Perspektive

1. Mai 2023: Für die internationale Einheit der Arbeiterklasse gegen nationalen Chauvinismus und Krieg!

Dies ist die Eröffnungsrede von David North, dem Vorsitzenden der internationalen Redaktion der World Socialist Web Site auf der internationalen Online-Kundgebung zum 1. Mai 2023, die am Sonntag, den 30. April, stattfand. Die Aufzeichnung der gesamten Kundgebung kann hier abgerufen werden.

An diesem Tag der internationalen Solidarität der Arbeiterklasse sendet das Internationale Komitee der Vierten Internationale revolutionäre Grüße an alle, die diese Online-Kundgebung weltweit verfolgen. Wir erklären unsere Solidarität mit allen Arbeitern und jungen Menschen auf allen Kontinenten und in allen Ländern, die den Kampf gegen den Kapitalismus aufgenommen haben.

Rede von David North – Internationale Online-Kundgebung zum 1. Mai 2023

Das Internationale Komitee erneuert seine Zusage, für die Freiheit der Maruti-Suzuki-Autoarbeiter im indischen Delhi zu kämpfen, die zur Strafe für ihren Streik gegen brutale Arbeitsbedingungen zu lebenslanger Haft verurteilt wurden. Das IKVI bekräftigt seine Entschlossenheit, die Kraft der internationalen Arbeiterklasse zu mobilisieren, um die Freiheit von Julian Assange zu sichern, der zu einem Symbol für den Kampf um die Wahrheit gegen die Verbrechen der imperialistischen Regierungen und die Lügen ihrer Lakaien in den kapitalistischen Medien geworden ist.

Die heutige Kundgebung ist die zehnte Online-Maiversammlung des Internationalen Komitees. Sie findet statt, während der Krieg in der Ukraine unaufhaltsam eskaliert und sich über die Nato-Konfrontation mit Russland hinaus zu einem Krieg gegen China und einem nuklearen Weltbrand auszuweiten droht.

Um ihre eigene Rolle bei der Anbahnung des Ukraine-Krieges zu verschleiern, hält die Biden-Regierung am ahistorischen und absurden Narrativ von Putins „unprovoziertem Krieg“ fest. Doch die Beschwörung des Schreckgespenstes Wladimir Putin – das jüngste in einer langen Reihe von Teufeln, die von Washington heraufbeschworen wurden – trägt nichts dazu bei, die historischen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Ursprünge des Krieges zu erklären.

Sie lenkt die Aufmerksamkeit vielmehr davon ab, den Zusammenhang zwischen dem US-Nato-Krieg in der Ukraine und den folgenden Prozessen zu untersuchen:

(1) Die vorangegangenen 30 Jahre praktisch ununterbrochener Kriege, die die Vereinigten Staaten im Irak, in Serbien, Afghanistan, Somalia, Libyen und Syrien geführt haben;

(2) die unerbittliche Nato-Osterweiterung seit der Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991;

(3) der eskalierende geopolitische Konflikt mit China, das vom amerikanischen Imperialismus als gefährliche Bedrohung seiner eigenen dominanten Position in der Welt angesehen wird;

(4) die anhaltende Verschlechterung der weltwirtschaftlichen Position der Vereinigten Staaten, die ihren deutlichsten Ausdruck darin findet, dass die Vormachtstellung des Dollars als Weltreservewährung zunehmend in Frage gestellt wird;

(5) die Serie wirtschaftlicher Schocks, die verzweifelte Rettungsaktionen erforderlich machten, um den vollständigen Zusammenbruch des US-Finanzsystems zu verhindern;

(6) der offensichtliche Zusammenbruch des politischen Systems der Vereinigten Staaten, ausgedrückt am 6. Januar 2021 im Versuch des damaligen Präsidenten Donald Trump, die Ergebnisse der nationalen Wahlen von November 2020 zu kippen;

(7) die zunehmende innenpolitische Instabilität einer Gesellschaft, die durch ein schwindelerregendes Maß an Ungleichheit gezeichnet ist – verstärkt durch die Auswirkungen der Pandemie und eine neue Inflationsspirale, die die amerikanische Arbeiterklasse radikalisiert.

Vernichtend widerlegt wurde das Narrativ vom „unprovozierten Krieg“ durch die Erklärungen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI), die auf der World Socialist Web Site veröffentlicht wurden. Sie haben während des letzten Vierteljahrhunderts die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Widersprüche analysiert, die die verzweifelten Bemühungen der US-amerikanischen Konzern- und Finanzelite angetrieben haben, durch Krieg einen Ausweg aus unlösbaren Krisen zu finden.

Die erste Online-Maikundgebung des Internationalen Komitees fand weniger als drei Monate nach dem Maidan-Putsch vom Februar 2014 statt. Dieser wurde von den USA und Deutschland inszeniert, um den ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch zu stürzen – der in den Augen Washingtons und Berlins zu sehr mit Russland sympathisierte – und eine Nato-freundliche Regierung an die Macht zu bringen. Auf den Staatsstreich reagierte der Kreml mit der Einnahme und Annexion der Krim-Halbinsel, die Washington zu einem Stützpunkt für Nato-Marineoperationen gegen Russland im Schwarzen Meer machen wollte.

Im Aufruf zu ihrer ersten Online-Maikundgebung, der am 12. April 2014 veröffentlicht wurde, erklärte die World Socialist Web Site, der Maidan-Putsch sei inszeniert worden, „um eine Konfrontation mit Russland zu provozieren“. Die Erklärung fuhr fort:

Die Konfrontation mit Russland in der Frage der Ukraine kennzeichnet einen neuen und gefährlichen Kurswechsel in der Politik der imperialistischen Mächte. Die Kriegsgötter haben wieder Blut geleckt! Wie in den Jahren vor dem Ersten und Zweiten Weltkrieg wird eine Neuaufteilung der Welt vorbereitet.

Wer glaubt, ein Krieg gegen China und Russland wäre ein Ding der Unmöglichkeit und die imperialistischen Mächte würden keinen nuklearen „Krieg riskieren“, der macht sich etwas vor. Die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts mit seinen beiden katastrophalen Weltkriegen und seinen unzähligen und blutigen „lokal begrenzten“ Konflikten hat zur Genüge gezeigt, welche Risiken die imperialistischen herrschenden Klassen einzugehen bereit sind. Sie sind sehr wohl bereit, die gesamte Menschheit und den Planeten Erde dem Untergang preiszugeben.

Einhundert Jahre nach Ausbruch des Ersten und 75 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs steht die internationale Arbeiterklasse vor der Aufgabe, gegen die Gefahr einer dritten imperialistischen Katastrophe zu kämpfen.

Das Internationale Komitee besaß keine Kristallkugel. Aber es konnte sich auf die mächtige Waffe der marxistischen Theorie und die von Lenin während des Ersten Weltkriegs entwickelte Analyse der Dynamik des Weltimperialismus stützen. Damals entlarvte Lenin die Lügen, mit denen die imperialistischen Regierungen das Gemetzel rechtfertigten, und die Sophistereien derjenigen, die ihre früheren Versprechen aufgegeben hatten, sich der Kriegspolitik der kapitalistischen Regierungen zu widersetzen und für die internationale Einheit der Arbeiterklasse einzutreten.

Wladimir Lenin

Lenins Analyse begründete den Krieg mit den wirtschaftlichen Grundlagen des Imperialismus und den daraus resultierenden und unausweichlichen Konflikten zwischen kapitalistischen Staaten. Er wies die Behauptung zurück, dass der Krieg im Namen der „Landesverteidigung“ unterstützt werden könne oder dass der militärische Konflikt lediglich das Ergebnis einer falschen Auswahl politischer Optionen sei. Das erste Argument war schlicht eine heuchlerische Rechtfertigung für die Kapitulation vor nationalem Chauvinismus; das zweite Argument diente dazu, die objektive Ursache des imperialistischen Krieges und seine revolutionären Auswirkungen auf die Entwicklung einer Antikriegsstrategie der Arbeiterklasse zu verschleiern.

Die imperialistische Ökonomie führte unaufhaltsam zum imperialistischen Krieg – mit all seinen Schrecken. „Politisch ist Imperialismus überhaupt Drang nach Gewalt und Reaktion...“, schrieb der Führer der bolschewistischen Partei 1916. Durch die rücksichtslose Anwendung von Gewalt wollten die Imperialisten die Reichtümer und Ressourcen der Welt unter den Großmächten neu aufteilen. Lenin erklärte:

[E]rstens zwingt die abgeschlossene Aufteilung der Erde, bei einer Neuaufteilung die Hand nach jedem beliebigen Land auszustrecken, und zweitens ist für den Imperialismus wesentlich der Wettkampf einiger Großmächte in ihrem Streben nach Hegemonie, d.h. nach der Eroberung von Ländern, nicht so sehr direkt für sich als vielmehr zur Schwächung des Gegners und Untergrabung seiner Hegemonie...

Lenin fuhr fort:

Es fragt sich, welches andere Mittel konnte es auf dem Boden des Kapitalismus geben außer dem Krieg, um das Mißverhältnis zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und der Akkumulation des Kapitals einerseits und der Verteilung der Kolonien und der „Einflußsphären“ des Finanzkapitals anderseits zu beseitigen?

Der gegenwärtige Krieg in der Ukraine und der eskalierende Konflikt mit China sind Erscheinungsformen der globalen Widersprüche, die Lenin vor mehr als einem Jahrhundert analysiert hat – wenn sie auch heute auf einer viel höheren und komplexeren Ebene stattfinden.

Der Krieg in der Ukraine ist bei weitem nicht das plötzliche und unerwartete Ergebnis von Putins „unprovoziertem“ Einmarsch – als ob die Nato-Erweiterung um 800 Meilen nach Osten seit 1991 keine Provokation gegen Russland gewesen wäre –, sondern die Fortsetzung und Eskalation eines 30 Jahre andauernden Krieges, den die Vereinigten Staaten führen. Das Hauptziel der nicht enden wollenden Serie von Konflikten besteht darin, den langwierigen wirtschaftlichen Niedergang des US-Imperialismus auszugleichen und seine globale Hegemonie durch militärische Eroberungen zu sichern.

1934 schrieb Leo Trotzki, dass der deutsche Imperialismus danach strebe, „Europa zu organisieren“, während es das Ziel des US-Imperialismus sei, „die Welt zu organisieren“. In Worten, die dazu gedacht schienen, Trotzkis Analyse zu bestätigen, schrieb Joe Biden als Kandidat für die US-Präsidentschaft im April 2020: „Die Biden-Außenpolitik wird die Vereinigten Staaten wieder an das Kopfende des Tisches setzen... die Welt organisiert sich nicht von selbst.“

Leo Trotzki, Gründer der Vierten Internationale

Aber die Vereinigten Staaten sind mit einer Welt konfrontiert, die nicht unbedingt von den Vereinigten Staaten organisiert werden will. Die Rolle des Dollars als Weltreservewährung, die finanzielle Grundlage der amerikanischen geopolitischen Vorherrschaft, wird zunehmend in Frage gestellt. Die wachsende Rolle Chinas als wirtschaftlicher und militärischer Konkurrent wird von Washington als existenzielle Bedrohung der amerikanischen Vorherrschaft angesehen.

Ein wichtiger Faktor bei der Entscheidung der imperialistischen Mächte, 1914 in den Krieg zu ziehen, war die Befürchtung, dass die Zeit nicht auf ihrer Seite war, d. h. dass ein Aufschub des Krieges nur dazu führen würde, dass ihre Konkurrenten an Stärke gewinnen würden. In dem Maße, in dem der Krieg als unvermeidlich angesehen wurde, führte dies zu einer „besser früher als später“-Haltung gegenüber dem Ausbruch des Krieges. Diese subjektive Überzeugung der kapitalistischen politischen Führer und der militärischen Generalstäbe, dass ein Konflikt unvermeidlich sei, wurde im August 1914 zu einem entscheidenden Faktor für den Beschluss, in den Krieg zu ziehen.

Die zahlreichen Artikel in der kapitalistischen Presse und in strategischen Zeitschriften, die einen Krieg gegen China innerhalb der nächsten 15, 10 oder sogar fünf Jahre prophezeien, zeugen davon, dass im heutigen Washington eine ähnliche Denkweise verbreitet ist. Es gibt keine andere ernstzunehmende politische Erklärung für den skrupellos provokativen Charakter des Vorgehens der Biden-Regierung in Taiwan. Es zielt offensichtlich darauf ab, die chinesische Regierung zu militärischen Aktionen zu veranlassen, „den ersten Schuss abzufeuern“ und damit Washington das notwendige Propagandanarrativ zu liefern, um seine seit langem geplanten Militäraktionen zu rechtfertigen.

Die Vereinigten Staaten sind die aggressivste der imperialistischen Mächte, doch die gleiche Dynamik, die Washington zum Krieg treibt, wirkt auch in Europa. Die europäischen imperialistischen Verbündeten der Vereinigten Staaten im Nato-Bündnis sind zwar aufgrund des derzeitigen globalen Kräfteverhältnisses gezwungen, dem von Washington vorgegebenen Szenario zu folgen, aber sie sind keineswegs unbeteiligte Zuschauer in der Konfrontation mit Russland.

Alle alten europäischen imperialistischen Mächte – sturmerprobte Veteranen zweier Weltkriege im letzten Jahrhundert, die grausame Verbrechen in ihren ehemaligen Kolonien verübt und in ihren eigenen Ländern mit Faschismus und Völkermord experimentiert haben – werden von denselben politischen und wirtschaftlichen Leiden heimgesucht, die die Vereinigten Staaten befallen, verfügen aber über noch weniger finanzielle Ressourcen, um mit ihnen fertig zu werden.

Obwohl sie nicht in der Lage sind, ihre imperialistischen Ambitionen unabhängig zu verfolgen, sind weder Großbritannien, Frankreich, Italien oder Deutschland noch „kleinere Mächte“ wie Schweden, Finnland, Norwegen, Dänemark, Spanien, Belgien und die Schweiz bereit zu akzeptieren, dass sie von der Neuaufteilung des Territoriums und der natürlichen Ressourcen sowie vom Zugang zu finanziellen Vorteilen ausgeschlossen werden, die sie sich von der militärischen Niederlage Russlands und seinem Zerfall in zahlreiche Teilstaaten versprechen.

Alle Versuche, die „Schuld“ am Krieg durch die Konzentration auf die Frage zu beurteilen, „wer zuerst geschossen hat“, erfordern einen extrem begrenzten Zeitrahmen, der eine einzelne Episode aus einer viel längeren Abfolge von Ereignissen herausreißt.

Stellt man die Ereignisse, die zum russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 führten, in den notwendigen historischen und politischen Kontext, besteht kein Zweifel daran, dass der Krieg von den Vereinigten Staaten und ihren Nato-Verbündeten angezettelt wurde.

Die Tatsache, dass der Krieg von den Vereinigten Staaten und der Nato angezettelt wurde, rechtfertigt jedoch nicht die russische Invasion der Ukraine, und erst recht ändert sie nichts an ihrem reaktionären Charakter. Diejenigen, die die Invasion mit der Begründung verteidigen, sie sei eine legitime Reaktion auf die Bedrohung der russischen Grenzen durch die Nato gewesen, ignorieren einfach die Tatsache, dass Putin der Führer eines kapitalistischen Staates ist, dessen Definition von „nationaler Sicherheit“ von den wirtschaftlichen Interessen einer oligarchischen Klasse bestimmt wird, deren Reichtum auf der Auflösung und dem Diebstahl des vormaligen Staatseigentums der Sowjetunion beruht.

Alle Fehleinschätzungen und Fehler Putins, sowohl in der Einleitung als auch der Fortsetzung des Krieges, spiegeln die Klasseninteressen wider, denen er dient. Ziel des Krieges ist es, dem militärischen Druck der westlichen imperialistischen Mächte entgegenzuwirken und der nationalen Kapitalistenklasse eine beherrschende Stellung bei der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und der Arbeitskraft innerhalb der Grenzen Russlands und, soweit möglich, in der Schwarzmeerregion und den angrenzenden Ländern Zentralasiens und des Transkaukasus zu sichern.

Diese Ziele haben nichts Fortschrittliches, geschweige denn Antiimperialistisches an sich.

Ungeachtet ihres derzeitigen Konflikts haben die neuen postsowjetischen herrschenden Klassen in Russland und der Ukraine denselben kriminellen Ursprung in der Auflösung der UdSSR und der Restauration des Kapitalismus.

Seit mehr als einem Jahr dauert der Krieg nun an. Die kapitalistischen Medien jubeln über das Blutvergießen, während sie einer ukrainischen Gegenoffensive entgegensehen, die auf beiden Seiten weitere zehntausende Menschenleben kosten wird.

Gegenwärtig konzentrieren sich die blutigsten Kämpfe auf die Stadt Bachmut. Selbst wenn man die Manipulation von Informationen sowohl durch die ukrainische als auch russische Seite im Interesse der jeweiligen Propaganda berücksichtigt, steht außer Frage, dass der Kampf um die Stadt einen entsetzlichen Tribut an Menschenleben gefordert hat.

Doch trotz der umfassenden Berichte über die militärischen Operationen in und um die Stadt wurde in der Presse nur wenig über die Geschichte der Stadt selbst geschrieben. Ein Blick auf diese Geschichte bezeugt den tragischen Charakter dieses Bruderkriegs und den schrecklichen sozialen Rückschritt, den er für die Menschen in Russland und der Ukraine bedeutet.

Die Stadt Bachmut war eine wichtige Front im Bürgerkrieg, der auf die Oktoberrevolution von 1917 folgte. Sie geriet unter die Kontrolle der antibolschewistischen nationalistischen ukrainischen Armee von Symon Petljura, dessen Regime Pogrome anzettelte, bei denen zwischen 50.000 und 200.000 Juden getötet wurden.

Die Rote Armee befreite Bachmut am 27. Dezember 1919, und dieser Sieg setzte einen gewaltigen gesellschaftlichen Wandel in Gang. Es wurde eine Fabrik zum „Sieg der Arbeit“ gebaut und die Bergwerke in der Nähe der Stadt wurden nach dem deutschen Revolutionär Karl Liebknecht und dem sowjetischen Führer Jakow Swerdlow benannt. 1924 wurde die Stadt in Artemiwsk umbenannt, um das Andenken an Fjodor Andrejewitsch Sergejew zu ehren, einen führenden Bolschewiken, der als Genosse Artjom bekannt gewesen war.

Dessen Leben spiegelte den revolutionären Internationalismus wider, der weite Teile der sozialistisch gesinnten Arbeiterklasse, der Intelligenz und der Jugend des multinationalen russischen Reiches inspirierte.

Fjodor Sergejew, oder Genosse Artjom

Sergejew-Artjom war 1901 der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei beigetreten und unterstützte nach der Spaltung 1903 Lenins bolschewistische Fraktion. Während der Revolution von 1905 führte er einen bewaffneten Aufstand der Arbeiter in der Stadt Charkiw an. Nach der Niederlage der Revolution wurde er in Sibirien inhaftiert. Doch Genosse Artjom konnte nach drei Jahren entkommen und gelangte über Japan und Korea nach Australien.

Schon bald wurde er in den Kämpfen der australischen Arbeiterklasse aktiv. Weithin als „Big Tom“ bekannt, wurde Artyom 1912 Redakteur des Echo of Australia. Als Mitglied der Australian Socialist Party führte in den Gewerkschaften Widerstand gegen Australiens Teilnahme am Ersten Weltkrieg an.

Nach der Februarrevolution kehrte Artyom nach Russland zurück und spielte eine wichtige Rolle bei der Organisation des revolutionären Aufstands, der die bolschewistische Herrschaft in Charkiw und der Region des Donezbeckens sicherte. Er spielte dann eine wichtige Rolle im Bürgerkrieg, der schließlich die Sowjetmacht sicherte. Im Jahr 1921 kam Artjom bei einem Zugunglück ums Leben. Drei Jahre später wurde Bachmut in Artemiwsk umbenannt.

Am 31. Oktober 1941, vier Monate nach dem Überfall auf die Sowjetunion, besetzten die Nazis Artemiwsk. Anfang 1942 ermordeten die Nazis mit Unterstützung rechter ukrainischer Nationalisten 3.000 Juden, die zusammengetrieben, in einen Minenschacht gestoßen und dort erstickt wurden.

Am 5. September 1943 wurde Artemiwsk von der Roten Armee befreit.

Nach dem Maidan-Putsch von 2014 ließ das rechte Poroschenko-Regime, das die Helden des ukrainischen Faschismus rehabilitieren und alle politischen, sozialen und kulturellen Spuren der Sowjetära beseitigen wollte, Artemiwsk von der ukrainischen Landkarte streichen und stellte den alten Namen der Stadt, Bachmut, wieder her.

Die Auslöschung der Überreste der Oktoberrevolution ging mit der erneuten Verherrlichung von Stepan Bandera, Dmitri Donzow und anderen Helden des faschistischen und neonazistischen bürgerlichen ukrainischen Nationalismus einher.

Putins Behauptung, den ukrainischen Faschismus zu bekämpfen, entbehrt jedoch jeglicher politischer Glaubwürdigkeit. Er führt den Krieg unter dem reaktionären Banner des russischen Nationalismus. Wenn Putin das Erbe des Zarismus beschwört und Lenin, Trotzki, den Bolschewismus und die Oktoberrevolution anprangert, bekundet er damit den historisch reaktionären und politisch bankrotten Charakter seines Regimes.

Indem wir ein Ende des Krieges fordern, berufen wir uns auf das Prinzip des sozialistischen Internationalismus. Die Arbeiterklasse hat kein Heimatland. Weder die ukrainische noch die russische Arbeiterklasse hat von diesem Krieg etwas zu gewinnen. Vor achtzig Jahren kämpften die Arbeiter der Ukraine und Russlands Seite an Seite, um die Nazi-Invasoren aus der Sowjetunion zu vertreiben. Als Folge der Restauration des Kapitalismus bringen sie sich jetzt gegenseitig auf dem Boden um, den sie einst Seite an Seite gegen den Faschismus und zum Erhalt der Errungenschaften der Oktoberrevolution verteidigt haben.

Die einzige politisch gangbare, geschweige denn revolutionäre Antwort auf den imperialistischen Krieg ist die revolutionäre Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse auf der Grundlage sozialistischer Politik. Heute wird viel über das Entstehen einer „multipolaren“ Welt gesprochen, welche angeblich die „unipolare“ Hegemonie des amerikanischen Imperialismus ablösen wird. Die Herrschaft Washingtons wird nach Ansicht der akademischen und pseudolinken Theoretiker der „Multipolarität“ durch ein Konsortium kapitalistischer Staaten ersetzt, die gemeinsam und harmonisch eine friedlichere Aufteilung der globalen Ressourcen vornehmen werden.

Diese neue Version eines friedlichen „Ultraimperialismus“ ist in theoretischer Hinsicht nicht kohärenter und in politischer Hinsicht nicht lebensfähiger als vor einem Jahrhundert, als sie erstmals von dem deutschen Reformisten Karl Kautsky vorgeschlagen und von Lenin umfassend widerlegt wurde. Die friedliche Verteilung und Aufteilung der globalen Ressourcen unter den kapitalistischen und imperialistischen Staaten ist unmöglich. Die Widersprüche zwischen der Weltwirtschaft und dem kapitalistischen Nationalstaatensystem führen zum Krieg.

In jedem Fall erfordert die Verwirklichung einer „multipolaren“ Welt, abgesehen von ihren falschen theoretischen Grundlagen, ihre friedliche Akzeptanz durch die heute dominierende imperialistische Macht, die Vereinigten Staaten. Dies ist keine realistische Vorstellung. Die Vereinigten Staaten werden sich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln den Bemühungen widersetzen, ihr Streben nach „unipolarer“ Hegemonie zu behindern. So führt das utopische Streben, eine „unipolare“ durch eine „multipolare“ Welt zu ersetzen, in seiner eigenen verdrehten Logik zum Dritten Weltkrieg und der Zerstörung des Planeten.

Letztlich sind diese antimarxistischen Theorien und ihre Politik auf eine Ablehnung des Kampfes gegen den Kapitalismus und auf den Versuch eines Ausgleichs zwischen widerstreitenden kapitalistischen und imperialistischen Staaten zurückzuführen.

Das Internationale Komitee lehnt alle derartigen feigen Anpassungen an kapitalistische Regime und Ausweichmanöver vor revolutionären Aufgaben ab. Wie Trotzki bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erklärte: „Wir sind keine Regierungspartei; wir sind die Partei der unversöhnlichen revolutionären Opposition...“

Wir streben die Verwirklichung unserer Politik „nicht mit Hilfe bürgerlicher Regierungen..., sondern ausschließlich durch die Erziehung der Massen durch Agitation, indem wir den Arbeitern erklären, was sie verteidigen und was sie stürzen sollen“.

Eine solche Herangehensweise an die Lösung historischer Probleme, räumte Trotzki ein, „kann keine unmittelbaren Wunder bewirken. Aber wir behaupten ja auch nicht, Wunderheiler zu sein. Wie die Dinge stehen, sind wir eine revolutionäre Minderheit. Unsere Arbeit muss bewirken, dass die Arbeiter, auf die wir Einfluss haben, Ereignisse richtig einschätzen können, sich nicht erlauben, überrascht zu werden und die allgemeine Stimmung ihrer eigenen Klasse auf die revolutionäre Lösung der Aufgaben vorbereiten, vor denen wir stehen.“

Die Gefahren, mit denen die Menschheit konfrontiert ist, sollten nicht heruntergespielt werden. Die erste Aufgabe eines echten Revolutionärs besteht darin, festzustellen, was ist. Dies erfordert jedoch anzuerkennen, dass die objektive Realität nicht nur die Gefahr eines Dritten Weltkriegs und der Vernichtung der Menschheit birgt, sondern auch das Potenzial für die sozialistische Weltrevolution und einen gewaltigen Fortschritt der menschlichen Zivilisation.

Das Programm der Vierten Internationale, der vom Internationalen Komitee geführten Weltpartei der sozialistischen Revolution, besteht darin, dieses Potenzial durch den Aufbau einer Massenbewegung gegen den imperialistischen Krieg und den Kampf für den Übergang der Macht an die Arbeiterklasse zum Aufbau des Sozialismus auf der ganzen Welt zu verwirklichen. Dies ist die Perspektive, die – trotz aller Schwierigkeiten und Gefahren – die heutige Maikundgebung anleitet.

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