Uniklinik Frankfurt: Weist den Ausverkauf des TV-E zurück! Baut Aktionskomitees auf

Am 25. Oktober haben sich das Uniklinikum Frankfurt und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi für rund 4.000 nicht-ärztliche Beschäftigte auf einen „Tarifvertrag Entlastung“ (TV-E) geeinigt. Ehrlicher wäre, ihn „Tarifvertrag für immer größere Belastung“ zu nennen. Denn obwohl schon die neue Coronawelle anrollt, schafft er keine Verbesserung für die erschöpften Pflegekräfte.

Der Frankfurter TV-E ist noch schlechter als diejenigen, die an der Charité und bei Vivantes in Berlin und an den Universitätskliniken Nordrhein Westfalens im vergangenen Jahr verabschiedet wurden.

Im Zentrum jedes TV-E steht die Festlegung einer verbindlichen Personalbesetzung für jede Abteilung pro Schicht. Wird sie unterschritten und müssen Pflegekräfte infolgedessen die doppelte Arbeit leisten, erhalten sie nicht etwa das doppelte Gehalt, sondern einen Punkt in einem Punktesystem. Während der Berliner TV-E für fünf solche Punkte und der TV-E in NRW für sieben Punkte eine zusätzliche Freischicht vorsieht, sind für die Frankfurter Pflegekräfte nicht weniger als zehn solcher Punkte notwendig. Die Pflegekräfte sollen also für zehn Schichten in Unterbesetzung gerade mal eine Freischicht von 8 Stunden zusätzlich bekommen.

Es ist eine direkte Aufforderung an das Management zum „Weiter so!“ Denn jede personelle Unterbesetzung schlägt sich in der Finanzkalkulation des Klinikums als Plus nieder. Außerdem gilt der Vertrag erst ab dem 1. August 2023. Bis dahin soll es pauschal drei zusätzliche Entlastungstage geben, von denen zwei in Geld ausgezahlt werden, weil der Personalmangel gar keine zusätzlichen Freitage erlaubt.

Für die Pflegekräfte heißt das, zunächst ein weiteres Jahr wie bisher durchzuhalten, und auch danach keine Änderung zu erwarten. Denn das Hauptproblem, der Personalmangel, besteht ja nach wie vor. Nimmt jemand Entlastungstage, müssen die Kollegen die Zusatzbelastung mit stemmen – ein Teufelskreis, der nur durch eine grundsätzliche Abschaffung der Profite-vor-Leben-Politik in der Pandemie und eine massive Investition in die Krankenhäuser durchbrochen werden könnte.

Außerhalb der Pflege sieht der Vertrag vor, insgesamt 70 neue Vollzeitstellen zu schaffen, die im IT-Bereich, in der Küche, im Patiententransport, im Labor, der Radiologie und anderen Abteilungen eingesetzt werden sollen – was ebenfalls viel zu wenig ist. Auch dort, beispielsweise im Patiententransport, haben Beschäftigte der WSWS berichtet, dass immer mehr Kollegen wegen anhaltender Überforderung den Dienst quittieren.

Der 30. November soll der Stichtag sein: Wenn es bis dahin weder ein Veto des Aufsichtsrats noch eine Ablehnung der Gewerkschaftsmitglieder gebe, so Verdi-Verhandlungsführer Georg Schulze, gelte: „Schweigen ist Zustimmung“.

In der Abstimmung im November müssen Krankenschwestern, Pfleger und alle Beschäftigten mit Nein stimmen: Weist den Ausverkauf des TV-E zurück! Unterstützt das unabhängige Aktionskomitee Pflege, das die WSWS und die Sozialistische Gleichheitspartei im NRW-Pflegestreik gegründet haben, und das mit Pflegekräften weltweit zusammenarbeitet. Lest unsern Aufruf: „Unterstützt den Pflege-Streik in NRW! Baut unabhängige Aktionskomitees auf!

Wie schon in NRW und zuvor in Berlin haben auch in Frankfurt die Klinikbeschäftigten große Streikbereitschaft gezeigt. Sie sind Teil einer Offensive des Pflegepersonals auf der ganzen Welt. In Frankfurt sind die Pflegekräfte im vergangenen Jahr immer wieder für je eintägige und zweitägige Streiks in den Ausstand getreten. In Berlin hatte ein Streik im letzten Herbst bei Vivantes und der Charité 50 Tage angedauert, in NRW wurden alle sechs Unikliniken sogar elf Wochen lang bestreikt.

Das Aktionskomitee hat im Kampf gegen den Pflegenotstand konkrete Forderungen aufgestellt. Eine dieser Forderungen lautet: „Für jede unterbesetzte Schicht müssen Beschäftigte einen Ausgleich in Höhe des Lohns der ausgefallenen Kraft plus 50 Prozent Stresszulage erhalten!“ Als Begründung heißt es: „Wer für zwei arbeitet, muss auch für zwei entlohnt werden! Nur so kann das perfide System beendet werden, in dem sich die Unternehmen an der Unterbesetzung auf Kosten unserer Gesundheit bereichern!“

Der Vertragsabschluss in Frankfurt hat erneut gezeigt, dass Pflegekräfte in diesem Kampf nicht nur mit Politik und Unternehmen, sondern auch mit der Gewerkschaftsbürokratie konfrontiert sind. Verdi führt keinen ernsthaften Arbeitskampf, sondern zementiert die bestehenden Missstände, die eine Folge der Durchseuchungs- und Kriegspolitik der Regierung sind. Auch der Druck auf die Arbeitslöhne steigt infolge der Inflation und Preisexplosion. In all diesen Fragen stehen die Gewerkschaften auf der Seite der Ampel-Koalition.

An der Uniklinik stehen die Verdi-Verhandlungsführer auf der Seite der Klinikleitung und der hessischen Landesregierung. Sie arbeiten eng mit der Wissenschaftsministerin Angela Dorn (Grüne), auch Aufsichtsratsvorsitzende des Frankfurter Uniklinikums, zusammen. Wie alle DGB-Gewerkschaften sitzt Verdi mit der Regierung im Boot und tut alles, um den Klassenkampf zu unterdrücken.

Beispielsweise hat die Gewerkschaft kein einziges Mal alle Pflegekräfte gemeinsam aufgerufen. Dabei müssen sich auch die Beschäftigten des zweiten hessischen Uniklinikums in Marburg und Gießen gegen Ausgründung und Arbeitsplatzabbau wehren.

Verdi-Verhandlungsführer Georg Schulze hat jahrzehntelange Erfahrung darin, die Kämpfe streng voneinander zu isolieren und zeitig wieder abzubrechen. Er hat federführend auch die Kita-Streikbewegung für bessere Arbeitsbedingungen im Jahr 2015 abgewürgt, und er hat auch die Privatisierung der Uniklinik Marburg-Gießen mitorganisiert, in deren Aufsichtsrat er lange saß.

Der jüngste Abschluss am Frankfurter Uniklinikum fällt in eine Situation, in der gleichzeitig der Tarifvertrag für 2,3 Millionen Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes ausläuft. Der Abschluss dient offensichtlich vorrangig dem Ziel, ja nicht zuzulassen, dass sich eine effektive Arbeiterbewegung aufbaut, die die Zustände ändern könnte.

Diese Missstände haben sich im Lauf der Corona-Pandemie verschlechtert, und der Krankenstand ist auch jetzt wieder hoch. Das zuständige Land Hessen hat sogar kurz versucht, Pflegekräfte mit positivem Corona-Test zurück an die Arbeit zu schicken. Vor der neuen Infektionswelle mit dem hochansteckenden BA5-Virus hat Ministerin Dorn verfügt, dass es reiche, nach einer Covid19-Infektion zwei Tage lang symptomfrei zu sein und einen negativen Schnelltest vorzuweisen, um zurück auf die Arbeit zu kommen. Damit riskiert sie neue, gefährliche Corona-Hotspots im Krankenhaus.

Die große Unzufriedenheit, die seit Monaten vorherrscht, ist auch daran zu sehen, dass Regierung und Klinikleitung versuchen, den Beschäftigten einen regelrechten Maulkorb zu verpassen.

Schon auf dem Höhepunkt der ersten Corona-Welle hat der Personaldezernent des Uniklinikums im September 2020 ein Schreiben zirkuliert, dass die Beschäftigten gegenüber „jeglichen Presse- und Interviewfragen“ über die Krankenversorgung und Betriebsorganisation „nur nach vorheriger Abstimmung und Freigabe durch die Stabsstelle Kommunikation“ sprechen dürften. Dies hat der Personalrat zunächst pro forma abgelehnt, sich jedoch im Juni 2022 mit der Klinikleitung geeinigt. Jetzt gibt es ein neues, um Beispiele ergänztes Schreiben, was Mitarbeiter dürfen und was nicht.

Demnach sollen „Spontanäußerungen unter Einhaltung der gesetzlichen tarif- und arbeitsvertraglichen Verschwiegenheitspflichten möglich bleiben“, und Beschäftigte dürften spontan „Einblick in ihre eigene Gefühlswelt geben“, wenn sie keine Interna ausplauderten. Die Frankfurter Neue Presse zitiert Beispiele aus dem Schreiben. Erlaubt sei beispielsweise: „Ich bin deprimiert, weil zu wenige von uns zu viel auffangen müssen“. Verboten seien dagegen Sätze wie dieser: „Ich bin deprimiert, weil mir gestern ein Corona-Patient unter der Hand weggestorben ist.“

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