Nato will Rüstungsproduktion für einen „aufreibenden Abnutzungskrieg“ hochfahren

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte am Dienstag, die Nato befinde sich in einem „Wettlauf der Logistik“ gegen Russland, da der Krieg in der Ukraine zu einem „aufreibenden Abnutzungskrieg“ geworden sei.

Am 24. Februar jährt sich der Beginn des Ukraine-Kriegs zum ersten Mal. Während der Krieg immer mehr eskaliert und die Opferzahl steigt, versprechen die Nato und ihre Mitgliedsstaaten, ihre Munitionsproduktion zu erhöhen. Berichten zufolge stehen die russischen Truppen kurz vor einem bedeutenden Sieg in der Stadt Bachmut. Die Financial Times warnt, Russland bereite sich darauf vor, den Einsatz von Hubschraubern, Kampfflugzeugen und Bombern, die es bisher zurückgehalten hat, auszuweiten.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg auf einem Luftwaffenstützpunkt in Tallinn am 1. März 2022 [AP Photo/Leon Neal]

Stoltenberg erklärte am Dienstag bei einem Treffen der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel: „Der Krieg in der Ukraine verschlingt enorme Mengen an Munition und erschöpft die Bestände der Verbündeten. Die Ukraine verbraucht derzeit Munition um ein Vielfaches schneller, als wir sie produzieren können. Das belastet unsere Rüstungsindustrien, deshalb müssen wir die Produktion hochfahren und in unsere Produktionskapazitäten investieren.

Es ist klar, dass wir uns in einem Wettlauf der Logistik befinden. Entscheidende Ressourcen wie Munition... müssen die Ukraine erreichen, bevor Russland die Initiative auf dem Schlachtfeld ergreifen kann. Ein Abnutzungskrieg wird zu einer Schlacht der Logistik. Ja, wir stehen vor einer Herausforderung. Ja, wir haben ein Problem... aber wir haben eine Strategie, um es zu lösen.“

Stoltenberg sagte weiter: „Wir müssen sicherstellen, dass die Ukraine die Waffen bekommt, die sie braucht, um Gebiete zurückzuerobern, das Land zu befreien und diesen Krieg zu gewinnen. Die Industrie kann die Produktion durch zusätzliche Schichten oder den verstärkten Einsatz bestehender Produktionskapazitäten steigern. Aber für eine wirklich nennenswerte Steigerung müssen sie investieren und neue Werke bauen.“

Er bekräftigte: „Man kann auch an Wochenenden arbeiten.“

Das Pentagon hatte letzten Monat angekündigt, es plane, die Munitionsproduktion um 500 Prozent auf ein Niveau zu erhöhen, das zuletzt während des Koreakriegs erreicht wurde. Der National Defense Authorization Act, der letztes Jahr verabschiedet wurde, hat dem Militär die Befugnisse gegeben, wie in Kriegszeiten Material zu beschaffen. Das bedeutet, dass das Pentagon Verträge ohne Ausschreibung vergeben kann, nominell im Interesse der Produktionssteigerung.

Angesichts von Stoltenbergs Behauptung, die Nato befinde sich in einem „Wettlauf der Logistik“ mit Russland, stellte der AP-Reporter Lorne Cook Stoltenberg ganz unverblümt die Frage:

Im letzten Jahr ist die Nato von der Bereitstellung nicht-tödlicher Unterstützung durch die Bündnispartner zur Bereitstellung von Artillerie und Panzern übergegangen. Jetzt ist von Kampfflugzeugen die Rede. Die Ukraine-Kontaktgruppe tagt im Nato-Hauptquartier. Warum sollte die Öffentlichkeit glauben, dass sich die Nato nicht im Krieg mit Russland befindet?

Darauf gab Stoltenberg die absurde Antwort: 

Weder die Nato noch ihre Bündnispartner sind Konfliktparteien. Wir als Nato-Bündnispartner und als Nato liefern der Ukraine Unterstützung. Die Ukraine verteidigt sich selbst, wir müssen verstehen, was das bedeutet.

Doch Stoltenbergs eigene Antwort hat deutlich gemacht, in welchem Ausmaß die Nato-Bewaffnung der Ukraine die Bedingungen für den derzeitigen Krieg geschaffen hat. Er erklärte: „Der Krieg begann nicht im Februar letzten Jahres. Er begann im Jahr 2014. Und seit 2014 haben die Nato-Verbündeten die Ukraine unterstützt – durch Ausbildung und Ausrüstung, so dass die ukrainischen Streitkräfte im Jahr 2022 viel stärker waren als 2020 und 2014.“

Auf einer Pressekonferenz nach dem Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe wies US-Verteidigungsminister Lloyd Austin auf die massive Aufrüstung der Ukraine mit Nato-Waffen hin:

Die Mitglieder dieser Kontaktgruppe haben den Verteidigern der Ukraine mehr als acht Kampfbrigaden zur Verfügung gestellt. Dazu gehören umfangreiche Lieferungen von Strykers und Bradleys sowie Abrams-Panzern aus den Vereinigten Staaten, Challenger-Panzer, die das Vereinigte Königreich ihr überlassen hat, und die Abgabe von Senator-Transportpanzern, die Kanada letzten Monat verkündet hat.

Er fügte hinzu: „Elf Staaten haben Panzer versprochen. 22 haben Schützenpanzer versprochen. 16 haben Artillerie und Munition zugesagt. Neun weitere haben Luftabwehrartillerie versprochen.“

Während die Nato plant, ihr Engagement in dem Konflikt massiv auszuweiten, weisen die US-Medien auf die zunehmend besorgten Berichte hin, die Regierungsvertreter und Abgeordnete in den USA erhalten. Die Washington Post schrieb am Montag:

Vertreter der US-Geheimdienste sind jedoch zu dem Schluss gekommen, dass die Rückeroberung der schwer befestigten Halbinsel [Krim] laut Insidern, die sich anonym über brisante Themen geäußert haben, die Fähigkeiten der ukrainischen Armee derzeit übersteigt. Diese ernüchternde Einschätzung wurde in den letzten Wochen von mehreren Ausschüssen auf dem Capitol Hill bestätigt. 

Weiter hieß es in dem Artikel:

Westliche und ukrainische Geheimdienstmitarbeiter schätzen, dass Russland statt der ursprünglich 150.000 Soldaten mittlerweile 300.000 Soldaten in der Ukraine hat und plant, noch weitere Hunderttausende zu schicken. Die russische Offensive im Frühjahr könnte bedeuten, dass Soldaten über die belarussische Grenze eindringen und die Nachschublinien in der Westukraine abschneiden, die Kiew zur Verstärkung seiner Streitkräfte genutzt hat.

Unabhängig von den Rückschlägen des ukrainischen Militärs hat die Nato im Krieg gegen Russland ihr gesamtes internationales Prestige und ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel gesetzt. Erst letzten Monat kündigte US-Generalstabschef Mark Milley an, die USA und die Nato hätten sich verpflichtet, „in die Offensive zu gehen, um die von Russland besetzten Teile der Ukraine zu befreien“. Er wiederholte, dass die Ukraine mit Panzerfahrzeugen und Kampfpanzern der Nato in die „taktische und operative Offensive“ gehen wird, um die „besetzten Gebiete zu befreien“.

Der Kontrast zwischen dem zunehmend desolaten Zustand des ukrainischen Militärs und den weitreichenden Zielen der USA und der Nato-Vertreter schafft die Bedingungen für eine weitere Eskalation des Engagements der USA und der Nato in dem Konflikt, welche die bisher ergriffenen Maßnahmen wie eine Anzahlung wirken lassen.

Loading