Tarifverhandlungen: Postbeschäftigte sind streikbereit

In diesem Jahr stehen für knapp 11 Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter in verschiedenen Branchen Tarifverhandlungen an. Die erste Runde startet bei der Deutschen Post AG. Die rund 160.000 Beschäftigten in der Paket- und Briefzustellung und weiteren Bereichen im Inland haben klar gemacht, dass sie sich nicht abspeisen lassen wollen wie in der letzten Tarifrunde. Sie haben die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft Verdi gezwungen, 15 Prozent mehr Gehalt und 200 Euro mehr im Monat für Auszubildende und dual Studierende zu fordern.

Streikende Postbeschäftigte 2015 in Köln [Photo by Marco Verch / flickr / CC BY 2.0]

Beim Auftakt der Verhandlungen am vergangenen Freitag in Fulda lehnte der Post-Vorstand unter Leitung von Frank Appel die mehr als berechtigten Forderungen ab und legte kein eigenes Angebot vor. Dabei würden 15 Prozent mehr Geld nicht einmal die Reallohnsenkungen der letzten drei Jahre und die aktuelle offizielle Inflation von rund 9 Prozent ausgleichen; erst recht nicht, wenn man die Kosten bei Lebensmitteln und Energie berücksichtigt, für die Arbeiterfamilien einen großen Teil ihrer Einkommen ausgeben. Dort betragen die Preissteigerungen zwischen 20 und 50 Prozent.

Bereits im September 2020 hatten die Postbeschäftigten bewiesen, dass sie kämpfen wollen. Doch Verdi würgte den Arbeitskampf ab, obwohl sich allein vor der dritten Verhandlungsrunde 22.000 an Warnstreiks beteiligt hatten. Darauf folgte dann der Abschluss durch die Verdi-Tarifkommission, die den Postbeschäftigten empfindliche Reallohnsenkungen verordnete.

In den ersten sieben Monate stiegen die Löhne und Gehälter gar nicht, zum 1. Januar 2021 dann um drei Prozent und zum 1. Januar 2022 noch einmal um zwei Prozent. Verdi verschaffte der Post mit einer Vertragslaufzeit von 28 Monaten fast zweieinhalb Jahre Ruhe. Vorher hatte sie die Postbeschäftigten monatelang als „Corona-Helden“ gelobt, weil ihre Belastung in der Pandemie ins Unerträgliche wuchs,

Auch jetzt wird Verdi alles tun, um einen Arbeitskampf zu vermeiden. Die Tarifrunde hatte im Oktober und November letzten Jahres mit einer Mitgliederbefragung begonnen. Über 43.000 Verdi-Mitglieder – so viele wie nie zuvor – hatten daran teilgenommen. Verdi hatte versucht, schon im Vorfeld die Erwartungen herunterzuschrauben, und gefragt, wie die Mitglieder zu einer Forderung nach 10 Prozent stehen. 65 Prozent der Mitglieder lehnten diese Forderung als zu gering ab! Rund 91 Prozent der Beschäftigten erklärten sich bereit, für ihre Forderungen zu streiken.

Daraufhin beschloss Verdi die jetzigen Forderungen. Derzeit finden in mehreren Städten Betriebsversammlungen und kleinere Kundgebungen statt, auf denen die Beschäftigten ihre Kampfbereitschaft unterstreichen – wie am Montag 1500 Beschäftigte aus dem Großraum Frankfurt in Offenbach.

Der Post-Vorstand hält wie zu erwarten selbst einen Ausgleich der erlittenen Reallohnsenkungen für „realitätsfern“. Ein Firmensprecher sagte, man müsse eine Balance zwischen Lohnsteigerungen und wirtschaftlicher Tragfähigkeit finden, andernfalls gefährde man Arbeitsplätze. „Schon heute reicht das deutlich rückläufige Ergebnis im Post- und Paketgeschäft nicht mehr für die notwendigen Investitionen aus,“ sagte der Post-Sprecher.

Das „rückläufige Ergebnis“ betrug im letzten Jahr allein in der Paket- und Briefzustellung 1,35 Milliarden Euro. Insgesamt kann die Post 2022 mindestens 8,4 Milliarden Euro Gewinn verbuchen, schon 2021 waren es acht Milliarden gewesen. Doch das Geld soll nicht an diejenigen gehen, die dafür in ihrer täglichen Arbeit ihre Gesundheit ruinieren, sondern an die Aktionäre und Manager. Die Post zahlte im letzten Jahr ihren Aktionären 2,2 Milliarden Euro Dividende. Und Postchef Appel kassiert jährlich an die 10 Millionen Euro, im Jahr 2020 war er damit bestbezahlter CEO eines DAX-Unternehmens.

Während die Post-Vorstände absahnen, lehnen sie selbst die Zahlung der steuerfreien Prämie von 3000 Euro ab, die die Bundesregierung den Tarifparteien zur Verfügung stellt, um die prozentualen Steigerungen und damit die Reallöhne niedrig zu halten. Die Milliarden-Dividende für die Aktionäre soll nicht um die 480 Millionen Euro gekürzt werden, die diese Zahlung für die Beschäftigten einmalig kosten würde.

Die Beschäftigten sollen weiter im Interesse der Aktionäre bluten. 1995 hatten Kapital und Kabinett die Deutsche Post in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und an die Börse gebracht. Wie der Flug- und Bahnverkehr und das Gesundheitssystem werden auch der Postdienst und die Telekommunikation immer weiter aufgegliedert, filetiert und privatisiert. Im Ergebnis liefern sich Deutsche Post und ihre Töchter, wie die DHL Delivery, mit Amazon, DPD, FedEx, UPS, Hermes, GLS und anderen Logistikern auf den Knochen der Arbeiter einen gnadenlosen Wettbewerb. Die meisten Postbeschäftigten gehören zu den Geringverdienern, erhalten zumindest deutlich weniger als den Durchschnittslohn.

Die Post AG ist dagegen eine der größten Krisengewinner, sie hat in den vergangenen drei Jahren enorm von der Corona-Pandemie und dem dadurch ansteigenden Paketaufkommen profitiert – auf Kosten der Gesundheit und des Lebens der Beschäftigten. Die Belastungen stiegen mit Beginn der Corona-Pandemie extrem und wurden durch mehrere interne, organisatorische Änderungen zusätzlich verstärkt. Der Krankenstand in den Niederlassungen ist hoch, teilweise fehlt fast jeder fünfte Beschäftigte, täglich fallen Überstunden an.

Wie in der Pflege und den Kitas verlassen auch bei der Post viele das Unternehmen und die gesamte Branche. Verdi-Verhandlungsführerin Andrea Kocsis erklärte: „Die Beschäftigten brauchen dringend einen Inflationsausgleich und sie erwarten darüber hinaus eine Beteiligung am Unternehmenserfolg.“ Eine „dauerhafte finanzielle Anerkennung für ihre Arbeit“ sei überfällig.

Was die hochbezahlte Verdi-Funktionärin darunter versteht, hatte sie vor zweieinhalb Jahren bewiesen. Auch im September 2020 war sie Verhandlungsführerin gewesen und hatte behauptet, der Tarifabschluss mit den Reallohnsenkungen werde „für die Beschäftigten eine nachhaltige Lohnerhöhung, Sicherheit und Perspektive“ bringen.

Der Post-Vorstand weiß, dass er sich auch in dieser Tarifrunde auf Verdi verlassen kann. Andrea Kocsis, Stephan Teuscher (u. a. Bereichsleiter für Tarifpolitik im Fachbereich Postdienste, Speditionen und Logistik in der Verdi-Bundesverwaltung) sowie zahlreiche weitere Verdi-Funktionäre und Post-Betriebsräte sitzen im Aufsichtsrat der Deutschen Post AG bzw. der DHL Post Group und kassieren dafür fünfstellige Summen (Kocsis 2021 264.000 Euro).

Trotz der unterschiedlichen Positionen gehe man davon aus, so ein Postsprecher, in der nächsten Verhandlungsrunde „in fairen und zügigen Gesprächen“ Fortschritte zu machen. Am 18. und 19. Januar treffen sich die Tarifparteien erneut, die dritte Runde soll am 9. Februar stattfinden.

Verdi wird bis dahin die Postbeschäftigten zu Warnstreiks aufrufen und Proteste organisieren, um Dampf abzulassen, aber alles tun, um einen unbefristeten Streik zu verhindern. Verdi ist wie die anderen Gewerkschaften Mitglied der Konzertierten Aktion, in der Bundeskanzler Olaf Scholz Unternehmens-, Wirtschafts- und Gewerkschaftsvertreter zusammengebracht hat, um die Kosten der Corona-Pandemie, der Inflation und des Stellvertreterkriegs gegen Russland in der Ukraine auf die arbeitende Bevölkerung abzuwälzen.

Es darf daher nicht zugelassen werden, dass Verdi den Post-Beschäftigten wie schon 2020 erneut in den Rücken fällt. Ein erfolgreicher Kampf der Postarbeiterinnen und -arbeiter wird wegweisend für die kommenden Tarifauseinandersetzungen sein. Ende Januar beginnen die Tarifverhandlungen für 2,8 Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen, im Februar für knapp 120.000 Beschäftigte bei der Deutschen Bahn, im März dann noch im Einzelhandel (2,6, Mio. Beschäftigte) und im Kfz-Gewerbe (410.000), im April im Groß- und Außenhandel (1,2 Mio.).

In allen diesen Auseinandersetzungen sind die Beschäftigten nicht nur mit den Konzernen und der Regierung konfrontiert, sondern auch mit den Gewerkschaften. Die Sozialistische Gleichheitspartei ruft deshalb Arbeiter in allen Bereichen auf, unabhängig von den Gewerkschaften ein Netzwerk von Aktionskomitees aufzubauen. Sie sind nötig, um Löhne und Arbeitsplätze zu verteidigen und die gesamte Politik der herrschenden Klasse zurückzuweisen: ihre verbrecherische Pandemie- und Kriegspolitik und die Zerstörung der Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsysteme. Die Tarifrunde bei der Post sollte genutzt werden, um diese Initiative voranzutreiben.

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