wurden 32.000 Stellen abgebaut und insgesamt eine Summe von 1,4 Milliarden Euro an Löhnen, Zusatzleistungen und Rentengeldern eingespart.

Mittlerweile schreibt der Konzern längst wieder schwarze Zahlen: Im zweiten Quartal 2022 betrug der operative Gewinn 393 Millionen Euro. Aber Lufthansa ist nicht bereit, die Beschäftigten angemessen zu entschädigen. Hinzu kommt die anwachsende Inflation, die eine Folge des Stellvertreterkriegs der Nato gegen Russland in der Ukraine ist, und die die Löhne und Gehälter gnadenlos schrumpfen lässt.

Tor 20, Zugang für viele Lufthansa-Piloten zum Rhein-Main-Airport

Noch während die Verhandlungen liefen, sprach ein WSWS-Team am Flughafen mit Lufthansa-Piloten und -Stewardessen und anderen Flughafenbeschäftigten, nicht nur des Konzerns, sondern auch von Fraport, WISAG oder einer ihrer zahlreichen Tochterfirmen. Die meisten betrachteten den Arbeitskampf der Piloten als notwendig und unterstützenswert. Aus Rücksicht auf ihre Arbeitsplatzsicherheit haben wir auf Wunsch einige Namen geändert.

Am Tor 20, dem Zugang vieler Lufthansa-Beschäftigter, sprachen wir mit Hannah, die seit Jahren als Purserin bei Lufthansa arbeitet. Die Purser sind die ranghöchsten, in der Kabine verantwortlichen Flugbegleiter. „Ihr seid die ersten, die hierherkommen und uns selbst fragen, wie es uns geht“, sagte Hannah. „In den Medien hört sich das immer so an, als würden wir nur streiken, weil wir den Hals nicht vollkriegen.“

Hannah berichtete, sie habe sich kürzlich ausgerechnet, was die Corona-Pandemie sie an Gehaltseinbußen gekostet habe: „Ich habe dadurch 30.000 Euro verloren, alles Geld, was ich für meine Alterssicherung eigentlich brauche. Wir mussten ja für den Konzern auf so vieles verzichten“, fährt sie fort. „Das hat man uns bis heute nicht zurückbezahlt. Vielen Kolleginnen wurde angeboten, mit einer Abfindung freiwillig zu gehen, und ich hätte das beinahe gemacht. Aber weil ich schon über 60 bin, haben sie mir nur 9.000 Euro angeboten. Das konnte ich mir nicht leisten.“

Wie sie berichtete, ist von den früheren, starken Leistungen bei Lufthansa wenig übrig geblieben. Dies betrifft besonders auch die Frühpensionierungen, die sehr notwendig sind, weil kaum jemand die kräftezehrende Arbeit im Dauerstress, bei ständiger Zeitverschiebung, Klimawechsel und immer wechselnden Arbeitszeiten bis ins gesetzliche Rentenalter hinein schaffen kann. „Die Übergangsregelungen in die Rente sind über die Jahre hinweg aufgeweicht worden“, sagte Hannah. „Das kann sich nur jemand leisten, der wirklich viel sparen konnte. Das ging aber bei uns nicht, weil ich die Ausbildung der Kinder finanzieren musste.“

Eine andere Purserin sagte auf die Frage, worum es im Konflikt der Piloten mit Lufthansa gehe, spontan: „Das kann ich ihnen genau sagen: Ich rufe meinen Mann an, der ist Pilot.“ Über Telefon erklärte ihr Mann: „Wir haben in der Corona-Zeit knapp dreißig Prozent von unserem Gehalt abgegeben. Nicht nur in Form von Geld, sondern auch durch mehr Stunden, die wir arbeiteten, und weniger freie Tage. Wenn man die Inflation hinzurechnet, dann müssen wir jetzt 40 Prozent bekommen.“

„In der Pandemiezeit ist sehr viel aufgegeben worden“, sagte auch Heiko, ein älterer Pilot auf dem Weg zu seiner Maschine. „Durch die Zugeständnisse, die die Gewerkschaft gemacht hat, hat sich das Einkommen im Endeffekt fast halbiert.“ Viele könnten sich die Übergangsregelung in die Rente gar nicht mehr erlauben, besonders, wenn sie nicht ihr ganzes Leben lang bei Lufthansa gearbeitet hätten.

Heiko bestätigte, dass die tariflich abgesicherten Arbeitsplätze im Lufthansa-Cockpit auch schon vor der Pandemie stark unter Druck geraten waren. Mit Eurowings Discover und CityLine2 hat der Konzern zwei neue, nicht-tarifgebundene Fluglinien geschaffen, die mit deutlich schlechteren Personal-Konditionen der Billiglinie Ryanair Konkurrenz machen sollen. Aber Heiko berichtete auch: „Lufthansa hat auch im eigenen Konzern für die jungen Piloten eine zweite, schlechtere Lohn- und Tarifstruktur eingeführt. Das muss wieder rückgängig gemacht werden.“

Seine Meinung zum Pilotenstreik lautete: „Der Streik ist notwendig, weil man einfach nicht zulassen darf, dass der stolze Kranich, der Lufthansa einmal war, derart vor die Hunde geht. Jeder, der in der Pandemie entlassen wurde, muss seinen Arbeitsplatz zurückbekommen, wenn er das möchte. – Aber dafür kämpfen die Gewerkschaften nicht“, setzte er hinzu.

Bernd, ein Lufthansa-Mitarbeiter in der Luftfahrtsicherheit seit elf Jahren, wehrte die Fragen erst mit der Bemerkung ab, wenn er erst loslege, werde das „ein ganzer Roman“. Dann blieb er doch stehen und sagte: „Den Pilotenstreik würde ich auf jeden Fall unterstützen.“

Er berichtete: „Ich arbeite gern am Flughafen, aber das ganze Drumherum ist eine einzige Katastrophe. Corona wurde benutzt, um die Bedingungen zu verschlechtern. Viele Kollegen wurden mit oder ohne Abfindung ‚entsorgt‘, wie ich es nenne. Und jetzt fehlt überall Personal. Ich sehe das doch bei uns, sogar in der Luftsicherheit, da werden jetzt Leute schnellschnell eingestellt, die gar nicht wirklich ausgebildet sind.“

Bernd war auch der Meinung, dass sich Vorstandschef Carsten Spohr „bei jedem einzelnen, der ‚entsorgt‘ wurde, entschuldigen müsste“. Er sagte: „Wir müssten alle zusammen streiken. Einmal den Flughafen komplett dicht machen.“ Auf den Einwand, dass VC, Verdi, Ufo und alle Gewerkschaften die Beschäftigten spalteten, und dass es notwendig sei, unabhängige Aktionskomitees aufzubauen, um alle Flughafenarbeiter gemeinsam zu mobilisieren, sagte Bernd: „Das finde ich gut. Damit könnte man sicher mehr erreichen: einen funktionierenden Flughafen und sichere Arbeitsplätze.“

Am Eingang der Bodenarbeiter am Terminal I sprachen wir mit Ludmilla, einer Mitarbeiterin der Flughafen-Security, die spontan sagte: „Das finde ich okay, dass die streiken. Bei Lufthansa wurden so viele entlassen. Das ist für die Piloten jetzt ein Riesenstress.“

Auch Manuel, der für einen Subunternehmer des Flughafenbetreibers Fraport arbeitet, fand den Streik gut. Wie er sagte, kenne er die Verhältnisse bei Condor besser als bei Lufthansa, aber: „Im Grunde ist es überall dasselbe: Sie haben so viel Personal abgebaut, dass jetzt gar nichts mehr klappt.“

Erst am Abend zuvor sei erneut eine Maschine von Condor liegen geblieben. „Sie konnte nicht abheben, weil sie wegen Personalmangel nicht abgefertigt worden war.“ Im Zusammenhang mit der grassierenden Inflation wies Manuel auf den Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg hin und sagte, das bereite ihm im Moment die größten Sorgen. „In Europa sind alle Regierungen dabei, immer mehr Waffen zu liefern, bis es wirklich richtig knallt“, sagte er.

Mit zwei Fraport-Beschäftigten, die per Fahrrad unterwegs waren, kam es zu einer Diskussion über die Sparmaßnahmen und Entlassungen am Flughafen. Der eine sagte: „Was willst du machen. Sie stellen fest, dass die finanzielle Lage schlecht ist. Dann haben sie kein Geld, um die Leute weiter zu bezahlen.“ Darauf sagte sein Kollege: „Wenn die da oben sagen, sie hätten ‚kein Geld‘, dann ist das etwas anderes als bei uns. Bei ihnen ist es ein Minus in der Bilanz. Wenn wir aber kein Geld haben, dann können wir die Miete, die Gasrechnung und das Benzin nicht mehr bezahlen.“

Wir sprachen auch mit einem ehemaligen WISAG-Kollegen. Bei WISAG wurden vor anderthalb Jahren mehr als 300 Kollegen entlassen. Die Gekündigten kämpften vier Monate lang dagegen und traten sogar in einen Hungerstreik. Der Kollege, der mittlerweile bei einem anderen Dienstleister am Flughafen arbeitet, sagte zum Konflikt bei Lufthansa: „Früher war jeder stolz, der bei der Lufthansa arbeitete, da war das Qualität. Das ist aber nicht mehr so. Lufthansa beschäftigt jetzt viele Subunternehmer, bei denen die Leute wie Sklaven arbeiten. Ich kenne einen Fall, wo die Leute für 11,55 Euro die Stunde schuften. Wie willst du damit eine Familie ernähren?“

Er fuhr fort: „Egal wer es ist, Piloten, Stewardessen, normale Mitarbeiter, alle müssen zusammenhalten. Zersplittert können wir nichts erreichen. Und mit dem Krieg wird es jetzt immer schlimmer: Mieten sind teuer, Strom und alles wird ständig teurer. Alles, was die Regierung jetzt mit dem Löffel austeilt, das holt sie mit der Kelle wieder zurück. Nur zusammen kann man was dagegen machen. Das ist jetzt wichtig: Nur zusammen kann man die großen Firmen in die Knie zwingen.“

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