Aktualisierter Armutsbericht 2022: Armut in Deutschland höher als gedacht

Am 10. März legte der Paritätische Wohlfahrtsverband eine zweite, aktualisierte Auflage des Paritätischen Armutsberichtes 2022 vor. Das ist an sich schon ein Novum. Noch brisanter sind die darin beinhalteten Erkenntnisse: Die Armut in Deutschland ist in Folge von Corona-Pandemie und Inflation stärker angestiegen als bisher angenommen.

Im Jahr 2021 stieg sie auf 16,9 Prozent der hier lebenden Bevölkerung und damit 0,3 Prozent höher als bei der Veröffentlichung der Erstergebnisse im Juni 2022 angenommen. Im Vergleich zum Vorjahr war die Armut damit um ein ganzes Prozent angestiegen, auf 14,1 Millionen Menschen. Damit hatte die Armut im zweiten Jahr der Pandemie schon einen traurigen Höchststand erreicht. Und sie steigt weiter: Die Auswirkungen der grassierenden Inflation seit 2022 sind in diesem Bericht noch gar nicht berücksichtigt.

Flaschensammler, ein häufiger Anblick in Deutschland (Bild: Sascha Kohlmann / CC BY-SA 2.0) [Photo by Sascha Kohlmann / CC BY-SA 2.0]

Die Armutsschwelle lag in 2021 für einen Single-Haushalt bei 1148 Euro, für Alleinerziehende mit einem Kind bei 1492 Euro und für einen Paarhaushalt mit zwei kleinen Kindern bei 2410 Euro. Seit Ende Februar 2023 liegen nun die neuen Armutszahlen vor, die auf dem Abschlussbericht des Mikrozensus von 2021 beruhen. Sie weisen durchwegs auf höhere Armutsquoten hin als bisher angenommen.

Bei den Kindern und Jugendlichen ist im reichen Deutschland mehr als jeder fünfte Mensch betroffen. In dieser Gruppe betrug die Armut 21,3 Prozent. Die Kinderarmut geht auch aus den Zahlen kinderreicher Familien und von Alleinerziehenden hervor: 42,3 Prozent der Alleinerziehenden-Haushalte und fast jeder dritte Paarhaushalt mit drei und mehr Kindern (32,2 Prozent) galten im Jahr 2021 als arm.

Auch die Altersarmut ist weiter angestiegen: So gelten 18,2 Prozent der Menschen, die von Rente leben müssen, als arm, wobei die Rentnerinnen (19,5 Prozent) deutlich schlechter gestellt sind als die Rentner (15,2).

Die Altersarmut sorgt für große und berechtigte Erbitterung. Eine Betroffene wird im Bericht mit den Worten zitiert: „Wir alten Menschen haben in der Regel in unseren beruflichen Laufbahnen unser Bestes gegeben, um diese Gesellschaft weiter zu bringen. Wir haben Fertigkeiten entwickelt, Lebenserfahrung und Wissen angehäuft. Jeder nach seinen Möglichkeiten. Ich finde, keiner hat es verdient im Alter als Rentner/Rentnerin so behandelt zu werden.“

Die Verarmung großer Teile der Bevölkerung hat nicht erst mit der Pandemie eingesetzt, sondern folgt einem Trend, der seit 2006 anhält. Seither sind die Armutsquoten von 14 Prozent im Jahr 2005 auf knapp 17 Prozent im Jahr 2021 stetig angestiegen. Seit Beginn der Corona-Pandemie hat sich dieser Anstieg beschleunigt, und die Armutsquote stieg im Vergleich zur Erhebung 2019 um einen ganzen Prozentpunkt an.

Während die Armutszahlen stiegen, ist die Zahl der Arbeitslosen, wie die Graphik zeigt, deutlich gesunken. Dies weist auf ein starkes Anwachsen der „Working Poor“ hin, derjenigen Menschen, die arm sind, obwohl sie arbeiten. In der Corona-Pandemie nahm die Zahl der armen Erwerbstätigen um fast ein Prozent zu, was auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-bedingten Kurzarbeit schließen lässt. Ungewöhnlich stark waren in der Corona-Zeit die kleinen Selbständigen betroffen, deren Armutszahl im Jahr 2021 von 9 auf 13 Prozent anstieg.

Im Ergebnis hat sich die soziale Schere in der Pandemie weiter geöffnet, und mehr als 14 Millionen Menschen, 840.000 mehr als vor der Pandemie, werden seither zu den Einkommensarmen gerechnet. Verglichen mit der Situation im Jahr 2005 (11,5 Millionen Arme) sind es heute sogar 2,6 Millionen Arme mehr.

Die Armut wirkt sich in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich aus. Die niedrigsten Quoten haben Bayern (12,8), Baden-Württemberg (14,1), Brandenburg (14,8) und Schleswig-Holstein (15,6 Prozent), wobei jedoch die Armutsquote in Baden-Württemberg und Bayern zuletzt sprunghaft angestiegen ist.

In Thüringen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Berlin und Bremen liegt die Armutsquote über dem Bundesdurchschnitt, wobei Bremen mit 28,2 Prozent die höchste Armutsquote aufweist. Im neuen Bericht der Paritätischen heißt es dazu: „Der Unterschied ist damit durchaus bemerkenswert: Während in Bayern jede achte Person von Armut betroffen ist, ist es in Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen und Berlin jede fünfte Person, in Bremen sogar mehr als jede vierte.“

Besonders von Armut betroffen ist das Ruhrgebiet, das schon bisher als „armutspolitisches Problemgebiet Nr. 1“ gelten musste. Diese Region weist eine Armutsquote von 22,1 Prozent und eine Hartz IV-Quote von 14,4 Prozent auf. Der Bericht weist darauf hin, dass „das Ruhrgebiet mit rund 5,8 Millionen Einwohnern der größte Ballungsraum Deutschlands [ist], von denen 1,3 Millionen Menschen in Armut leben“.

Das Ruhrgebiet liegt auch in Hinblick auf die Hartz IV-Quoten mit 14,4 Prozent weit über dem Bundesdurchschnitt von 8,1 Prozent (und mit Bremen und Berlin unter den letzten drei Bundesländern). Dabei liegt die Quote in Städten wie Duisburg, Essen und Herne über 18 Prozent, in Gelsenkirchen sogar bei 25 Prozent. Besonders schlimm ist die Lage der Kinder, von denen mit 22,9 Prozent fast jedes vierte auf Hartz IV angewiesen ist; fast 30 Prozent sind es in Duisburg, Dortmund, Hagen und Herne. In Essen sind sogar knapp über 30 und in Gelsenkirchen 39 Prozent aller Kinder mit ihren Familien von Hartz IV abhängig.

Insgesamt fällt auf, dass in drei Bundesländern die Armutszahlen gerade in der Corona-Zeit sprunghaft angestiegen sind: Dies betrifft Baden-Württemberg (+ 7,6 Prozent), Nordrhein-Westfalen (+ 9,1 Prozent) und Bayern (+ 10,3 Prozent). Dazu heißt es: „Wenn wir uns vor Augen halten, dass allein in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen die Hälfte der Bevölkerung lebt, wird klar, dass es vor allem die sehr schlechte Entwicklung in diesen drei Bundesländern ist, die den bundesweiten Anstieg der Armut verursacht.“

Die Neuauflage des Paritätischen Armutsberichts 2022 enthält sehr vieles anschauliches Material, Grafiken, Tabellen und Erläuterungen. Gestützt auf die Zahlen des Mikrozensus sowie der Statistischen Ämter von Bund und Ländern präsentiert sie die aktuellsten Zahlen zur Armutsentwicklung. Der gesamte Bericht ist lesenswert und enthält viele wertvolle Detailinformationen.

Er übt harsche Kritik an der Armutspolitik der Bundesregierung. Deren Maßnahmenpakete kamen den Armen und Ärmsten der Gesellschaft am wenigsten von allen zugute, bzw. kamen gar nicht bei ihnen an. Dies gilt sowohl für die Corona-Pandemie als auch für die Zeit seither, in der Krieg und Sanktionspolitik eine horrende Inflation bei Lebensmitteln und Energiepreisen bewirken.

Der Bericht ist jedoch inkonsequent, da er zum Schluss erneut an dieselbe Regierung appelliert, die für die Ausbreitung der Armut verantwortlich ist, und zahnlose Forderungen an sie stellt. Auf die tieferen Ursachen der Entwicklung geht er nicht ein. Insbesondere ignoriert er das Zusammenfallen der immer weiter ansteigenden Armut seit 2006 und den „arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Reformen“ der zweiten SPD/Grünen-Bundesregierung (2002–2005). Bekannt unter dem Namen „Agenda 2010“ und vor allem der darin beinhalteten „Hartz IV“-Maßnahmen, haben diese „Reformen“ zu einem beispiellosen Anstieg des Niedriglohnsektors in Deutschland und damit der Armut geführt.

Die Politik von SPD und Grünen wird für alle Zeiten mit diesem Frontalangriff auf die sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse und ihrer Verachtung gegenüber Arbeitern und Armen verbunden sein, wie auch mit Hass, Wut und Verzweiflung von Millionen Arbeitern, Arbeitslosen und Rentnern gegenüber dieser Politik.

Die erste rot-grüne Regierung von 1998 bis 2002 begann ihre Legislaturperiode mit der Zustimmung zum Angriffskrieg der Nato gegen Serbien und schickte zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs deutsche Soldaten wieder in einen Kriegseinsatz. Die Heuchelei und Verdrehung der Geschichte, um diese Politik zu rechtfertigen, kannten keine Grenzen.

Sie werden nur übertroffen durch die heutige Aufrüstung und Anheizung des Kriegs der USA/Nato gegen Russland in der Ukraine, die Waffenlieferungen an die Ukraine in Milliardenhöhe, die Ausbildung ukrainischer Soldaten in Deutschland und damit die aktive Beteiligung Deutschlands an der Kriegseskalation und der damit verbundenen Gefahr eines neuen, nuklearen Weltkriegs. Damit einher geht eine beispiellose Kriegshetze gegen Russland und eine unübertroffene Kriegshysterie vor allem von Seiten der Grünen.

Die Kosten für Aufrüstung und Krieg werden durch die explodierenden Lebenshaltungskosten und die hohe Inflation sowie die grenzenlosen sozialen Angriffe der Arbeiterklasse aufgebürdet.

Auch die jetzige Regierungspolitik der SPD/Grünen/FDP-(Ampel-)Koalition trifft auf eine weit verbreitete und tief gehende Opposition in der Arbeiterklasse. Diese ist Bestandteil der wachsenden internationalen Bewegung der Arbeiterklasse gegen steigende Lebenshaltungskosten, verschärfte Ausbeutung sowie gegen Krieg und Faschismus.

Loading