Truss entlässt Finanzminister und vollzieht Kehrtwende bei Körperschaftssteuer – Tories bereiten neue Palastrevolte vor

Die Premierministerin des Vereinigten Königreichs, Liz Truss, hat eine Kehrtwende bei der wichtigsten Maßnahme ihres Haushalts vollzogen. Sie ist von ihrem Vorhaben abgerückt, die geplante Erhöhung der Körperschaftssteuer von 19 auf 25 Prozent ab April 2023 zu streichen. Ihr Finanzminister Kwasi Kwarteng wurde entlassen.

Da die Regierung Truss noch keine 40 Tage besteht, ist Kwarteng damit der Finanzminister mit der zweitkürzesten Amtszeit in der Geschichte des Vereinigten Königreichs. Noch etwas kürzer war nur die von Iain Macleod, der 1970 kurz nach seiner Ernennung starb.

Die britische Premierministerin Liz Truss verkündet bei einer Pressekonferenz in der Downing Street Nr. 9 die Ernennung von Jeremy Hunt zum neuen Finanzminister. (Andrew Parsons/No 10 Downing Street / CC BY-NC-ND 2.0) [Photo by Andrew Parsons/No 10 Downing Street / CC BY-NC-ND 2.0]

Truss’ Regierung bricht inmitten der extremen Krise, die den Weltkapitalismus bedroht, zusammen. Die Zinssätze werden drastisch angehoben, um die Löhne zu drücken, während sich die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, des Nato-Kriegs und der Sanktionen gegen Russland bemerkbar machen.

Truss wurde durch eine offene Rebellion in ihrer regierenden konservativen Partei zum Handeln gezwungen. Der Politikjournalist John Sopel twitterte am Freitag: „Ein Kabinettsminister, der bis vor wenigen Wochen noch im Amt war, hat mir gegenüber gerade erklärt, ,[Liz Truss] hat auf dieses Land die Hölle losgelassen‘. Die Wortwahl hochrangiger Tories, die Ungläubigkeit, die kalte Wut ist mit nichts zu vergleichen, was ich in den Jahrzehnten meiner Berichterstattung über die Politik des Vereinigten Königreichs erlebt habe.“

Ein Treffen zwischen Truss und Tory-Hinterbänklern am Mittwoch wurde als „schweflig“, „einem Begräbnis angemessen“, „düster“ und „entsetzlich“ beschrieben. Ein Abgeordneter kommentierte: „Ich war schockiert, wie brutal es zuging.“ Ein anderer bezeichnete die Mitglieder von Truss’ Kabinett als „libertäre Dschihadisten, die die Partei zerstören“. Der Vorsitzende des Bildungsausschusses, Robert Halfon, warf ihr vor, sie habe die letzten zehn Jahre konservativer Regierungsarbeit zerstört.

Zuvor waren die Vertrauensindizes der Märkte hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung im Vereinigten Königreich eingebrochen, nachdem Truss und Kwarteng am 23. September in ihrem Mini-Budget ungedeckte Steuergeschenke an die Konzerne und Spitzenverdiener angekündigt hatten. Der Wert des Pfunds und der britischen Staatsanleihen stürzten in den Keller. Der Zeitpunkt der Ankündigung durch Truss am Freitag war so gewählt, dass sie einer geplanten Kürzung von Nothilfen in Milliardenhöhe durch die Bank of England zuvorkamen. Die Nothilfen waren nach der Veröffentlichung des Haushaltsplans aufgelegt worden.

Investoren befürchteten, dass die hinkende britische Wirtschaft einen Anstieg der Staatsschulden um 60 Milliarden Pfund nicht auffangen kann. Sie machten deutlich, dass die öffentlichen Ausgaben gesenkt werden müssen, selbst wenn dies auf eine größere soziale Explosion hinausläuft und sie damit nicht nur der Wirtschaft, sondern auch Truss selbst ihr Misstrauen aussprechen.

Der Ausverkauf britischer Staatsanleihen und der Absturz des Pfunds veranlassten die Bank of England, die Zinssätze schneller als geplant anzuheben, wobei allgemein erwartet wird, dass sie bis Anfang nächsten Jahres auf sechs Prozent steigen werden. Dies führte zu einem starken Anstieg der Hypothekenzinsen. Gleichzeitig begannen in der Regierung Diskussionen über die Frage, wie sich in nur drei Wochen zweistellige Milliardenbeträge kürzen lassen.

Die Konsequenzen für die Tories sind ein beispielloser Rückgang ihrer Zustimmungswerte. Laut einer Analyse von Electoral Calculus würde die Partei statt 356 nur noch 85 Sitze erhalten und damit ihr bisher schlechtestes Ergebnis erzielen, wenn sich die derzeitigen Umfragewerte an den Wahlurnen widerspiegeln würden.

In der Partei wird seit Wochen eine Kehrtwende gefordert, um eine Katastrophe für die Tories zu verhindern. Der ehemalige Finanzminister George Osborne twitterte am Mittwoch: „Angesichts der Qualen, die die Turbulenzen auf den Finanzmärkten der Realwirtschaft zufügen, ist nicht klar, warum irgendjemand ein Interesse daran haben sollte, noch 18 Tage zu warten, bis die unausweichliche Kehrtwende beim Mini-Budget kommt.“

Truss hofft, durch Kwartengs Entlassung ihre eigene Haut zu retten. Die Chancen, dass dies gelingt, sind jedoch gering. Die Ernennung von Jeremy Hunt zum Ersatzfinanzminister ist ein Versuch, auf andere Teile der Partei zuzugehen, doch ihre Regierung ist so gut wie erledigt. Hunt, ein prominenter Unterstützer von Rishi Sunak, der im Mittelpunkt der Pläne stand, Truss’ Ernennung zur Parteichefin zu verhindern, wird, unabhängig von seinen öffentlichen Äußerungen, genauso erpicht darauf sein, dass Truss fällt.

Die britische Premierministerin Liz Truss ernennt Jeremy Hunt am 14. Oktober 2022 im Kabinettssaal der Downing Street Nr. 10 zum neuen Finanzminister. (Andrew Parsons/No 10 Downing Street CC BY-NC-ND 2.0) [Photo by Andrew Parsons/No 10 Downing Street / CC BY-NC-ND 2.0]

Eine Gruppe hochrangiger Abgeordneter erklärte gegenüber Nicholas Watt von BBC Newsnight, Kwartengs Entlassung werde sie „dazu ermutigen, nächste Woche an die Öffentlichkeit zu treten und Liz Truss zum Rücktritt aufzufordern“. Einer von ihnen erklärte: „Das sind ernstzunehmende Leute. Die Premierministerin wird es schwer haben, das zu überleben.“

Tim Montgomerie, der einflussreiche Herausgeber der Website ConservativeHome, twitterte demonstrativ: „Wenn ich Liz Truss wäre, würde ich nicht warten, bis mich meine Partei aus dem Amt wirft. Ich hoffe, ich würde zurücktreten. Das Land und die Märkte haben meinen wichtigsten Programmpunkt auf vernichtende Weise zurückgewiesen.“

Die Pläne für eine weitere Palastrevolte, durch die ein fünfter Tory-Premierminister innerhalb von nur sechs Jahren an die Macht gebracht werden soll, sind weit fortgeschritten. Die Times berichtete: „Führende Konservative führen Gespräche über die Ablösung von Liz Truss durch eine Ernennung von Rishi Sunak und Penny Mordaunt im Rahmen einer ,Krönung‘ durch die Abgeordneten.“

Die Zeitung schreibt: „Etwa 20 bis 30 ehemalige Minister und hochrangige Hinterbänkler versuchen Truss mit Hilfe eines ,Ältestenrats‘ zum Rücktritt zu bewegen.“

Ein Abgeordneter erklärte den Reportern: „Entweder Rishi wird Premierminister mit Penny als Stellvertreterin und Außenministerin, oder Penny wird Premierministerin und Rishi Finanzminister. Sie würden eine Regierung mit allen Talenten anführen und die meisten Abgeordneten würden sich dem anschließen.“

Bei den jüngsten Planungen für eine Palastrevolte der Tories ziehen die Banken und Vermögensverwalter der Welt ganz unmittelbar die Fäden. Krishna Guha, Wirtschaftswissenschaftler bei Investec, erklärte gegenüber der Financial Times, dies sei das erste Mal seit Jahrzehnten, dass „die Finanzmärkte die Regierung einer großen, entwickelten Volkswirtschaft mit eigener Zentralbank gezwungen haben, bei zentralen finanzpolitischen Vorhaben zu kapitulieren“.

Von Truss’ Nachfolger wird erwartet, dass er das Vertrauen in die britische Wirtschaft wiederherstellt und die Arbeiterklasse dabei massiv ausbeutet. Und falls die Tories ihr Chaos nicht zur Zufriedenheit der Finanzoligarchie beseitigen können, wird die Labour Party die Aufgaben übernehmen.

Der Labour-Vorsitzende Sir Keir Starmer hat im Guardian jetzt zu Neuwahlen „zum Wohle des Landes“ aufgerufen, nachdem er monatelang geschwiegen hatte, während die Krise die Tories zerriss. Er erklärte, sein Aufruf gelte „unabhängig davon, ob Liz Truss von den Tories ersetzt wird, weil die Regierung ,völlig am Ende‘ ist und sich Labour auf die Macht vorbereitet“. Truss habe die Wirtschaft „an die Wand gefahren“ und „unsere Institutionen zerstört“, weshalb es nicht akzeptabel sei, den Premierminister erneut auszuwechseln, ohne dass das Land darüber abstimmen darf.

Starmer hat eindeutig klar gemacht, dass er die Offensive der Tories gegen die Arbeiterklasse fortsetzen und sich dabei auf den Gewerkschaftsapparat stützen wird. Die Arbeiter müssen in der Lage sein, ihre politische Stimme durchzusetzen und zu entscheiden, was getan werden muss, um diese Krise zu ihren Bedingungen und in ihrem eigenen Interesse zu lösen, statt im Interesse der globalen Spekulanten und der Vorstandsetagen der Konzerne.

Um diese Verschwörung zwischen Tories und Labour zu durchbrechen, hat die Socialist Equality Party die Arbeiter aufgerufen, sofortige vorgezogene Neuwahlen zu fordern. Sollte es zu Neuwahlen kommen, wird die SEP Kandidaten aufstellen, um eine sozialistische und eine Antikriegs-Strategie zu vertreten, auf deren Grundlage die Arbeiterklasse kämpfen kann.

Wir werden Millionen Arbeiter in Großbritannien und der Welt darauf aufmerksam machen, dass Tories und Labour den gleichen politischen Kurs verfolgen: Klassenkrieg im Inneren und Krieg gegen Russland und China nach außen.

Hunderttausende haben monatelang entschlossene Streiks geführt, um sich gegen den Angriff auf ihre Arbeitsplätze, Löhne und Arbeitsbedingungen zu wehren, obwohl sich die Gewerkschaftsbürokratie ebenso entschlossen bemüht hat, die Entstehung einer breiteren Bewegung zu verhindern. Die Arbeiter müssen die Forderung nach Neuwahlen aufnehmen und durch eine Verstärkung der derzeitigen Arbeitskampf-Offensive dafür kämpfen, bis hin zu einem Generalstreik. Dies wird es den Arbeitern ermöglichen, der Bürokratie die Kontrolle über ihre Kämpfe zu entreißen und allen Anstrengungen politisch entgegenzutreten, sie an die angebliche Alternative zu den Tories zu binden: die Labour Party.

Loading