Zieht die Verantwortlichen für die Erdbebenkatastrophe zur Rechenschaft!

Nein zur anti-syrischen Kampagne und zu brutalen Polizeieinsätzen in der Türkei!

Nach den schweren Erdbeben auf beiden Seiten der syrisch-türkischen Grenze vor einer Woche hat die offizielle Zahl der Todesopfer die Marke von 36.000 überschritten. Für zehntausende Menschen, die noch unter den Trümmern vermutet werden, schwindet die Hoffnung. Tausende Gebäude sind unbewohnbar, Millionen Menschen sind obdachlos geworden. In vielen Orten gibt es noch immer keine gesellschaftliche Grundversorgung. In beiden Ländern herrscht eine soziale Katastrophe und humanitäre Krise, von der das Leben dutzender Millionen Menschen direkt oder indirekt betroffen ist.

Türkische Rettungskräfte tragen Ergin Guzeloglan (36), den sie am 11. Februar, fünf Tage nach dem Erdbeben im südtürkischen Hatay, aus einem eingestürzten Gebäude befreit haben, zu einem Rettungswagen (AP Photo/Can Ozer) [AP Photo/Can Ozer]

Obwohl in der Region ein schweres Erdbeben erwartet wurde, hat die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan keine Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Dies und das völlige Versagen der offiziellen Such-, Rettungs- und Hilfsanstrengungen hat in der Bevölkerung zu einer enormen Wut auf die Regierung und das ganze kapitalistische System geführt, weil sie dieses soziale Massaker ermöglicht haben.

In den zehn Provinzen, die vom Erdbeben betroffen waren, kam es zu zahlreichen Protesten gegen Gouverneure und Minister. Zuletzt gab es in Diyarbakır Verhaftungen bei Protesten gegen Justizminister Bekir Bozdağ. Doch die Regierung und die gesamte herrschende Klasse sind sich bewusst, dass die soziale Wut explosiv ist und sich durch die gesamte Gesellschaft zieht.

Die herrschende Klasse sitzt auf einem sozialen Pulverfass. Obwohl Erdoğan versucht, das „Schicksal“ für die Erdbebenkatastrophe verantwortlich zu machen, teilen die Massen diesen Fatalismus nicht und haben das Vertrauen in das kapitalistische politische Establishment verloren. In der Türkei, wo die Politik der Durchseuchung mit Covid-19 in drei Jahren zu mehr als 300.000 zusätzlichen Toten geführt hat, ist das Gefühl weit verbreitet, dass man zehntausende Menschen, die beim Erdbeben ihr Leben verloren haben, hätte retten können, wenn die notwendigen Maßnahmen ergriffen worden wären.

Unter diesen Umständen wird mit Unterstützung einer Fraktion der herrschenden Klasse eine gefährliche und irreführende Medienkampagne angeheizt. Aus den vom Erdbeben betroffenen Gebieten sind Videos aufgetaucht, auf denen zu sehen ist, wie Menschen, vor allem Syrer, ohne Anklage oder Schuldspruch als „Diebe“ oder „Plünderer“ verprügelt werden. Dieses kriminelle Vorgehen, an dem scheinbar auch Polizeibeamte beteiligt sind, wird in den sozialen Netzwerken geteilt, um es zu rechtfertigen.

Die Sosyalist Eşitlik Grubu (Sozialistische Gleichheitsgruppe) ruft Arbeiter, Intellektuelle und Jugendliche auf, sich dieser faschistischen Kampagne entgegenzustellen. Mindestens 30.000 Menschen sind gestorben, weitere zehntausende sind noch immer verschüttet, obwohl die Folgen dieser Katastrophe vermeidbar gewesen wären. Es handelt sich eindeutig um eine sorgfältig koordinierte Kampagne mit dem Ziel, angebliche Diebstähle durch Syrer zum Hauptthema zu machen und außergerichtliche Hinrichtungen zu legitimieren.

Die berechtigte Wut der Menschen in der betroffenen Region, die ihre Angehörigen und ihre Häuser verloren haben, und der Millionen, die ihre Trauer teilen, wird unter falschen Berichten begraben. Wie üblich werden dabei die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft zu Sündenböcken gemacht.

Diese rechte Kampagne soll die offensichtliche Verantwortung der Regierung und der herrschenden Klasse für dieses vermeidbare Massensterben vertuschen und sogar beschönigen.

Tatsächlich wurden im Bericht des Umwelt-, Urbanisierungs- und Klimawandel-Ministeriums für Januar bis Juni 2022 genau die Gebäude einzeln identifiziert, die bei einem solchen Erdbeben einstürzen würden. Die Berichte der Katastrophen- und Notfallschutzbehörde (AFAD) haben gezeigt, dass der Staat auf große Erdbeben unvorbereitet war. Es war bekannt, dass die von der Regierung ins Parlament eingebrachten „Bauamnestien“, gegen die die bürgerlichen Oppositionsparteien keine Einwände erhoben haben, diese Zerstörungen und das Massensterben ermöglicht haben.

Unter diesen Umständen wurde noch kein Vertreter der Regierung verhaftet, obwohl Angehörige des gesamten politischen Establishments und des Staates wegen Massenmordes vor Gericht stehen sollten. An Orten, an denen schwere Erdbeben erwartet werden, vor allem in Istanbul, wird immer noch nichts unternommen. Tatsächlich müsste sofort mit dem Bau von erdbebensicheren Gebäuden und Städten begonnen werden, um noch größere soziale Katastrophen zu verhindern.

Die faschistische Medienkampagne wurde verschärft, seit die Regierung die so genannten „Plünderungen“ – die sie zuvor als „isolierte Vorfälle“ bezeichnet hat – zu einem der wichtigsten Vorwände für die Ausrufung des Ausnahmezustands gemacht hat. Ömer Çelik, der Sprecher von Erdoğans Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP), erklärte am Freitag: „Wir werden äußerst rücksichtslos gegen Plünderungen vorgehen. Sie werden den Rest ihres Lebens mit dieser Schande leben.“

Die Partei des Sieges (Zafer Partisi), eine Abspaltung der rechtsextremen Guten Partei, war besonders aktiv in der anti-syrischen Lügenkampagne. Die Gute Partei ist der wichtigste Verbündete der kemalistischen Republikanischen Volkspartei (CHP) in der Nationalallianz.

Der Vorsitzende der Partei des Sieges, Ümit Özdağ, hat nach dem Erdbeben Syrer ins Visier genommen und auf seinem Twitter-Account zahlreiche Falschbehauptungen geäußert. Obwohl jede der Behauptungen widerlegt wurde, setzte er seine Lügen ohne Angst vor juristischen Folgen fort.

Die Partei versucht, die massive Wut der Bevölkerung, die sich nach dem Erdbeben entwickelt hat, abzulenken und die Arbeiterklasse mit üblem anti-syrischem Chauvinismus zu spalten.

Kampagnen gegen Flüchtlinge gibt es in der Türkei nicht erst seit der Erdbebenkatastrophe. Die Millionen Syrer, die vor Zerstörung und Tod infolge des Regimewechsel-Kriegs flohen, den die Nato-Mächte einschließlich der Türkei im Jahr 2011 begonnen haben, werden seit Jahren vom gesamten politischen Establishment zum Sündenbock gemacht – vor allem von den bürgerlichen Oppositionsparteien. Die Opfer der Verbrechen der imperialistischen Mächte und der türkischen Bourgeoisie wurden auf beiden Seiten der Grenze schwer vom Erdbeben getroffen.

In Syrien haben die Menschen nicht nur die Zerstörung ihrer vom Krieg beschädigten Häuser durch die Erdbeben erlebt. Die Situation wurde noch verschlimmert durch die verheerenden Sanktionen der USA und der Europäischen Union und die völlige Gleichgültigkeit der imperialistischen Mächte gegenüber der Katastrophe in Syrien.

Viele Syrer, die in dem Erdbebengebiet in der Türkei lebten, wurden unter den Trümmern begraben. Die Überlebenden sind aufgrund der langen chauvinistischen Kampagne damit konfrontiert, bei der Bereitstellung von Hilfsgütern wie Zelten und Nahrung diskriminiert zu werden. Jetzt werden sie außerdem noch als Plünderer und Diebe attackiert.

Der Versuch, Menschen ihr Recht auf ein Gerichtsverfahren zu nehmen und sie Lynchangriffen auszusetzen, ist eine ernste Warnung an die Arbeiterklasse. Diese faschistische Gewalt, die sich heute gegen die Schwächsten, d.h. die Syrer, richtet, könnte schon morgen gegen Arbeiter und Helfer der Erdbebenopfer in der Region gerichtet werden. Wie die Geschichte deutlich zeigt, ist solche Gewalt eine Gefahr für die entstehende Bewegung der Arbeiterklasse.

Tatsächlich sind die herrschende Klasse und das politische Establishment beunruhigt darüber, dass der Bevölkerung nach dem Erdbeben die Machtlosigkeit des Staates vor Augen geführt wurde und dass Millionen Arbeiter und Jugendliche spontan viel tatkräftiger auf die Katastrophe reagiert haben.

Seit letztem Montag wurden dutzende Millionen Menschen im ganzen Land und auf der ganzen Welt aktiv, um den Menschen in den betroffenen Regionen durch wichtige Akte der Solidarität zu helfen. Viele sind freiwillig in die Region gereist und versuchen, die Such- und Rettungskräfte und die Erdbebenopfer dort zu unterstützen, wo der Staat nicht in der Lage ist, die Grundversorgung mit Strom, Wasser, Unterkünften, sanitären Einrichtungen und Sicherheit zu gewährleisten.

Es ist möglich, erdbebensichere Städte zu bauen. Massensterben infolge von Naturkatastrophen lassen sich verhindern. Doch dazu muss die große Mobilisierung und Wut der Massen mit einem sozialistischen Programm bewaffnet und bewusst gegen das kapitalistische System gerichtet werden, der Hauptursache dieser Katastrophe. Dies ist nur durch die internationale Einheit und politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse möglich.

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