Eisenbahnergewerkschaft ruft 180.000 Beschäftigte zum Streik auf

Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hat die Beschäftigten der Deutschen Bahn (DB) seit Mitternacht zu einem ganztägigen Warnstreik aufgerufen. Die Bahn hat erklärt, der Fernverkehr werde „komplett eingestellt“. Auch im Regional- und S-Bahnverkehr werden keine Züge fahren. Der Güterverkehr werde am Montag weitgehend zurückgehalten, um nach dem Streik ein rasches Anfahren des Zugbetriebs zu ermöglichen, kündigte die Bahn an.

Gemeinsam mit dem gleichzeitig stattfindenden Streik von Verdi im öffentlichen Dienst legt dieser so genannte „Mega-Streik“ weite Teile des Flug-, Bahn- und Nahverkehrs im gesamten Land lahm.

Streikkundgebung vor dem Duisburger Hauptbahnhof im Dezember 2018. Damals legten Warnstreiks der Eisenbahner den Zugverkehr für mehrere Stunden lahm. Seither sind die Reallöhne massiv gesunken.

Die EVG reagiert mit ihrem Warnstreik auf ein erstes Angebot der Bahn vom 14. März. Bei der ersten Verhandlungsrunde Ende Februar hatte sich der Konzern, vertreten durch den Personalvorstand Martin Seiler, zunächst geweigert, auf die Forderungen der EVG einzugehen.

Die EVG verlangt für die 180.000 Beschäftigten, die sie vertritt, Lohnerhöhungen von 12 Prozent, mindestens aber 650 Euro monatlich, bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Außerdem fordert sie einige kleinere strukturelle Veränderungen in den Tarifverträgen. Der Bahn-Konzern bezeichnete diese Forderungen als deutlich zu hoch und behauptete, sie entsprächen einer Erhöhung von 25 Prozent.

Das nun vorgelegte Angebot des Staatskonzerns kann nur als Farce bezeichnet werden. Die Löhne der Bahn-Beschäftigten sollen in zwei Schritten um insgesamt fünf Prozent angehoben werden: ab dem 1. Dezember 2023 um drei Prozent und ab dem 1. August 2024 um zwei Prozent. Außerdem soll es die vom Bund subventionierte sogenannte Inflationsausgleichsprämie geben. Diese ist einmalig, wird also nicht dauerhaft das Lohnniveau verbessern, und soll nur 2500 Euro betragen.

Die EVG hat den Streik als Reaktion auf die weitverbreitete Kampfbereitschaft der Beschäftigten ausgerufen. Angesichts explodierender Preise sind sie nicht gewillt, weitere Reallohnsenkungen zu akzeptieren. Da der Konzern sich zu 100 Prozent im Staatsbesitz befindet, sind die Eisenbahner direkt mit dem Bund, d.h. mit der Ampelregierung aus SPD, FDP und Grünen konfrontiert.

Die DGB-Gewerkschaft EVG ist über zahlreiche Kanäle eng mit der Bundesregierung und der Deutschen Bahn verbunden. Seit Jahren vertritt sie als Hausgewerkschaft der Bahn ganz offen die Interessen des Konzerns. Im ersten Corona-Jahr vereinbarte sie im Mai 2020 mit der Bundesregierung und dem Bahnmanagement ein „Bündnis für unsere Bahn“, das die Corona-Schäden auf die Beschäftigten abwälzte. Im Oktober 2020 unterzeichnete sie dann einen vorgezogenen Tarifvertrag mit einer Nullrunde im laufenden Jahr.

Dieser sollte dann ein Jahr später als Blaupause für weitere Angriffe auf die Lokführer und das Zugbegleitpersonal dienen, die in der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) organisiert sind. Auch die Spartengewerkschaft GDL würgte den Streik ab und vereinbarte einen Tarifvertrag, der die Reallöhne senkt und der Bahn 32 Monate „Friedenspflicht“, d.h. Streikverzicht garantierte. Aus diesem Grund können die Lokführer erst im Herbst ihren Kampf fortsetzen.

Der jetzige Tarifkampf bei der Bahn ist jedoch keine Wiederholung der letzten Tarifrunden. Er findet in einer stark veränderten politischen Situation statt.

Erstens befinden sich Millionen Beschäftigte des öffentlichen Diensts, der Post, der Krankenhäuser, der Schulen usw. gleichzeitig im Kampf für angemessene Löhne und bessere Arbeitsbedingungen.

Zweitens finden diese Kämpfe gleichzeitig in ganz Europa und weltweit statt. Diese Lohn- und Verteidigungskämpfe von Millionen von Arbeitern richten sich gegen die Kriegs- und Bereicherungspolitik ihrer jeweiligen Regierungen und das unersättliche Profitstreben der Wirtschafts- und Finanzeliten.

Die Beschäftigten der Bahn wissen ein Lied davon zu singen. In den letzten 20 Jahren wurde die Bahn systematisch kaputtgespart. Ein Kürzungs- und Abbauprogramm folgte dem nächsten. Die gesamte Infrastruktur, die dringend hätte erweitert werden müssen, wurde mutwillig abgebaut oder dem Zerfall preisgeben. Arbeitsplätze wurden gestrichen, Löhne und Arbeitsbedingungen sind unzumutbar.

Die rot-grüne Bundesregierung, die von 1998 bis 2005 unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) regierte, verfolgte das erklärte Ziel, die Bahn fit für die Börse zu machen. Obwohl dies nicht gelang, setzten die nachfolgenden Regierungen diese Pläne bis heute fort.

Die Leidtragenden sind vor allem die Beschäftigten, aber auch die Bahnkunden. Züge fallen aus, sind unpünktlich, bleiben wegen Personalnot oder Sanierungsbedarf an Bahn, Signalen, Weichen oder Gleisen mitten auf der Strecke liegen. Erst letzte Woche wurde bekannt, dass der Beton des Berliner Hauptbahnhofs regelrecht zerbröselt und es einem Wunder gleicht, dass sich nicht bereits ein schweres Unglück ereignet hat.

Die katastrophalen Zugunglücke in Griechenland und Ohio (USA) in den letzten Wochen verdeutlichen, dass diese vermeidbaren Katastrophen ein direktes Ergebnis dieser verbrecherischen kapitalistischen Politik sind.

Die angeblich dem Klimaschutz verpflichtende Ampelregierung unter Olaf Scholz (SPD) setzt diese Politik unvermindert fort. Während sie hunderte Milliarden in Krieg und Aufrüstung steckt, werden die wichtigen gesellschaftlichen Erfordernisse in den Bereichen Gesundheit, Post, Bildung und öffentlicher Verkehr angegriffen und abgebaut. So lässt z.B. der Verkehrsminister im Interesse der deutschen Autokonzerne lieber Autobahnen bauen, als die Infrastruktur der Bahn erneuern.

Doch die Sorgen der Vorstandsmitglieder der Deutschen Bahn AG sind anders gelagert. Ihre Entscheidungen und ihr Handeln sind nahezu ausschließlich davon bestimmt, wie sie ihre Gehälter und ihre Boni Jahr für Jahr erhöhen können. Auch wenn genaue Zahlen geheim gehalten werden, wurde 2020 bekannt, dass die Bahnmanager bisher über 500 Millionen Euro Boni eingestrichen haben. Wohlgemerkt, zusätzlich zu ihrem Gehalt, das beim gegenwärtigen Bahn-Chef Richard Lutz 900.000 Euro im Jahr beträgt.

Im Corona-Jahr 2020 verzichtete der Bahnvorstand unter öffentlichem Druck ausnahmsweise auf Boni. Um solche ärgerlichen Verluste in Zukunft zu vermeiden, hat der Konzernvorstand Ende des vergangenen Jahres vorgebaut. Er schuf einfach eine neue Gehaltsstruktur für den oberen Führungskreis, OFK genannt. Laut Business Insider wurden dabei „konkrete Verbesserungen“ der Bezahlung von 3000 Leitenden Angestellten festgelegt. „Die Vergütung wurde dadurch zum 1. Januar 2023 verlässlicher, krisenfester und attraktiver.“ Im Mittelpunkt stehe ein sogenannter „Pay-Mix“ (aus Grundvergütung und variabler Vergütung). Dadurch hätten „Kriseneffekte, wie beispielsweise die Pandemie“, weniger Einfluss auf die Gesamtvergütung.

Laut Business Insider hat die Bahn allein die Grundgehälter der Manager ab 1. Januar um bis zu 14 Prozent angehoben. Business Insider zitiert einen Kenner: „Betrachtet man das ganze Paket, werden die Manager in den kommenden Jahren unterm Strich wohl deutlich mehr verdienen, als unter den heutigen Voraussetzungen.“

Denn der Vorstand habe den Leitenden Angestellten auch noch eine Bonusgarantie ausgesprochen und erwarte von seinem Aufsichtsrat das gleiche für sich selbst. Der Aufsichtsrat wird diese Erwartung erfüllen. Schließlich sitzen dort erprobte EVG-Bürokraten neben den Vertreterinnen und Vertretern der Bundesregierung.

Der Vorsitzende des Aufsichtsrats wird von der Regierung gestellt, es ist der Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen Werner Gatzer. Das SPD-Mitglied war bereits 1998 von Oskar Lafontaine als Ressortleiter ernannt worden. Der stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrats ist Martin Burkert, der Vorsitzende der EVG. Er saß von 2005 bis 2020 für die SPD im Bundestag. Außerdem sitzen Cosima Ingenschay (SPD), Bundesgeschäftsführerin der EVG, sowie acht weitere Betriebsratsvorsitzende der DB-Tochterkonzerne im Aufsichtsrat.

Wenn Seiler nun erklärt, der Staatskonzern sei mit seinem Angebot einen großen Schritt auf die EVG zugegangen, empfinden das die Bahn-Beschäftigten zurecht als Kampfansage. Nur auf Druck der EVG-Mitglieder, die deutlich mehr Lohn erwarten, sah sich die EVG-Führung genötigt, eine für sie ungewohnt hohe Lohnforderung zu stellen. Ähnlich wie bei der Post, wo die Verdi-Bürokraten widerwillig eine 15-prozentige Lohnforderung aufstellen mussten, sucht die EVG jetzt nach Wegen, die Kampfbereitschaft der Bahnarbeiter zu sabotieren.

Der offene Streikbruch beim Tarifkampf der Post durch Verdi, die sich über einen Streikbeschluss von 86 Prozent ihrer Mitglieder hinwegsetzte, muss den Bahn-Kollegen eine Warnung sein. Kaum hatten die Postler für Streik gestimmt und sich auf einen solchen eingestellt, einigte sich Verdi mit dem Postkonzern auf Reallohnkürzungen, wie sie schlimmer nicht hätten sein können.

Der Hauptgrund, warum sich Verdi dermaßen übel über das Votum der Mitgliedschaft hinwegsetzt, liegt darin, dass auch sie eng mit Regierung und Konzern verbunden ist und daher einen großen, übergreifenden Streik, der sich unweigerlich gegen die Regierung richten würde, unbedingt verhindern will.

Doch die Auseinandersetzungen bei der Post, im Öffentlichen Dienst und natürlich bei der Bahn dauern an. Die Wut und die Kampfbereitschaft der Arbeiter sind ungebrochen. Alles hängt jetzt davon ab, dass sich die Belegschaften untereinander zusammenschließen und eine große Streikbewegung aufbauen. Dies kann nur unabhängig und gegen die Gewerkschaftsapparate und deren Verhandlungsführerinnen und -führer geschehen. Um das Heft des Handelns in die eigenen Hände zu nehmen, müssen überall Aktionskomitees gegründet werden.

Diese müssen in Betriebs- und Streikversammlungen gemeinsame Kampfmaßnahmen der Beschäftigten von Bahn, Post, öffentlichem Dienst und anderen Bereichen koordinieren. Die Aktionskomitees müssen sich mit den streikenden Beschäftigten in Frankreich, Griechenland, Großbritannien und anderen europäischen Ländern verbünden. Überall sind sie, wie die Eisenbahn-Beschäftigten, mit ihren Konzernen und Regierungen konfrontiert.

Wir rufen die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner auf, mit uns Kontakt aufzunehmen. Vernetzt euch mit euren Kollegen bei der Post und im Öffentlichen Dienst. Die Aktionskomitees sind per Whatsapp-Nachricht an die Mobilnummer +491633378340 zu erreichen oder registriert euch gleich hier über das folgende Formular.

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