Erste Online-Diskussion des Post-Aktionskomitees

„Unser Aktionskomitee ist Teil der wachsenden Streikbewegung in Europa und weltweit“

Am Donnerstag nahm ein Dutzend Postarbeiter gemeinsam mit anderen WSWS-Lesern an einer ersten Online-Versammlung des Post-Aktionskomitees teil. Das unabhängige Aktionskomitee war Ende Februar gegründet worden, als die erste Urabstimmung noch im Gange war.

Obwohl Verdi damals noch zur Ablehnung des Verhandlungsergebnisses und zum Streik aufrief, warnte das Aktionskomitee bereits in einem Aufruf: „Verdi und die Verhandlungsführerin Kocsis werden alles tun, um einen Vollstreik zu verhindern.“

Als dann am 9. März das Ergebnis der Urabstimmung bekannt gegeben wurde und sich zeigte, dass fast 86 Prozent für Streik gestimmt hatten, wurde klar, wie recht das Aktionskomitee hatte. Statt den beschlossen Streik zu organisieren, setzte Verdi unmittelbar nach dem Streikvotum die Verhandlungen fort und erklärte nur Stunden später, eine Einigung sei erreicht. Die Tarifkommission habe sie auch schon ohne größere Diskussion abgenickt.

Obwohl dieses zweite Verhandlungsergebnis dem ersten in allen wesentlichen Punkten gleicht, versucht Verdi nun, diesen Ausverkauf in einer zweiten Urabstimmung durchzudrücken und den beschlossenen Streik abzuwürgen. Seitdem nimmt die Wut und der Widerstand gegen Verdi unter den Postarbeitern zu. Fast hundert Beschäftigte registrierten sich für das Aktionskomitee.

Diese offensichtliche Streikbrecher-Rolle von Verdi stand am Donnerstag im Mittelpunkt der Diskussion.

Rudi, ein Post-Beschäftigter aus Süddeutschland, drückte die Stimmung vieler Kolleginnen und Kollegen aus. Die Post gehöre zu den schlimmsten Ausbeutern, die man sich vorstellen könne, „der schlimmste Verein ever“, sagte er. Das Arbeitstempo werde dauernd erhöht und dazu gebe es „permanente Überwachung“: „Die haben mehr Kontrolleure als Zusteller.“ Es gebe nicht die geringste Wertschätzung für die schwere Arbeit. „Dabei bringen wir die Kohle rein.“ Vorstandschef Frank Appel sei ein abstoßender Egomane und beziehe ein Millionen-Gehalt, das man nur als Provokation bezeichnen könne.

Doch die Hauptfrage sei: „Warum können wir hier nicht mal richtig streiken?“ Es führe zu nichts, immer „nur partiell und befristet“ zu streiken. „Warum können wir nicht den ganzen Laden einige Zeit dicht machen?“, fragte er und fügte hinzu: „Wieso kann der öffentliche Dienst richtig streiken, und wir werden immer abgewürgt?“ Dabei nahm er auf die anhaltenden Warnstreiks im öffentlichen Dienst Bezug und auf Verdis Ankündigung, Anfang kommender Woche einen gemeinsamen Streiktag mit den Beschäftigten der Bundesbahn zu organisieren.

Mike, ein Postarbeiter in der Nähe Nürnbergs und Vertrauensmann, stellte seine Frage schriftlich. Er wollte wissen, welche Möglichkeit bestehe, einen Streik unabhängig von Verdi zu führen, und ob ein solcher spontaner Streik auch legal sei.

Beide Fragen führten zu einer Diskussion über die Streikbrecher-Rolle von Verdi und die Bedeutung des Aktionskomitees. Denn um die Kontrolle des Gewerkschaftsapparats zu durchbrechen und den Kampf zur Verteidigung der Löhne und Verbesserung der Arbeitsbedingungen selbst in die Hand zu nehmen, ist es notwendig, sich unabhängig zu organisieren.

Diese Frage war bereits zur Eröffnung der Veranstaltung von Dietmar Gaisenkersting erklärt worden, der für die WSWS zum Thema Klassenkampf schreibt und selbst im öffentlichen Dienst arbeitet. Er zeigte auf, dass die zweite Urabstimmung nur ein Ziel habe, den bereits beschlossenen Streik zu verhindern.

Dann fragte er: „Warum setzt Verdi jetzt alles daran, einen Streik zu verhindern?“ Der Hauptgrund bestehe darin, dass Verdi „mit Regierung und Kapital aufs Engste verbunden ist und beide unter einer Decke stecken“. Gaisenkersting schilderte die Zusammenarbeit der Verdi-Führung mit der Bundesregierung, die Unterstützung der Kriegspolitik und militaristischen Aufrüstung und die Entschlossenheit der Gewerkschaft, die Forderung der Regierung und der Konzerne nach Reallohnkürzung umzusetzen.

Dann betonte er, dass Verdi nicht nur bei der Post, sondern auch in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes einen ernsthaften Vollstreik unter allen Umständen verhindern wolle. Die Warnstreiks dienten nicht der Streikvorbereitung sondern der Streik-Verhinderung.

„Verdi will verhindern, dass wir uns hier in Deutschland untereinander solidarisieren, dass die Beschäftigten der Post, des öffentlichen Dienstes, der Bahn, im Einzelhandel, in der Textilindustrie und mit vielen anderen, die sich gerade in Tarifauseinandersetzungen befinden, gemeinsam kämpfen“, sagte er. Der Grund dafür sei, dass ein solcher umfassender Streik sich schnell zu einer Konfrontation mit der Regierung entwickeln und den Kampf gegen die Inflation mit dem Kampf gegen Krieg und Aufrüstung verbinden würde.

Noch deutlicher sei das in Bezug auf Europa, betonte Gaisenkersting. „Die Verdi-Führung fürchtet erst recht, dass sich die Arbeiterinnen und Arbeiter hier in Deutschland mit ihren Kolleginnen und Kollegen in Europa verbünden. Ihr wisst, dass in Frankreich gerade Millionen auf der Straße sind und gegen die Macron-Regierung protestieren, in Großbritannien rebellieren gerade die Kolleginnen und Kollegen der Royal Mail gegen ihren Arbeitgeber und ihre Gewerkschaft.“

Deshalb vertrete das Aktionskomitee zwei wichtige Prinzipien: „Erstens kämpft es für die Interessen und Forderungen der Arbeiter und lehnt es ab, sie den Profitinteressen der Konzerne und der Kriegspolitik der Regierung unterzuordnen. Zweitens kämpft das Aktionskomitee für eine internationale Zusammenarbeit und strebt einen gemeinsamen Kampf an. Arbeiter in allen Ländern haben gleiche oder ähnliche Probleme und müssen im Kampf gegen multinationale Konzerne europaweit und international zusammenarbeiten.“

Solidaritätserklärungen aus Frankreich und Großbritannien

In diesem Zusammenhang begrüßte Gaisenkersting Alex Lantier, den Vorsitzenden der Parti de l'égalité socialiste (PES), und Tony Robson, Führungsmitglied der Socialist Equality Party (SEP), den französischen und britischen Schwesterparteien der Sozialistischen Gleichheitspartei, die beide an der Versammlung teilnahmen.

Alex überbrachte Grüße direkt aus Paris. Die Gründung des Post-Aktionskomitees erfolge zu einem kritischen Zeitpunkt für die französische und internationale Arbeiterklasse, sagte er. „Wochenlang haben die Gewerkschaftsbürokratien und die von den kapitalistischen Medien als ‚links‘ propagierten Parteien den französischen Arbeitern erzählt, dass Präsident Macron auf sie hören würde, wenn sie millionenfach protestieren“, berichtete Lantier.

„Letzte Woche wurden all diese Argumente als Lügen entlarvt.“ Macron habe seine Rentenkürzungen ohne Abstimmung im Parlament durchgesetzt und setze auf massive Polizeigewalt gegen die Proteste.

„Zwei Drittel der Franzosen wollen einen Generalstreik, um seine Regierung zu stoppen“, so Lantier. Doch kein einziger Gewerkschaftsführer denke daran. „Sie treten die Interessen der einfachen Arbeiter mit Füßen.“ Nur unabhängige Aktionskomitees könnten die volle Kampfkraft der Arbeiterklasse mobilisieren.

Abschließend bot er den Postbeschäftigten in Deutschland die Unterstützung der PES an und erklärte, ihr Kampf gegen die Verdi-Bürokratie werde „die Arbeiter in Frankreich und darüber hinaus inspirieren“.

Robson berichtete eindrucksvoll vom gegenwärtigen Streik der Postarbeiter in Großbritannien. Einige der deutschen Postarbeiter reagierten überrascht, als sie erfuhren, dass es ihre britischen Kollegen mit nahezu den selben Problemen zu tun haben wie sie hier in Deutschland.

Der 18-tägige Streik von 115.000 Royal Mail-Beschäftigten sei Teil einer großen Streikwelle, die seit letztem Sommer anhalte „aber die von der Gewerkschaftsbürokratie nach Kräften abgewürgt wird“, sagte Tony. Die Gewerkschaft Communication Workers Union, die die Postbeschäftigten vertritt, sei für den Ausverkauf von 40.000 Telekommunikationsbeschäftigten bei der BT Group verantwortlich und versuche jetzt, einen ebenso miserablen Abschluss für die Postarbeiter durchzusetzen.

Trotz hoher Streikbereitschaft und Kampfentschlossenheit versuche die Gewerkschaft einen ernsthaften Streik zu unterdrücken. Die CWU habe seit Anfang des Jahres zwei Streikmandate auslaufen lassen, ohne dass drei Monate lang etwas unternommen worden sei. „Nun sitzt sie seit dem 16. Februar auf einem Streik-Beschluss von 96 Prozent ohne einen Kampf zu beginnen“, erklärte Tony. Stattdessen richte sie Appelle an die Regierung.

Die Arbeitsbedingungen seien in den vergangenen Jahren in enger Zusammenarbeit von Unternehmensleitung und Gewerkschaft systematisch verschlechtert worden und mittlerweile unerträglich. Die Arbeitsbelastung sei verdreifacht worden, „mit 100 oder mehr Sendungen auf den Zustellrouten, Lasten von bis zu 16 Kilogramm und Fußmärschen von bis zu 23 Kilometern pro Tag“.

Tony endete seine Grüße mit den Worten: „Wir begrüßen den Kampf des Post-Aktionskomitees hier in Deutschland und werden mit euch für eine gemeinsame Offensive als Teil eines globalen Kampfes gegen die Plünderung des gesellschaftlichen Reichtums durch das Großkapital, den Angriff auf demokratische Rechte und den Drang zum Krieg kämpfen.“ Er lud die Anwesenden ein, am kommenden Montag an einer Online-Versammlung der Postarbeiter in Großbritannien teilzunehmen.

Abschließend wurde vereinbart, bis zum Ende der Verdi-Urabstimmung am 30. März die Kampagne für eine Nein-Stimme und für Streik fortzusetzen und mit allen Kolleginnen und Kollegen über eine aktive Mitarbeit im Aktionskomitee zu diskutieren. Für Samstag, 1. April wurde ein weiteres Online-Treffen des Aktionskomitees vereinbart.

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