Südhessen: LKW-Fahrer seit drei Wochen im Streik

Ein martialischer Übergriff einer polnischen Privatmiliz auf streikende LKW-Fahrer aus Osteuropa wirft ein grelles Licht auf die sklavenartigen Bedingungen, unter denen tausende Fernfahrer in dieser Branche arbeiten.

Streikende LKW-Fahrer auf der Autobahnraststätte Gräfenhausen-West bei Darmstadt, 9. April 2023

Seit drei Wochen streikt eine Gruppe von osteuropäischen LKW-Fahrern schon auf einer Raststätte in Südhessen, weil sie zwei Monate lang ohne Lohn geblieben sind. Am Karfreitagvormittag versuchte der Unternehmer Lukasz Mazur, zu dessen Firmengruppe die Fahrer gehören, den Streik durch einen brutalen Überfall zu zerschlagen.

Zusammen mit einem privaten Sicherheitsdienst, einem Filmteam und drei Kleinbussen voller Ersatzfahrer fuhr Mazur auf der Raststätte vor. Die berüchtigte Privatmiliz Rutkowski Patrol führte ein gepanzertes Vehikel und 18 Schlägertypen in schusssicheren Westen mit, die die Streikenden angriffen und versuchten, die Laster zu übernehmen.

Unterstützer vor Ort alarmierten die Polizei, die mit einer Hundertschaft anrückte. Sie riegelte die Raststätte ab und setzte die 18 Schläger samt dem Unternehmer vorübergehend fest. Ein Arbeiter, der geschlagen und verletzt worden war, musste am Samstag ins Krankenhaus gebracht werden.

Bisher haben sich über 65 Fahrer mit ihren LKWs dem Streik auf der Autobahnraststätte Gräfenhausen-West an der A5 angeschlossen. Sie fordern nicht nur ihre ausstehenden Löhne, sondern auch eine faire Bezahlung und menschenwürdige Arbeitsbedingungen.

Die Streikenden fahren für die Firmengruppe Lukmaz, Agmaz und Imperii, die der Familie des polnischen Speditionsunternehmers Lukasz Mazur gehören. Der Konzern unterhält eine Flotte von etwa 1000 LKWs, die Güter und Produktionsteile für große Konzerne quer durch Deutschland und Südeuropa transportieren. Die multinationalen Unternehmen, die sie nutzen, haben die ILO-Normen zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte in den gesamten Lieferketten unterzeichnet, doch um die Bedingungen der Fahrer kümmern sie sich nicht.

Die Fahrer stammen aus Georgien, Usbekistan und Tadschikistan. Das Unternehmen beschäftigt Arbeiter aus ganz Osteuropa, sowie auch von den Philippinen und aus Nepal.

Im Gespräch mit der World Socialist Web Site erklärte Edwin Atema, Mitglied der niederländischen Gewerkschaft FNV, der für die Arbeiter die Verhandlungen führt: „Die Spedition holt Fahrer aus der ganzen Welt, um sie auszubeuten und daran viel Geld zu verdienen … Jeder in dieser ganzen Kette verdient einen Haufen Geld, außer den Leuten, die die Arbeit machen: den LKW-Fahrern. Dieser Unternehmer – ein klassisches Beispiel – besitzt eine Rolex und fährt einen Lamborghini, und die Arbeiter, die alles am Laufen halten, kämpfen hier für ihre Rechte.“

Als die Fahrer am 20. März in den Streik traten, hatten sie schon seit 50 Tagen keinen Lohn mehr erhalten. Die Fahrer sollen rund 80 Euro pro Tag erhalten, was einem Hungerlohn gleichkommt. Selbst wenn sie (wie vorgeschrieben) acht Stunden am Tag fahren würden, läge diese Summe weit unter dem deutschen Mindestlohn von 12 Euro pro Stunde. Sie sind aber normalerweise 13 bis 15 Stunden unterwegs.

Die Arbeiter verweisen auf jeweils mehrere tausend Euro, mittlere vierstellige Summen, die ihnen vorenthalten werden. Sie sind entschlossen, den Streik mindestens so lange fortzusetzen, bis sie dieses Geld bekommen haben, das ihre Familien dringend benötigen. Sie sehen ihre Lieben viel zu wenig, da sie praktisch im LKW leben. Ein Fahrer hatte seine Familie schon über ein Jahr lang nicht besuchen können.

Einer der Streikenden, Vasil aus Georgien, der die Fragen der WSWS über das Italienische und Spanische ins Russische übersetzte, zeigte Bilder von seinem Haus und dem Dorf, wo seine Angehörigen wohnen.

Streikende LKW-Fahrer auf der Autobahnraststätte Gräfenhausen-West bei Darmstadt, 9. April 2023

Die Arbeiter waren begeistert, dass die WSWS Kollegen in ganz Europa und weltweit über ihren Streik informiert. Sie richten sich mit ihrem Kampf besonders auch an Beschäftigte derjenigen Großkonzerne, für die sie fahren, beispielsweise von VW, Ikea und der Deutschen Post DHL.

In den letzten Wochen ist es bereits zu Streikaktionen im Südtirol, in der Schweiz und in Niedersachsen gekommen, doch der Streik in Südhessen hat bisher als einziger Bestand. Über die georgische Gewerkschaft GTUC haben die Streikenden Kontakt zum holländischen Road Transport Due Diligence Team (RTDD) und dem DGB-Projekt Faire Mobilität aufgenommen, zu dem eine russischsprachige Übersetzerin gehört. Lebensmittel und andere Hilfe kommt von der Caritas und mehreren Tafeln der Umgebung. Die Verhandlungen für die Streikenden führt der niederländische RTDD-Organisator Edwin Atema.

Der LKW-Streik in Südhessen und der Überfall faschistischer Schläger auf die Streikenden werfen ein Schlaglicht auf die brutalen Ausbeutungsbedingungen mitten in Europa. Der Streik der LKW-Fahrer ist Teil eines neuen Aufschwungs des Klassenkampfs, der unter anderem Frankreich seit Monaten in Atem hält.

Doch die Unterstützung, die der Streik momentan von Seiten des DGB und Verdi sowie von Medien wie der Frankfurter Rundschau genießt, muss als heuchlerisch und zynisch bezeichnet werden. Die Parteien, denen diese Gewerkschaften und Medien nahestehen – die SPD, die Grünen und die Linke –, haben die Bedingungen geschaffen und verteidigt, die diese schreiende Ausbeutung erst möglich machen. Zusammen mit ihren Bündnispartnern in der Europäischen Union verschärfen sie sie ständig. In Spanien hat die PSOE/Podemos-Regierung im letzten Jahr 23.000 Polizisten gegen einen landesweiten Streik der LKW-Fahrer mobilisiert.

Die Verbündeten der streikenden Lastwagenfahrer auf der Raststätte Gräfenhausen-West sind die Arbeiter in der Logistik und in allen Branchen in Deutschland, Europa und international. Um ihren Kampf zum Erfolg zu führen, müssen LKW-Arbeiter ihre eigenen, von den Gewerkschaften unabhängigen Aktionskomitees aufbauen und sich mit der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees verbinden.

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