Lauterbachs Krankenhausreform: Leistungsabbau und Schließung von Kliniken

Die Reform der Krankenhausversorgung gehört zu den Kernprojekten der Ampel-Koalition im laufenden Jahr. Bereits am 2. Dezember 2022 hatte der Bundestag eine kleine Reform beschlossen, der noch der Bundesrat zustimmen muss. Am 6. Dezember legte dann die von der Regierung berufene Kommission ihren Vorschlag für eine weitreichende Umgestaltung der Krankenhausversorgung vor.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach [Photo by Raimond Spekking / Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0]

Gesundheitsminister Karl Lauterbach feierte den Vorschlag, der noch das Gesetzgebungsverfahren durchlaufen muss, als „Revolution im System“. „Die Medizin wird wieder in den Vordergrund der Therapie gestellt und folgt nicht der Ökonomie,“ versprach der SPD-Politiker. Das Fallpauschalen-System, das Krankenhäuser zwingt, möglichst viele Behandlungen auf möglichst kostengünstige Art durchzuführen und unrentable Bereiche zu schließen, werde überwunden.

Das Gegenteil ist der Fall. Hinter der angekündigten „Revolution“ verbirgt sich eine grundlegende Neustrukturierung der Kliniklandschaft im Interesse von Staatshaushalt und großen Klinikkonzernen, die die Gesundheitsversorgung für die breite Bevölkerung deutlich verschlechtert. Die Überlastung des Pflegepersonals und die finanziellen Schwierigkeiten zahlreicher Kliniken dienen dabei als Vorwand, lang gehegte Pläne zur massenhaften Schließung von Krankenhäusern in die Tat umzusetzen.

Dies macht schon die Besetzung der 17-köpfigen Regierungskommission deutlich. Professor Boris Augurzky vom Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsinstitut (RWI) und Reinhard Busse, Professor für Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin, die das Konzept inhaltlich maßgeblich bestimmt haben, fordern seit Jahren die Stilllegung von Kliniken. Mehr als die Hälfte der aktuell rund 1900 Krankenhäuser in Deutschland sollen nach ihrem Willen schließen.

Wer die katastrophalen Zustände in vielen Krankenhäusern kennt, weiß, dass sie ohne beträchtliche zusätzliche Finanzmittel nicht überwunden werden können. Vor allem die unerträgliche Überlastung des Pflegepersonals, die immer mehr aus dem Beruf treibt, kann nur durch zusätzliche Einstellungen zu wesentlich besseren Löhnen und Arbeitsbedingungen überwunden werden.

Doch eine solche Erhöhung schließt die Kommission kategorisch aus. Während Milliardensummen in die Aufrüstung fließen, wird kein zusätzlicher Cent für Krankenhäuser zur Verfügung gestellt, die systematisch unterfinanziert sind. Laut Deutscher Krankenhausgesellschaft (DKG) fehlen ihnen aktuell jährlich 15 Milliarden Euro an operativen Finanzmitteln. Hauptgrund dafür sind die gestiegenen Energiekosten und die Mehrkosten durch die Corona-Pandemie.

DKG-Chef Gerald Gass beanstandete deshalb, der Vorschlag der Kommission beruhe „auf einer falschen Grundprämisse“. Er wolle die aktuellen Mittel auf Basis der Zahlen aus dem Jahr 2021 nur umverteilen. „Damit basiert die Finanzreform aber bereits auf einer strukturellen Unterfinanzierung und ist damit im Prinzip schon zu Beginn zum Scheitern verurteilt.“

Die Regierung hatte der Kommission die Vorgabe mit auf den Weg gegeben, dass die Reform unterm Strich keine zusätzlichen Kosten verursachen dürfe. Was an einer Stelle mehr ausgegeben wird, muss an anderer Stelle eingespart werden. Daran hat sie sich gehalten. „Mehr Geld ist nicht die Lösung und mehr Personal gibt es nicht,“ erklärte Kommissionsmitglied Reinhard Busse im Interview mit der Zeit. „Wir haben jetzt eine Antwort, wie wir es trotzdem schaffen können.“

Diese Antwort läuft auf die Schließung zahlreicher Krankenhäuer und den Abbau von Gesundheitsleistungen hinaus.

Alle Krankenhäuser sollen künftig in drei Level eingeordnet werden. Level I, die niedrigste Stufe, soll nur noch für die Grundversorgung zuständig sein. Hier sollen einfache chirurgische Eingriffe, wie Blinddarmoperationen, oder Notfälle, wie gebrochene Extremitäten, behandelt werden. Dabei soll es noch einmal eine Unterteilung in Häuser mit einer Notfallstufe (Level In) und ohne diese (Level Ii) geben.

In der niedrigsten Stufe sollen so genannte Bettenhäuser ausgebaut werden, in denen tagsüber Behandlungen stattfinden. Nachts sind hier nur Pflegekräfte, aber kein ärztliches Personal vor Ort. Dementsprechend sollen Kliniken des Level Ii auch nicht mehr zwingend von ärztlichem Personal geleitet werden müssen.

Level II ist für die Schwerpunktversorgung verantwortlich. Über die Grundversorgung hinaus sollen hier noch weitere Leistungen, beispielsweise die Akutbehandlung von Schlaganfällen oder Krebsbehandlung, angeboten werden. Andere spezialisierte Behandlungen sollen nur noch in Kliniken des Levels III (Maximalversorgung) möglich sein. Hier ist für Universitätskliniken eine weitere Differenzierung (Level IIIU) vorgesehen.

Die Finanzierung der Krankenhäuser erfolgt in Zukunft nicht mehr ausschließlich über Fallpauschalen, sondern zu 40 und in einigen Fällen zu 60 Prozent über Vorhaltepauschalen, deren Höhe sich nach der Ausstattung des Krankenhauses bemisst. Zu diesem Zweck werden über das Level hinaus zahlreiche Leistungsgruppen (wie Kardiologie, Onkologie) definiert. Behandlungen können dann nur noch abgerechnet werden, wenn dem Krankenhaus die entsprechende Leistungsgruppe zugeteilt wurde und es über die vorgeschriebene teure Ausstattung verfügt.

Die Fallpauschalen werden dabei nicht abgeschafft, wie Lauterbach wiederholt angekündigt hatte, sondern lediglich durch die Vorhaltefinanzierung ergänzt. Die Kommission erklärte dazu ausdrücklich, dass die Fallpauschalen bestehen bleiben, weil die Kosten im Gesundheitssystem ohne ökonomischen Druck explodieren würden.

Bereits die kleine Reform vom Dezember hat die Weichen dafür gestellt, dass viele Patienten nach Eingriffen nicht mehr im Krankenhaus übernachten, sondern ambulant behandelt und sofort wieder entlassen werden. So soll ohne Rücksicht auf die Versorgungsqualität Personal eingespart werden. Sogenannte „blutige Entlassungen“, die schon infolge der Fallpauschalen häufig waren, würden dann zur Regel. Ambulante Versorgungsstrukturen, wie Hausärzte oder Pflegedienste, könnten diese Fälle überhaupt nicht alle versorgen.

Die Auswirkungen des Vorschlags der Kommission sind offensichtlich. Vor allem im ländlichen Bereich wird es zur Schließung zahlreicher Krankenhäuser kommen, die bereits jetzt in finanzieller Schieflage sind. So können in Bayern 143 der 351 Krankenhäuser keine strukturierte Notfallversorgung vorweisen und müssen daher um ihre Zukunft als akutstationäres Krankenhaus bangen.

Derzeit werden auch in kleineren und mittleren Krankenhäusern Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Krebs behandelt. Grundsätzlich ist es sinnvoll, diese Behandlungen in besser ausgestatten Kliniken mit erfahrenerem ärztlichem Personal durchzuführen. Dazu müssten aber die Kapazitäten in Level II und III massiv ausgebaut werden, was nicht vorgesehen ist.

Tatsächlich sollen Leistungen schlichtweg eingeschränkt werden. Die Vereinigung der Intensiv- und Notfallmediziner (DIVI) erklärte dazu: „Es wird so getan, als wenn alles nur umgeschichtet wird. Das ist nicht der Fall. Es wird definitiv zu Leistungseinschränkungen kommen.“ So wird es in Zukunft wesentlich schwieriger sein und länger dauern, eine teure, aber notwendige Operation zu erhalten.

Die Fallpauschalen wurden vor zwanzig Jahren von der damaligen SPD-Grünen-Koalition eingeführt worden. Neben den Hartz-Reformen, die einen riesigen Niedriglohnsektor schufen, und der Rentenreform, die die Altersversorgung empfindlich absenkte, hatte die Regierung Schröder/Fischer damals auch eine Gesundheitsreform beschlossen, die die Gesundheit zur Ware erklärte und dem Profitprinzip unterordnete.

Die Krankenhäuser erhalten seither für jede medizinische Behandlung einen fixen Betrag, eine Fallpauschale, unabhängig davon, wieviel sie tatsächlich kostet. Es ist also im Interesse der Krankenhäuser, Patienten so schnell wie möglich zu entlassen. Kinder oder Gebrechliche, die viel Pflege aber wenig technischen Aufwand erfordern, rentierten sich nicht. Entsprechende Abteilungen wurden deshalb geschlossen.

Karl Lauterbach, der seine politische Karriere in der CDU begann, bevor er zur SPD wechselte, war damals maßgeblich an der Einführung der Fallpauschalen beteiligt. Die jetzige Reform korrigiert die dadurch geschaffenen Missstände nicht, sondern setzt die Unterordnung der Gesundheit unter den Profit in anderer Form fort.

Wie gleichgültig der Regierung die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung ist, zeigt sich überall. Fast drei Jahre Profite-vor-Leben-Politik in der Pandemie sorgen in den Krankenhäusern für einen permanenten Ausnahmezustand. Anstatt die Pandemie zu bremsen und massiv Mittel in die Einrichtungen zu investieren, beendet die Regierung alle Schutzmaßnahmen und plant eine „Reform“, die zum Kahlschlag in der Krankenhauslandschaft führt.

Allein 2021, mitten in der Pandemie, mussten 16 Kliniken in Deutschland schließen. Die zahlreichen Teilschließungen und Stilllegungen einzelner Bereiche sind dabei nicht erfasst. Auch 2022 schloss im Schnitt jeden Monat ein Krankenhaus.

Die aktuelle Lage an den Kinderkliniken zeigt nur allzu deutlich, was die Organisation der Gesundheitsfürsorge unter kapitalistischen Vorzeichen anrichtet. Anstatt in Aufrüstung und Krieg müssen umfangreiche finanzielle Mittel unverzüglich in den Auf- und Ausbau von Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen fließen. Sämtliche Privatisierungen der letzten Jahrzehnte müssen rückgängig gemacht werden. Ärztliche Behandlungen und pflegerische Maßnahmen dürfen sich ausschließlich an wissenschaftlichen Standards orientieren und nicht an Profitinteressen.

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