Mehrere Bundesländer heben Maskenpflicht im Nahverkehr auf

Täglich sterben mehr als 100 Menschen an Covid-19, die Kliniken stehen an der Belastungsgrenze und eine Corona-Winterwelle bahnt sich an. Trotzdem heben die Landesregierungen die letzten Schutzmaßnahmen gegen die ungehinderte Ausbreitung des Virus auf.

Am vergangenen Montag trafen sich die Gesundheitsminister von Bund und Ländern, um ein gemeinsames Vorgehen bei der Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr abzustimmen. Als es auf dem Treffen zu keiner Einigung kam, hoben mehrere Landesregierungen eigenständig die Maskenpflicht im Nahverkehr auf. Andere erklärten ihre Absicht, bald zu folgen.

Vollbesetzter BVG-Linienbus in Berlin

Am Donnerstag hob Sachsen-Anhalt die Maskenpflicht auf und am Samstag Bayern. Der bayrische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) begründete dies damit, dass die Maskenpflicht „nicht mehr verhältnismäßig“ sei.

Die Landesregierung von Schleswig-Holstein kündigte an, die Maskenpflicht zum Jahresende auslaufen zu lassen. Die Mehrheit der Bundesländer erklärte zwar, sie würden die Maskenpflicht bis zum Jahresende verlängern, jedoch nicht, was danach geschehen soll. Vieles deutet darauf hin, dass bald weitere Bundesländer dem Beispiel von Bayern, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein folgen werden. Die rot-rot-grüne Landesregierung in Bremen gab bereits bekannt, die Maskenpflicht ab März zu beenden.

Die Landesregierungen von Thüringen und Hessen erklärten zwar, dass sie die Maskenpflicht vorerst beibehalten wollen. Gleichzeitig betonten sie, dass dies schwierig sei, wenn sie in den anderen Bundesländern abgeschafft werde. Tatsächlich haben die bisherigen Erfahrungen gezeigt, dass auf den Vorstoß eines Bundeslandes beim Aufheben von Maßnahmen sehr bald die anderen folgen.

Auf Bundesebene reagierte der FDP-Vorsitzende und Finanzminister Christian Lindner auf die Entscheidung der bayrischen Regierung bereits mit der Forderung, die Maskenpflicht deutschlandweit abzuschaffen: „Richtige Entscheidung, … die Maskenpflicht im ÖPNV wieder abzuschaffen. Hoffe, dass dieser Entschluss bald auch bundesweit Schule macht.“

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) appellierte zwar, die Maskenpflicht im Nahverkehr beizubehalten, doch das ist verlogen. Er selbst war führend an der Ausarbeitung des derzeitigen Infektionsschutzgesetzes beteiligt, das einen Großteil der Schutzmaßnahmen beseitigt und den Ländern die Möglichkeit gegeben hat, auch die verbleibenden abzuschaffen.

Besonders entlarvend ist Unterstützung der Gewerkschaften für die Aufhebung der Maskenpflicht. Beide großen Eisenbahngewerkschaften – sowohl die EVG, als auch die GDL – sprachen sich in den letzten Tagen für ein bundesweites Abschaffen der Maskenpflicht im Nah- und Fernverkehr aus.

Der EVG-Vorsitzende Martin Burkert erklärte gegenüber dem Spiegel, das Tragen von Masken müsse in Zügen freiwillig sein. Der derzeitige Flickenteppich an Regeln sei „schlicht nicht mehr nachzuvollziehen“.

GDL-Chef Claus Weselsky äußerte sich ähnlich: „Sicherlich hat es sich in den heißen Phasen der Pandemie bewährt und war in der Zeit auch sinnvoll. Jetzt beginnt es groteske Züge anzunehmen, weil meine Kolleginnen und Kollegen die einzigen sind, die sich auf Grund der Verpflichtung von ihrer Arbeit her noch strikt daran halten müssen… Es muss irgendwann mal gut sein. Wir sind als Eisenbahn das einzige Verkehrsmittel, in dem die Maskenpflicht im Fern- und Nahverkehr noch besteht.“

Die Unterstützung der Gewerkschaften für die Durchseuchung ihrer Mitglieder am Arbeitsplatz zeigt ihren arbeiterfeindlichen Charakter. Die ganze Pandemie über haben sie das Ziel verfolgt, Arbeiter unter unsicheren Bedingungen zurück an den Arbeitsplatz zu zwingen, um die Profite am Sprudeln zu halten. Jetzt fordern sie die Beseitigung der letzten Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz.

Der Nah- und Fernverkehr ist der einzige Bereich, in dem noch eine Maskenpflicht – und damit eine der letzten verbleibenden Schutzmaßnahmen – gilt. Ende November hatten bereits Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Schleswig-Holstein die Isolationspflicht aufgehoben. Rheinland-Pfalz schloss sich Anfang Dezember an.

Das Aufheben der Maskenpflicht, der letzten Schutzmaßnahme, vor Beginn der Winterwelle bedeutet nichts anderes, als das Sterben mit dem Virus quasi per Gesetz zu verordnen. Entgegen der allgemeinen Behauptungen von Politik und Medien ist das Virus keineswegs harmlos geworden, sondern nach wie vor extrem tödlich.

Noch immer sterben jeden Tag rund 110 Menschen am Virus. Zehntausend Menschen werden jede Woche hospitalisiert. Sowohl in medizinischen Behandlungseinrichtungen als auch in Alten- und Pflegeheimen steigt die Zahl der Corona-Ausbrüche.

In medizinischen Behandlungseinrichtungen waren es in der vergangenen Woche 191 Ausbrüche (Vorwoche: 119) und in Alten- und Pflegeheimen 280 (Vorwoche: 269). Zudem wurden 26, bzw. 69 Todesfälle infolge von Corona-Ausbrüchen gemeldet. Die Zahlen werden im Winter infolge der erwarteten Corona-Welle zwangsläufig weiter ansteigen.

Auch eine Reihe anderer Atemwegserkrankungen breiten sich in Folge der Aufhebung der Corona-Schutzmaßnahmen aus. So erklärte RKI-Präsident Lothar Wieler: „Momentan fällt auf, dass sich immer mehr Menschen mit der Grippe anstecken. Deshalb denke ich, dass es im Winter keine reine Corona-Welle geben wird, sondern dass eine Reihe von Atemwegsinfektionen parallel um sich greifen.“

Die Zahl der Atemwegserkrankungen liegt laut RKI „aktuell sogar über dem Niveau der Vorjahre zum Höhepunkt schwerer Grippewellen“. Der aktuelle RKI-Bericht schätzt die Zahl der akuten Atemwegserkrankungen in der Bevölkerung auf insgesamt circa 9,5 Millionen. Internen Auswertungen der Krankenkasse DAK zufolge hatten sich im November so viele Menschen krankgemeldet, wie seit drei Jahren nicht mehr. Im Vergleich zum November 2021 ist die Zahl doppelt so hoch.

Das spiegelt sich direkt in den Krankenhäusern wieder. Laut der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) ist die Zahl der freien Intensivbetten zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie unter 2000 gefallen. Am Donnerstag vergangener Woche gab es nur noch 1886 freie Betten. Vor einem Jahr zur selben Zeit waren es 2250 und vor zwei Jahren fast 4000.

Und dabei beziehen sich die Zahlen nur auf die Intensivbetten für Erwachsene. An den Kinderkliniken ist die Lage noch katastrophaler. Der Sprecher des Verbands der Kinder- und Jugendärzte, Jakob Maske, sagte im Deutschlandfunk: „Es ist tatsächlich so, dass im Moment die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen und auch das Leben ordentlich gefährdet sind.“

Insgesamt stehen die Klinken am Rande des Zusammenbruchs. „Wir haben jetzt einen ganz normalen Anstieg von Infektkrankheiten, wie wir ihn jeden Winter sehen – und die Systeme brechen zusammen,“ so Maske. Schwerstkranke Kinder müssten beispielsweise über hunderte Kilometer aus Berlin verlegt werden, weil es keine Betten gebe.

Die Überlastung des Gesundheitssystem, die jetzt besonders akut wird, und die ungehinderte Ausbreitung von Corona und anderen Infektionskrankheiten sind eine Folge der Profite-vor-Leben-Politik der herrschenden Klasse. Notwendig ist der Aufbau einer unabhängigen Bewegung der internationalen Arbeiterklasse mit einem sozialistischen Programm, um die öffentliche Gesundheit dem Profitzwang zu entziehen.

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