IWF-Bericht: Eintrübung der Finanzmärkte bedroht erlahmende Weltwirtschaft

Die globale Wirtschaft ist noch immer weit davon entfernt, zu den Wachstumsraten aus der Zeit vor der Covid-19-Pandemie aufzuschließen. Zudem schwebt sie in ständiger Gefahr einer schwerwiegenden Finanzkrise, die selbst den begrenzten Aufschwung sofort wieder zunichtemachen könnte. Soweit der ernüchternde Befund des World Economic Outlook (WEO; „Weltwirtschaftsausblick“), der am 11. April vom Internationalen Währungsfonds (IWF) veröffentlicht wurde.

IWF-Chefökonom Pierre-Olivier Gourinchas, zweiter von links, auf einer Pressekonferenz zum Weltwirtschaftsausblick des IWF am 11. Oktober 2022 in Washington [AP Photo/Patrick Semansky]

IWF-Chefökonom Pierre-Olivier Gourinchas bemüht sich in seinem Blogbeitrag zum WEO-Bericht redlich, die schlechten Vorzeichen schönzureden. Die „schrittweise Erholung“ der Weltwirtschaft von der Corona-Pandemie und den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs sei „auf einem guten Weg“. Die Engpässe in den Lieferketten würden sich auflösen, die Wogen auf den Lebensmittel- und Energiemärkten würden sich allmählich glätten und selbst die Inflation nähere sich wieder den Zielvorgaben.

So weit, so rosig. Doch von da an verdüstert sich Gourinchas Ausblick im Blog deutlich.

Für das laufende Jahr prognostiziert der IWF ein „zaghaftes und uneinheitliches“ globales Wirtschaftswachstum von 2,8 Prozent, verglichen mit 3,4 Prozent im Vorjahr. Dabei werden die großen Volkswirtschaften nur um 1,3 % wachsen. Die Vorhersage geht insgesamt von einem langsamen Anstieg aus, wonach die Wachstumsrate erst in fünf Jahren 3 Prozent erreicht – „die schwächste mittelfristige Prognose seit Jahrzehnten“.

Selbst diese mageren Aussichten könnten noch viel ungünstiger ausfallen, da die „Basisprognose“ darauf fußt, dass die „jüngsten Krisen im Finanzsektor eingedämmt sind“. Diese Aussicht ist aber alles andere als gewiss.

Wie Gourinchas in seinem Vorwort zum WEO-Bericht warnt, zeichnet sich zwar eine allmähliche Konjunkturerholung ab, doch „unter der Oberfläche brodelt es gewaltig, wodurch die Situation äußerst fragil wird, wie uns unlängst die Bankeninstabilität vor Augen führte“.

Die Inflationsentwicklung sei „viel hartnäckiger als noch vor ein paar Monaten erwartet“, die Verlustrisiken dominierten und „die dichter werdenden Nebelschwaden haben die globalen Konjunkturaussichten eingetrübt“. All dies ist das Resultat des Kurswechsels in der Zentralbank, weg von der Nullzinspolitik, die nach der globalen Finanzkrise von 2008 eingeführt wurde, hin zu Zinserhöhungen.

Gourinchas ist zunehmend „alarmiert“ über die Auswirkungen der „radikalen geldpolitischen Straffung“ der letzten 12 Monate. Denn sie entfache „ernsthafte Nebenwirkungen für den Finanzsektor“, da sie „beträchtliche Verluste bei langfristigen festverzinslichen Vermögenswerten“ auslöse.

In einem aufschlussreichen Satz offenbart er: „Die Stabilität eines jeden Finanzsystems hängt von seiner Fähigkeit ab, Verluste aufzufangen, ohne dass direkt Steuergelder in Anspruch genommen werden müssen.“

Nach diesem Maßstab steuert das kapitalistische Finanzsystem auf den Bankrott zu. Zwar wurden staatliche Mittel nicht direkt in Anspruch genommen, doch mussten sowohl bei der britischen Pensionsfonds- und Anleihemarktkrise im September 2022 als auch beim Kollaps der Silicon Valley Bank und der Signature Bank im letzten Monat immense Finanzmittel bereitgestellt werden.

„Die finanzielle Instabilität auf dem britischen Gilt-Markt (UK-Markt für Staatsanleihen) im letzten Herbst sowie die aktuellen Finanzmarktturbulenzen in den USA mit dem Kollaps einiger Regionalbanken zeigen“, so Gourinchas, „dass sowohl Banken als auch Finanzinstitute außerhalb des Bankensektors sehr anfällig sind. In beiden Fällen haben die Behörden schnell und entschlossen gehandelt und konnten dadurch die Ausbreitung der Krise weitgehend eindämmen. Es ist jedoch möglich, dass das Finanzsystem erneut auf die Probe gestellt wird“.

Im Interview mit der Financial Times verwies er auf die Ereignisse, die zur globalen Finanzkrise von 2008 führten.

„Wir alle können uns an die langen Pausen zwischen dem Konkurs einzelner Institute erinnern, ob es sich dabei um Bear Stearns oder Countrywide drehte. Und jedes Mal wurde das Geschehen wie ein Einzelfall gehandhabt, bis das eben nicht mehr stimmte.“

In dem IWF-Bericht wird der Zusammenhang zwischen Finanzkrisen und den Gefahren für die Realwirtschaft nochmals verdeutlicht. „Infolge der Risiken tendieren die Aussichten eindeutig abwärts, wobei die Wahrscheinlichkeit einer harten Bruchlandung drastisch angestiegen ist.“

Die Spannungen im Finanzsektor könnten sich „intensivieren und ansteckend wirken“, wodurch die Realwirtschaft „aufgrund einer dramatischen Verschlechterung der Finanzierungskonditionen“ geschwächt werde. Parallel dazu „könnte sich die Kerninflation als hartnäckiger erweisen, als erwartet, und eine noch restriktivere Geldpolitik erzwingen“.

Ungeachtet des Chaos, das dadurch auf den Finanzmärkten ausgelöst wird, beharrt der IWF darauf, dass die Zentralbanken die Zinssätze weiter anheben, angeblich, um die Inflation endgültig zu besiegen. Doch, wir erinnern uns: Das eigentliche Ziel der IWF-Politik besteht darin, die berechtigten Arbeitskämpfe für mehr Lohn zu unterdrücken.

Selbst Gourinchas räumt ein, dass Lohnerhöhungen nicht die Ursache der Inflation sind – angesichts der umfangreichen Faktenlage, die diese Tatsache belegen, konnte er schwerlich etwas anderes behaupten – und stellt fest, dass „die Gewinnmargen der Konzerne in den letzten Jahren sprunghaft gestiegen sind“.

„Die nominale Lohninflation“, fährt er fort, „liegt weiterhin erheblich unter der Preisinflation, was auf einen drastischen und noch nie dagewesenen Rückgang der Reallöhne hindeutet.“

Obwohl dies nie in der Öffentlichkeit zugegeben wird, hat der IWF, wie alle anderen kapitalistischen Institutionen weltweit, den Klassenkampf fest im Visier. Gourinchas konstatiert, dass sich dies angesichts der „angespannten Lage“ auf dem Arbeitsmarkt voraussichtlich nicht ändern wird.

Er erwähnt es zwar nicht direkt, doch die Angst vor dem zunehmenden Widerstand der Arbeiter ist der Grund für die restriktive Geldpolitik der weltweit bedeutendsten Zentralbanken. Allerdings haben die Zinserhöhungen, wie bereits deutlich wurde, zu erheblichen Verwerfungen auf den Finanzmärkten geführt, und es ist schon jetzt absehbar, dass noch mehr folgen.

Nach Ansicht des IWF befindet sich die Weltwirtschaft in einer „bedrohlichen Situation“, da das Wirtschaftswachstum im historischen Vergleich nach wie vor niedrig ist. Gleichzeitig hat die Inflation „noch nicht die entscheidende Wende vollzogen“, weshalb der IWF die Wahrscheinlichkeit eines „ernsthaften wirtschaftlichen Absturzszenarios“ mit 15 Prozent beziffert.

Die geeignete Vorgehensweise, so Gourinchas, hänge von der Verfassung der Finanzmärkte ab. So lange diese stabil sei, müsse die Geldpolitik weiter gestrafft werden. Sollte sich jedoch eine „systemweite Finanzkrise anbahnen“, sei eine „vorsichtige und frühzeitige Neukalibrierung der Politik erforderlich, um sowohl das Finanzsystem als auch die Wirtschaft zu schützen“.

Dieser Slang besagt schlicht, dass der Krieg gegen die Arbeiter nicht unterbrochen werden darf. Denn Systemkrisen bedeuten immer eine Verschlechterung der Situation der Arbeiter, wie die Krise 2008 eindrucksvoll gezeigt hat. Und die geldpolitischen Hähne dürfen ausschließlich aufgedreht werden, um die Banken und die zahllosen Finanzinstitute außerhalb des Bankensektors zu stützen.

Ferner werden die langfristigen Perspektiven durch die wachsenden geopolitischen Spannungen getrübt, die zwar schon länger bestehen, sich jedoch mit dem Ukraine-Krieg verschärften. Der IWF bezeichnet dies als „geoökonomische Fragmentierung“ und widmet den Konsequenzen ein eigenes Kapitel in seinem aktuellen WEO-Bericht.

Im Vorwort des Berichts fasst Gourinchas die Ergebnisse dieser Analyse zusammen und mahnt, dass ein Teil der gegenwärtigen Konjunkturabkühlung auf „ominöse Kräfte“ hindeuten könnte. Hierzu zählt er die Auswirkungen der Corona-Pandemie, die zunehmenden Handelskonflikte, den Rückgang der Direktinvestitionen sowie eine Verlangsamung der Innovation und der technologischen Entwicklung innerhalb der fragmentierten „Wirtschaftsblöcke“.

„In einer fragmentierten Welt ist es unwahrscheinlich, dass wir Fortschritte für alle Meschen erzielen oder gemeinsam die globalen Herausforderungen wie Klimawandel oder bessere Pandemievorsorge erzielen können. Dieser Fehlentwicklung müssen wir uns mit aller Kraft entgegenstellen“, fordert er.

Doch anstatt dieser Fehlentwicklung entgegenzutreten, zementieren die kapitalistischen Oligarchien und Finanzeliten diesen Pfad unbeirrt. Selbst ihr wichtigster Vertreter, die IWF, sieht keinen Ausweg und bekräftigt dies stattdessen in seinem jüngsten WEO-Bericht als unumstößliche Tatsache des wirtschaftlichen und politischen Lebens.

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