Perspektive

Der Streik bei den Bundesbehörden in Kanada und das weltweite Wiederaufleben des Klassenkampfs

Der Streik von über 120.000 Beschäftigten der Bundesbehörden in Kanada, der am Mittwoch begonnen hat, stellt eine direkte Herausforderung für die Regierung Trudeau und die Politik der herrschenden Klasse insgesamt dar, die einen imperialistischen Krieg gegen Russland und China vorbereitet und zugleich die Rechte und den Lebensstandard der Arbeiter im eigenen Land zerstört.

Das ist der Grund, warum der Streik in den Leitmedien heftig angeprangert wird. Das geht bis hin zu der Forderung, ihn durch ein Notstandsgesetz für illegal zu erklären. In reißerischen Berichten wird die „Sabotage“ der öffentlichen Verwaltung beklagt – und das von denselben Schreiberlingen des Großkapitals, die ansonsten nach Sparmaßnahmen und Privatisierung rufen.

Die Streikenden, darunter Angestellte der Steuer- und Einwanderungsbehörde sowie des Dienstleistungsportals Service Canada, kämpfen für Lohnerhöhungen, die mit der Inflation Schritt halten, und für einen besseren Kündigungsschutz.

Der Arbeitskampf bei den Bundesbehörden ist Teil einer weltweiten Bewegung der Arbeiterklasse gegen Reallohnkürzungen, Angriffe auf Arbeitsschutz und demokratische Rechte sowie den Abbau öffentlicher Dienste. Hinter diesen Kämpfen steht dieselbe kapitalistische Krise, die die herrschenden Eliten in allen Großmächten in Richtung Weltkrieg treibt.

Der Streik schließt sich an die dreimonatigen Massenproteste in Frankreich an, die sich gegen die Rentenreform von Präsident Macron richten, und fällt mit größeren Streiks im Gesundheitswesens und bei der Post in Großbritannien sowie im Bildungswesen in den Vereinigten Staaten zusammen. Unabhängig von ihren nationalen Besonderheiten richten sich alle diese Kämpfe objektiv gegen die Versuche der herrschenden Klasse, die Ressourcen der Gesellschaft völlig in den Dienst imperialistischer Kriege und wiederholter Rettungsaktionen für die Finanzoligarchie zu stellen.

Dieses Verständnis muss den Kampf der Bundesangestellten anleiten und zu einer bewussten politischen Strategie ausgearbeitet werden. Auf diese Weise wird der Streik zur Speerspitze einer Gegenoffensive der Arbeiterklasse gegen Sozialabbau und Krieg und gegen deren Vollstrecker: die von den Gewerkschaften und Sozialdemokraten unterstützte Trudeau-Regierung und das politische Establishment insgesamt. Eine solche Gegenoffensive kann nur Erfolg haben, wenn sie darauf ausgelegt ist, den Widerstand der Arbeiter in Kanada mit demjenigen der Arbeiter in den USA und weltweit zu vereinen.

Die Gewerkschaft der Bundesbediensteten, die Public Service Alliance of Canada (PSAC), ist die größte Gewerkschaft in diesem Bereich und eine der größten Mitgliedsgewerkschaften des Dachverbands Canadian Labour Congress (CLC). Sowohl PSAC als auch CLC arbeiten eng mit der liberalen Regierung zusammen, seit diese 2015 ihr Amt angetreten hat. Dies erklärt, warum die PSAC alles getan hat, um den Streik zu vermeiden. Sie hat die Verhandlungen fast zwei Jahre in die Länge gezogen, nachdem die Tarifverträge 2021 ausgelaufen waren.

Die PSAC hat keine anderen Arbeitergruppen aufgerufen, sich dem Kampf anzuschließen, obwohl die grassierende Inflation alle gleichermaßen betrifft. Sie hat die reaktionäre Gesetzgebung über „wesentliche Dienste“, die 35.000 der 155.000 Beschäftigten in den fünf derzeit bestreikten Tarifgruppen von der Teilnahme am Arbeitskampf ausschließt, ohne Protest akzeptiert und brüstet sich mit ihren Bemühungen, die Auswirkungen des Streiks zu begrenzen.

Und dies, obwohl sich die Trudeau-Regierung während der gesamten Verhandlungen überaus provokativ verhalten hat. Die Regierung begann die Gespräche mit dem unverschämten Angebot, die Löhne und Gehälter über vier Jahre um lediglich 8,5 Prozent zu erhöhen. Inzwischen wurde dies geringfügig auf 9 Prozent in drei Jahren erhöht. Auf einer Pressekonferenz am Mittwoch betonte die Leiterin des Finanzministeriums, Mona Fortier, dass die Regierung mit ihrem Angebot nicht über 9 Prozent hinausgehen werde. Die Inflation lag im vergangenen Jahr bei über 8 Prozent, wobei die Preise für Lebensmittel und Energie weitaus schneller stiegen. In den ersten vier Monaten des Jahres 2023 verharrte sie bei über 5 Prozent.

Die herrschende Klasse hat auf den Streik mit unverhohlener Wut reagiert. Die Globe and Mail, das Hausorgan der Finanzelite, tat die von der PSAC geforderte jährliche Erhöhung von mageren 4,5 Prozent arrogant als „irrwitzig“ ab. Im Leitartikel des Globe wurde Trudeau aufgefordert, bei allen weiteren Tarifverhandlungen den Maßstab für die Beschäftigten des öffentlichen Sektors und der Privatwirtschaft in den Provinzen zu setzen, indem er Lohnabschlüsse unterhalb der Inflationsrate erzwingt, d. h. Reallohnkürzungen. Die äußerste Rechte fordert lautstark die sofortige Einführung von Gesetzen zur Wiederaufnahme der Arbeit.

Die Trudeau-Regierung hat bereits früher Streiks bei der Post und im Hafen von Montréal unter Strafe gestellt und ähnliche Maßnahmen gegen Eisenbahner und andere Beschäftigte angedroht. Gegenwärtig verlässt sie sich jedoch darauf, dass ihre „Partner“ in der Gewerkschaftsbürokratie und der sozialdemokratischen New Democratic Party (NDP) den Streik isolieren und, nachdem die Arbeiter etwas Dampf abgelassen haben, einen miserablen Tarifvertrag durchdrücken. Die PSAC hat deutlich zu erkennen gegeben, dass sie den Streik abzubrechen gedenkt, sobald ihre Verhandlungsführer zu einer vorläufigen Einigung gelangt sind. Sie möchte den Arbeitern keine Möglichkeit geben, diese einzusehen, geschweige denn darüber abzustimmen.

Während die liberale Regierung behauptet, es sei „kein Geld“ da, um die Forderungen der Streikenden zu erfüllen, gibt sie Milliarden für den Krieg der USA und der Nato gegen Russland aus, der darauf abzielt, Russland auf den Status einer Halbkolonie zu reduzieren und sich seine Rohstoffe einzuverleiben. Die Trudeau-Regierung investiert Dutzende Milliarden in eine massive Aufrüstung. Sie beschafft neue Kriegsschiffe und F-35-Kampfjets und betreibt die „Modernisierung“ des gemeinsamen kanadisch-amerikanischen Luft- und Raumverteidigungskommandos (NORAD), um „strategische Konflikte“ mit Russland und China auszutragen.

Die Finanzministerin und stellvertretende Premierministerin Chrystia Freeland hat ein Sparprogramm für die Zeit nach der Pandemie verhängt, um die 650 Milliarden Dollar wieder hereinzuholen, die zu Beginn der Coronapandemie Anfang 2020 dem Großkapital und den Banken zur Verfügung gestellt wurden.

Die Gewerkschaften und die New Democratic Party (NDP) haben maßgeblich dazu beigetragen, das Programm der Regierung Trudeau durchzsetzen. Während der Pandemie forderten führende Gewerkschaftsbürokraten wie der Ex-CLC-Vorsitzende und heutige Senator Hassan Yussuff eine „gemeinsame Front“ mit dem Großkapital, um die kanadische Wirtschaft „wettbewerbsfähiger“ zu machen und die ruinöse „Profit-vor-Leben“-Politik der herrschenden Klasse umzusetzen, die zu mehreren Wellen von Masseninfektionen und Tod geführt hat.

Weniger als einen Monat, nachdem es den USA, Kanada und ihren europäischen imperialistischen Verbündeten gelungen war, Russland zum Einmarsch in die Ukraine zu verleiten, bildete die NDP mit lautstarker Unterstützung der Gewerkschaften ein Regierungsbündnis mit Trudeau, das nur knapp an einer Koalition vorbeiging. Im Rahmen des entsprechenden Abkommens hat sich die NDP verpflichtet, die Liberalen von Trudeau bis 2025 zu unterstützen. Der NDP-Vorsitzende Jagmeet Singh begründete die Vereinbarung, mit der die NDP ihre Unterstützung für die liberale Minderheitsregierung seit 2019 nun formalisiert hat, mit der Notwendigkeit „politischer Stabilität“. Damit meint er „Stabilität“ für die herrschende Elite, um ihre Klassenkampfagenda umzusetzen.

Angesichts dieser Bilanz ist Singhs Versuch, sich als Freund der Streikenden aufzuspielen, indem er am Montag versprach, dass die NDP niemals für ein Gesetz zur Wiederaufnahme der Arbeit stimmen würde, einfach nur lächerlich. Singh weiß genau, dass die liberale Regierung, sollte sie sich für diesen Weg entscheiden, die eifrige Unterstützung der konservativen Opposition erhalten würde, sodass ein Antistreikgesetz rasch verabschiedet werden könnte. Singh, der öffentlichkeitswirksame Besuche bei Streikposten inszeniert, bietet zweifellos seine Dienste als Vermittler zwischen den Führungen von PSAC und CLC und den Regierungsbeamten an.

Das Bündnis zwischen Gewerkschaften, NDP und Liberalen bildet seit Jahrzehnten den Schlüsselmechanismus zur Unterdrückung des Klassenkampfs in Kanada. Eines der jüngsten Beispiele dafür war der Streik von 55.000 Beschäftigten im Bildungswesen in Ontario im November letzten Jahres. Nachdem die rechtsgerichtete Provinzregierung drakonische Gesetze zum Verbot des Streiks erlassen hatte, widersetzten sich die Arbeiter mutig und erhielten dabei überwältigende Unterstützung aus der Arbeiterklasse. Singh appellierte an Trudeau zu intervenieren, woraufhin der Premierminister am ersten Tag des Arbeitskampfs ein Treffen mit Gewerkschaftsführern abhielt.

Als die Rufe nach einem Generalstreik immer lauter wurden und überall in Ontario Kundgebungen stattfanden, nahmen die Führer des Gewerkschaftsdachverbands CLC und die meisten seiner großen Mitgliedsorganisationen Hinterzimmergespräche mit Ontarios Premierminister Doug Ford auf, damit er das Streikverbot im Gegenzug für eine Beendigung des Streiks zurücknehmen sollte. Nachdem die Gewerkschaften den Kampf erfolgreich abgewürgt hatten, gelang es der Ford-Regierung mit ihrer Unterstützung, den schlecht bezahlten Beschäftigten im Bildungswesen einen Lohnabschluss unterhalb der Inflationsrate aufzuzwingen.

Wenn die Beschäftigten der Bundesbehörden einen erfolgreichen Kampf führen wollen, müssen sie sich aus der Zwangsjacke befreien, die das Bündnis aus Gewerkschaft, NDP und Liberalen darstellt. Sie müssen ihren Kampf ausweiten, indem sie die Unterstützung der gesamten Arbeiterklasse gegen Austerität und Krieg mobilisieren und für die Entwicklung einer unabhängigen politischen Massenbewegung der Arbeiterklasse kämpfen. Ihr Ziel sollte die Einsetzung einer Arbeiterregierung sein, die eine sozialistischen Politik durchführt, um die enormen Ressourcen der Gesellschaft so umzuverteilen, dass sie den sozialen Bedürfnissen und nicht dem privaten Profit dienen.

Ein solcher Kampf kann sich nur entwickeln, wenn die Beschäftigten des Bundes den regierungsnahen Gewerkschaftsbürokraten die Kontrolle über ihren Streik aus den Händen nehmen. In jedem Bereich müssen Streikkomitees gebildet werden, die politisch und organisatorisch von der Gewerkschafts- und PSAC-Bürokratie unabhängig sind und demokratisch von den Belegschaften kontrolliert werden. Diese Komitees müssen den Versuchen des Gewerkschaftsapparats, den Streik zu isolieren, entgegentreten, indem sie die Beschäftigten des öffentlichen Sektors in den Provinzen und an die Beschäftigten im gesamten Privatsektor zur Unterstützung und zu Solidaritätsstreiks aufrufen. Die Komitees müssen sich jedem Versuch der PSAC, den Streik zu beenden, ohne dass die Forderungen der Arbeiter erfüllt werden, energisch widersetzen und sich darauf vorbereiten, Widerstand gegen Gesetze zur Wiederaufnahme der Arbeit zu organisieren. Ein besonderer Appell muss an die Arbeiter in den Vereinigten Staaten gerichtet werden, deren herrschende Klasse ebenso entschlossen ist, sie für imperialistischen Krieg und Rettungsaktionen zugunsten der Finanzoligarchie bezahlen zu lassen.

Wir rufen alle Streikenden und ihre Unterstützer, die mit dieser Perspektive übereinstimmen, dazu auf, an der internationalen Online-Kundgebung zum 1. Mai teilzunehmen. Sie wird organisiert von der World Socialist Web Site, dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale, den ihr angeschlossenen Parteien und der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees und wird am Sonntag, den 30. April, um 21 Uhr MESZ stattfinden.

Loading