SGP-Wahlkampf in Marzahn und Lichtenberg

„Die Waffen helfen niemandem, es geht nur um wirtschaftliche Interessen“

Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) ist in dieser Woche auf Straßen und Plätzen im Berliner Osten aktiv. Im Zuge ihres Wahlkampfs zum Berliner Abgeordnetenhaus kämpft sie für den Aufbau einer internationalen Bewegung der Arbeiterklasse und Jugend, die sich gegen die Kriegspolitik der herrschenden Klasse richtet.

Während die SGP die Kriegsintervention des russischen Militärs verurteilt, erklärt sie, dass die imperialistischen Mächte des Nato-Bündnisses den Krieg in der Ukraine systematisch vorbereitet haben und ihn jetzt auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung unnachgiebig eskalieren. Die SGP ist die einzige Partei, die in den Berlin-Wahlen mit einem Programm gegen Krieg antritt.

In ihren Diskussionen mit Arbeitern treffen SGP-Wahlkämpfer auf breite Ablehnung von Krieg und Kapitalismus. Die Liquidierung der DDR durch den Stalinismus, sowie die anschließende reaktionäre Politik der nominell „linken“ Parteien, sind für Millionen Menschen traumatische politische Erfahrungen gewesen, die Arbeiter und ältere Anwohner im Gespräch mit der SGP zu verarbeiten suchen. Obwohl politische Niedergeschlagenheit nach wie vor eine Rolle spielt, reagieren viele auf die sozialistische Politik der SGP mit großer Zustimmung.

Großformat-Plakat der SGP in Berlin-Marzahn

Auf Rundfahrten durch Wohnsiedlungen händigen SGP-Mitglieder aus dem Wahlmobil heraus an mehrere Anwohner stapelweise Flugblätter aus, die diese in den Briefkästen ihrer Wohnhäuser verteilen wollen. Viele zeigen sich erfreut, dass eine Partei zur Wahl antritt, die der Nato-Kriegspolitik, der beispiellosen Aufrüstung der Bundeswehr und der brutalen Klassenpolitik entgegentritt. Als das Wahlmobil während der großen Pause an einer Gemeinschaftsschule vorbeifährt, reagieren Schüler mit Begeisterung auf die Durchsage, dass die SGP eine Bewegung gegen Krieg aufbaut, die Menschen unabhängig von ihrer Herkunft und Hautfarbe vereint.

Insbesondere die Bezirke Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg galten bis weit in die 2000er Jahre als „Hochburgen“ der Linkspartei, in denen Kommunal- und Bundespolitiker der Partei mitunter absolute Stimmmehrheiten erzielten. Die rechte Regierungspolitik der Linkspartei hat in den letzten Jahrzehnten jedoch enorme soziale Verbitterung und politische Verwirrung geschaffen, von der zuletzt vor allem die rechtsextreme AfD profitieren konnte. So sank der Stimmanteil von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau in ihrem Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf von 48 Prozent (2009) kontinuierlich auf knapp 22 Prozent (2021) – ein Verlust von mehr als 12 Prozentpunkten im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 –, während die AfD auf den dritten Platz aufsteigen konnte.

Lichtenberg

„Es ist der helle Wahnsinn“, sagt Otto, der stehen geblieben ist, um einer Kundgebung der SGP vor einem Supermarkt in Lichtenberg zuzuhören: „Die Nato meint, sie könnte die russischsprachige Bevölkerung aus den östlichen Gebieten der Ukraine vertreiben, obwohl sich die Leute dort nach allem, was man weiß, selbst als Russen verstehen. Ich bin allgemein gegen Krieg, aber man muss auch gegen diesen speziellen Krieg die Stimme erheben, an dem sich einige eine goldene Nase verdienen. Man sollte einmal ausrechnen, für wie viele Millionen Euro ein Ukrainer oder Russe in diesem Krieg ermordet wird.“

Otto, der Rentner ist, erinnert an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs und warnt, dass ein dritter Weltkrieg diese noch weit in den Schatten stellen würde: „Ich bin ein Mensch, der noch unter Hitler groß geworden ist. Ganze Stadtgebiete wurden damals dem Erdboden gleich gemacht. Heute würde ein Krieg, wie er jetzt droht, mindestens 400 Millionen Menschenleben kosten.“

Am Betriebshof der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) in Lichtenberg treffen SGP-Wahlkämpfer auf Leon, einen Auszubildenden der BVG. Er sagt: „Die Politiker sind alle Gangster. Alle wollen dasselbe durchsetzen und es läuft am Ende immer auf dieselbe Politik hinaus, nur mit anderen Mitteln. Von den wirtschaftlichen Interessen im Krieg erfährt man gar nichts – man hört nur das, was sie uns vorsetzen.“

Leon geht davon aus, dass die Aufrüstung der Bundeswehr verheerende soziale Folgen haben wird: „Von dem Geld könnte man die wichtigen unterbezahlten Jobs besser bezahlen – ich denke da vor allem an die Pflegekräfte. Das geschieht aber nicht, im Gegenteil. Viele werden darunter leiden.“ Die Vereinigung der Arbeiterklasse auf internationaler Ebene sei ein „interessanter Ansatz“, findet Leon, und fügt hinzu: „Ich werde mir euren Aufruf genau durchlesen.“

Aaron, der ebenfalls bei der BVG als Fahrer arbeitet, fragt: „Ich komme aus dem Kosovo – seid ihr auch gegen den Krieg in meinem Land?“ Als SGP-Mitglieder dies bejahen und feststellen, dass die Bundesregierung zeitgleich mit dem Stellvertreterkrieg in der Ukraine auch den Konflikt zwischen Kosovo und Serbien neu anheizt, nickt Aaron und sagt: „Ich denke vor allem an die Kinder. Die Grenzen wurden geschlossen und jemand, der über Weihnachten dorthin gegangen ist, konnte kaum zurückkommen. Besonders die Kinder leiden, obwohl sie nichts dafür können, aber den Regierungen ist das egal. Ich hoffe nur, dass wenige Menschen beim Krieg mitmachen, falls es so weit kommen sollte. Die meisten Leute wollen keinen Krieg.“

Marzahn-Hellersdorf

Vor einem Oberstufenzentrum in Marzahn-Hellersdorf treffen SGP-Wahlkämpfer auf Alex, der ein von Schülern besuchtes Café neben dem Schulhof betreibt. Er sagt: „In der Ukraine sind alle Weltmächte aktiv, wie damals in Syrien. Krieg ist immer ein Riesengeschäft. Auch in der Corona-Pandemie waren die ‚Hilfsgelder‘ zu viel zum Sterben und zu wenig zum Leben. Ich fürchte, dass unsere Stimme bei den Wahlen keinen wirklichen Unterschied machen wird.“

Infotisch der SGP am Alice-Salomon-Platz in Berlin-Hellersdorf

Als die Wahlkämpfer erklären, dass die SGP ihre Wahlteilnahme als Teil einer internationalen Initiative für den Aufbau einer Massenbewegung gegen Krieg betrachtet, nimmt Alex mehrere Flugblätter entgegen, um sie in seinem Café auszulegen, und schließt: „Wenn alle Leute aufstehen und sagen würden ‚bis hierhin und nicht weiter‘ – dann kann man etwas bewegen. Ich komme aus den kurdischen Gebieten und aus einer sehr politischen Familie, deshalb macht mich die Doppelmoral der europäischen Regierungen sehr wütend. Es scheint in ihren Augen Flüchtlinge erster und zweiter Klasse zu geben. Ich denke, dass alle Menschen gleich viel wert sind. Es ist gut, dass sich immer mehr Leute gegen den Krieg aussprechen.“

Rainer, der für eine Bühnentechnik-Firma in Österreich arbeitet, stellt fest: „Über den Krieg brauchen wir gar nicht diskutieren“, sagt „Ich finde es perfide, wie Politiker und Medien die Wahrheit verdrehen und Meinungsmache betreiben. Wenn ich Worte wie ‚Waffenhilfe‘ oder ‚militärische Unterstützung‘ nur höre, wird mir schon schlecht. Die Waffen helfen niemandem, es geht nur um wirtschaftliche Interessen. Es ist abartig, dass dafür ein Atomkrieg riskiert wird.“

„Wenn man das Geld anstelle der Aufrüstung in die Schulen investieren würde – die 100 Milliarden Euro bitter nötig hätten – dann würde man einen wirklichen Beitrag leisten. Es würde nicht viel Geld kosten, den Schülern kostenlose Bücher und Lernmaterialien zur Verfügung zu stellen. Es würde auch nicht viel Geld kosten, die ganzen obdachlosen Menschen vernünftig unterzubringen. Und es gäbe noch so viel mehr zu tun. Wir brauchen die Masse hinter uns, dann können wir auch was bewegen. Wir haben 1989 nicht umsonst gesagt: ‚Wir sind das Volk‘.“

„Ich selbst bin nicht so schwer von der Inflation betroffen, wie andere – aber nur, weil ich allein lebe“, berichtet Pascal (37), der als Gebäudereiniger arbeitet. „Mein Bruder hat eine Familie mit vier Kindern, die Kleidung, Schulsachen und andere Dinge für ihre Entwicklung brauchen. Die Preissteigerungen treffen ihn besonders hart.“ Über die Kriegsentwicklung sagt Pascal:

„Der Ukrainekrieg ist gefährlich, aber so waren auch die anderen Kriege im Irak oder Libyen. Wenn Menschen dort ihr Zuhause verlieren, müssen sie natürlich in sichere Länder fliehen. Wenn ich dort groß geworden wäre, wäre ich wahrscheinlich auch nach Deutschland geflohen. Manche meiner Kollegen schieben unsere Probleme auf Flüchtlingsströme, aber ich finde, dass Arbeiter sich nicht gegeneinander aufhetzen lassen sollten. Im Grunde sind es doch wirtschaftliche Interessen, die die Kriege auslösen.“

Wenn Passanten in Diskussionen die AfD unterstützen, kommt das meist aus einer tiefen Frustration und wird als Protest gegen die rechte Politik der sogenannten linken Parteien verstanden. Eine ältere Anwohnerin erklärt, sie sei nicht darüber verwundert, dass die AfD Wählerstimmen erhalte, nachdem aufeinanderfolgende „linke“ Regierungen über Jahrzehnte hinweg eine soziale Katastrophe organisiert haben. „Aber wenn die AfD an die Macht käme, würde das gleiche geschehen wie unter den Nazis. Das darf nicht passieren.“

In Marzahn-Hellersdorf steht auch die Alice-Salomon-Hochschule (ASH), die Studenten im Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich ausbildet und viele internationale Kontakte pflegt. Auf dem Alice-Salomon-Platz vor der Hochschule sagt eine Rentnerin im Vorbeigehen: „Ich muss einmal sagen: Hut ab! Ich finde Ihre Meinung super.“ Ein anderer Rentner, der einen Wahlaufruf entgegennimmt, sagt: „Ihre Plakate sind das einzig Vernünftige, was ich bisher im Wahlkampf gesehen habe.“

„August Bebel, Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht – das sind tolle Ideale, dagegen kann man nichts sagen“, sagt Nebojša, der an der ASH soziale Arbeit studiert. „Aber die SPD hat die Arbeiter schon lange verraten. Wer hat denn Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht auf dem Gewissen? Wer hat den Berliner Aufstand niedergeschlagen? Ich komme aus Serbien und habe als Kind noch im damaligen Jugoslawien gelebt. Ich weiß also, was die Politik der Grünen und der SPD bedeutet – sie standen an der Spitze der Kriegskampagne. Noch vor dem Kosovokrieg hat Deutschland Kroatien und Slowenien anerkannt und den Konflikt angeheizt.“

„Heute wird alles gekürzt und Deutschland militarisiert sich wieder hoch. Deutschland unterstützt die Nato und produziert Waffen. Wenn es so weiter geht, wird es nicht gut enden. Ihr seid dagegen, das finde ich gut. Seit den 90er Jahren hat die Arbeiterbewegung an Einfluss verloren. Trotzdem ist der Klassenkampf präsenter denn je, aber er wird nicht wahrgenommen. Notwendig ist mehr Empowerment und politische Bildung an den Schulen, und eine internationale Bewegung. Die einzige Möglichkeit, etwas zu ändern, ist Demokratie der Arbeiter. Aber Betriebsräte sind Unsinn, weil sie nicht gegen ihren ‚eigenen‘ Betrieb vorgehen wollen. Ich finde super, was ihr macht.“

Als Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) im vergangenen Mai von der Hochschulleitung zur Ehrenfeier der Namensgeberin eingeladen wurde, protestierten viele Studierende und die Studierendenvertretung AStA gegen Giffeys Besuch. Sie prangerten deren „rassistische und menschenfeindliche Politik“ an, die „nicht zu den Werten der Hochschule“ passe, und forderten Giffeys Rücktritt.

Else (83) ist Rentnerin und hat im Anschluss an Gespräche mit SGP-Mitgliedern umgehend das Rathaus aufgesucht, um die Partei per Briefwahl zu wählen. Sie sagt: „Ich verstehe die Welt nicht mehr. Wie kann man heute noch solche Kriege führen? Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als ich klein war und wir uns im Keller vor den Bomben schützen mussten. Hinterher hat man dann die ganze Zerstörung gesehen. Ich bin im Osten aufgewachsen. Nach der Wiedervereinigung dachte ich, dass jetzt endlich der Kalte Krieg vorbei ist und die Welt besser wird. Aber das Leben wurde härter, gehetzter, teurer. Jetzt komme ich mit meiner Rente kaum noch zurecht. Dieser Krieg zieht uns alle mit hinein. Ich habe große Angst, dass er sich ausweitet.“

„Putin hätte niemals den Einmarschbefehl geben dürfen“, sagt Robin (17), der Auszubildender in der Fahrzeuglackierung ist und uns am Cecilienhof trifft. „Das war eine Falle, denn die Nato steht hinter der Ukraine, hat dort Soldaten ausgebildet und moderne Waffen geliefert. Sie hätten niemals solche Waffen schicken dürfen, denn das Ganze kann sich zu einem Atomkrieg zuspitzen, der alles Leben auslöschen würde. Ich möchte nicht erleben, dass eines Tages Bundeswehrvertreter vor meiner Arbeitsstelle stehen und alle jungen Leute zum Kriegsdienst einziehen. Ich werde in acht Tagen achtzehn und werde wahrscheinlich die SGP wählen.“

Robin will außerdem bei den International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) mitmachen – der Jugendbewegung der SGP und ihrer Schwesterparteien – und am Samstag um 14 Uhr zur SGP-Kundgebung auf dem Alice-Salomon-Platz kommen.

Mehr Informationen zur SGP und zur Teilnahme an unserem Wahlkampf findet ihr unter http://www.gleichheit.de/

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