Bundestagsparteien kriminalisieren Corona-Schutzmaßnahmen

Nachdem die Bundes- und Landesregierungen alle Corona-Schutzmaßnahmen abgeschafft haben, gehen sie jetzt dazu über, die in der Vergangenheit getroffenen Maßnahmen anzugreifen. Das macht eine Umfrage der Frankfurter Rundschau zu angeblichen „Fehlern“ in der Pandemiepolitik deutlich, die das Blatt unter den Gesundheitspolitikern aller Bundestagsfraktionen durchgeführt hat.

„Die wichtigste Lehre ist, dass wir Krankheitsausbrüchen mit Augenmaß begegnen müssen“, zitiert die Rundschau den gesundheitspolitischen Sprecher der Unionsfraktion Tino Sorge. Lockdowns, Schul- und Kitaschließungen hätten „verheerende Kollateralschäden“ verursacht. Das dürfe „sich nicht wiederholen“. Ähnlich erklärt der FDP Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann, Ausgangssperren, Schul- und Kitaschließungen seien „nicht notwendig“ gewesen.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte bereits im Februar im ARD Morgenmagazin erklärt, dass die Schließung von Schulen und Kitas ein Fehler gewesen sei.

Auch die Linkspartei vertritt diese Auffassung. So sagt die Gesundheitspolitikerin Kathrin Vogler, es sei ihr „immer noch unverständlich“, warum Schulen und Kitas geschlossen worden seien, statt sie flächendeckend mit Luftfiltern auszustatten. Man müsse „besser früh niedrigschwellige Maßnahmen als spät gravierende“ ergreifen. Auch die Einschränkungen für Ungeimpfte, d.h. die 2G- und 3G-Regelungen, bezeichnete sie als „Notlösung“.

Alle Parteien übernehmen damit im Kern die Position der rechtsextremen AfD, deren gesundheitspolitischer Sprecher Martin Sichert „die gesamte Corona-Zeit“ als „Zeit der Exzesse“ bezeichnet. Auch die AfD-Forderung nach einer Untersuchungskommission zu den Corona-Maßnahmen wird mittlerweile von breiten Teilen der etablierten Parteien unterstützt.

So bezeichnet Sorge „eine Enquetekommission oder ein vergleichbares Gremium“ als sinnvoll, um „die tiefen Narben in unserer Gesellschaft“ aufzuarbeiten. Die komplette Bundestagsfraktion der regierenden FDP fordert eine derartige „Aufarbeitung“. Und auch Lauterbach stimmt zu. „Ich bin da wirklich mit jeder Entscheidung komplett einverstanden. Und käme es zu einer solchen Kommission, würden wir auch mitmachen“, zitiert ihn das Nachrichtenportal The Pioneer.

Dabei ist völlig klar, dass eine derartige Kommission in keiner Weise zu einer ernsthaften Untersuchung der Effizienz der getroffenen Corona-Maßnahmen beitragen würde, sondern im Gegenteil zu deren Kriminalisierung. Das überrascht nicht. Seit Ausbruch der Pandemie hat die herrschende Klasse die kapitalistischen Profitinteressen höher gestellt als die Gesundheit und das menschliche Leben.

Zu Beginn der Pandemie sah sich die herrschende Klasse, angesichts von spontanen Streiks von Arbeitern, zwar gezwungen, gewisse Lockdowns zu verhängen. Diese hob sie jedoch umgehend wieder auf, nachdem sie den Banken und Großkonzernen hunderte Milliarden im Rahmen der sogenannten Corona-Notpakete in den Rachen geschmissen hatte. Anschließend baute sie schrittweise alle verbliebenen Schutzmaßnahmen ab.

Wenn führende Vertreter aller Bundestagsparteien jetzt selbst diese begrenzten Maßnahmen, die jedoch nachweislich Menschen vor der Infektion geschützt und Leben gerettet haben, verurteilen, macht das vor allem eines deutlich: Bei einer neuen Pandemie oder dem Aufkommen einer resistenten Mutation des Corona-Virus würde die herrschende Klasse keinerlei Maßnahmen mehr ergreifen und noch mehr Tote in Kauf nehmen.

Dabei ist die Corona-Pandemie auch jetzt noch in keiner Weise vorbei. Nach den Statistiken des Robert-Koch-Instituts (RKI), die allerdings nur auf freiwilligen Coronatests basieren, sind derzeit zwischen 300.000 und 600.000 Menschen infiziert. Das tatsächliche Pandemiegeschehen ist noch weitaus dramatischer. So erklärte beispielsweise der Saarbrücker Pharmazieprofessor Thorsten Lehr, er schätze die Sieben-Tage-Inzidenz auf ein- bis zweitausend. Das würde bedeuten, dass sich jede Woche ein bis zwei Prozent der Bevölkerung neu infizieren.

Wie verbreitet das Virus nach wie vor ist, zeigt sich unter anderem in der hohen Zahl von Coronaausbrüchen. In medizinischen Behandlungseinrichtungen gab es vergangene Woche 153 aktive Ausbrüche. In Alten- und Pflegeheimen sind es derzeit 38.

In den Krankenhäusern ist die Entwicklung nicht besser. Die adjustierte Hospitalisierungsinzidenz stieg in den letzten Tagen stetig an und liegt mittlerweile bei 9, was rund 7500 Hospitalisierungen pro Woche entspricht. Nach Angaben des MDR ist Corona derzeit die stärkste Ursache für Klinikeinweisungen. 22 Prozent der Patienten, die mit einer schweren Atemwegsinfektion eingeliefert werden, haben Covid-19. Im Vergleich dazu liegt der Anteil der Grippe bei sechs Prozent.

Die Zahl der Coronapatienten, die intensivmedizinisch behandelt werden müssen, liegt bei knapp über 1000 Personen. Jeden Tag erliegen fast 100 Menschen dem Virus.

Besonders beunruhigend in der jüngsten Entwicklung ist das Aufkommen neuer Mutationen. Während im Februar letzten Jahres die Omikron-Variante für einen massiven Infektionsanstieg sorgte, verbreitet sich seit dem Jahreswechsel die Omikron-Untervariante XBB, die sich vor allem durch ihre hohe Resistenz auszeichnet.

Mittlerweile machen die XBB-Mutationen rund zwei Drittel des Infektionsgeschehens aus. Die jüngsten Impfstoffe waren angepasst an die Omikron BA.5 Variante, das heißt eine Variante, die nur noch verschwindend gering existiert.

Insbesondere die Ausbreitung der Variante XBB.1.16, die den Beinamen „Arcuturus“ trägt, betrachten Wissenschaftler mit Sorge. Gegenüber der „Kraken“-Variante XBB.1.5 besitzt die Variante drei weitere Mutationen am Spike-Protein, die das Immunsystem unterdrücken können.

Die Deutsche Apotheker Zeitung warnt, dass „diesen Mutationen das Potenzial zugerechnet [wird], die Immunabwehr auch von Geimpften und Genesenen zu unterlaufen“. Zudem könnte eine Mutation dazu führen, dass das Virus besser in menschliche Zellen gelangt und sich festsetzen kann. Damit wäre diese Variante noch ansteckender als ihre Vorgänger.

Insgesamt hat die XBB1.16 Variante gegenüber XBB.1.5 einen Wachstumsvorteil von 140 Prozent. In Indien hat ihre Ausbreitung bereits zu einem Anstieg der Infektion um 281 Prozent und der Todesfälle um 17 Prozent in 14 Tagen geführt.

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